The promise we made
Aus der Sicht Kafeis geschildert erfahren wir in der Geschichte von Kumilch seine Gefühle am letzten Tag und wie stark das Band der Liebe wirklich sein kann.

Autor: Kumilch


Tag 3

Abend des letzten Tages.
12 Stunden verbleiben.


Ich schloss meine Augen.
Ganz darauf bedacht die frische Brise, welche sich langsam ihren Weg durch das Felstal bahnte, zu genießen, war ich dazu im Stande einen Moment lang alle Sorgen hinter mir zu lassen. Das sanfte, im Wind wehende, Gras unter meinen Füßen, das Rauschen des Flusses hinter mir und der einsame Gesang einer Zikade, dies alles half mir mich kurz zu entspannen. Einfach nur meine Gedanken abschweifen zu lassen, in Erinnerungen zu schwelgen und vor allem eines: Die Zeit zu vergessen.

Mein nicht lange andauernder, friedlicher Augenblick wurde jäh von einer Erschütterung des Bodens unterbrochen. So schnell wie diese gekommen war, so schnell war sie auch schon wieder vorbei. Ich öffnete meine müden und sich wie Blei anfühlenden Lider und mein rubinrotes Augenpaar starrte gen Himmel um den Ursprung dieses Bebens zu betrachten. An all den dunklen Wolken und den bereits vereinzelt leuchtenden Sternen vorbeiblickend, sah ich ihn. Den Mond.
Bedrohlich nah wie noch nie und eine unheimliche Wirkung ausstrahlend, die mir jedes Mal aufs Neue einen Schauer über den Rücken jagte. Wie viel Zeit würde uns noch bleiben? Diese Frage stellen sich wohl all jene, die nun auch endlich begriffen hatten, dass wir den morgigen Tag nicht mehr erleben werden. Keiner von uns.

Ich wurde ungeduldig. Die Person, die ich suchte, müsste jeden Moment hier im Ikana Canyon auftauchen.
Meine Gedanken drehten sich nur um ein Thema. Ich würde das zurückholen, was rechtmäßig mir gehörte, koste es was es wolle. Vorsichtig lugte ich hinter dem großen Fels, in dessen Schatten ich mich versteckt hielt, hervor, doch außer der sich stets weiter ausbreitenden Finsternis der Nacht gab es nichts zu sehen. Ich seufzte.

Wie gerne hätte ich es den Anderen gleich getan, mein notwendigstes Hab und Gut zusammengekratzt, auf den Karneval der Zeit, der heute Abend stattfindet, gepfiffen und mit meiner Liebsten die Stadt verlassen, aber wie mir schien, hatte ich in letzter Zeit die Angewohnheit, alles Unheil auf mich zu ziehen.
Ich betrachtete die Innenseite meiner kindlichen Hand, nur um kurz darauf meine Finger zur Faust zu ballen. Ich war nicht nur an diesen Ort, sondern auch an diesen Körper gebunden. Ich war verflucht, ein Mann gefangen in der Gestalt eines Kindes. Wenn es doch bloß nur ich selbst wäre, der darunter zu leiden hätte.
Doch die meisten Sorgen machst dir du, Anju, weil du befürchtest, dass ich mein Wort nicht halten würde. Wie denn auch, ich bin ja seit Wochen verschollen, untergetaucht und das alles nur wegen dieser verruchten Vogelscheuche. Wäre Horror Kid nicht aufgetaucht wäre es niemals soweit gekommen. Ich würde jetzt die letzten Vorbereitungen für unseren großen Augenblick treffen, anstatt hier mitten im Nirgendwo in der Gestalt eines 10 jährigen Kindes zu hocken und auf einen dreckigen Dieb zu warten, der in sein Versteck zurückkehrt.

