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Autor: bereth
Künstlerin: Kandis Webseite
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Dauer: ~31 Minuten
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Dateigröße: 30,6 MB Format: Zip
Die Sprecher:
Keatonfuchs als
Betty
Reaven als
Colin
schleifenbaumj als
Moe
Sirius als
Maro & Tingle
Vas-y als
Taro
Wons als
Ilya
Gastsprecher
Matthias Ubert als
Erzähler
Die Verschwörung
Normalerweise war die Winterzeit die beste des Jahres, doch dieses Jahr war alles andere als normal
gewesen. Seit Link gegangen war, hatte sich alles verändert, Taro und Maro waren noch frecher und
selbstbewusster, Ilya war immer ruhiger geworden, sogar Moe und Uli hatten mit noch mehr
Zusammenhalt reagiert.
Nur Colin war noch derselbe.
Und so sehr er sich bisher jedes Jahr auf das große Fest zur Sonnenwende gefreut hatte, so sehr
graute es ihm nun davor. Ihm graute vor der einfachen Tatsache, dass er sich Taros und Maros
Scherzen auf seine Kosten nicht würde erwehren können. Ihm graute vor allen Dingen davor, dass
kein Link da war, ihn gegen die beiden zu verteidigen.
Dabei hatte Colin doch nach seiner Entführung noch gedacht, er hätte endlich verstanden, worauf es
ankam. Was es hieß, Mut zu zeigen, seinem großen Vorbild somit näher zu sein. Und trotzdem
schaffte er es nicht, sich gegen die beiden Brüder zu wehren, wenn sie ihn einmal mehr als Opfer
auserkoren hatten.
Lustlos schlenderte er von Phards Weide zurück nach Hause.
Der Schnee um ihn herum interessierte ihn kaum, dabei glitzerte er in der untergehenden Sonne wie
Feentau; eine Tatsache, die Colin für gewöhnlich fesselte und ihn Stunden damit zubringen ließ,
dem Funkeln der Kristalle zuzusehen. Über die ersten Flocken hatte er sich gefreut wie jedes Jahr,
doch nach der ersten Schneeballschlacht – Himmel, was hatte Taro ihn eingeseift! – war ihm wieder
vor Augen geführt worden, wie sehr ihm sein Freund fehlte. Wie ein Bruder war er stets für ihn
gewesen. Nun war er seit Monaten verschwunden, hatte seinem alten Leben entsagt und Colin
schaffte es einfach nicht, seine Zuversicht wieder zu gewinnen, die ihn nach Kakarikos Rettung
durch Link gepackt hatte.
Er hielt sich selbst schon für jämmerlich, wie er auf seinen Wegen fast ertrank in Selbstmitleid.
Dieser Gedanke hielt ihn einen Moment gefangen, sodass er neben dem Haus des Bürgermeisters
innehielt und frustriert schnaubte. Bei Farore und ihren Schwestern, es konnte doch nicht so schwer
sein, sich ein bisschen zusammenzureißen!
Eine gute Taktik war doch immer, sich selbst Mut zuzureden. Also los.
„Lächeln, Colin. Hast doch nur zwei Mundwinkel, die sind schnell oben. Wenn du so ein
Gesicht machst, bekommen nur alle anderen auch noch schlechte Laune, das kannst du nicht
machen. Lächeln und winken, wenn die beiden wieder Mist bauen, lächeln und winken.“
Er war so in seinem Mantra gefangen, dass Phards Schrei von der Weide her an ihm abprallte; und
erst die Tatsache, dass der Boden unter seinen Füßen vibrierte, unterbrach ihn, sodass die Grimasse,
die er bis jetzt zustande gebracht hatte, nur noch weiter verzerrt wurde, als er sich umwandte – und
die Ziege entdeckte, die direkt auf ihn zu berserkerte.
Statt zu reagieren und aus dem Weg zu springen, starrte er dem Tier entgegen.
Trotzdem entging er dem Aufprall, denn jemand riss ihn aus dem Weg, mitten hinein in den Schnee.
Der abseits des Weges kniehoch lag. Was freilich dazu führte, dass Colin jetzt zwar zwei Hörnern
entgangen, dafür aber nach Sekunden schon nass bis zum Steißbein war.
