Autor: Faylen7
Ein beschauliches Ferienlager lag mitten auf einer riesigen, saftiggrünen Wiese an einem kleinen, kristallklaren See umgeben von den herrlichen Bergen Irlands. Einige einzelne hochgewachsene Bäume, sowie hier und da ein paar Palmen, wurzelten um ein paar einstöckige Bungalows und um ein größeres Gebäude mit grauem Mauerwerk. Ganz in der Nähe befand sich ein kleineres Fischerdorf und auf einem der vielen, grasigen Hügel ragte ein altes Schloss empor, welches vermutlich bewohnt war. Link lief vergnügt auf das große Gebäude im Ferienlager zu und wollte sich anmelden.
,Endlich frei, endlich Zeit...’ Link begann zu pfeifen, als er über den spärlich gepflasterten Weg stolperte. Denn schon lange wollte er einfach mal weg von Zuhause, wollte neue Leute treffen, andere Gewohnheiten und Mentalitäten kennen lernen und interessierte sich ungemein für fremde Kulturen. Und nach Irland schien es ihn deswegen verschlagen zu haben, da hier die abenteuerlichsten Geschichten über Feen und Kobolde die Gemüter erheiterten.
Er blickte sich um und entdeckte eine Tür, auf der ein weißes Papierschild klebte: Anmeldung bitte hier, in allen möglichen Sprachen notiert.
Link trabte darauf zu, bepackt mit seinem schweren Rucksack, anderen Behältnissen mit Krimskrams und der tonnenschweren Tasche, in welcher sich seine Waffen befanden und wollte gerade klopfen, als jemand frech und fröhlich aus der Eingangstür herausgeschossen kam und ihn erbarmungslos über den Haufen rammelte. Der junge Mann mit dem grünen Cape stolperte, fiel nach hinten und die Tasche landete mit einem Krachen auf seinem Bauch. Als er aufsah, konnte er nicht glauben, dass ein kleiner Wicht ihn buchstäblich umgehauen hatte. Ein Knirps, nicht mal einmeterfünfzig groß! Link blickte verärgert drein.
„Du, pass gefälligst das nächste Mal auf, wo du hinläufst“, maulte er.
Der Knirps meinte mit einer piepsigen Kinderstimme: „Sorry, das wollte ich nicht. Wirklich nicht. Tut mir unheimlich leid.“ Er half Link beim Aufstehen.
„Also, ähm, du kannst also meine Sprache? Das ist toll“, sagte der kleine Kerl. Link musterte ihn nun eindringlich.
Der kleine Kerl hatte graue Augen, besaß braune kurzgeschorene Haare und lugte ungläubig aus einem kleinen Jugendgesicht hervor. „Ähm, mein Name ist Tommy, aber alle nennen mich nur Trolli.“
„Trolli? Eine Anspielung auf deine Tollpatschigkeit vielleicht?“, meinte Link genervt, als er sich den Dreck von seiner blassblauen Jeans wischte.
„Sorry noch mal, das war wirklich nicht meine Absicht.“
„Na gut, kannst mit deinen Entschuldigungen wieder aufhören. Link Bravery.“ Und der junge, einstige Hylianer reichte ihm eine begrüßende Hand.
„Link? Komischer Name... bist wohl... ähm?“ Trolli beendete seinen Satz nicht, als der junge Held ihm einen bitterbösen Blick zu warf. So an sich gefiel ihm sein Name ja, aber er hatte genug durchgemacht, allein der Tatsache verschuldet, dass er nun mal Link war.
Link, ein Jugendlicher mit einem außergewöhnlichen Schicksal und einer gigantischen Verantwortung auf den jungen Schultern.
„Äh, man sieht sich.“ Dann hüpfte Trolli in Richtung eines Mietwagens, wo eine hochnäsig wirkende Dame mit großer, orangefarbener Brille am Steuer saß.
Der Held, von dessen wahrem Ich niemand wusste, trat dann in das Gebäude und sah eine eigenwillige, rothaarige Frau hinter einem winzigen Räumchen mit Guckloch sitzen. Lässig ging Link mit seinen zwei Reisetaschen direkt auf die junge Frau zu, die sein Kommen nicht bemerkte und mit ihrem Kopf auf und ab wackelte, wohl als Begleitung des Rhythmus’ des Liedes, welches aus ihren Ohrstöpseln dröhnte. Und so jemand machte die Anmeldung, dachte Link. Jemand, der in seinem Job nichts Besseres zu tun hatte, als Musik zu hören. Link lehnte sich gelangweilt an das Guckloch und blickte die in ihre Gedanken versunkene junge Dame an, sich fragend, wann diese sich endlich aus ihrer selbstherbeigeführten Hypnose reißen lassen würde. Link räusperte sich. Nichts geschah. Erst als Link ein lautes Hallo über seine Lippen brachte, sah die Dame erschrocken auf und fiel beinahe rückwärts von ihrem Stuhl herunter. Sie machte große Augen, als sie den attraktiven Jugendlichen vor ihr bewunderte.
„Ja, bitte?“, sagte sie nuschelnd und versuchte es mit einem Zwinkern.