Ich dachte in diesen Moment an jenen Tag vor einem Monat zurück, wo ich gut gelaunt und voller Vorfreude auf den heutigen Tag eine kleine Jungesellenfeier hatte, und wie ich kurz darauf diesem Vogelscheuchenwesen begegnete. Damit hatte alles begonnen. Ohne jeglichen Grund verwandelte Horror Kid mich in ein Kind und das genau 4 Wochen vor meiner Hochzeit. In meiner Panik, wusste ich mir keinen anderen Rat und brach zur großen Fee des Nordens auf, allerdings war ich auf dem Weg dorthin unachtsam und ich wurde unterschätzt. Zurecht.
Sakon, ein dubioser Mann der öfter die Nächte dieser Stadt unsicher machte, sah in mir nur einen wehrlosen Rotzlöffel und beraubte mich meines größten Schatzes. Der Maske der Sonne.

Für einige mag dies nur ein wertloses Stück Holz sein, doch für mich war sie mehr. Sie war das Relikt eines Versprechens. Unseres Versprechens, Anju.
Wie gut kann ich mich noch an diesen Tag erinnern. Wir hatten uns geschworen, dass wir, in der Nacht des Karnevals der Zeit, unsere beiden Masken, die des Mondes und der Sonne, austauschen würden um unseren Liebesschwur zu besiegeln und uns das Ja-Wort zu geben.
Nur weil ich meines ursprünglichen Aussehens beraubt worden war, hätte ich mich niemals vor dir versteckt, doch ohne die Maske unseres Versprechens könnte ich dir einfach nicht mehr unter die Augen treten. Lieber wäre ich ein toter Mann, als mein Wort zu brechen.

Plötzlich vernahm ich ein Geräusch. Ich spitzte meine Ohren und versuchte somit zu erahnen, um was es sich hierbei handelte. Ganz eindeutig. Es waren Schritte und sie kamen immer näher. Ich nutzte einen Spalt des Felsbrockens, um mit einem Auge hindurchzusehen, doch auf der anderen Seite war niemand zu erkennen. Auch die Schritte waren verstummt. Was war das? Ich konnte mir das unmöglich eingebildet haben.
Plötzlich bemerkte ich hinter mir eine Präsenz. Jemand stand dort. Ich wirbelte herum, schnappte überrascht nach Luft und konnte fast nicht glauben wen ich dort sah.

„Link!“ keuchte ich und blickte immer noch verdattert in das Gesicht des Feenjungens der soeben wie aus dem Nichts aufgetaucht war. „Wie hast du-“ begann ich meine Frage und bekam es gerade noch mit, wie er eine felsfarbene Maske in seinem Beutel verstaute. Weiter kam ich auch nicht, denn Link presste seinen Zeigefinger auf seine Lippen und deutete in die Richtung des schmalen Pfades von dem ich gekommen war. Meine Augen folgten seiner Bewegung und erst jetzt bemerkte ich wie eine große, hagere Silhouette, die sich durch den Canyon, genau hierher, schlich.

„Das ist Sakon!“, murmelte ich und wartete gespannt darauf, dass der Dieb endlich den Eingang zu seinem gut versteckten Lager öffnete. Kurz darauf zeigte mein stundenlanges Warten hinter diesem Fels seine ersten Erfolge. Sakon, der sich offenbar sicher war, alleine zu sein, betätigte einen hervorstehenden Stein in der großen Felswand gegenüber und löste somit den Mechanismus der Felstür aus. Diese öffnete sich knatternd und staubaufwirbelnd und der hagere Mann trat ein. Schnell widmete ich mich wieder dem Jungen ganz in Grün.
„Link, du hättest nicht hier herkommen müssen, ich hätte mich ihm auch ganz alleine gestellt.“ „Sei einfach froh, dass wir dir helfen, Kafei, und hör auf zu quasseln!“ sagte Taya, des Jungen vorlaute Fee und drehte eine leuchtende Runde um meinen Kopf. Ich nickte ihr zu und widmete meine Aufmerksamkeit wieder dem Eingang zu Sakons Diebeshöhle.
„Ach du Schreck, das Tor beginnt sich wieder zu schließen!“ rief ich entsetzt und sprintete ohne eine Antwort abzuwarten los. Link und Taya eilten mir nach.