Irritiert spuckte er Schnee und hörte nur, wie Taro über sich meckerte.
„Kannst du nicht aufpassen?! Du weißt genau, dass Phard die Viecher nicht unter Kontrolle hat, wie
kann man so dämlich sein und das vergessen? Du hättest dir alle Knochen brechen können,
Idiot!“
Er wetterte noch ein wenig weiter, während er sich erhob und den Schnee von seiner Kleidung
wischte.
„Mann, seit Phard allein da oben hockt, bekommt er wirklich nichts mehr auf die Reihe. Du bist
ihm auch keine Hilfe, wenn du die ganze Zeit nur mit Trübsal Blasen beschäftigt bist.“
Die üblichen harten Worte.
Colin seufzte und erhob sich, um es Taro gleichzutun und den gröbsten Schnee loszuwerden, damit
er sich am Ende nicht noch einen Schnupfen holte. Einmal durch das Haar gewuschelt, dann
schaffte er es, seine so hart erarbeitete Grimasse, die er für ein Lächeln hielt, an Taro zu senden und
sich zu entschuldigen. Dass Taro sich im Grunde nur aus Sorge um ihn derart ereifert hatte, kam
ihm dabei gar nicht in den Sinn und die beiden wurden auch unterbrochen, als sie von ihren Eltern
zum Abendessen gerufen wurden.
Die Jungen trennten sich genauso schnell, wie sie aufeinander getroffen waren und Colin lief zum
Haus seiner Eltern. Mit diesem Abendessen waren es nur noch eine Nacht und ein Tag bis zum
großen Fest und Colin wusste nicht so recht, wie er seine Grimasse bis dahin perfektionieren sollte.
Was er ebenfalls nicht wusste: Seine Stimmung war keinem seiner Freunde – und schon gar nicht
seinen Eltern – entgangen. Am selben Tag, da er Phard auf der Weide ausgeholfen hatte, hatte sich
eine Gruppe Dorfbewohner zusammengefunden, alle mit demselben Ziel: Was stellen wir mit
unserem Sorgenkind an?
Ausgegangen war das Ganze gleichsam von seinen Eltern und Ilya. Hinzu gesellt hatten sich
schließlich auch Betty und – zur Überraschung Moes – Taro wie auch Maro. Die beiden Jungen
hatten sich zwar reserviert gezeigt, was Colin anging, doch spätestens, als ein besonders geistreicher
Vorschlag von Maro gekommen war, hatte Ilya kichern müssen. Die Hand vor dem Mund, um es
ein wenig zu unterdrücken, hatte sie die Brüder angesehen und schließlich anerkennend genickt.
„Seht ihr. Ich wusste immer, dass ihr beide es nie so meint mit ihm.
…Dass Link verschwunden ist, hat uns alle getroffen…“
Einen Moment war sie in Gedanken versunken gewesen, was Moe dazu veranlasst hatte, ihr die
Hand auf die Schulter zu legen, doch hatte sie sich nicht lange damit aufgehalten und war zum
drängenderen Thema zurückgekehrt.
„Aber wir wissen ja auch alle, wie Colin an ihm hing. Dein Vorschlag ist schon nicht schlecht,
Maro, aber ich bezweifle, dass wir ihm eine Schleuder in die Hand geben sollten. Das täte euch
beiden am Ende nur leid, er ist bestimmt zielsicher!“
Sie hatte gezwinkert und war wieder in Lachen ausgebrochen, das schließlich aber ausgerechnet
Betty unterbrochen hatte.
„Ach was, das würde euch beiden mal gut tun! Ihr habt damals schon Link mit eurem kindischen
Getue dazu gebracht, so ein dummes Ding von meiner Mutter zu kaufen, ihr könntet dafür ein
bisschen Schelte vertragen.“
Nun war es Moe gewesen, dessen tiefe Stimme ein Lachen in den Raum getragen hatte.
„Aber aber, Betty, wir wissen doch alle, dass du auch deinen Spaß daran hattest. Schummeln gilt
nicht.
