Die Geschichtenerzählerin

Autor: LheinThoron


Nervös zupfte ich an dem Ärmel meines Kleides. Meine Mutter hatte es mir geschenkt, es war extra nur für diesen Tag.
Diese Woche war die Karnevalwoche in Unruh-Stadt. Alle waren schon aufgeregt, würde doch der Held der Zeit, Link persönlich kommen und sie besuchen. Es gab viele Legenden über ihn und seine Taten, hier und auch in anderen Ländern. Damals, vor fast 17 Jahren hatte er ganz Termina vor einem unglaublichen Unglück bewahrt: Durch eine Art bösen Zauber drohte der Mond auf das Land zu stürzen. Nur durch seinen Mut und seine Stärke hatten sie überlebt.
Damals hatte es eine Weile gedauert bis alle fassen konnten welchem Schicksal sie entgangen waren, doch als sie sich bei ihm hatten bedanken wollen war er verschwunden gewesen. Auch damals hatte die Karnevalwoche gerade begonnen, und so feierten sie sie besonders schön. Seit nun mehr sieben Jahren kommt der Held der Zeit jedes Jahr in der Karnevalwoche zu uns nach Unruh-Stadt. Hier feiert er mit uns und es ist Tradition geworden, das ein Mädchen aus Unruh die Geschichte seines Heldentums vor allen laut verkündet, während einige Schauspieler und Schausteller auf der Straße die Szenen nachstellen. Und dieses Jahr war ich an der Reihe, würde ich die Heldensaga verkünden.


Mit zitternden Händen griff ich nach dem Glas Wasser auf dem Tisch. Beinahe hätte ich es verschüttet, so aufgeregt war ich. Viele lobten meine Erzählungen und meine Stimme, weswegen ich dieses Jahr für die Rolle der Erzählerin ausgewählt worden war. Erst vor wenigen Wochen war ich 16 geworden, und als hätte meine Mutter es geahnt hatte sie mir damals auch das Kleid geschenkt. Bald wäre es Mitternacht, dann würden die Feuerwerke gezündet und ich würde aus dem Uhrturm heraustreten, hinter mir die Schauspieler, die auf ihre Posten gehen würden. Die Musik würde verstummen und ich beginnen zu reden. Falls ich überhaupt einen Ton herausbekommen würde. Davor hatte ich Angst: Das ich beim Anblick der Mengen, die nur auf meine Stimme achteten, gerade diese verlieren würde.
Wären es bloß die Bewohner Unruh-Stadt’s, wäre das Alles vielleicht noch tragbar gewesen, aber es kamen auch viele andere: Dekus, Goronen und sogar Zoras! Sie alle kamen, weil Link auch ihre Leben gerettet hat. Des Weiteren kamen oft auch Fremde aus fernen Ländern, in denen man von unserem Karneval gehört hatte.
Wenn man es ganz streng sah, war der Karneval schon lange nicht mehr bloß ein Karneval: Für uns kam er dem Silvesterfest gleich. Alle Bewohner von Termina feierten in dieser Woche Feste, als Zeichen der Freude und Dankbarkeit, dass sie noch am Leben sind und das neue Jahr noch erleben dürfen. Doch das Absolut größte Fest ist und bleibt die Karneval­woche in Unruh-Stadt.
Als junges Mädchen wollte ich immer unbedingt die Geschichtenerzählerin in der Karneval­woche sein, doch jetzt wo ich sie war, war ich bloß noch nervös und fragte mich, wie ich das überstehen sollte. Ich konnte ja schlecht einfach auf die Bühne gehen und nichts sagen. Das ginge einfach nicht. Aber es fiel mir schwer daran zu glauben, dass ich irgendeinen sinnvollen Satz zustande bringen würde, geschweige denn eine Geschichte.
Nun, zumindest einen würde es freuen wenn ich heute Nacht meine Stimme verlieren würde: Menel. Er war ein Junge in meinem Alter, auch wenn er sich wie ein Kleinkind mir gegenüber aufführte. Wenn ich irgendeinen Fehler machte und er davon erfuhr verbreitete er es in der ganzen Stadt und war der Lauteste der über mich lachte. Sollte mir jedoch mal etwas gelingen so spielte er es runter, als gäbe es nichts einfacheres was man schaffen konnte. Stets spielte er den großen Helden, um allen zu beweisen wie toll er doch war. Er nervte mich, doch es half alles nichts.