„Hi, ich wollte mich lediglich anmelden“, sagte Links einprägsame Stimme wie von selbst. Die Dame hinter dem gläsernen Guckloch zog die Augenbrauen nach oben.
„Du möchtest ins Camp?“
„Jep, ist das ein Problem?“
„Nein, aber bist du denn nicht ein wenig zu...“ Sie lächelte so, als wollte sie ihn am liebsten gleich verspeisen. „... zu alt dafür?“ Link kratzte sich verwirrt am Kopf. „Das Camp ist doch nicht für Kleinkinder“, sagte Link und reichte der merkwürdigen Frau die Kopie seiner Internetanmeldung. Sie sah einsichtig auf die Papiere und schien ein wenig enttäuscht zu sein. „Stimmt was nicht?“, sagte Link und blickte unschuldig grinsend drein. Etwas, was ihn bei vielen jungen Damen in prekäre Situationen brachte und was er lieber lernen sollte zu unterlassen...
Sie schmunzelte dann und erwiderte: „Oh, ich hätte dich wohl für älter gehalten“, erwiderte sie mit einem leichten Akzent, der hier in der Grafschaft Kerry üblich war. Sie wies auf eine andere Tür. „Folge der Tür dort“, sagte sie nuschelnd. Schnell setzte Link seine Beine in Bewegung und hörte hinter sich ein schmachtendes Kichern, gemixt mit einem unverbesserlichen: „Schau’ doch mal wieder vorbei...“ Link spürte ihre Blicke in seinem Genick, ließ sich aber nicht auf einen Flirt ein... Denn Link hatte schon immer nur Augen für eine, war wohl ein Gentleman der alten Schule und daher nicht durch die süßeste Verführung zu beeindrucken...
Gelassen klopfte er an einer weiteren unauffälligen Holztür. Er wurde hereingebeten und blickte in die Augen eines älteren Herren, der ernst von seinem Platz aus hervorsah. Er sah Link neugierig an, so als hatte er seine Ankunft erwartet, als wüsste er, was sich hinter dem jugendlichen, ernsten Gesicht des Jugendlichen verbarg.
Derweil blickte sich der gewandte Kämpfer erstaunt in dem kleinen Raum um. An beiden Wänden standen hohe, kastanienbraune Bücherregale und in der Mitte ein kupferbrauner, alter Schreibtisch, hinter dem der Mann auf ein Paar weißen Zetteln herumkritzelte.
„Hallo, du musst Link sein.“
„Jawohl, bin ich wahrscheinlich.“
„Nimm’ bitte Platz.“ Und der alte Mann deutete vielversprechend auf den einfachen Holzstuhl vor seinem ungewöhnlich breiten Schreibtisch.
Link setzte sich und schaute sich noch einmal genau um. Auf den Regalen standen noch andere Gegenstände als Bücher mit alten Lederumschlägen. Reihenweise alte Artefakte, zum Beispiel ein selbstgebasteltes Schiff in einer Flasche, benutzte Kerzen, zusammengerollte Karten, ein Globus und andere fast mystische Gegenstände. Link fand den Raum hochgradig interessant. Die tiefe, ein wenig kratzige Stimme seines Gegenübers ertönte und Link sah den breitschultrigen, gut gebauten, grauhaarigen Mann genau an. Erst jetzt bemerkte der Jugendliche die seltsame Kleidung, die er trug und die leuchtend blauen Augen, die daraus hervorsahen. Eine schöne Farbe, die ihn an jemanden erinnerte. Eine sehr angenehme Farbe.
Der Mann stand auf, lief an das rechte Bücherregal und nahm ein verschmutztes Formular daraus hervor. Er trug einen tiefroten Mantel, welcher ein wenig auf dem Boden schleifte.
„Sagen Sie, Mister, wer sind sie eigentlich?“
„Oh... hab’ mich gar nicht vorgestellt, aber egal... meinen Namen merkst du dir doch sowieso nicht. Du bist ja auch gleich fertig. Hier bitte schön.“
Und der Typ reichte ihm einige Papiere.
Komischer Vogel, dachte Link. Dieser Kerl verheimlichte mit Sicherheit einiges, schien die Lösung zu tiefen Rätseln in sich zu tragen und verbarg eine merkwürdige Weisheit in seinem fünfzigjährigen Gesicht. Selbst wenn er sich freundlich gegenüber Link verhielt und in dessen Sprache redete. Irgendetwas Geheimnisumwittertes begleitete jeden Schritt, den der alte Mann unternahm.
Link trat in seine Gedanken versunken aus dem Zimmer heraus und kam ins Grübeln. Diese schöne Augenfarbe war ihm so vertraut und doch konnte er sich im Augenblick keinen Reim daraus machen.
Nachdenklich machte sich auf den Weg den Bungalow aufzusuchen, in dem er heute übernachten würde.
Die glühende, die Augen gefährlich blendende, Abendsonne ging in langsamem Takt am Horizont unter. Link war fasziniert von der Schönheit der märchenhaften Natur und dem warmroten Schein der alten Sonne, welcher über den stillen Hügeln lag. Erinnerung, denn in Hyrule besaß die Natur genauso wie hier diese faszinierende, lebendige Schönheit.