Trotzdem sind wir noch nicht weiter. Wir beide sind euch Kindern ja wirklich dankbar, dass ihr
Colin auch ein wenig aufbauen wollt, aber Schleudern und Schwerter… Colin ist dafür nicht
gemacht, egal ob er das gerne so sehen würde oder nicht. Ich mache mir eher Sorgen, dass er über
seinem ganzen Eifer sich selbst vergisst. Er ist nicht Link und wird es nie sein. Mir wäre eine kleine
Geste daher viel lieber; und etwas, das ihm zeigt, dass er sich nicht verstellen muss, um nützlich
und gewollt zu sein.“
Die beiden Frauen und Betty hatten darauf bedächtig – oder in Bettys Fall zumindest dem Anschein
nach so – genickt, während sowohl Taro als auch Maro den Mund verzogen hatten. Doch waren sie
für diesen Moment still geblieben und hatten sich auch nicht weiter negativ berührt gezeigt, als Ilya
erneut das Wort ergriffen hatte.
„Ich denke, ich habe schon eine Idee. Das erfordert nur ein wenig Geduld von dir, Taro – und du
solltest deinem Papa vielleicht nicht unbedingt davon erzählen, er denkt dann nur wieder, dass du
dich in irgendwelchen Ärger stürzt. Sähe dir immerhin ähnlich.“
Sie hatte geschmunzelt, doch war seitens Taros nur noch mit einem Augenrollen und genervtem
Stöhnen abgespeist worden. Wieder war Lachen durch das Haus gedrungen und schließlich der Plan
gefasst worden.
Es war also kein reiner Zufall gewesen, dass Taro um die Zeit, da Colin von der Weide getrabt kam,
an Ort und Stelle gewesen war, ihn aus dem Weg zu stoßen. Kein Wunder, dass er am Ende
besonders hektisch und gereizt reagiert hatte – wenn Colin etwas ahnen würde, wären all ihre
Mühen für die Katz. Umso größer die Erleichterung, als Colin keinen Verdacht geschöpft hatte.
Ebenso groß der Eifer, mit welchem Taro schließlich am späten Morgen des nächsten Tages
gemeinsam mit Moe das Dorf verließ. Währenddessen war Ilya schon gemeinsam mit Maro damit
beschäftigt, sich von ihrem Vater bei weiteren Vorbereitungen helfen zu lassen. Alles geschah mit
großer Verschwiegenheit und als Colin sich zur Mittagszeit aus dem Bett rollte, war sein Vater
schon wieder zu Hause und so merkte er nichts.
Bis eine aufgeregte Betty in das Haus platzte und sich eine Diskussion mit Moe lieferte.
„Taro ist verschwunden! Einfach so, Maro sagt, er wüsste nicht, wo er steckt und hätte ihn nur in
der Nähe des Lichtgeistes gesehen. Was machen wir, wenn diese… Dinger wieder da waren? Oder
noch schlimmer, die Affen! Stellt euch mal vor, diese Fieslinge verderben uns das ganze Fest!“
„Nun nun, Betty, immer langsam mit den jungen Pferden. Taro erlaubt sich sicher nur einen seiner
Scherze, um ein wenig Unruhe zu stiften. Ich glaube nicht, dass es etwas mit Affen oder Monstern
zu tun hat. Die Zeiten sind vorbei.“
„Was soll das heißen, die Zeiten sind vorbei?! Taro ist ein Idiot und er übertreibt es auch gerne mal,
aber er ist schon seit Stunden weg!“
„Dann wird er sich wohl auch seit Stunden seinen Scherz machen und ist selbst schuld, wenn er sich
die Zehen abfriert. Betty, sei dir versichert: Taro ist nichts passiert.“
Diese Diskussion erweiterten die beiden noch um das ein oder andere Totschlagsargument, während
Colin schon vor ihnen stand und von einem zum anderen sah – und sich zudem abwechselnd auf die
Zehen trat und unruhig auf der Unterlippe kaute. Betty klang schon panisch, was untypisch für sie
war. Sie war kein schlechtes Mädchen, aber besonders wenn es um Taro und Maro ging, reagierte
sie für gewöhnlich reserviert. Ihr Verhalten passte nicht zu ihr. Und genau das brachte Colin dazu,
sich schließlich auch um Taro zu sorgen und seinen Vater zu rügen. Zumindest hatte er das tun
wollen. Seine Worte klangen allerdings gewohnt zurückhaltend.
