Nur ein Spiel - Kapitel 22 - Der Tempel des Lichts

Autor: Faylen7


Während die beiden Hylianer verträumt ihrem Weg folgten, zogen Adler hoch über ihren Köpfen in Richtung Norden. Die Sonne stand im Zenit und außer dem Rauschen des Windes, den Geräuschen einiger Tiere, vernahmen beide keine Laute. Es war geradezu beängstigend still hier in dem alten Hyrule.
Sie befanden sich auf dem Weg zur Stadt, von wo aus sie in Richtung Südwesten wandern wollten.
Link blieb stehen und schlug die riesige Karte von Hyrule auf. Erstaunt betrachtete er sich die Ortschaften, deren Namen er leider nicht lesen konnte, besah sich Wegbeschreibungen, Markierungen über Flüsse, Bezeichnungen von Bergen und anderen Städten oder Dörfern. Zelda deutete auf eine Markierung irgendwo im Süden und erklärte ihm, dass sich dort das erste Elixier in einer Weisenstätte befand. Link nickte nur zustimmend. Irgendwie war es frustrierend Zelda wegen jeder Kleinigkeit befragen zu müssen, da er absolut keine Ahnung hatte. Aber blieb ihm denn eine Wahl?

Sie ereichten nach einer Stunde die Hauptstadt Hyrules, die sie klarerweise total leergefegt vorfanden. Sie liefen über eine kleine Brücke, die direkt zu den Stadtmauern führte. Zelda starrte melancholisch in das kristallene Wasser und konnte es immer noch nicht ganz verstehen. In Hyrule gab es kein Leben, außer ein paar Tieren und den Pflanzen. Aber alles erschien so normal, alles schien seinen gewöhnlichen Lauf zu nehmen, ähnlich dem Lauf des Wassers in jenem bedeutungslosen Bach, der die Stadt umrahmte.
 
Sie passierten das Tor und erblickten alte, kleine Häuser, leerstehende Geschäfte und vor allem viele kleine Gassen, die durch die ganze Stadt führten. Link war überwältigt. Niemals hätte er sich vorstellen können, dass Hyrules Hauptstadt einen solchen Anblick bieten würde. Er fühlte sich, als würde er tatsächlich in einer zurückliegenden Vergangenheit zuhause sein. Und das Gefühl tat auf irgendeine Art und Weise gut...

„Welche der Straßen führt denn hinaus?“
„Wir nehmen einfach die mittlere Gasse“, sagte Zelda und lief schon wieder vorne weg. Dann fügte sie hinzu: „Link, wir können noch nicht hinaus auf die Steppe. Ich hätte ja fast das Elixier des Weisen im Tempel des Lichts vergessen.“
„Im Tempel des Lichts befindet sich eines der Elixiere? Hast du nicht gesagt, diese würden sich in den Weisenstätten verbergen?“
„Ja schon, aber für den Weisen des Lichts wurde das Elixier in dem Tempel untergebracht. Das hat mir zumindest der kleine Bengel zugeflüstert, als er mich das letzte Mal besuchte.“
„Aha, also war er es auch, der dir den Aufenthaltsort der ganzen Elixiere gesagt hat. Habe mich schon gewundert.“ Zelda nickte und grinste zufrieden.
„Er hat mich noch einmal besucht, als du nach Rutara und Richard gesucht hast.“ Das ergab für Link einen Sinn.  
„Gut. Dann auf in die Zitadelle der Zeit“, sagte Link und folgte ihr. Aber eine Frage ließ ihn dennoch nicht los. „Gibt es in Hyrule eigentlich noch andere Tempel außer den fünf Weisen- Tempeln, die mir wenigstens etwas sagen?“
„Ja, Link, die gibt es. Hyrule ist ein wenig größer, als du es dir vorstellen kannst und es gibt viele, viele Labyrinthe, merkwürdige Orte, Höhlen und auch andere Tempel. Im Laufe der Geschichte hat sich Hyrule natürlich verändert. Das Land wuchs, oder wurde durch Kriege wieder kleiner. Einige Tempel versanken, andere wurden neu errichtet. Vielleicht besucht eine deiner zukünftigen Reinkarnationen diese...“

