1. Spiele, die Brücken schlagen
Miyamoto:
Wie? Bin ich der einzige, der heute interviewt wird?
Iwata:
Ja.
Miyamoto:
Wo ist der Produzent, Herr Aonuma? Eigentlich gibt es neben Herrn Aonuma auch noch einen zweiten Produzenten von „Link’s Crossbow Training“.
Iwata:
Herr Tezuka ist ebenfalls Produzent, oder?
Miyamoto:
Herr Tezuka hatte lange Zeit mit „Zelda“ zu tun, und ich dachte, dass seine Anwesenheit sinnvoll sei, da ich möglicherweise nicht alle Ihre Fragen beantworten kann. (Lacht)
Iwata:
(Lacht) Mehr als Einzelheiten zum Spiel interessiert mich im Moment, welches Bild Ihnen vorschwebte, als Sie „Link’s Crossbow Training“ erschufen.
Miyamoto:
Ich verstehe. Hm, wo fange ich am besten an? Ich mochte schon immer Spiele im Stil eines First-Person-Shooters (FPS)2, 3D-Spiele, in denen sich die Figur frei bewegen kann und alles aus der Ich-Perspektive sieht.
Iwata:
Warum?
Miyamoto:
Es ist angenehmer, natürlicher. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wir schauen beim Gehen nicht auf unsere Füße. Wir möchten immer mitbekommen, was um uns herum geschieht. Daher sollen sich die Menschen auch in den Spielen in die 3D-Umgebung hineinversetzen können, so als würden sie sich wirklich dort befinden, und da ist es ganz natürlich, denke ich, dass sie sich beim Gehen umschauen können. Bei der Entwicklung von „The Legend of Zelda: Ocarina of Time“ hatte ich sogar zuerst eine Ich-Perspektive vorgeschlagen.
Iwata:
„Ocarina of Time“ aus der Ich-Perspektive!?
Miyamoto:
Ich habe damit gerechnet, dass Sie überrascht sein würden! (Lacht) Ich dachte mir, dass die Spieler die riesige Hyrule-Ebene mit dem FPS-System am besten würden betrachten können. Und wenn die Figur des Spielers nicht auf dem Bildschirm ist, können wir mehr Zeit und Energie auf die Erschaffung von Feinden und Umgebungen verwenden.
Iwata:
In der Nintendo 64-Ära mussten Sie Hardware-Beschränkungen beachten, oder?
Miyamoto:
Nun, ich hatte zwar ursprünglich geplant, ein Spiel in der Ich-Perspektive zu schaffen, aber dann wurde die Idee eines jungen Link im Spiel geboren, und der Held musste auf dem Bildschirm zu sehen sein.
Iwata:
Ich verstehe. Wenn der Held nicht auf dem Bildschirm zu sehen ist, ist es schwer, zwischen dem erwachsenen und dem jungen Link zu unterscheiden, nicht wahr?
Miyamoto:
Ja, und außerdem sieht Link so cool aus, dass es schade wäre, ihn nicht zu sehen! (Lacht) Wegen der eben genannten Gründe entschieden wir uns in „Ocarina of Time“ für einen sichtbaren Helden.
Iwata:
Wie Sie, Herr Miyamoto, haben manche Leute viel Spaß an FPS, andere sind der Meinung, dass FPS zu schwierig sind. Ich glaube, dass ziemlich viele Japaner so denken – woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen?
Miyamoto:
Ich habe keine Ahnung.
Iwata:
Ich teile diese Meinung nicht, aber manche Leute glauben, dass die Fähigkeit, 3D-Spiele zu erfassen, bei Japanern und Menschen aus der westlichen Welt unterschiedlich ausgeprägt ist. Sie glauben, dass traditionelle Jäger ein besseres Raumverständnis haben als traditionelle Bauern.
Miyamoto:
Meine Vorfahren waren dann wohl Jäger (lacht). Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich bin kein Experte in FPS. Man kann in null Komma nichts besiegt werden, aber meiner Meinung nach bringen sie echt viel Spaß.
Iwata:
Sie scheinen stets das zu entwickeln, was Sie mögen.
Miyamoto:
(Lacht) Ich bin wie ein offenes Buch!
Iwata:
Beispielsweise wurde die Idee zu „Wii Fit“ geboren, weil Sie sich gerne täglich wiegen, und die Kreation eines Spiels im FPS-Genre war eine Reaktion auf Ihr Gefühl, dass es Spaß machen würde.
Miyamoto:
Wenn eine Person an etwas Einfachem Spaß haben kann, dann kann meiner Meinung nach jeder dieses Vergnügen empfinden. Bei der Kreation von Spielen behalte ich dies immer im Sinn. Als wir zum Beispiel an „Wii Sports“ arbeiteten, wurde mir von Amerikanern ständig gesagt, dass sich so simple Spiele in den USA nicht verkaufen würden. Als sie schließlich auf den Markt kamen, schienen die Spiele in den USA jedoch eine noch stärkere Anziehungskraft auszuüben als in Japan. Wenn solch ein Phänomen vor Ihren Augen auftritt, wird Ihnen bewusst, dass es keine Rolle spielt, was Menschen aus asiatischen oder Menschen aus westlichen Ländern unterhaltsam finden.