„Also ich denke, wenn Betty sagt, dass er schon so lange weg ist… Könnte doch schon was
sein. Oder nicht? Meinst du nicht, du könntest mal nachsehen, Papa?“
„Siehst du, Moe! Colin meint auch, dass was nicht stimmt! Also geh da raus und mach was!“
„Kinder… Ich werde mich doch nicht vor den Vorbereitungen zum Fest drücken und durch den
Wald spazieren nur wegen eines Kleinjungenstreiches…“
„Aber irgendwer muss gehen! Moe, wie kannst du nur so verantwortungslos sein!“
„Dann… Mhm… Ich könnte ja mal nachsehen. Vielleicht.“
Überrascht sahen die beiden Colin an, der am liebsten im Boden versunken wäre. Wieso musste er
denn gerade jetzt den Mund aufmachen? Wenn Taro sich mal wieder in Schwierigkeiten gebracht
hatte, war das nicht seine Schuld und eigentlich die Aufgabe der Erwachsenen, ihn
zurechtzuweisen. Auf der anderen Seite nahm sein Vater die Sache nicht ernst… Doch wenn Betty
so an die Decke ging…
Colin haderte mit sich. Wenn wirklich Gefahr bestand, würde er überhaupt nichts ausrichten
können. Gleichzeitig konnte er seinem Vater auch nicht ins Gesicht sagen, dass er seinem
Urteilsvermögen nicht traute. Aber die Sorge!
Er schnaufte.
„Ich sehe nach. Dann wissen wir es.“
„Oh, Colin, ich wusste, dass auf dich Verlass ist! Du musst einfach da raus, Taro braucht deine
Hilfe, also schnapp dir irgendwas hartes und dann los. Ich bin so froh, dass wir dich haben!“
Ihre überschwängliche Freude und das Vertrauen irritierten Colin zwar sichtlich, doch da hatte sie
ihm schon seinen Mantel in die Hand gedrückt, zusammen mit einem Paar Stiefel, ein paar
Scheiben Brot für den Weg, und ihn vor die Tür geschoben.
Einen Moment herrschte Stille im Haus.
„Betty, meinst du nicht, du hast ein wenig übertrieben mit deinem Schauspiel? Colin ist kein
Dummkopf, er könnte Lunte riechen.“
„Ach was, ich fand mich überzeugend. Bei Lebensgefahr muss man eben ein bisschen was
drauflegen.“
„Überzeugend, soso. Nicht überzogen?“
„Neeeein, was denkst du, wieso der Zoraprinz mir mal ein Lächeln zugeworfen hat? Ich habe eben
ein einnehmendes Wesen.“
„Natürlich, Betty.“
Colin beeilte sich, das Dorf nach Norden und vorbei an Links altem Baumhaus – dem er wie immer
einen längeren Blick widmete – zu verlassen und stapfte in Richtung der Lichtgeistquelle. Über
Nacht war neuer Schnee gefallen und so musste er seinen Weg nicht lange suchen – Fußspuren
führten ihn und sie passten seiner Einschätzung nach zu Taros Größe. Also verließ Colin sich ganz
auf seine Augen und den Verstand, denn oft wurden diese Spuren von anderen gekreuzt. Hätte er
von seinem Vater nicht gelernt, wie man selbst bei den unwirtlichsten Bedingungen seinen Weg
durch ein Gebiet fand, hätte er sich wohl selbst in dem kleinen Waldstück Ordons verlaufen.
Immerhin etwas, in dem er kein absoluter Versager war.
Daher kam er auch ohne große Probleme bei der Quelle an und ließ seinen Blick schweifen. Wenn
Taro hier gewesen war, musste irgendwo ein Zeichen davon zu sehen sein. Wo er gestanden, in
welche Richtung er wieder verschwunden war. Unberührt von der Kälte des Winters war der
Wasserfall hier nach wie vor aktiv und die Quelle strahlte ihre übliche Wärme aus, sodass Colins
Blick einen Moment in alter Faszination zum glänzenden Stein fand. Dabei glitt er auch über etwas
Rotes im Schnee.
