Autor: Kriegerin Hylia
Der Götterzug hielt abrupt an, sodass die Räder kreischten, als würde die ganze Maschine jeden Moment zerfallen. Stattdessen aber blieb der Zug in einer grauen Dampfwolke stehen, die sich schnell verflüchtigte und den Blick auf die Person frei gab, die kurz darauf aus der Lokomotive stieg.
Byrne griff ans Dach über sich und schwang sich elegant darauf. Seine nackten Füße verliehen ihm guten Halt und er schlenderte ein paar Waggons nach hinten, bevor er sich langsam darauf niederließ.
Er seufzte einmal und schloss die Augen, während er den Kopf schief legte und das Haargummi aus seinen langen schwarzen Haaren zog, die sich daraufhin wie ein Sturzbach schwarzblauen Samts über seinen Rücken ergossen. Zwei der langen Strähnen fielen ihm über die schmale Brust, einen Teil davon strich Byrne sich hinters rechte Ohr.
Mit dem bunten Haargummi auf dem rechten Zeigefinger legte er den Arm auf seinem angezogenen Knie ab und blickte ins Leere. Unter ihm plätscherte sanft das Meer der Ozeanwelt und schlug kleine Schaumkronen an den niedrigen Küsten, während eine lauwarme Brise durch die Bäume und Byrnes Haar strich.
Der Junge zog die Augenbrauen in einer Geste des Schmerzes zusammen, die Augen immer noch geschlossen. Seine linke Hand suchte Halt auf dem Waggondach, fand aber keinen und so schabten seine Fingernägel nur verzweifelt darüber, bevor er die Hand zur Faust ballte.
Warum?
Nur widerwillig sah er wieder vor sich aufs Meer.
Es würde das letzte Mal sein, dass er diese stille und majestätische Pracht des Ozeans würde sehen können.
Das letzte Mal, dass die Möwen über ihm vergnügt im Wind umherstreiften.
Das letzte Mal, dass er das Glitzern der Wellen im Sonnenlicht sah.
Das letzte Mal, dass er frei war.
"Warum...", flüsterte er kraftlos und entspannte seine Hand wieder. Erschöpft blieben seinen schlanken Finger auf dem warmen Dach des Götterzuges liegen. Ein goldener Delphin musterte ihn neugierig, bevor er wieder abtauchte und nur ein leises Platschen zurückließ. Die Tiere waren schon an Byrne gewöhnt; immerhin durchfuhr er so gut wie jeden Tag die verschiedenen Welten, aber hier hielt er sich trotzdem am liebsten und somit am längsten auf.
Beim Anblick seines Lieblingsortes schnürte es ihm die Kehle zu und sein Herz schlug schneller. Es waren nur noch ein paar Stunden bis zum Sonnenuntergang und die Zeit blieb nicht stehen, sondern schien sogar noch schneller zu verstreichen als sonst.
Als Lokomo konnte ihm Zeit egal sein, sie ließ ihn altern, aber langsam und es würden noch viele Jahrzehnte ins Land gehen, bevor auch er seinen letzten Atemzug tätigte.
Aber die Götter hatten ihn verdammt und nur darauf kam es im Moment an.
Als Rael ihn heute morgen zu sich gerufen hatte, da hatte Byrne noch nicht gewusst, was ihn erwartete, aber das sonst so entspannte Gesicht seines Großvaters voller Sorge zu sehen, hatte ihn sofort alarmiert. Aber der Lokomo hatte ihm lediglich gesagt, dass Anjean ihn sehen wollte und so war Byrne mit dem Zug zum Turm der Götter gefahren, nur um sie dort alle vorzufinden - die fünf übrigen Diener der Götter: Gage, Steem, Carben, Embrose und Anjean.
Die einzige Frau der Gruppe war vorgetreten und Byrnes Besorgnis wuchs immer mehr, als er die bedrückten Mienen der anderen sah. Was war hier nur los?
"Byrne, mein Junge." Anjeans Stimme war freundlich und warm wie immer, wenn sie sprach und besonders sanft, wenn sie mit ihm redete. "Wie geht es dir?"
Byrne, der immer noch nicht wusste, was das alles sollte, sah unsicher zu ihr und zuckte ein wenig hilflos mit den Schultern.
"Ganz gut. Aber ich verstehe nicht, was das soll, Grandma." Obgleich die alte Lokomo nicht seine wahre Großmutter war, nannte er sie so. Die anderen sprach er mit Onkel an und Rael als seinen Großvater zu bezeichnen, war normal, da er schließlich wirklich mit ihm verwandt war.
"Das freut mich zu hören", fuhr Anjean fort, "ich erkläre dir, worum es geht und ich bitte dich nur um eins, Byrne - höre mich in Ruhe an, bevor du sprichst, ja?"
Der junge Mann nickte, immer noch verunsichert, und lehnte sich an die Lokomotive.
"Ich höre."
Bei der Erinnerung an das Gespräch, wurde Byrne wieder ganz anders zumute, während er auf dem Dach saß und geistesabwesend mit seinem Haargummi spielte.
Die heilige Aufgabe seiner Rasse war es, auf den Turm der Götter zu achten und den darin versiegelten Dämonenkönig Malladus zu bewachen, damit er kein Leid mehr über Hyrule bringen konnte. Aber die Lokomo waren alt und er war bis jetzt der jüngste unter ihnen. Mit jedem Jahr, das verstrich, ging es den anderen sechs immer schlechter. Rael würde bald nicht mehr aus eigener Kraft laufen können.
Anjeans Wunsch - der Wunsch aller sechs verbliebenen Lokomos - war es, dass Byrne nun endlich das Erbe ihres Volkes antrat. Er sollte sich im Turm der Götter niederlassen und auf den Götterzug aufpassen, den er bis jetzt gefahren hatte.
Beim Gedanken daran kam Byrne sich wie Malladus vor - gegen seinen Willen an einen Ort gebunden, von dem es kein Entkommen gab.
Aber außer dem Widerwillen, sich dieser Aufgabe zu beugen, machte der junge Lokomo sich noch ganz andere Sorgen. Er war schwach (wenn auch körperlich der stärkste der sieben) und bezweifelte, dass er den Zug im Ernstfall würde beschützen können.
Der Turm der Götter sollte also sein neues Zuhause werden - für immer. Er würde nie wieder die vier Welten sehen und auch von Rael, bei dem er bisher gelebt hatte, würde er Abschied nehmen müssen. Sicher, es war keine Freude gewesen, in einem Loch unter dem Sand zu leben, aber wenn er daran dachte, dass er außer Anjean für den Rest seines Lebens nie wieder einen der Lokomo sehen würde, hätte er am liebsten laut geschrien und um sich geschlagen.
Aber Byrne war ein ruhiger junger Mann und so blieb er reglos auf dem Dach sitzen und sah weiterhin schweigend auf die in der Sonne glitzernde Wasseroberfläche.
Es ist eine ehrenvolle Aufgabe den Göttern zu dienen und unserer schönen Welt so den Frieden zu bewahren. Die Worte seiner Großmutter waren für Byrne nicht mehr als eine Umschreibung seiner zukünftigen Gefangenschaft.
"Lebwohl, Hyrule...", wisperte er kraftlos und und vergrub das Gesicht in seiner Hand. Der Haargummi rutschte ihm vom Finger und ein kaum hörbares Platschen mischte sich für einen Moment unter Byrnes heiseres Schluchzen.