Iwata:
Um möglichst vielen Leuten zu zeigen, wie viel Spaß FPS bieten, haben Sie also „Link’s Crossbow Training“ geschaffen.
Miyamoto:
Genau.
Iwata:
Ich verstehe, warum Sie sagen, dass Sie FPS mehr Spielern hier in Japan näher bringen wollten, aber das Spiel wurde in den USA veröffentlicht, wo es bereits viele FPS-Fans gibt, nicht wahr?
Miyamoto:
Wie in Japan gibt es auch in den USA Leute, die früher begeisterte Gamer waren, aber heute nicht mehr spielen, oder die einfach keine FPS-Fans sind.
Iwata:
Nun, ich habe von einem amerikanischen Reporter gehört, wie viele Schwierigkeiten er beim Spielen von FPS hat (lacht).
Miyamoto:
Zunächst einmal waren FPS ursprünglich Shooter. Scrollen war nicht möglich, man spielte auf einer ebenen Oberfläche, und ich glaube, dass vielen Leuten diese Art Spiel wirklich gefiel.
Iwata:
Das Alter war damals nicht ausschlaggebend, sowohl Kinder als auch Erwachsene hatten Freude an diesen Shootern. Manche wurden ein wenig an Schießbuden auf der Kirmes erinnert.
Miyamoto:
Selbst in Freizeitparks finden Sie heute Spiele, mit denen Sie Ihre Treffsicherheit trainieren können. Zum Beispiel eine Wildwestkulisse, in der sich Ihre Feinde hinter einem Felsen verstecken und Sie auf das Ziel schießen. Es scheint sehr simpel zu sein, aber wenn Sie es ausprobieren, sehen Sie, dass es wirklich Spaß macht. Aber die Gaming-Welt ist immer komplizierter geworden, bis hin zu dem Punkt, dass die Menschen sie als unzugänglich erachten.
Iwata:
In der Nintendo 64-Ära, gab es selbst in Japan Hinweise darauf, dass sich das FPS-Genre verbreiten würde. Aber obwohl sich die Popularität dieser Spiele in den USA kurz danach auf ihren Höhepunkt zubewegte, gab es in Japan unter den Videospiele-Fans immer noch keinen großen Fortschritt.
Miyamoto:
In den USA wurden verschiedene Arten von FPS für PC nach und nach für Konsolen veröffentlicht. In Japan hatte es jedoch vorher keine Spiele im FPS-Stil gegeben, und die fortgeschrittenen Spiele kamen urplötzlich auf den Markt. Ich denke jedoch, dass es in unserer Verantwortung lag, weiterhin unterhaltsame FPS zu veröffentlichen, um das Publikum weiter zu beschäftigen und sein Interesse aufrecht zu erhalten...
Iwata:
Es besteht ein Riesenunterschied zwischen den einfachen Shootern und den modernen FPS, nicht wahr? Ich denke, dass viele Leute glauben, dass der Schwierigkeitsunterschied zwischen einfachen Shootern und FPS nur schwer zu überbrücken ist, obwohl viele Spieler FPS wirklich unterhaltsam finden würden.
Miyamoto:
Ja, und ich war davon überzeugt, dass es Raum gab für ein Spiel, das diese Lücke füllen würde, und habe daher „Link’s Crossbow Training“ geschaffen. Zum Zielen wird die Wii-Fernbedienung verwendet - eine wirklich bequeme Art, ein FPS zu spielen.
Iwata:
Meine nächste Frage stelle ich aus reiner Neugier. Sie haben es nicht nötig, Englisch zu lernen oder Ihr Gehirn zu trainieren, warum haben Sie dann im Titel das englische Wort „Training“ verwendet?
Miyamoto:
(Lacht.) Weil ein Titel wie „Link’s Crossbow Classroom“ ein bisschen komisch geklungen hätte, denken Sie nicht? Da es eine Art Einführung in FPS ist, wollten wir es ursprünglich „Introduction to Wii Zapper“ (Einführung in den Wii Zapper) nennen, befürchteten aber, dass die Spieler dies mit „Introduction to Wii“ (die englische Übersetzung des japanischen Titels für "Wii Play") verwechseln könnten, und das wollten wir vermeiden. Und wenn wir es „The Legend of Zelda: Phantom Crossbow” oder so ähnlich genannt hätten, hätte es wie ein „Zelda“-Nachfolger auf großer Skala ausgesehen, und wir wollten eine solche falsche Interpretation verhindern. Daher verwendeten wir am Ende „Training“ im Titel.
Iwata:
Wenn ich eine Geschichte wie diese höre, wird mir die Tiefe der Gaming-Welt erst richtig bewusst.
Miyamoto:
Nun, die ist von den Schöpfern von „Zelda“ zu erwarten (lacht).
2. Der Weg als Ziel
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