Er würde, sobald er seine Sachen in seinem Zimmer verstaut hatte, ein wenig die Gegend erkunden...
Der junge Held öffnete eine mit graublauer Farbe bemalte Tür in das kleine einstöckige Haus. Ob seine Zimmergenossen schon hier waren? Link sah sich um, als er in einen kleinen leeren Gang trat, hörte seine Straßenschuhe auf dem steinernen Boden. Der Bungalow hatte rechts ein etwas größeres Zimmer zum Aufenthalt mit zwei breiten Kleiderschränken, einem eckigen Tisch mit abgeschürften Kanten, drei Holzstühlen und einem möglicherweise defekten Fernseher. Links befand sich ein durchaus geräumiges Bad, mit Dusche, und außerdem noch eine Kochgelegenheit. Am Ende des Ganges war eine weitere Holztür. Link öffnete sie und hätte sie am liebsten gleich wieder zugeschlagen.
Der Trottel von vorhin guckte belämmert auf, als er seinen mit rosa Blümchen überzogenen blauen Koffer ausräumte und sah ihn scherzhaft lächelnd an.
„So sieht man sich wieder, wie war gleich noch mal dein Name? Trolli?“
„Richtig.“
„Na dann, kannst dich ja gleich noch mal entschuldigen.“ Link grinste. Der kleine Wicht sagte nichts dazu und beäugte den Helden nun genau. Eine seltsame Wirkung schien Link auf die Menschen seiner Umgebung zu haben. Selbst hier in Irland, an einen so unberührten Fleckchen Erde. Auch Tommy spürte sofort etwas Gigantisches, etwas beinahe Gefährliches und doch Freundliches, das von Link ausging. Vielleicht war es seine reine Aura oder eben seine fabulöse Ungewöhnlichkeit.
Link stellte seine Tasche und den dunkelgrünen Rucksack auf das Bett ganz links neben dem Fenster. Ein nostalgischer, ernster Blick schweifte hinaus zu den grünen Hügeln. Ein kurzer Gedanke an das alte Hyrule wollte aufkommen. Aber der andere Mitbewohner riss ihn aus seinen Gedanken.
„Du kannst auch das Bett hier haben, wenn du willst“, meinte Tommy und deutete auf jenes gleich neben der Tür, wo er seine gesamten Sachen verstreut hatte.
„Nein, ist okay. Ich finde das neben dem Fenster sowieso schöner“, sagte er.
„Wie du meinst“, erwiderte der kleine Wicht, der obwohl er eine so winzige Statur hatte und immerhin dreißig Zentimeter kleiner war als Link, dennoch der Oberstufe eines Gymnasiums angehörte.
„War denn der andere Mitbewohner schon da?“, murmelte Link und lud ebenso seine Taschen aus, wollte seine Sachen mit einem Mal aus den Behältnissen herausschmeißen, als ihm aber einfiel, dass er ein sehr scharfes Schwert mit sich führte. Nur kurz erinnerte er sich an die Passkontrolle. Bei den Göttinnen war er dankbar, dass er sich ohne Aufsehen zu erregen durch die Kontrolle durchgemogelt hatte. Niemand hatte das Schwert in seinem Gepäck bemerkt und niemand hatte etwas gesagt. Manchmal, so nahm Link an, hatte er einfach zu viel Glück...
Also räumte Link die Taschen lieber mitsamt Inhalt in den Schrank und er sparte sich das dumme, langweilige Sortieren.
„Nööö, kein weiterer Mitbewohner“, meinte Trolli. „Vielleicht kommt auch keiner weiter.“
„Vielleicht“, entgegnete Link und schien schon wieder in seinen Gedanken zu versinken. Er wirkte abwesend, als sich sein Blick gen Fenster und schließlich zu den grünen Hügeln senkte.
„Was hat dich eigentlich hierher verschlagen?“, begann der junge Held, pflanzte sich auf sein Bett und streckte sich nach Liebeslaune. Tommy hüpfte zu Link hinüber und steckte seine Hände in ein Paar blaue Hosentaschen. „Ich wollte mal einige Wochen Ruhe vor meiner Mutter“, sagte er. Allein dieser Satz schien zu erahnen, wie herzlich der arme Kerl doch bemuttert wurde. Link sah neugierig auf. „Das kenne ich. Auch ich habe eine sehr fürsorgliche Mutter.“ Der junge Held lachte kurz auf und erinnerte sich an die quetschende Umarmung seiner Mutter, als er sich verabschiedete.
„Bist du auch deswegen hier? Ich meine, weil du mal weg von daheim wolltest?“
„Nein... eigentlich bin ich nur hier, um mir einigen Dingen klar zu werden...“ Trollis verwirrter Blick sprach Bände. „Aber das kann man doch auch zuhause“, setzte Trolli hinzu. „Ich meine Nachdenken.“
„Sicher, wenn das Leben noch normal verläuft. Aber bei mir ist das ein wenig anders“, meinte Link und hüpfte auf seine Beine, ignorierte das fragende Gesicht des anderen Jugendlichen und kramte schnell in seinen Taschen herum.