  Ich hatte so einiges erwartet, aber nicht das, was sich mir vor meinen Augen darbot. Sakons Versteck glich eher einer normalen Inneneinrichtung eines Hauses, anstatt einer kahlen Felshöhle. Ich blickte umher. Von dem Dieb selbst fehlte jede Spur, doch ich benötigte nicht lange, um das zu finden, was ich begehrte. Dort lag sie, am anderen Ende des Raumes innerhalb einer Vitrine aus Glas, die Maske der Sonne.
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Alles war einfacher, als ich es mir gedacht hatte. Schnellen Schrittes durchquerte ich den Raum und berührte zögerlich das kühle Glas der Scheibe. Ja, alles schien so einfach. Zu einfach. Wie schon gesagt, Vieles wäre nicht passiert, wenn ich nicht die Angewohnheit hätte, sämtliches Unglück auf mich zu ziehen. Blind vor nicht lange andauernder Erleichterung, hatte ich nicht darauf geachtet, worauf ich soeben getreten war.
Der Schalter unter meinen Füßen hatte sich soeben aktiviert und ein surrendes Alarmgeräusch ertönte. Hektisch blickte ich mich um, doch auch meine beiden Begleiter wussten nicht was gerade vor sich ging.

„Das darf doch nicht wahr sein!“ fluchte ich und konnte nur zusehen, wie die Maske mit einem Ruck in dem Loch, welches sich in der Wand hinter der Vitrine befand, verschwand.
Ungläubig lugte ich so gut es ging durch diese Öffnung und beobachtete wie mein wertvolles Eigentum gerade, mittels eines Förderbandes nach hinten, vermutlich zum Hinterausgang dieses Ortes, transportiert wurde. Gleichzeitig öffnete sich rechts von mir eine Tür. Kam man so also zum anderen Ende der Höhle? Ohne zu zögern ging ich auf die Türe zu, doch etwas Unerwartetes geschah.
Sie schloss sich sogleich wieder. Was hatte das denn zu bedeuten?
Verwirrt drehte ich mich um und mein Blick fiel sofort auf den Schalter auf dem ich zuvor gestanden hatte. Er hatte sich deaktiviert und ich verstand.

„Link!“ waren meine an den anderen Jungen gerichteten Worte.
„Wir müssen jetzt zusammenarbeiten! Stell dich auf den Schalter damit ich durch diese Türe gehen kann. Vermutlich ist dahinter ein weiterer Schalter der die Türe links von dir zu öffnen vermag. Wir müssen uns mit den Schaltern einfach abwechseln um bis zum anderen Ende des Versteckes zu kommen.“ Link nickte mir zu und tat wie ich es ihm geheißen hatte. Wie erwartet öffnete sich der Eingang vor meiner Nase erneut und ich war in der Lage hindurchzuschreiten. Taya begleitete mich.
Was ich erblickte gefiel mir gar nicht. Eine Art Labyrinth aus schweren Felsblöcken, am anderen Ende des kleinen Raumes eine weitere Tür, verschlossen und der vermeintliche Schalter war nirgends zu entdecken.
„Streng deinen Kopf ein wenig an, Kafei...“, ermahnte ich mich selbst und versuchte Ruhe zu bewahren. Ich tastete einen dieser vielen Felsblöcke ab und stemmte mich danach gegen ihn. Er lies sich bewegen und schon war es mir vergönnt einen Blick auf den zweiten Schalter zu erhaschen.
Es war fortan ein spielerisches Abwechseln zwischen mir und Link, um die vielen Schalter, die uns jeweils die Tür die zum nächsten Raum führte öffnete, durch verschiedenste Aktionen zu aktivieren. Doch jedes Mal, wenn man glaubte, der nächste Eingang, der sich öffnete, sei die Letzte, wurde man bitter enttäuscht.

