2. Shigeru Miyamoto spricht über den Virtual Boy
Iwata:
Also, bevor wir über den Nintendo 3DS reden, möchte ich gern über das Virtual Boy-System sprechen.
Itoi:
„Virtual Boy"!
Miyamoto:
Uiuiui, nicht schlecht. (lachen)
Iwata:
1995, als der Virtual Boy die Welt erobern sollte, war ich noch nicht bei Nintendo. Eines Tages aber besuchte ich den damaligen Nintendo-Präsidenten Yamauchi, der mir von einer Neuentwicklung berichtete, die ich mir unbedingt ansehen sollte. Es war das Virtual Boy-System. Wir waren damals zusammen dort, Mr. Itoi.
Itoi:
Ach ja? (lachen)
Iwata:
Virtual Boy war, glaube ich, ein kommerzieller Totalreinfall. Ich hätte es gut verstanden, wenn Nintendo aus dieser Zeit ein Trauma beibehalten hätte, das sich auf das gesamte 3D-Genre bezieht. Aber Nintendo arbeitete beharrlich an einer weiteren Veröffentlichung im Bereich der 3D-Technologie. Und jetzt können Sie sagen, dass die Versuche zu einem fruchtbaren Ergebnis geführt haben. Es scheint mir, dass dies ein interessantes Thema sein könnte.
Itoi:
Schöne Einleitung! (lacht) Ich glaube, dass Mr. Miyamoto uns einzigartige Eindrücke darüber vermitteln kann.
Miyamoto:
Ja, das könnte ich. Aber es ist ein wenig kompliziert. (lacht)
Iwata:
Zu dieser Zeit habe ich eng mit der Firma zusammengearbeitet, war aber immer noch kein Mitglied der Nintendo-Familie. Mr. Miyamoto jedoch war bereits voll integriert.
Itoi:
Kompliziert?
Miyamoto:
Genau. (lacht) Nun ja, so weit ich meine Position beschreiben kann, gehörte ich damals noch nicht zum Kernteam. Und das macht es eben ein bisschen kompliziert.
Itoi:
Aha, ich verstehe. Das war Mr. (Gunpei) Yokoi.
Miyamoto:
Stimmt.
Iwata:
Gunpei Yokoi spielte eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des Virtual Boy. Er war auch der Vater des Game Boy.
Miyamoto:
Wollen wir mal sehen ... Fangen wir am besten von vorn an! Ich war zu dieser Zeit sehr interessiert an virtuellen Realitäten und ein Teil der Mannschaft, die sich Tag ein Tag aus damit beschäftigte, wie wir eine 3D-Spezialbrille ein- und umsetzen könnten. Ich habe ihn nicht wirklich dazu gezwungen, aber ich wollte unbedingt mit Mr. Yokoi über mögliche Umsetzungen von 3D-Spezialbrillen sprechen.
Itoi:
Genau.
Miyamoto:
Als die heiße Entwicklungsphase des Virtual Boy begann, war ich allerdings schon mit der Entwicklung des Nintendo 64-Systems beschäftigt.
Iwata:
Die Entwicklung von Virtual Boy und Nintendo 64 verlief parallel.
Miyamoto:
Stimmt. Kompliziert war übrigens auch, dass für beide Systeme 3D-Grafiken eine große Rolle spielten. Die ganze Geschichte wäre vermutlich anders ausgegangen, wenn sich die beiden Geräte zwar ihre Technologie geteilt, aber jeweils ein anderes Ziel verfolgt hätten. Nintendo 64 begegnete der 3D-Technologie frontal, während Virtual Boy eine andere Technologie nutzte, um das Ziel "Spaß mit 3D" zu erreichen.
Itoi:
Ah, ich verstehe.
Miyamoto:
Ich werde noch konkreter: Virtual Boy nutzte Drahtmodelle, um einen 3D-Raum zu simulieren. Wenn Sie an die CPUs dieser Zeit denken, war das durchaus sinnvoll. Es gab aber nicht viele Spiele, die diese Methode unterstützten. Die meisten bedienten sich 2D-Bildern, die mit einer gewissen Tiefenwirkung aufgemotzt wurden, um einen dreidimensionalen Effekt zu erschaffen.
Itoi:
Das stimmt.