Der blonde Schönling, denn Link war mit großer Wahrscheinlichkeit einer, besonders, wenn es um seine Prinzessin ging, durchwühlte dann genervt seinen Rucksack nach einem bestimmten Gegenstand und fand ihn auch. Seine weiße barocke Okarina hatte er ebenso mitgenommen. Sein Lieblingsinstrument durfte nun wirklich nicht fehlen. Dann tapste Link aus dem Zimmer, während Trolli große Augen wegen des Instrumentes machte.
„Ich gehe noch ein wenig spazieren. Man sieht sich.“ Mit einem Satz war Link auch schon verschwunden, wie als könne er in Windeseile an anderen Orten erscheinen...
Gedankenverloren lief Link in Richtung des Sees mit dem kristallklaren Wasser. Ein kleiner alter Weg erinnerte ihn an die Wege in seinen Träumen. Er rannte mit einem mal, genoss den Wind, der ihm ins Gesicht blies und fühlte sich genau so, wie er sich schon immer fühlen wollte- frei. Wie schön ruhig es hier war und er konnte das erste Mal seit langem sein Leben wieder auskosten.
An dem tiefen See blieb er stehen. Nur ansatzweise konnte man dunkles Vulkangestein an den Hängen vermuten, welches von sich schäumenden Wasserwogen umspült wurde.
Das Licht der alten Burg auf dem Hügel warf seinen Schein besinnlich auf das klare Wasser des Sees. Link hatte recht behalten, in diesem Schloss lebte wahrhaftig jemand.
Der Siebzehnjährige setzte sich dann an den Rand des Sees und spiele ein wenig Okarina. Die dumpfen Töne der Flöte schallten leise durch die Luft, über die grünen satten Wiesen.
Erinnerung, schallte es durch seinen Kopf. Erinnerung, ein nun so bedeutsames Wort in Links Welt. Erinnerung...
Und während er so spielte, bildeten sich kleine Erinnerungsfetzen in seinen Gedankengängen. Geschehnisse und an sie geknüpfte unsterbliche Bilder eines früheren Lebens. Und doch würden jene Bilder nicht in seinem Gedächtnis verweilen.
Die Nacht lag über der alten Welt Hyrules. Unbezwingbare, kalte Nacht, so wie sie in den alten Geschichten von dunklen Kreaturen immer lobgepriesen wurde. Eine Geburtstätte und ein Grab für das Böse, dann, wenn die letzten Lichtstrahlen dennoch die Kraft fanden, das Dunkel zu verscheuchen, zu bezwingen.
Der erwachsene Held der Zeit hatte vor wenigen Sekunden den vernichtenden Schlag gegen seinen Erzfeind Ganondorf ausgeführt. Nur ein Moment der Stille folgte, wo die Sieben Weisen unter der Führung Zeldas das Böse in das Reich schickten, wo das herrschte, was das Böse selbst war: in das uralte, die Seele zerfetzende Reich der Hölle.
Ganon wurde besiegt von den Händen eines Helden... sein Heer der Finsternis zerstoßen von den letzten tapferen Kriegerin Hyrules.
Nur Flüche waren es, die er aussprach. Seine schreienden Worte geführt von Hass und Rache, bis es nur noch ein Flüstern war, welches die Ohren belästigte. Bis das Flüstern endgültig dem Nichts untertänig sein sollte.
Blutüberströmt, mit Kratzern, triefenden Schnittwunden, blauen Flecken, aber dennoch erleichtert brach Link auf seine Knie und schien wie verzaubert von den leichten Lichtstrahlen, die eine wunderbare Sonne, ein gigantischer Feuerball am Himmel, zur Erdoberfläche schickte. Sieben Jahre war es her, dass die wärmenden Strahlen der alten Sonne durch die dichte, blutrote Wolkendecke fanden. Sieben lange Jahre einer brutalen Schreckensherrschaft, welche sich jetzt dem Ende zuneigte.
Es war vorbei. Endgültig vorbei. Der letzte Kampf gegen den Großmeister des Bösen war entschieden.
Sehnsüchtig blickten Links tiefblaue Augen, die doch die Augen eines elfjährigen Kindes waren, in den himmelblauen Horizont, wo die weißesten Wolken wie seidene Schleier vorüberzogen. Ein kostbarer Moment für Link. Der kostbarste Moment für das gesamte Volk Hyrules. Ein magischer Moment, der in die Geschichte eingehen würde.
Links Augen tränten leicht von dem hellen Sonnenlicht, das ihn blendete und als Folge der Schmerzen einer scharfen Teufelsklinge, die sich während des grausamen Kampfes vor wenigen Minuten ständig in seine Haut gesenkt hatte. Und doch war es vorbei. Endgültig vorbei...
Schmerzhaft kniff der junge Held seine Augen zu und begann wie ein Kind zu lachen, lachte, weil er es lange nicht mehr so genossen hatte, seine Stimme auf diese Weise spielen zu lassen. Er lachte, weil es vorher nie einen Grund dazu gab. Und vielleicht lachte er auch ein wenig über sich selbst, da er es geschafft hatte, den Kampf überlebt hatte und lachte als ein Versuch die Schmerzen des größten Kampfes auszumerzen.