„Ich hab langsam genug von diesen ganzen versteckten Rätseln!“, rief Taya neben mir genervt.
„Unser Leben ist doch nicht irgend so ein Spiel oder eine Kindergeschichte wo man all diesen Kram zu lösen hat!“
Es kam mir vor wie eine Ewigkeit nicht endenwollender Stunden, bis wir alle, Link, Taya und ich, endgültig den letzten Raum betreten hatten. Rechtzeitig, denn wie ich mit Schrecken dort feststellen musste, wäre meine Maske, wenn wir es nicht bis hier her geschafft hätten, direkt über das Fließband in ein tiefes, endlos wirkendes Loch geplumpst.
Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn das Timing zwischen mir und dem Feenjungen nicht gestimmt hätte. Bereits ein wenig außer Atem packte ich die Maske aus der Vitrine und drückte sie kurz an mich. Nach einem harten Monat war sie endlich wieder mein. Allerdings stand ich nun vor einem weiteren Problem. Ich hatte keine Ahnung wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Ich musste von hier verschwinden um die Sonnenmaske noch rechtzeitig Anju geben zu können. Also, worauf wartete ich denn eigentlich noch?

Mitternacht des letzten Tages.
6 Stunden verbleiben.


Mit rumpelnden Geräuschen öffnete sich das Tor zur Diebeshöhle erneut und wir drei hasteten ins Freie. Mein Herz war immer noch wild am Rasen, wir hatten es ja gerade noch so geschafft, die Maske auf den letzten Drücker zu schnappen. Im Canyon herrschte dunkle Nacht. Mein Blick schnellte abermals hinauf zum Mond und ich wurde kreidebleich. Wieder war er deutlich näher gekommen.
Es wirkte beinahe so als würde er bereits die Spitzen der Felsen dieses Tales berühren. Der Schatten, den er bereits am Boden warf, war riesig. Es würde nicht mehr lange dauern bis er endgültig...
Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Eigentlich sollte ich erleichterter sein. Ich war aus der stickigen Höhle raus und trug nach langem wieder meinen wertvollsten Besitz in meinen Armen. Allerdings war ich es nicht. Im Gegenteil.
Ein Teil meines Magens schien sich förmlich zu verkrampfen, als ich plötzlich das vertraute Geräusch knallender und bunt explodierender Raketen aus weiter Ferne wahrnahm. Das Feuerwerk war die einleitende Tradition des alljährlichen Festes in Unruh-Stadt. Der Karneval der Zeit hatte dort soeben begonnen.

„Nein!“, hörte ich mich mit verschreckter Stimme rufen. Es blieb nicht mehr viel Zeit und ein langer, beschwerlicher Weg zurück stand mir noch bevor. Mit nervösem Blick sah ich meine Begleiter an. „Worauf wartest du noch, Kafei?“, rief Taya und stupste mich immer wieder auffordernd an.“ Lass Anju nicht noch länger warten. Los!“ Dankend nickte ich den beiden zu und stürmte los. So schnell es nur ging. Ich musste rechtzeitig noch dort eintreffen.
Ich musste einfach, denn sonst hätte ich nicht nur ein Versprechen, sondern auch ein Herz gebrochen.
Ich lief den Fluss entlang und bog in die weite Ebene des Canyons ein. Ich lief und lief und lief. Was würde ich dafür geben, damit mich diese kurzen Kinderbeine verdammt noch mal schneller tragen würden! Als ob ich nicht schon gepeinigt genug wäre, hörte ich hinter mir das unheilvolle Heulen wilder Tiere. Jetzt sich bloß nicht unterkriegen lassen. Konzentrier dich und achte drauf wo du hinrennst und alles wird gut.
 
„Anju, ich weiß, dass du noch in Unruh-Stadt verweilst. Bitte, bitte warte noch ein wenig länger auf mich! Auch wenn du es vielleicht nicht ahnst, ich bin unterwegs zu dir, hab Vertrauen!“

Nacht des letzten Tages.
2 Stunden verbleiben.