Rot…
Colin stockte der Atem und er starrte gelähmt auf den Schimmer inmitten der weißen Masse. Er
begann zu zittern und musste all seine Nerven zusammennehmen, um einen Schritt nach vorn
machen zu können. Wenn Betty wirklich Recht gehabt hatte… Wenn Taro etwas passiert war…
Noch ein Schritt. Noch einer. Langsam…
Colin atmete auf. Es war Taros Kopftuch. Schon wollte er sich der Erleichterung hingeben, als ihm
einfiel, dass Taro ohne dieses Stück Stoff nie irgendwo hinging. Und wieder machte sich ein
ungutes Gefühl in seinem Bauch breit. Er nahm das Tuch und wandte sich um, entdeckte weitere
Spuren, die ihm nun mit dem Licht der Quelle im Rücken nicht mehr entgehen konnten. Also folgte
er auch diesen, während er unruhig Taros Kopftuch in beiden Händen zerknautschte.
Im Grunde hätte er längst zurück zum Dorf gehen und sich der Hilfe seines Vaters versichern sollen;
stattdessen tapste er weiter voran, obwohl nach wie vor nicht klar war, ob er sich so nicht in Gefahr
begab. Und die Tatsache, dass ausgerechnet er nun auf dem Weg war, Taro aus einer vielleicht
misslichen Lage zu befreien, war ohnehin absurd. Er, das Nesthäkchen des Dorfes (wahrscheinlich
würde selbst seine Schwester ihn in den Schatten stellen, wenn sie einmal laufen könnte). Was sollte
ein Schwächling wie er schon tun, befände sein Freund sich wirklich in Gefahr. Spuren lesen, das
konnte er, aber kämpfen? Wohl kaum. Allerdings würde er es sich auch niemals verzeihen können,
ließe er Taro nun länger warten, nur um noch Hilfe aus dem Dorf zu holen. Nicht auszudenken,
stieße ihm in dieser Zeit etwas zu. Also biss Colin die Zähne zusammen und ging weiter in das
Dickicht.
Bis er sich nach Überqueren der großen Brücke über dem Fluss sogar schon im Wald des
Lichtgeistes Phirone wiederfand. Er erinnerte sich, wie Taro damals verschwunden war und der
Erzählung seines Vaters nach war es genau hier passiert. Umso nervöser wurde Colin mit jedem
Schritt, den er zwischen das Blattwerk tat. Die Bäume standen hier so dicht, dass kein Schnee den
Boden berührte, und hatten auch im Winter weder Blätter noch Zauber eingebüßt, sodass Colin sich
beobachtet vorkam. Gleichzeitig bedrückte ihn das Gefühl von etwas Bedrohlichem in der Luft.
Diese Wälder waren wirklich nichts für schwache Nerven!
Plötzlich ein Rufen inmitten der umstehenden Bäume. Colin zuckte zusammen. Einige Sekunden
geschah nichts, dann rief es wieder – und er erkannte Taros Stimme, sie klang panisch! Also musste
er etwas tun! Schon war er kurz davor, einfach vorzuspringen; dann wurde ihm klar, dass er einen
kühlen Kopf bewahren musste. Oder es wenigstens versuchen. Schritt für Schritt wagte er sich
abseits des Weges und voran zwischen die Bäume. Schon nach wenigen Metern raschelte es im
Unterholz. Und von rechts trat eine Gestalt hervor, die Colin das Herz vorbei an seinem langen
Unterrock in die Stiefel rutschen ließ.
Acht Fuß maß sie gen Himmel, überragte Colin somit um ganze drei Fuß und ließ ihn dadurch nur
noch mehr in sich zusammensinken. Dickes Fell umspannte die Gestalt, nass und zottelig. Dazu
wurde Colins Blick sofort auf die Fangzähne des Wolfskopfes gelenkt, der im Vergleich zum
restlichen Körper fast absurd groß wirkte. Groß genug vor allem, um Colin das Herz in die Hose
rutschen zu lassen. Er stolperte zwei Schritte zurück, ehe er sich daran erinnerte, dass Taro vor
einigen Sekunden noch zu hören gewesen war. Er konnte jetzt nicht weglaufen!