Sie bewegten sich durch eine schmale Gasse, in der man den Eindruck hatte, die kleinen, krummen Häuser links und rechts würden sich mehr und mehr aufeinander zu bewegen. Link lief endlich mal neben Zelda und blickte ab und zu in den blauen Himmel, wo weiße Schleier vorbeizogen. Immer wieder bestaunte er die Geschäfte in jener winzigen Gasse und kam aus seiner Verwunderung nicht mehr heraus. Merkwürdige Teleskope, Statuen, Kräuterbeutel und vieles andere Dinge waren in den Schaufenstern aufgetürmt... Dinge, die er noch nie gesehen hatte und für nicht existentiell hielt. Es würde einige Tage dauern, ehe er sich an Hyrule gewöhnt hatte.

Zelda warf einen Blick auf ihr Medaillon, das sie am Hals trug. Sie öffnete es. Auf der Uhr in der Mitte war es kurz nach Zwei. Wenn alles gut lief, könnten sie bei Anbruch der Nacht in der Nähe einer Ranch im Südwesten sein, um dort ihr Lager aufzuschlagen. (kleine Anmerkung: Bitte nicht wundern, ich orientiere mich in den Beschreibungen Hyrules Landschaft nicht exakt an der Darstellung bzw. Anordnung Hyrules von Ocarina of Time... oder eines anderen Spiels. Wäre ja ein bisschen langweilig, da jeder Leser wüsste, welcher Ort als nächstes kommt...)

Sie betrachtete sich abermals das Medaillon und starrte auf die Zeiger.
„Link. Das Medaillon funktionierte in der Realität nicht, oder?“
„Nein. Dem ungeachtet arbeitet es jetzt... komisch. Aber in Hyrule gibt es keinen Strom, oder?“
Sie lachte kurz und sagte: „Natürlich nicht, aber Magie. Das würde bedeuten, dass in Hyrule immer noch viele magische Kräfte am Werk sind. Es ist gut, das zu wissen.“
„Jep.“ Links tiefblaue Augen wanderten in Richtung einer Allee mit alten, aber gesunden Bäumen. „Führt der Weg dort zur Zitadelle?“
„Ja, du hast es erfasst.“ Ohne Anhalt packte Link Zeldas rechte Hand und rannte mit ihr die Straße entlang, von deren weißen sauberen Pflastergestein man essen kann. Er konnte und wollte seine Erwartung die Zitadelle zu sehen, nicht mehr bremsen und folgte ohne Umschweife dem Weg.
 
Sie gelangten in einen großen Innenhof mit flachen Wasserstellen an den Seiten eines langen weißen Pfades, der zu den steinernen Treppenstufen des Bauwerkes führte. Diesmal ging Link vorneweg und schob die riesige, reichlich verzierte Holztür beiseite. Sie traten ein, mit ernsten Gesichtern und schwiegen an solch einem geheiligten Ort. Ehrfürchtig blickte Link hinauf zu dem riesigen, hohen Deckengewölbe, studierte die Säulen, Steinskulpturen, welche mit Blattgold umrahmt waren und schließlich den Altar. Man hörte nur das dumpfe Klappern von Zeldas Stiefeln und das eleusinische Knistern des Feuers von unzähligen Fackeln an den Wänden. Sie tauchten die gesamte Zitadelle in ein schwaches, warmes Licht. Obwohl außerhalb frühlingshaftes Wetter vorherrschte, war es innerhalb des Bauwerkes fast eisig kalt.
Am Altar funkelten drei heilige Steine in silbrigen Licht- jene Steine warfen Schatten, wo keine sein sollten. 
Sie standen beide inzwischen vor den großen Toren am hinteren Ende der Zitadelle, die eine Welt jenseits von Hyrule hüteten... eine Welt, die sich nicht so einfach finden ließ, zu der lediglich Auserwählte gerufen werden konnten, in der weder Licht noch Dunkelheit existierten und Zeit sich selbst betrog. Dort in jenem heiligen Reich gab es runde Ecken, Farben, die niemand kannte und keine Gesetze.