Mein Zeitgefühl schien sich endgültig von mir verabschiedet zu haben. So schnell wie noch nie durchquerte ich Terminas Landschaften, direkt auf den Ort allen Unheils zu. Unruh-Stadt.
Und doch war es zur Zeit auch der einzige Ort, der mir noch einen letzten Funken Hoffnung spendete, in dieser trostlosen und ohnehin bald verschwundenen Welt, denn du, Anju, du würdest da sein.
Wie zur Bestätigung meiner Gedanken erbebte die Erde von Neuem. Ich geriet während dem Laufen ins Schwanken, stolperte und fiel. Unsanft landete ich in der weiten Graslandschaft, kurz vor dem Stadttor, auf dem Boden. Keuchend richtete ich mich etwas auf und verweilte einige Momente in dieser Pose. Ich wollte es nicht zugeben, aber ich konnte nicht mehr. Meine Kräfte hatten mich verlassen und ich war immer noch nicht am Ziel. „Halte durch Kafei, halte durch.“ ermahnte ich mich selbst und blickte auf zum Stadttor, welches sich vor mir erstreckte.

„Es ist ja nicht mehr weit.“

Ich nahm mir vor fortan den Blick zum Himmel zu meiden, denn mir graute davor, was ich dort sehen könnte. Mit letzter Kraft richtete ich mich auf, hob die zu Boden gefallene Maske auf und betrachtete sie.
Ungewollt traten plötzlich einige Erinnerungen von Anju und mir aus Kindheitstagen vor meinem geistigen Auge auf.
„Das ist der falsche Augenblick um sentimental zu werden, Junge, du musst los.“, dachte ich und betrat den Eingang zur Stadt.

Nacht des letzten Tages.
1 Stunde verbleibt.


Ich irrte immer noch in diesen endlosen Gassen herum. Meine zierlichen Hände fest um die Maske geklammert und mit letzter Kraft rennend als ob der Teufel hinter mir her wäre, durchquerte ich so schnell wie es ging den Eingang nach Ost-Unruhstadt. Ich kam keuchend und völlig aus der Puste vor meinem Ziel, dem Gasthof „Zum Eintopf“, zum stehen. Endlich war ich hier, nur noch wenige Augenblicke trennten mich womöglich von Anju. Ich schnappte nach Luft und riss sogleich die Tür auf.

Genau wie auf den Straßen war hier alles wie leergefegt. Keiner zu hören, geschweige denn zu sehen. Ich schluckte und nur langsamen Schrittes wagte ich mich voran. Vorbei an dem Tresen und der Sitzbank, bog ich den vertrauten Weg nach links, zu den Stufen, die mich in die zweite Etage bringen würden, ein.
Mit wackelnden Knien hievte ich mich Stück für Stück auf der Stiege immer weiter nach oben. War diese Treppe immer schon so lang gewesen? Ich weiß es nicht mehr. Meine Gedanken überschlugen sich und es fiel mir schwer ein klares Bild vor Augen zu haben. Ich keuchte immer noch und mein Atem war schwer. Letztendlich kam ich oben an und stand direkt vor Anjus Zimmer.

Mit einer zitternden Hand griff ich langsam nach dem Türgriff und hielt inne. Ich begann zu zögern.
Verdammt noch mal, Kafei, worauf wartest du?
Du hast keine Zeit zu verlieren, du bist doch endlich am Ziel!


Doch meine Hand war schwer wie Blei und bewegte sich keinen Millimeter. Und nun begann das Gefühl in mir zu wachsen, was ich schon meine ganze Reise hierher zu verdrängen versucht hatte. Zweifel. Niemand hatte mir bestätigt, dass Anju wirklich hier war und auf mich wartete.
Ich habe es anhand unseres Versprechens einfach angenommen. Doch wartete sie wirklich auf jemanden der so lange als verschwunden galt? Ja ich habe ihr in der Zwischenzeit einen Brief geschrieben, in dem ich ihr versucht hatte einiges zu erklären, doch wer weiß? Vielleicht ist sie doch noch aufgebrochen, um die Stadt zu verlassen und ich hatte sie gerade verpasst? Schließlich würde der Mond hier jeden Moment aufprallen und alles um sich herum vernichten.