Miyamoto:
Ich habe, wie schon erwähnt, zu dieser Zeit am Nintendo 64-System gearbeitet. Ein Teil von mir liebäugelte mit der Methode der Drahtmodelle, um 3D-Grafiken zu beschreiben. Andererseits war mir auch bewusst, dass diese nicht besonders reizvoll sind.
Itoi:
(lachen)
Miyamoto:
Gäbe es nur drahtmodellbasierte Flugsimulatoren, wären all unsere geliebten Charaktere, wie Mario und Co., nie in unser Leben getreten. Das wäre schon ein wenig traurig. Wenn man aber nur die Tiefendarstellung von Marios 2D-Abbild geändert hätte, hätten wir den gewünschten Effekt des Virtual Boy nicht erreicht. Deshalb war das Virtual Boy-System eine komplizierte Angelegenheit.
Iwata:
Außerdem war die monochrome Rot-Schwarz-Darstellung ein Nachteil zu dieser Zeit, wo doch die Grafiken für Videospiele stetig detailreicher wurden.
Miyamoto:
Oh ja. Aber für mich war Virtual Boy sowieso mehr ein Spaßapparat.
Itoi:
Oha.
Miyamoto:
Es war die Art von Spielzeug, die einen begeistert und einem zeigt: „Das können wir heute alles tun!" Ich dachte mir, dass Leute, die immer auf der Suche nach neuer Unterhaltungstechnik sind oder etwas mehr Geld erübrigen können, dieses Gerät kaufen würden, auch wenn es ein bisschen teurer ist. Leider behandelte die Welt die Einführung, als sei es ein Nachfolger des Systems Game Boy.
Itoi:
Vor allem weil es auch das Wort "Boy" im Namen trägt.
Miyamoto:
Das war auch bei Nintendo allen klar. Unsere Verkaufsabteilung behandelte Virtual Boy wie eine Erweiterung unseres Lizenzgeschäfts. Anders gesagt haben wir es vermarktet, als sei es so etwas wie das Famicom-System.
Itoi:
Aha.
Miyamoto:
Von dieser Seite aus gesehen, sind 100.000 verkaufte Exemplare nur ein Anfang. Wenn man es allerdings wie einen Spaßapparat behandelt, sind schon 50.000 Verkäufe ein Riesenerfolg. Als die Verkaufszahlen dann einiges Aufsehen erregten, durchbrachen die Verkäufe erst die 100.000er-Marke, erreichten dann schnell 200.000 und sogar 500.000. Das waren alles gute Zeichen! Aus diesem Blickwinkel war Virtual Boy ein recht begehrtes Spielzeug. Und für Leute, die es auch als solches sahen, ist es sicher noch immer ein begehrenswertes Produkt. Wenn Sie es aber von allen Seiten betrachten und dann noch an die Lizenzvergabe denken ...
Iwata:
Wenn man es also als Spieleplattform sieht.
Miyamoto:
Stimmt. Wenn wir es als Plattform für Spiele betrachten, ist es ein Reinfall.
Itoi:
Vor dieser Tatsache konnte sich Nintendo nicht verschließen. Jeder hat erwartet, dass eine Maschine von Nintendo auch eine voll ausgereifte Spieleplattform sein muss.
Miyamoto:
Oh ja. Da kann man nicht drüber hinweg sehen. Deswegen war es mir zu der Zeit auch so unheimlich wichtig, das System so genau wie möglich zu beschreiben. Das schloss sowohl Werbespots wie auch Prints ein, mit denen jedem klar gemacht werden sollte, dass es sich nicht um eine vollwertige Plattform handelt.
Iwata:
Sie gehörten aber nicht zu den Hauptakteuren und konnten somit nichts dergleichen sagen.
Miyamoto:
Dafür hatte ich nicht die entsprechende Position.
Itoi:
Lassen Sie es mich einmal auf den Punkt bringen: Wenn es für Virtual Boy nun nicht Jahr für Jahr neue Spiele gegeben hätte, wäre das vollkommen in Ordnung gewesen, solange es, für sich allein gesehen, spaßig genug gewesen wäre?!