Zu seiner Überraschung fiel die Gestalt ihn nicht an, sondern legte den Kopf schief. Es war eine
zackige Bewegung, nichts fließendes, und eine der Klauen packte den Kopf, ging in ein knappes
Kratzen über, ehe das Haupt wieder seine gerade Position einnahm und die Augen auf dem Jungen
zur Ruhe kamen. Im nächsten Moment sprang Colin das Herz bis zum Kehlkopf – denn das Wesen
vor ihm sprach! Eine unnatürliche Stimme, die aus dem Kopf hallte, während das Maul sich
schwerfällig dazu bewegte. Es war als spräche nicht der Wolf selbst, als wäre er beseelt von einem
fremden Verstand; doch Colin schluckte zunächst nur und lauschte den Worten, die es grollte.
„Du kannst nicht vorbei. Wir wissen, dass du zu deinem Freund willst, aber er gehört nicht mehr zu
euch. Die Waldgeister brauchen ihr Opfer, denn der Winter wird ein harter. Du kannst nicht
vorbei.“
Colin hatte Mühe, nicht einfach zu quietschen und sich auf und davon zu machen, doch der
Gedanke an Taro hielt ihn an Ort und Stelle und so sammelte er sich für eine Antwort.
„Ich… Ein Opfer? Aber der Wald steht unter Phirones Schutz… Oder nicht? Was macht
denn ein Opfer da für einen Sinn?“
„Es ergibt genau dann einen Sinn, wenn die Geistes es fordern.“
„Aber… Er ist mein Freund… Es muss doch eine Möglichkeit geben… Bitte? Kann ich nicht
etwas tun?“
Unruhig wackelte der Wolfskopf einige Sekunden auf und ab, was Colin sehr stark an einen
Schwachsinnigen erinnerte. Würde das Wesen ihn angreifen? Es stolperte nun zwei Schritte zur
Seite, nur um sich dann wieder an den Kopf zu packen als bräuchte es Halt. Colins Verstand war
alarmiert, auch wenn er selbst noch nicht benennen konnte, weshalb er sich auf einmal so fühlte,
weshalb er gar Überlegenheit in sich spürte.
„Es gibt bestimmt eine Möglichkeit. Ich gehe nicht weg ohne Taro“, gab er überraschend
entschlossen zu verstehen.
„Dann gibt es nur einen Weg. Beweise dich den Waldgeistern; dann darfst du deinen Freund
mitnehmen.“
„Was muss ich tun?“
„Du wirst deiner Stärke folgen und drei Rätsel der Geister selbst lösen, die sie uns mitgegeben
haben. Drei richtige Antworten machen den Weg frei. Eine falsche Antwort und wir haben ein neues
Opfer.“
Colin schluckte. Er hatte sich soweit beruhigt, dass er sich darüber wundern konnte, wie diese
Gestalt immer in der Mehrzahl von sich sprach, doch dafür war im Moment keine Zeit. Und im
Rätselraten war er gut! Er konnte nicht erahnen, welche Fragestellungen ihn erwarten mochten, aber
wenn er auch nichts konnte – Rätseln war seine Leidenschaft. Kopfaufgaben, das war immer seine
Stärke gewesen. Er war ein wenig verblüfft, dass ihm das bisher immer entgangen war, doch mit
neuem Mut machte er einen Schritt vor und sah zum Wolf auf.
„Ich mache es.“
„Dann ist der Pakt beschlossen. Das erste Rätsel wird dich sicher schon aus dem Konzept bringen,
mutiger kleiner Kerl:
'Ohne Pfeife pfeife ich,
ohne Flügel fliege ich,
und die Wolken trage ich.'
Was bin ich?“
„Das ist doch leicht! Der Wind!“, rief Colin und warf sich sofort die Hände über den Mund,
dass er so achtlos geantwortet hatte. Doch der Kopf wackelte nur einmal vor, was er als Nicken
deutete.
„Das zweite Rätsel. Es wird schwerer:
'Wer es macht, der will es nicht.
Wer es kauft, der braucht es nicht.
Wer es braucht, der weiß es nicht.
Wer es trägt behält es nicht.'
Was ist das?“
Es war tatsächlich schwerer und schon kroch Panik Colins Nacken hoch. Ruhig bleiben, er musste
sich auf seinen Verstand verlassen! Also ging er die Zeilen in seinem Kopf Stück für Stück durch,
während er zu Boden sah – wieso waren die Beine des Wolfsmenschen eigentlich so dürr? – und auf
seiner Unterlippe kaute. Doch bald traf die Antwort ihn wie ein Blitz und er glich sie mit den
Worten ab.