Allerdings... was, wenn sie doch hier ist und mich gar nicht wieder erkennt? Oder gar meine jetzige Gestalt verabscheut?
Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. Es half nichts. Mein ewiger Zwiespalt verbesserte meine Situation auch nicht gerade. Es war womöglich meine Angst davor enttäuscht zu werden, die mich weitere Augenblicke noch davon abhielt den Raum vor mir zu betreten. Doch ich würde nie die Wahrheit herausfinden, wenn ich einfach nur bis zum bitteren Ende hier stehen blieb und Wurzeln schlug. Mein Herz began immer lauter zu pochen. Ich schluckte, packte meinen gesamten Mut zusammen und bereitete mich auf den wichtigsten Moment meines Lebens vor. Ich öffnete die Tür.

Ich trat in das vertraute Zimmer und musste nicht einmal umherblicken um sie zu sehen. Da saß sie, am Fuße ihres Bettes, ihre Arme auf dem Schoß gestützt und ihr Gesicht in den Händen vergraben. Neben ihr auf einem Ständer war ihr prachtvolles, weißes Kleid, welches sie zu unserer Hochzeit tragen wollte.

„Anju.“, kam es über meine Lippen, doch kein Laut war zu hören. Mit bedächtigen Schritten ging ich etwas näher auf sie zu und betrachtete sie. Ich wusste nicht was mit meinen Gefühlen los war. Nichts regte sich und nichts spürte ich. Alles schien in diesem Augenblick so unwirklich. Ich hielt ein paar Schritte vor ihr inne und wartete auf eine Reaktion.
Langsam, ganz langsam sah sie auf. Sie blickte hinter ihren Händen hervor und schien erst jetzt zu begreifen, dass soeben jemand ihr Zimmer betreten hatte. Ihre lieblichen Augen wirkten rot und verweint und ungläubig starrte sie mich Momente lang an, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
Auch ich schwieg.
Sie ertastete etwas hinter sich, nahm es in die Hand und rutschte von ihrem Bett. Sie ging vor mir auf die Knie und blickte immer noch ununterbrochen in mein Gesicht. Schließlich war sie diejenige, die die Stille durchbrach.  

„Ich kenne dich.“ begann sie.
„Ich habe dich Jahre zuvor schon einmal getroffen. Dieses Gefühl in mir ist so vertraut.“ Sie musterte mein rubinfarbenes Augenpaar, meine dunkelviolett schimmernde Haarpracht und fuhr fort:
„Wir waren noch Kinder und haben uns ein Versprechen gegeben. Das Versprechen am Tag des Karnevals der Zeit, unsere Masken auszutauschen und somit unsere Liebe zueinander zu befürworten.“  

Meine Gefühlsregungen schienen langsam wieder aufzutauen, denn in diesem Moment huschte mir unwillkürlich ein keckes Grinsen über meine Lippen und ich platzierte meine rechte Hand direkt auf meinem Herzen.
„Tut mir leid, dass ich so spät dran bin.“, sagte ich. Das war in meinen Augen zwar etwas unpassend, aber etwas besseres war mir in diesem Moment einfach nicht eingefallen. Meine Gedanken waren nämlich drauf und dran Purzelbäume zu schlagen.
Erst jetzt bemerkte ich den Gegenstand, den sie schon die ganze Zeit in ihren Händen hielt und ich schmunzelte. Es war die Maske des Mondes.
Wie auf Kommando zeigte ich ihr mein Gegenstück.
Daraufhin sahen wir uns beide lange und innig an, bis wir letzten Endes unsere Masken in die Hände des jeweiligen Anderen legten, nur um sie kurz darauf symbolisch zu vereinen, indem wir sie Gesicht an Gesicht zueinander führten.  