Zelda atmete tief ein, ein wenig aufgeregt wieder in das heilige Reich einzutauchen, denn dort zu sein, fühlte sich an, als ob die Seele vom Körper losgelöst wäre, als ob man jede Menschlichkeit abgelegt hätte...

Dann öffnete sich das Tor wie von Geisterhand und beide betraten das hohe Gewölbe dahinter. Jener Ort, der wohl berühmteste und begehrteste Hyrules, wirkte, als wäre er seit Urzeiten nicht betreten worden. Feine Staubkörner wurden aufgewirbelt, als Zelda und Link das Gewölbe genauer unter Augenschein nahmen, besonders Link, dessen Blick sofort zu jenem Gegenstand wanderte, der irgendwann einmal in seinem Besitz ruhte: eine Waffe ohnegleichen... das Masterschwert...

„Bereit“, sagte Zelda ehrfurchtsvoll.
„Bereit.“
Link umgriff das Heft der mächtigen Waffe, erstaunt über das Material unter seinen Händen: weder Leder, noch etwas anderes ihm bekanntes... und es fühlte sich einzigartig an. Diese Waffe würde wunderbar in einer Hand liegen, dachte er sich. Er würde diese Waffe so gerne behalten...
Mit einem Summen der kraftvollen Klinge wurde jene aus dem weißen Gestein befreit. Ein Hauch Licht erstrahlte das Gewölbe, bis es verschwand mitsamt der göttlichen Waffe und den beiden einzigen Hylianern im Land. 

Als Link seine Augen aufschlug, befand er sich allein in den undurchdringbaren Nebeln einer gigantischen Halle, aber seine Füße berührten nicht den Boden. Er war irgendwo und gleichzeitig nirgendwo. Er versuchte sich fortzubewegen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht, ebenso wie der Rest seines Körpers. War das der Tempel des Lichts? Zugegeben, das einzige, was im Moment noch arbeitete, waren seine Augen, die sich hastig umsahen, aber blöderweise nichts als grelles, weißes Licht in Links Wahrnehmungsapparat projizierten. Er fühlte sich irgendwie so leblos und unwirklich... 

Hätte Zelda ihn nicht vorwarnen können, dachte er sich, soweit er hier noch denken konnte. Zelda... Wo war sie überhaupt?
„Zelda“, rief er, überrascht, dass seine Stimme funktionierte. Nichts als Stille. Seine Gehirnzellen tanzten wie wild geworden hin und her, aber konnten der ganzen Szenerie keinen Sinn entnehmen. Hatte sich seine Seele vielleicht verirrt? Möglicherweise war er einen falschen Weg gegangen und Zelda einen anderen...
Einige Sekunden vergingen, zumindest kamen sie Link wie Sekunden vor, obwohl doch die Zeit an jenem Ort nicht in der Weise existierte wie außerhalb des Tempels.
Alles war so ruhig, viel zu ruhig und Link wurde allmählich nervös. Irgendetwas stimmte hier doch nicht. Warum konnte er sich nicht bewegen? Er schloss seine Augen und konzentrierte sich auf seinen Körper. Ich muss doch irgendwas tun können, dachte er. Der Hylianer verlor langsam seinen Verstand und die Situation erschien mehr und mehr ausweglos und beklemmend. Er rief noch einmal den Namen seiner besten Freundin. Sein Ruf hallte weiter und weiter, bis sein Echo an seine spitzen Ohren gelangte.  