„Ein Sarg. Wenn ich ihn baue, will ich ihn nicht selber haben, sondern verkaufen. Wer ihn
kauft, will ihn nicht für sich, sondern einen Angehörigen beerdigen. Der weiß nicht, dass er
ihn braucht, ist ja schon tot. Und dann noch die Sargträger. Ja.“
„Beeindruckend. Das letzte wirst du sicher nicht lösen können, Schlauberger:
'Es hört ohne Ohren,
spricht ohne Mund,
und antwortet in allen Sprachen.'
Was ist es?“
Doch Colin grinste tatsächlich einfach nur. Das war eines seiner Lieblingsrätsel und jeder im Dorf
wusste, wie sehr er es liebte. Nur verwunderlich, dass ausgerechnet dieses als das letzte vom Wolf
gewählt worden war.
„Das Echo. Ich weiß, dass das stimmt – das heißt, ich kann durch… oder?“
Wieder wackelte der Kopf, doch diesmal um einiges stärker als zuvor noch. Ein Zischen entkam
dem Wesen, aber nicht aus dem Mund, sondern aus der Brust, wo im Grunde gar nichts zu hören
sein dürfte. Irritiert trat Colin zurück, beobachtete, wie der Wolf torkelte, bis sein Kopf zur Seite
kippte und der ganze Körper mit ihm auf den gefrorenen Waldboden stürzte.
Zwei gedämpfte Ausrufe verschiedener Stimmlage waren zu hören, dann regte sich das Knäuel
wieder.
„Aaah, aua… verdammt.“
Tatsächlich fluchte Ilyas Stimme aus dem Inneren des Wolfsfells und Colin ging ein Licht auf. Er
lief zu der Gestalt, die sich nun als eine Kombination aus Ilya und Maro entpuppte und stutzte.
Daher das Stolpern und die überzogenen Proportionen. Zudem erkannte Colin das Fell jetzt auch
endlich als das, was es war: eine Trophäe des Bürgermeisters, mit der er sich gerne rühmte. Also
steckten nicht nur diese beiden in dem Theater mit drin. Dann noch Betty, die ihn so panisch zum
Wald gelotst hatte und sogar sein eigener Vater musste von alldem gewusst haben. Nicht zu fassen.
Dass Colin außerdem Maros Stimme als Wolf nicht erkannt hatte, war eine Leistung, die man dem
Besserwisser wirklich zugute halten musste.
Er half den beiden auf die Beine und warf hinter ihnen einen Blick auf die Waldlichtung, die folgte.
Taro war dort und er schüttelte den Kopf ob der misslungenen Vorstellung. Er gesellte sich zu der
kleinen Gruppe und schnappte sein zerknülltes Kopftuch aus Colins Händen.
„Das habt ihr beide ja gut versaut. Vor allem du, Maro, ich hab' von weitem gesehen, wie du dich
angestellt hast, dich auf ihr zu halten. Hättest du nicht so viel gewackelt, wäre das nicht
passiert.“
„Der Fehler lag bestimmt nicht bei mir, Ilya hatte nur das Problem von zu wenig
Muskelmasse…“
„Ihr beiden… Es ist doch egal, wer schuld ist… Wir haben's vermasselt.“
Doch Colin schüttelte den Kopf, ein breites Lächeln im Gesicht.
„Habt ihr nicht. Ich bin ganz schön blöd. Euer Spiel hier hat mir nur gezeigt, wie sehr.“
Er schaffte ein Lachen und verstärkte es nur, als die drei ihn verblüfft ansahen. Diese ganze Suche
und die Tatsache, dass er seine größte Stärke hatte beweisen können, hatte ihm nur gezeigt, dass
einerseits die Brüder ihn gar nicht hassten – im Gegenteil – und andererseits, dass er schon
genügend eigene Fähigkeiten hatte, um noch zusätzlich einem Phantom nachzujagen. Weiterhin
amüsiert und vor allem seit Wochen wieder bester Laune drückte er Taro etwas von dem Brot in die
Hand, welches Betty ihm gegeben hatte.