Er stützte seine Arme auf dem Erdboden ab, während ein kleiner Blutstrom von seiner Stirn über sein Gesicht lief und spürte erstmals, wie fertig sich sein Körper anfühlte. Seine Arme und Beine hörten nicht mehr auf ihn, sie wollten wohl im Moment nichts sehnlicher als ein Bett, in dem sie tagelang schlafen konnten. Doch Links Geist war hellwach. Wie konnte eine Seele auch schlafen bei dem Wunderwerk einer so faszinierenden Sonne am strahlend blauen Himmel?
In dem Moment vernahmen seine spitzen Hylianerohren sanfte, unregelmäßige Schritte, die sich ihm annäherten und schließlich stand im Lichte der heiligen Sonne jemand vor ihm, der sich nur geringfügig von dem hellen, blendenden Tageslicht abhob. Link brauchte eine Weile seinen Kopf anzuheben und wusste doch, dass es nur die liebliche Zelda sein konnte, die sich sofort zu ihm auf die beanspruchten Knie sinken ließ.
Sie suchte seinen tapferen, grinsenden Blick, lächelte selbst so wie noch nie in den harten Tagen ihres Lebens und musste schließlich ebenso lachen.
Neben dem Sonnenlicht war es Zeldas Gestalt, die Link in dem Augenblick wertvoll und unbezahlbar schön erschien. Ihre langen, goldenen Haare waren zerzaust. Das feine, aus edlem Stoff bestehende Gewand um ihre schlanke Gestalt war an einigen Stellen zerrissen.
Und doch war seine Prinzessin schön, wunderschön...
„Es ist vorbei...“, murmelte sie und wischte sich eine Freudenträne aus den Augenwinkeln.
Link nickte bloß und träumte so wie schon lange nicht mehr in den Augen der Prinzessin Hyrules, die ihm so viel sagen wollten. Eine weitere Freudenträne lief über Zeldas rechte verdreckte zartrosa Wange. Es war das erste, was Links tränende, verschwommene Augen wiedererkannten. Etwas Wertvolles. Eine Träne, die jene Prinzessin für ihr geliebtes Land vergoss. Er fing die kleine Träne auf und spürte im selben Augenblick ein Seidentaschentuch an seiner Stirn, welches das halbgetrocknete Blut auffangen wollte.
„Du siehst übel aus, mein Held...“, sagte sie lachend und wischte sanft über seine aufgeschürfte Stirn. Sofort bewegten sich seine Lippen zu einem tollen, gemeinen Grinsen.
„Und du bist total verdreckt, liebe Zelda, ganz und gar nicht standesgemäß.“ Denn er wusste, sie hasste das letzte Wort, auch wenn sie es dauernd in den Mund nehmen musste. Sein kindliches, elfjähriges Herz schien in dem Moment wieder zum Vorschein zu kommen.
„Kannst du aufstehen?“, meinte sie und reichte ihm ihre leicht aufgeschürften Hände. Ein Überbleibsel der Flucht aus dem brennenden Teufelsturm.
Aber Link hatte jetzt keineswegs die Kraft und Regung dazu und schüttelte banal den Kopf. Er gähnte herzhaft.
„Wenn es hier auf der puren grünen Wiese nicht so unbequem wäre, würde ich auf der Stelle einschlafen...“, brachte seine trockene Kehle hervor. Zelda kicherte und legte sich eine Hand vor ihren Mund. „Und wenn ich dir helfe?“ Zelda zwinkerte und ließ sich wieder zu ihm auf die Knie sinken.
„Keine Chance“, meinte er und belustigte sich an Zeldas eingeschnappter Miene. Aber Link hatte vergessen, dass er sich mit einer sehr raffinierten, starken Prinzessin, die sich selbst sehr gut wehren konnte, anlegte. Ihre kristallblauen Augen formten sich zu katzenartigen Schlitzen und sie rümpfte ihre Nase beleidigt. Sie trat näher und gab dem ohnehin kränkelnden, mit den Nerven blankliegendem Helden einen gewaltigen Klaps auf den Deckel. Nur dieser eher harmlose Stoß reichte aus und Link lag murrend mit dem Gesicht auf dem grasigen Boden, in dem das Leben langsam zurückkehrte. „Immer ich...“, quakte er durch grüne Grashalme hindurch, während seine Ohren das irrsinnige, ihn verrückt- machende Lachen der Prinzessin vernahmen. Ihr Lachen war so angenehm, so beruhigend...
Ohne Vorwarnung fand sich Links Kopf in ihrem Schoß. Überrascht, beschämt, aber auch erfreut über diese liebenswürdige Geste blickten die tiefblauen Augen des Helden in jene der Prinzessin. Doch Zelda sagte nichts, lächelte nur und streichelte beruhigend über sein Gesicht und durch die goldblonden Haarsträhnen, die in seine unwiderstehlichen Augen baumelten.
„Ich möchte dir danken... mein Held der Zeit.“ Doch dieser schloss seine Augen und genoss die Nähe seiner Seelenverwandten.