Viele Minuten mussten inzwischen vergangen sein, bis Link es schaffte seinen tauben Körper einige Meter zu bewegen. So schlimm wie am Anfang kam es ihm jetzt gar nicht mehr vor, nein, irgendwie genoss er nun das Gefühl der Schwerelosigkeit, das Gefühl, dass nur seine Seele sich bewegen konnte. Es war wie Fliegen, wie Schlafwandeln, wie Träumen...
Seine tiefblauen Augen erblickten nun in den Nebelsphären einige Details. Da waren... Plattformen und Säulen... aber irgendwie war alles so verschwommen.

Plötzlich packte jemand seine Hand. Vor lauter Entsetzen ließ er einen markerschütternden Schrei los, welcher die Stille in den heiligen Hallen zeriss. Seine Haare standen ihm zu Berge und sein Herz sprang Zickzack. Er rutschte einige Meter nach unten in jenem schwerelosen Gebilde des Schicksals.
Erleichtert erkannte er eine vertraute Gestalt, die ihn anlächelte und wieder auf seine Höhe zerrte.

„Verdammt, hast du mich erschreckt“, begrüßte er sie, ein wenig erschüttert.
„Ich habe das Elixier, also, wenn du es hier langweilig findest, können wir uns wieder auf den Weg machen.“ Das kam Link gerade Recht. Er hatte genug von den verrückten Gefühlen, die einem der Tempel des Lichts bescherte. Sicherlich, er wollte nicht fluchen und unhöflich gegenüber den alten Göttern Hyrules sein, aber diese Tempel konnten einen mehr als Herzrasen, Kopfzerbrechen und Unwohlsein zufügen. 
„Zelda... Jetzt mal ehrlich, findest du es toll hier?“ wollte er in Erfahrung bringen.
„Ja. Ist doch wunderschön hier.“
„Wie du meinst...“, war seine Antwort, während seine Augäpfel keine Zustimmung ausdrückten. Link verkniff sich aber eine weitere Bemerkung,...

Zelda lächelte ihm entgegen, drückte seine Hand ein wenig fester, worauf Link sie verwundert ansah. Was ging nun schon wieder in ihr vor? Link verstand nur Bahnhof. Aber Zelda würde schon tun, was richtig war.
Sie bewegte sich in dem Raum nach oben, zerrte den wehrlosen Link hinter sich her, bis sie in ein weiteres blaues Licht eintauchten. Obwohl Link die ganze Sache für überaus gefährlich für seinen Magen ansah, ließ er es über sich ergehen.

Nach wenigen, aber haarsträubenden Momenten standen sie erneut in dem hohen, dunklen Raum der Zitadelle der Zeit. Das Masterschwert steckte wieder in seinem Stein. Link gewann allmählich seine Sinne wieder... jedoch...
Seine Sinne funktionierten allesamt mit neuerworbener Genauigkeit. Verrückt... er hatte den Eindruck schärfer als jemals zuvor sehen zu können, besser hören zukönnen. Selbst der Geruch in der Zitadelle erschien ihm anders und das Gefühl Zeldas Hand in seiner zu halten fühlte sich anders an... wärmer.
Der Aufenthalt im Tempel des Lichts hatte wohl doch etwas für sich...  
„Warum hast du mir eigentlich nichts von den geheimnisvollen Kräften im Tempel des Lichts erzählt und von den seltsamen... ähm...“ Er suchte nach dem richtigen Wort. „... ähm... Zuständen dort.“
„Wie gesagt. Ich dachte, du liebst Überraschungen...“ Link zog eine eingeschnappte Schnute und nahm sich vor, ab jetzt genauer auf seine Wortwahl zuachten. 
„Oh Mann... Zelda“, seufzte er, doch sie lachte nur angesichts seiner leicht verzweifelten Miene. 