„Hier, du hast bestimmt Hunger, wenn du wirklich seit heute Morgen im Wald bist. Du
zitterst schon.“
Ilya lächelte wohlwollend und sammelte das Kostüm vom Boden auf.
„Lasst uns zurück ins Dorf gehen, die Sonne geht bald unter.“
Als sie dort ankamen, waren die meisten Vorbereitungen schon getroffen worden und nach einem
Blick zwischen den Hügeln hinaus auf das Dorf wusste Colin wieder, was er so sehr an der
Wintersonnenwende schätzte: Über die gesamte Siedlung erstreckte sich der Schmuck im Kreis:
von der Mühle über das Haus des Bürgermeisters, weiter zu ihrem Haus, Phards Hütte und Zeiras
Laden, zurück zur Mühle; die bunten Federn, Blätter, ausgehöhlten Kürbisse, die als Lichter gegen
die Dunkelheit dienten, alles war wie immer. Auf beiden Seiten des Baches im Dorfzentrum standen
schon die Kessel und Feuer bereit, um sie alle bis spät in die Nacht mit Punsch und guter Suppe
gegen die Kälte zu schützen.
Auf dem Weg dorthin liefen sie Betty und Zeira noch über den Weg, da sie aus dem Laden am
Dorfeingang traten, als die Gruppe sich näherte. Ein herzliches Lächeln schickte die mollige Frau
ihnen entgegen, während Betty sich zunächst überrascht zeigte, dann allerdings in ein breites
Grinsen überging, als sie das in Colins Gesicht sah.
Zu sechst machten sie sich nun auf den Weg in die Mitte des Dorfes, wo schon alle versammelt
waren. Und eine Gestalt fiel Colin ins Auge. Da schwebte tatsächlich ein erwachsener Mann an
einem Ballon in ihrer Mitte! Bei dessen grüner Kleidung und Mütze musste Colin eine Sekunde an
Link denken, doch wurde ihm schnell klar, dass es sich um einen Mann mittleren Alters handelte,
mit rosigen Wangen und… der roten Unterhose über den Hosen. Irritiert sah er zu seinem Vater, der
sich ihm soeben genähert hatte, doch der grinste nur und hob wie zu einer Entschuldigung beide
Hände empor.
„Deine Mutter wollte dir etwas Gutes tun; und wir hatten Glück, dass dieser Kartenzeichner mir
über den Weg gestolpert ist. Es heißt, er hat schon alle Länder in und um Hyrule gesehen und noch
weit darüber hinaus. Zudem kennt er offensichtlich Link von seinen Reisen und… Nun, sagen wir,
er hat ihn sich als Vorbild genommen und einige interessante Dinge auf Vorrat…“
„Zu einem fairen Preis, mein Herr!“, kam es von oben und der Kauz ließ ein Giggeln folgen.
„Tingle kennt alle Länder, mein Herr, als wiedergeborene Fee muss er das auch.“
Dasselbe kauzige Lachen noch einmal, doch Moe winkte nur freundlich zu ihm hoch und drehte
seinen Sohn zu sich. Er hielt etwas in der Hand und Colin stellte schnell fest, dass es eine Mütze
war, jener Links nicht unähnlich. Schnell saß sie auf seinem Kopf und passte zudem auch noch wie
angegossen. Colin griff nach dem Stoff, als fürchtete er, dass er ihm wieder hinunterrutschten würde
und konnte sein Glück kaum fassen.
„Papa… Ihr habt euch alle so viel Mühe meinetwegen gemacht…“
„Natürlich. Nur das Beste für meinen Sohn.“
In üblich väterlicher Manier legte er Colin die Hand auf Kopf und Schulter und lächelte.
„Jetzt wird gefeiert. Und dass ich dich nicht ein einziges Mal in Trübsal versinken sehe!“
„Bestimmt nicht. Danke! Euch allen!“
Er lachte und sah in die Runde; sogar Taro und Maro brachten ein schiefes Lächeln auf seine Worte
hin zustande. Besiegelt wurde der Beginn des Festes schließlich mit einem Sternenregen aus der
Unterhose des irrwitzigen Kartenzeichners – und spätestens jetzt waren alle froh, dass er das Ding über den Hosen trug.
Ende
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