„Im Namen des ganzen Volkes, Link“, sagte sie. „Du hast unserem Hyrule den Frieden zurückgegeben. Du hast das vollbracht, was niemand gewagt hätte. Hab’ Dank...“, und ihre Worte wurden immer leiser, denn es gab noch etwas, was sie ihm sagen musste und es wäre alles andere als einfach für sie...
„Tja... passiert ist passiert, nicht wahr?“, meinte er schmunzelnd und konnte nicht anders, als jetzt, da es vorüber war, einen Witz aus dem gesamten Chaos und den Hürden der letzten Wochen und Monate zu machen. Zelda grinste ihn tückisch an, als er seine Augen wieder öffnete.
„Du bist unverbesserlich, Link. Und ein großer Quacksalber obendrein.“
„Bemerkst du das jetzt erst? Welch’ Schande...“ Leicht entzürnt näherte sich Zelda den Augen des im Moment schwächlichen Helden in ihrem Schoß. „Glaubst du nicht, dass du in deinem Zustand lieber deine gefährliche Klappe halten solltest, du...“ Link sah sie herausfordernd und neugierig an und wartete belustigt auf ein Schimpfwort. „...du Grünschnabel.“
„Ach, Zeldaschatz, fällt dir nichts Besseres ein? Das kann die Prinzessin des Schicksals doch besser, oder?“
„Hornochse!“, murrte sie.
„Schon besser. Aber nicht gut genug.“ Zeldas Augen wanderten ans Himmelszelt und dort schien sie endlich eine entsprechende Beleidigung zu finden, welche Link aus dem Konzept bringen würde.
„Weiberheld!“ Links Mund klappte entgeistert auf. Gerade damit hatte er nun wahrlich nicht gerechnet. Zelda hatte ihn mundtot gestellt. Etwas, was nur sie schaffte und niemand sonst...
Verlegen richtete er sich endlich auf und führte eine Hand an das mit Staub belegte Kinn der einzigartigen Hylianerin ihm gegenüber.
„Zelda...“, flüsterte er dann verträumt. Und plötzlich verschwand die lustige Stimmung zwischen ihnen ein wenig. Seine linke Hand ergriff ihre rechte, wo sich genauso wie bei ihm ein Triforcefragment verbarg und des öfteren zu pulsieren begann. Ihre Hände verhakten sich ineinander und doch ahnte auch Link, dass jener Moment nicht ewig halten würde. Genug, sagte Links inneres Gefühlschaos der letzten Minuten. Vom empfindungslosen Kampf zur überschäumenden Freude, war er nun an einem Punkt angelangt, wo sich eine ganz andere Seite seines Bewusstsein eröffnete. Zärtlichkeit und Zuneigung nahmen ihn nun ein.
Ohne weitere Worte drückte er Zelda an sich, fühlte ihre Wärme als eine unglaubliche Wonne, spürte ihren warmen Atem an seinem Hals und hörte sogar ihren schnellenden Herzschlag. Sie erwiderte die Umarmung und drückte sehnsüchtig ihre Wange an seine. Gerade da merkte Link, wie sich eine silbernschillernde Träne über Zeldas Wange abzeichnete. Er fühlte das warme Wasser an seiner eigenen Wange. Und es sagte ihm, dass der Kampf im Grunde genommen niemals vorbei sein würde und dass mit diesem Kampf mehr als nur ein Krieg enden würde...
Einige Minuten später half Zelda ihrem kaputten Helden doch noch auf die Beine und sie standen stillschweigend nebeneinander, starrten in das märchenhafte, seit sieben Jahren endlich blühende Tal vor ihren Augen. Innerhalb von Sekunden wurde das ausgetrocknete Gras auf Hyrules Steppe wieder lebendig, wurde grün und saftig, begann zu atmen. Und viele Blumen blühten, dort, wo sieben Jahre lang nichts mehr blühen durfte. Vom Osten her zogen viele, viele Punkte gen Norden. Hylianer, Zoras, Goronen, selbst Kokiri, die den Wald nur an diesem Tage einmal verlassen durften. Und es waren viele Lichter, die diesen Tag in Ehren halten würden. Der Tag nach sieben, unheilvollen Jahren, wo die Völker Hyrules im bitterem Zeitkrieg gefangen waren. Jener Tag würde ab heute immer eine Erinnerung wert sein. Feste würde gefeiert werden, um die alten Legenden der Helden Hyrules zu hüten. Ganz Hyrule feierte, tobte sich aus und lobte den Frieden, der endlich wieder in das alte Land eingekehrt war...
Nur zwei Seelen beteiligten sich nicht an dem Fest. Diejenigen, deren Taten das Unmögliche vollbracht hatten, den Fürsten des Schreckens zu stürzen. Sie beide standen einfach nur auf einem der grünen Hügel, sahen die Lichter ziehen und wussten doch, dass sie beide nie bekommen würde, was sich ihre sehnenden Herzen wünschten.
„Wir haben getan, was wir tun mussten und jetzt...“, meinte Link, der seine wunderschöne Prinzessin vor ihm nicht anblicken konnte. Erfüllt mit einem traurigen Blick drehte sie sich zu ihm um und wünschte sich innerlich, das Schicksal wäre nicht so grausam, dass es diesen Moment enden lassen würde. Aber sie musste ihre Pflicht tun. Es gab noch eine Aufgabe, die Prinzessin Zelda erfüllen musste, ob sie nun wollte oder nicht.