Link lief vorneweg  und wollte aus der Zitadelle verschwinden, aber Zelda blieb stehen und drehte sich erneut um. Sie blickte zum Altar, atmete tief ein und schloss ihre Augen. Dann setzte sie sich auf eine der hölzernen Bankreihen. Es sollte wohl einfach nicht sein...
Sie faltete ihre Hände, murmelte irgendwelche Worte in Hylianisch und stützte ihren Kopf in ihre Hände. Trotz allem belastete es sie, hier zu sein, in der Zitadelle, in Hyrule, in der alten Heimat.
Ob sie beide es wohl schaffen würden... innerhalb von drei läppischen Wochen, alles zu erledigen? Sie machte sich einfach nur Sorgen... besonders um Link. Plötzlich setzte sich ihr Heroe neben sie.
„Betest du zu den Göttinnen?“
Sie nickte lediglich und gab Link das Gefühl nicht darüber reden zu wollen, wie immer. Wenn Zelda über die Vergangenheit nachdachte, machte sie dicht. Das war schon so gewesen, als Link sie kennen gelernt hatte. Aber warum? Allmählich fragte er sich, ob sie nicht etwas zu verschweigen hatte... Oder lag es an ihm?
Seit er Leon über den Weg gelaufen war, sehnte er sich danach mit Zelda über die Vergangenheit zu reden. Nicht nur, dass er es wissen wollte, wegen seiner selbst willen. Der eigentliche Grund war... er wollte herausfinden, was es war, dass Zelda belastete und ihr irgendwie helfen... Aber immer, wenn er versuchte zu ihr durchzudringen, wich sie ihm aus.
Seine Augen ruhten lange Zeit auf ihr, bis er ebenso zubeten begann.

Link überlegte, wie er beginnen sollte, um Zelda in ein Gespräch zu verwickeln. Wie sollte er bloß beginnen? Also: ,Zelda, wir sollten reden...’ oder: ,Ich möchte dich wissen lassen, dass...’ Nein, nein, nein... Alles doof. Er grübelte weiter und weiter. ,Ähm, Zelda, ich bin für dich da...’ Nein, das brachte er nicht über die Lippen...

In dem Augenblick geschah allerdings etwas Unvorhergesehenes. Zelda fühlte irgendeinen gewaltigen Energieschub in der Zitadelle. Sie sprang auf, hetzte in Richtung Altar und blickte nervös umher, fixierte jeden Winkel der Zitadelle mit wachen Augen.
„Was ist?“, fragte Link verdutzt, der Zeldas plötzliche Aufregung nicht verstand. Sie musterte ihn kurz, aber beachtete ihn dann nicht weiter, sondern erspähte erschrocken alle Fackeln in der Zitadelle. Das Feuer flackerte wie wild, wie als ob Geister es betasten würden.

Irgendetwas schlich in dem Bauwerk umher, etwas Unsichtbares, Sonderbares... Vor Aufregung begannen Zeldas Hände zu zittern. Inzwischen ahnte auch Link angesichts Zeldas Verhalten, dass etwas nicht stimmte.  

Er stand auf und lief in ihre Richtung. Er war einige Meter von ihr entfernt, als mit einem Schlag das Feuer jeder Fackel ausging... Ihre Augen kreuzten sich, während außerhalb eine dunkle Wolke das Licht von Hyrules Sonne bedeckte und nur spärliche Lichtstrahlen noch die Zitadelle beleuchteten. Es war still. Zu still. Vielleicht die Ruhe vor dem Sturm, der das Unabwendbare einleitete und die Geschichte wiederholen ließ...
Link blickte direkt in Zeldas Augen, nicht sicher, was er darin sah.