Beim Gedanken an Menel überfiel mich eine Art grimmiger Stolz. Allein um ihm etwas zu beweisen musste ich es schaffen. Aber noch im selben Augenblick schüttelte ich den Kopf über diesen Gedanken. Wie unsinnig, damit würde ich nur genauso werden wie er. Ich seufzte und strich geistesabwesend noch einmal über das Kleid. Es war schön, aber ich fühlte mich nicht wohl in ihm. Es war nicht das was ich normal trug, es war viel zu prunkvoll, viel zu schön für mich. Normalerweise trug ich einfache, schlichte, einfarbige Kleider oder manchmal sogar Hosen. Je nachdem was ich gerade tat. Und nun dieses Kleid. Es passte einfach nicht zu mir, aber meine Mutter meinte, heute könnte ich nicht in meinen ausgewaschenen Sachen nach draußen gehen, nein, heute bräuchte ich etwas Prunkvolles. Erneut seufzte ich, dann sah ich auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde. Ich fragte mich wie ich die Zeit aushalten sollte. Gleichzeitig hoffte ich aber auch, dass die Zeit nie verginge.
Während der Wartezeit las ich noch einmal die Zusammenfassung der Heldensaga, in der Hoffnung mich dadurch zu beruhigen. Leider verfehlte es die Wirkung. Und dann hörten wir die Glockenschläge. Es war Mitternacht. Einer der Schauspieler nickte mir zu, dann öffneten zwei die Tore des Uhrturms und wir traten hinaus. Trompeten spielten eine Art Fanfare während wir Aufstellung bezogen. Ich nach oben auf das Podest, das extra zu diesem Anlass dastand, die Schauspieler und Schausteller um mich herum auf den Straßen in ihre jeweilige Position.
Ich holte tief Luft. Mein Herz raste und mein Mund fühlte sich plötzlich trocken an. Da bemerkte ich Menel in der Ersten Reihe. Erst winkte er mir zu, dann zeigte er seinen Ausgestreckten Daumen, als würde er mir Glück wünschen und sagen wollen „Du schaffst das!“, und zwinkerte mir zu. Ich war überrascht und wollte meinen Augen nicht trauen, gleichzeitig war ich aber auch irgendwie berührt, so dass ich etwas errötete. Er bemerkte das und streckte mir die Zunge raus. Dann grinste er, so wie er es immer tat wenn er mir eins ausgewischt hatte. Ich merkte Ärger in mir hochkommen, schnappte nach Luft um ihn anzuschnauzen, fasste mich dann aber wieder und sah in eine Andere Richtung.


Und dann sah ich ihn. Ihn, Link, den Helden der Zeit. Sicher, ich hatte ihn auch schon letztes und die Jahre davor gesehen, aber von diesem Platz aus war es etwas Anderes. Er sah mich direkt und aufmunternd an. Ich fasste mir ein Herz und begann zu erzählen. Erst redete ich zu schnell, das wusste ich, aber dann beruhigte ich mich und je länger ich erzählte, desto ruhiger wurde ich und desto schöner wurde die Erzählung. Meine Worte und das Spiel der Schauspieler verzauberten in dieser Nacht die Leute.
Ich wusste es nicht, aber Menel sah Stolz zu mir auf und stieß einige Jungen an mit denen er tuschelte. „Das ist sie.“, sagte er. Und sie alle wussten wenn er meinte: Seine große Liebe. Ich war die Einzige die es nicht begriff.