„... jetzt... ist es an der Zeit...“, zitterte ihre glockenhelle Stimme.
Dann wurden ihre Augen kühl und leblos und das vorher verträumte Gefühl darin verschwand.
„Ja, wir werden Hyrule wieder aufbauen“, sagte Link zuversichtlich. Denn noch hatte er Zeldas unglückliches Gesicht nicht als das erkannt, was es war. Eine Geste des Abschieds...
Anmutig drehte sich Zelda beherrscht und zurückweisend zur Seite und schloss die Augen.
„Gib’ mir die Okarina der Zeit, Link.“, sagte sie standhafter, bemüht eine unechte Stärke nach außen aufrecht zu erhalten. Er wich zurück und schien verwirrt, was sie nun vorhatte. Er schritt leise durch das raschelnde Gras auf sie zu und zog ihr Gesicht zu ihm heran, wollte in ihren Augen sehen, was sie dachte, was es war, das sie empfand. Der Moment sprach ungesagte Worte. Ihre Augen logen...
„Ich habe eine letzte Pflicht als siebte Weise, Link...“, meinte sie und sprach die Worte als wären sie abgedroschen...
„Ich muss das Tor zwischen den Zeiten schließen. Das ist meine Pflicht als siebte Weise.“
Link schüttelte den Kopf und wollte das einfach nicht verstehen. Das hitzköpfige Kind in ihm begann zu schreien. Er wollte nicht wahrhaben, was Zelda ihm versuchte mitzuteilen.
„Bitte Link. Mach’ es nicht schwerer, als es ist.“
„Nein!“, sagte er stur. „Ich will nicht zurück. Hast du eine Ahnung, was du mir damit antust!“, fauchte er sauer. „Ich kann nicht mehr Kind sein. Ich bin kein Kind mehr!“ Seine tiefblauen Augen blitzten in dem Moment auf, als wären sie blanker Stahl. Zelda schaute trübsinnig zu Boden und eine Träne fiel von ihren kristallblauen Augen. „Glaubst du, das wüsste ich nicht?“ Und Link schwieg. Natürlich wusste sie es. Natürlich wusste er es... seine Zeit in der Zukunft war abgelaufen. Der Betrug der Zeit musste nun wieder rückgängig gemacht werden...
Und trotzdem weigerte er sich stur gegen eine Rückkehr in die Vergangenheit. Wie sollte er leben mit all den Ereignissen in der Zukunft? Wie konnte er ein Kind sein mit dem Wissen, mit dem Verlust der unschuldigen Kindseite, mit dem Tod des kindlichen Herzens, welches starb, als er das erste Mal tötete? Wie sollte er weiterleben, wenn sein Herz sich erinnern würde?
Er ballte seine Fäuste und sah ablehnend zu Boden.
„Bitte gib’ mir die Okarina der Zeit. Und kehre zurück in eine Welt abseits dieser...“ Sie reichte ihm ihre Hand und setzte ruhig hinzu: „Geh zurück in deine Welt, dorthin, wo du sein solltest, als der, als der du aufwuchst.“
„Schön“, sagte er kalt. Und jegliche Wärme in seinen Augen erlosch bei diesem Wort. „Das ist also alles, was ich verdient habe. Schön.“ Er legte die blauschimmernde Okarina in Zeldas Handinnenfläche und sah dann die gesamte Zeit zu Boden, wartete darauf, dass Zelda tat, was ihr bestimmt war.
,Link... es tut mir leid’, meinte sie leise in ihre Gedanken. Denn sie schämte sich dafür jene Worte auszusprechen. Hatten diese denn noch einen Wert?
Einige Sekunden verstrichen, in denen Zelda nichts anderes tat, als den Helden der Zeit anzusehen. Auch, wenn jener stur und schweigsam zu Boden blickte. Als eine Wolke sich kurz vor die Sonne schob und Hyrule in einen grauen Schatten hüllte, platzte in Zeldas Innerem endlich der Knoten. Weinend stürmte sie in Links Arme, hielt sich fest und suchte Hoffnung, ihn irgendwann wieder zu sehen. Die Hoffnung, er würde ihr für die Grausamkeit vergeben, dass sie handeln musste, was in der Pflicht des Siebten Weisen stand... Hin und Her gerissen zwischen Wut und Zuneigung stand der junge Held da, fühlte sich unbeholfen und dumm, dass er den Abschied voneinander nicht akzeptieren konnte.
„Verzeih’ mir...“, sagte sie leise, drückte einen Kuss auf eine seiner Wangen und löste sich wieder aus seinen Armen.
Ein trauriges Lächeln spiegelte sich vor ihr und erneut sah Link sie an, wischte die Wut beiseite. „Ich vergesse dich nicht...“, sagte er gedämpft. Das erste Mal, dass er Gefühle für Zelda in Worte formen konnte.
Im nächsten Augenblick schallten leise Okarinaklänge über die grünen Hügel und ein blauschimmernder Kristall umhüllte seine Seele langsam, legte sich über die Haut wie eine Schicht aus flüssigem Wachs und trug den Helden der Zeit langsam hinfort.