Dann rannte Zelda panisch an ihm vorbei, zu den großen Toren, aber sie ließen sich nicht öffnen. Sie rüttelte kräftig daran herum, aber es brachte nichts. Sie fühlte Furcht in sich aufsteigen, da sie einst gerade an diesem Ort von Ganon entführt worden war. Hetzend stand Link hinter ihr, packte sie und zerrte sie mit ihm hinter eine der gewichtigen Säulen. Innerhalb von Sekunden stand sie mit dem Rücken an das steinerne Monument gepresst. Link lehnte sich an sie und schaute knapp neben ihrer Schulter mit seinen scharfen Augen in Richtung des Ganges aus Bankreihen, die zum Altar führten. Er fühlte Zeldas Wärme, ihr starkes Herzpochen, und ihre Atemzüge an seinem Hals. Sie zitterte vor Angst, das konnte Link nicht nur fühlen, sondern auch in ihren Augen sehen.
Er flüsterte sanft in ihr Ohr: „Ruhig...“
Sie nickte leicht, vergrub ihr Gesicht dann in seiner Schulter und schloss die Augen. Irgendjemand näherte sich... So alleine, wie sie glaubten, waren sie in Hyrule wohl doch nicht...

Einige gleißende Lichtstrahlen erhellten aus allen Richtungen die Zitadelle. Zelda wollte bereits zum Schrei ansetzen, als Link ihr den Mund zuhielt. Jene Lichtstrahlen sammelten sich in einem Punkt direkt vor dem Altar mit den drei heiligen, versilberten Steinen. Link blickte gespannt in Richtung des Altars und blockierte immer noch Zeldas Mund.

Am Altar jedoch trat eine abnorme, verhutzelte Gestalt aus dem Licht hervor. Sie trug einen langen blutroten Umhang und zeichnete sich durch schiefe Proportionen aus. Der Rücken des Geschöpfes war krumm, verzerrt. Auf der einen Seite des Buckels ragte durch den blutroten, dicken Stoff ein ekliger Knubbel hervor, während die andere normal schien. Den rechten Arm, der doppelt so lang war wie der andere, schleifte die Gestalt wie ein überflüssiges Körperglied hinter sich her, während es mit dem anderen sein Gewicht auf einem langen Holzstab abstützte. An seinen Knöcheln befanden sich Fesseln, und eine große Eisenkugel, die mit einem quietschenden Geräusch auf dem steinernen Boden der Zitadelle herumschlürfte, was darauf schlussfolgern ließ, dass dieses Monster irgendwie aus seinem Gefängnis entkommen sein musste...
Was war das für ein Ungetüm?

Auch Zelda drehte ihren Schädel fast unmerklich zur Seite, und biss Link nun in die Hand: Auf dass er es endlich schaffen möge, seine Hand von ihrem Mund zu lösen. Seine Augen wanderten überrascht zu ihren. Er verkniff sich ein Fluchen und funkelte Zelda streitsüchtig an... Sie hätte laut losgelacht, wenn ihr nicht ein wenig unheimlich zumute gewesen wäre.  
Sie beobachteten beide weiterhin das Geschehen.

Die entsetzliche Kreatur stand schließlich wie eine Statue vor dem Altar. Ihre Atmung kam unregelmäßig und flach, ebenso entstieg Rauch ihren Lungen und Link wurde das Gefühl nicht los, dass es sich hier um etwas sehr Unmenschliches handelte, ein Wesen, dass nicht wusste, was Mensch- Sein bedeutete...
Eine lange Hand, mit dünnen Fingern, verschrumpelter, trockener Haut bewegte sich zitternd auf einen der heiligen Steine zu.
Sie berührte den versteinerten Goronenopal und murmelte Worte in einer anderen Sprache, vermutlich Hylianisch. Link, entsetzt über die tiefe, kratzige Stimme des Geschöpfes, flüsterte Zelda zu: „Was sagt es?“
„Pst...“, sagte sie.
Der Goronenopal glühte kurz auf. Denselben Vorgang wiederholte das furchteinflößende Wesen mit den anderen Steinen. Dann legte sie ihre Kapuze zurück, und das Bildnis einer alten Frau mit grauem Haar und vielen Wunden im Gesicht wurde sichtbar. Auf ihrer Stirn befand sich ein Dreieck und ihre Augen, ohne Pupille oder Regenbogenhaut, waren blutunterlaufen... Blut tropfte wie Tränen ihre faltigen Wangen hinab.