Miyamoto:
Ich dachte eben, dass es lustig genug ist, wenn es so um die fünf wirklich gute Spiele dafür gäbe. Wenn alles ideal verlaufen wäre, hätte das ausreichen können. Die Popularität wäre gestiegen und hätte sich zu einem Lizenzträger verselbstständigt.
Itoi:
Hmm. Aha.
Miyamoto:
Ein weiteres Problem war die Optik, während man spielte. Wenn es nur um mich ginge ... naja, ich wollte immer so etwas machen. Aber man starrt eben die ganze Zeit nur in den Apparat hinein.
Itoi:
Ja, besonders cool ist das nicht gerade.
Miyamoto:
Ich dachte dann, dass man es wie ein Nischenprodukt behandeln müsse.
Itoi:
Sicherlich. Es hätte mich aber eine Menge Arbeit gekostet, die Werbung so zu gestalten, dass es cool aussieht.
Iwata:
(lachen)
Miyamoto:
Virtual Boy musste zwei wichtige Ziele erfüllen. Als es dann auf den Markt kam, hatte es keines von beiden erreicht. Das Ding an sich war als Produkt nicht falsch! Das Problem lag vielmehr in dem Bild, welches wir davon gezeichnet hatten.
Itoi:
Man könnte sagen, dass die Virtual Boy-Spielekonsole es nie in unseren Alltag - unsere Wohnzimmer - geschafft hat. Schließlich sind Nintendos Produkte dafür bekannt, dass sie ihren festen Platz in unserem täglichen Leben eingenommen haben. Es ist nichts dabei, den Virtual Boy als ein recht ungewöhnliches Spielzeug zu beschreiben, an dem man sich abseits des Alltäglichen erfreuen kann. Aber wenn man es im Nintendo-Kontext betrachtet, glaube ich, dass es nicht so richtig ins Produktportfolio der Firma gepasst hat.
Iwata:
Vermutlich nicht. Denken Sie nur an den großen Durchbruch des Famicom-Systems zur Zeit von „Super Mario Bros.“, über das gesprochen wurde, als würde es unser aller heimisches Leben auf den Kopf stellen. Und seit Geschwister und andere Familienmitglieder mit einem Controller gegeneinander Wettkämpfe austragen, denke ich, dass es durchaus zu unserem täglichen Leben gehört.
Itoi:
Richtig, richtig.
Iwata:
Und in den letzten Jahren hat Nintendo seine Position mit der Einführung von Nintendo DS und Wii immer weiter in diese Richtung getrieben, so dass der Virtual Boy immer mehr als Außenseiter da stand.
Miyamoto:
Vor langer, langer Zeit haben wir sehr wohl auch so genannte Nischenprodukte gebaut.
Itoi:
Oh ja. Wie zum Beispiel den Love Tester.
Iwata:
Der Love Tester hat nun wirklich nicht ins Familienwohnzimmer gepasst. (lachen)
Miyamoto:
Oder das Automatic Ultra Scope.
Itoi:
Und diese Art Ballmaschine ...
Iwata:
Die Ultra Machine.
Itoi:
Sieht man Virtual Boy als Erweiterung dieser Liste von Spielen, könnte man behaupten, er passt recht gut in Nintendos Produktpalette.
Miyamoto:
Das glaube ich auch. Deswegen wäre es schlauer gewesen, ihn zunächst als Spielzeug im Markt zu etablieren und dann wie selbstverständlich in eine Spieleplattform umzuwandeln. Wie auch immer. Seit Famicom haben die Leute, wenn sie an Nintendo denken, große Spielekonsolen im Sinne eines Lizenzbetriebs im Auge.
Itoi:
Anders ausgedrückt, es bestehen bestimmte Erwartungen.
Miyamoto:
Ja, an die gesamte Industrie. (lacht)
Itoi:
Nintendo ist eben eine Firma, die, wenn sie einen Volltreffer landet, gleich 10 Millionen von irgendetwas verkauft. Verkauft man einmal nicht so viel, wird es gleich für einen Fehlschlag gehalten.
Miyamoto:
Puh, das ist hart! (lacht)
Itoi:
So. Jetzt haben wir aber genug über Virtual Boy geplaudert!
Miyamoto:
Ach ja? (lachen)
Iwata:
Es war doch sehr interessant. Aber jetzt weiter im Text.
3. Satoru Iwata über vergangene Projekte
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