„Du und ich wir sind nun ein Paar.“, waren ihre wunderbaren Worte an mich. „Die Sterne sind unsere Zeugen.“
Ich versuchte meine sich plötzlich so glasig anfühlenden Augen zu verdecken, indem ich an Anju vorbei und zur Seite blickte, doch sie schien es bereits bemerkt zu haben. Sie lächelte mich an. Ich konnte diesem Blick nicht widerstehen und fiel ihr ohne Vorwarnung um den Hals.
So bizarr diese Erscheinung nun auch war, so sehr sie nach außen hin einer Umarmung zwischen Mutter und Kind glich, so war es doch die Geste zweier Liebenden.
Wie lange hatte ich mich nach diesem Augenblick gesehnt. Die letzten Wochen waren hart für mich, doch nun hatte es endlich ein Ende.
Wir waren wieder vereint und sie hegte keinerlei Groll gegen mich, weil ich mich vor ihr versteckt hielt und sie warten ließ.
Anju, du weißt es auch, ohne dass ich es dir sage. Ich liebe dich.

Unser inniger Moment wurde von einem plötzlichen Beben unterbrochen. Doch im Gegensatz zu den bisherigen Erschütterungen wollte diese kein Ende nehmen.
Ich sah in ihre saphirfarbenen Augen und las das, was ich selber soeben fühlte. Unsicherheit, gegenüber dem was sogleich passieren würde, doch keinerlei Reue dem gegenüber was zwischen uns passiert war. Es war also soweit.
Der Mond würde alles verschlingen und uns ebenso, doch wir hatten unser Versprechen einlösen können und waren jetzt in der Stunde der Zerstörung immer noch beisammen.
Ich nahm Anjus Hand, lächelte sie an und bereute nichts. Unsere Liebe würde alles überstehen.
Ein ohrenbetäubender Lärm erfüllte die Gegend und alles um uns herum wurde weiß.

 
Dämmerung eines neuen Tages.
0 Stunden verbleiben.


Ich sah nichts, fühlte nichts und einen Moment lang dachte ich, es wäre bereits alles zu Ende. Doch dann wurde ich langsam wieder Herr meiner Sinne. Leise, aber deutlich vernahm ich plötzlich diverse Laute.
Diese verwirrten mich und lauschte noch einmal. Kein Zweifel. Es handelte sich um das fröhliche, frühe Morgengezwitscher der Vögel. Ich öffnete langsam meine Augen und war einfach nur Baff.
Mein Blick galt dem Szenario welches sich draußen vor dem Fenster abspielte. Die Sonne war gerade dabei aufzugehen und die grünen Ebenen von Termina in ihr warmes, oranges Licht zu tauchen. Anju welche mich fest umklammert hielt war dieser Anblick offensichtlich egal, denn sie war heftig damit beschäftigt mich angenehm überrascht anzublinzeln.
Als ich ihr einen fragenden Blick zuwarf und versuchte mich mit meiner Hand sanft von ihrem festen Griff zu befreien, bemerkte ich es. Ein kurzer Blick auf meine Hand und meinem Körper herab genügte um zu wissen, dass ich nicht mehr länger in der Haut eines Kindes steckte. Mein Glück kaum fassen könnend, sprang ich juchzend auf und zog Anju ebenfalls mit nach oben.

Ich hatte keinen blassen Schimmer was soeben geschehen war, aber wir beide waren am Leben, das war alles was zählte. Ich eilte zum Fenster und sah in den Himmel. Kein Mond weit und breit. Als schien so als ob es dieses Übel niemals gegeben hätte.
„Was ist passiert?“, fragte mich Anju, doch ich wusste keine Antwort darauf und schüttelte nur den Kopf. Mein Blick galt wieder der Landschaft draußen vor dem Fenster. Wer oder was war dafür verantwortlich, dass uns allen, außer einem großen Schrecken, nichts passiert war?

Plötzlich zischte etwas bläulich glitzerndes und leuchtendes am Fenster vorbei und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich folgte dem Wesen mit den Augen, bis es unten vor einem Baum, bei einer kleinen Person halt machte. Es war ein ganz in grün gekleideter Junge.
Ich begriff sofort und musste lächeln.
 
„Komm schon Anju, lass uns nach draußen gehen, wir kommen sonst noch zu spät.“, sagte ich zu ihr.  
„Zu spät?“, meinte sie verwirrt. „Zu spät zu was denn?“
Sie sah mich stirnrunzelnd an.
 Ich musste lachen.
„Zu unserer Hochzeit natürlich.“

THE END