Zelda machte in dem Augenblick einen Schritt zurück. Erschrocken über das Klappern von ihren Absätzen sah die Gestalt in die Richtung, wo die beiden Hylianer standen. Sie zischte... und verschwand in eben dem selben Licht, das sie ihren Weg in die Zitadelle finden ließ. Auch das Licht der Fackeln erleuchtete die Zitadelle erneut. Jene Aura einer Gestalt ohne Licht und Wahrheit im Herzen war verschwunden.

Zelda stand immer noch an die Mauer gelehnt, während Link immer noch an sie gedrängt vor ihr stand. Jetzt, da das merkwürdige Wesen verschwunden war, wurde die Situation allmählich peinlich... besonders, da er es nicht für nötig ansah, einen Schritt zurückzutreten.
„Link?“
„Ja“, murmelte er direkt in ihr Ohr.
„Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mich loslassen würdest.“
Er stotterte plötzlich: „Ähm... nein... äh... ich meine... ja... natürlich.“ Er drehte ihr verlegen den Rücken zu und sagte, nachdem er sich wieder beruhigt hatte und seine Sprache wieder fand: „So, also was genau hat dieses Ding gesagt?“
„Nun, es ist seltsam... Es sagte in etwa: ,Verflucht seiest du, Ganondorf!’ und es hat in einer sehr alten hylianischen Sprache geredet, die kaum einer kennen kann.“
„Somit ist: ,dieses Ding’ keiner von Ganons Vasallen, oder?“ Zelda drehte sich um und lief in Richtung der heiligen Steine. Sie berührte sie. Aber alles schien genauso zu sein, wie zuvor.
„Ich weiß nicht, aber möglicherweise ist es aus Ganondorfs Dämonenarmee ausgestoßen worden. Vielleicht gehörte es, so wie du sagtest, nie dazu. Ich habe keinen Plan.“ Sie machte den Eindruck, dass es ihr egal war. Und Link seufzte mit einem Kopfschütteln. Zelda benahm sich manchmal so unvorhersehbar...

„Und dennoch ist die Tatsache, dass wir in Hyrule nicht alleine sind, beunruhigend...“, setzte sie später hinzu.
„Na ja, egal... wohin gehen wir jetzt?“
„Schlag doch die Karte auf, Link. Dann verrate ich dir auch wohin wir gehen“, meinte sie und zwinkerte ihm zu. Er öffnete die Schnalle an seiner magischen, kleinen Tasche und holte die Karte heraus.
„Siehst du diesen Ort, südöstlich der Stadt Hyrule?“
„Ja, was ist das?“
„Hierbei handelt es sich um eine Farm. Deren Besitzer hat früher jeden zweiten Tag frische Milch ins Schloss geliefert. Mit seiner Kutsche hat er immer knapp drei Stunden zu der Stadt gebraucht. Das bedeutet für uns, dass wir zu Fuß gegen Abend dort ankommen werden.“
„Ist das die Lon-Lon-Farm?“
„Nein, die Farm von Malon und Talon ist wesentlich größer und liegt weiter im Osten. Diese hier existiert wohl nur, weil der Besitzer guten Umsatz in der Stadt machen konnte.“
„Und was willst du dort?“ Sie blickte ihn energisch an.
„Wir brauchen eine Unterkunft und außerdem haben wir von dort aus eine gute Orientierungsmöglichkeit. Findest du nicht?“
„Ich verlasse mich ganz auf deine Weisheit, Zelda.“
„Gut.“
„Gut“, entgegnete sie mit einem Lächeln, das Link erwiderte. In dem Augenblick hätte er sie glatt umarmen können.
Inzwischen ließen sich die großen, schweren Tore in der Zitadelle erneut öffnen und beide vertingelten sich aus dem heiligen Bauwerk, aus der Stadt, hinaus auf die märchenhafte Steppe Hyrules, die im Licht der Sonne erstrahlte.