Link schaute zurück zu Zelda, sah sie weinen und doch lächeln. Und es geschah in dem Augenblick, dass er sein Lächeln ebenso wiederfand. Von weit oben, noch bevor der Kristall endgültig in den Schwingen des Zeitgebildes verschwand, rief er erheiternd hinab: „Bis gleich, Zelda.“
Und es dauerte nicht lange, da wurden seine Worte Wirklichkeit. Ein kleiner Knabe mit blondem Haar und grünen Gewändern schlich durch die himmlischen Gärten des Königshauses und war doch nur hier um ein Versprechen zu erfüllen. Eine kindliche Prinzessin stand vor einem Fenster, spürte seine Aura, fühlte sein aufgeregtes Herz und hörte das Stiefelgeklapper. Mit einem begrüßenden Lächeln drehte sie sich um und hatte doch nicht nur einen Freund vor ihr, den sie schätze. Nein, sie hatte einen Seelenverwandten vor sich. Mehr als einen Freund und vielleicht war es sogar Liebe, die sie beide verband. Glücklich rannte sie näher und zog den perplexen Helden in eine kindliche Umarmung. Kinderlachen schallte durch das Schloss. Schrilles Gelächter zweier hylianischer Seelen...
Es war eine Erinnerung an altes, unvergessliches Glück. Eine Erinnerung an gestern, nicht mehr...
Link schüttelte den Kopf, wusste nicht, was gerade in den letzten Minuten geschehen war, welche wichtigen Ereignisse sich in seinen Kopf bahnten, denn es sollte einfach nicht sein...
Auch wenn es schön war ein wenig zu entspannen, langsam packte ihn die Sehnsucht. Ob es wirklich richtig gewesen war, den Sommer hier zu verbringen? Ihm kamen Zweifel, ob er nicht vielleicht doch lieber zu Hause geblieben wäre, um auf Zelda Acht zu geben, sie zu beschützen. Ein kurzer Gedanke an sie, nur ein Gedanke, nicht mehr.
Mit einem Sprung war Link auf den Beinen und tapste durch die kühle Dunkelheit der Nacht, in Richtung des verworrenen Schlosses, welches ihn nahezu magisch anzog. Er schlich näher, selbst überrascht, was ihn dazu veranlasste hier herumzuschnüffeln.
Kurz vor der alten Burg lief er auf Zehenspitzen darum herum, schlich durch den gepflegten Garten, kletterte an einer eisernen Umwallung hinauf und sprang sich umblickend auf der anderen Seite hinunter. Eine große alte Pforte zog seine Aufmerksamkeit auf sich, denn dahinter konnte er deutlich Stimmen vernehmen, auch wenn nur undeutlich. Tiefe, verärgerte Stimmen.
Plötzlich waren da noch andere Geräusche. Link lauschte gespannt. Tap. Tap. Schritte. Die große, dunkle Pforte wurde geöffnet. Schleunigst hechtete der junge Held zur Seite und blickte neugierig durch die Dunkelheit, versteckte sich in dem Schatten, den die Burg hinterließ, verborgen in dem tiefsten Element der Nacht wartete er auf die Preisgabe alter Wahrheiten und unergründlicher Rätsel.
Eine Gestalt, in etwas Links Größe, schlank, trat aus dem Gebäude. Sie lief murrend um das bemerkenswerte Schloss herum und schlich in Richtung eines kleinen, heruntergekommenen Schuppens.
Wissbegierigkeit gehörte nun mal zu Links Seele. Also folgte er klammheimlich dem Wesen. Die Augen des jungen Helds glühten ein wenig in der Dunkelheit, als er leise beobachtete, was die Gestalt tat. Die verwickelte Tür jener Hütte verschluckte die Gestalt fast vollständig. Einige brütende Sekunden vergingen, in dem knackende Laute aus der Hütte dröhnten. Link überlegte, ob er nicht verschwinden sollte. Was tat er hier überhaupt? Er konnte nun seinen schneller werdenden Herzschlag spüren. Sein Atem wurde ebenso ein wenig rasender. Seltsam, selten, dass er so aufgeregt war...
Womit hing aber seine plötzliche Anspannung zusammen? Hatte seine Aufregung überhaupt einen Sinn?
Die Person, bei der es sich vermutlich um eine männliche handelte, kam zurück aus dem heruntergekommenen Holzschuppen, doch er hatte nun etwas in seinen Händen. Zwei kurze Messer blitzten in der Dunkelheit hervor. Wie wild geworden schwang er die Waffen in seinen Händen und Link war beeindruckt von dieser Kampftechnik. Interessiert sah er zu, verborgen in der Dunkelheit, sah die Klingen sich im Mondlicht reflektieren.
Die Gestalt warf eine der Waffen grob und doch zielgenau in eine der morschen Holzpaletten der Hütte und übte nur mit einer.
Er zog stürmisch Kreise mit dem Kampfmesser in die Luft, schien sich abzureagieren und Link konnte die Klinge sogar die Luft zerschneiden hören. Dann wirbelte er mit dem scharfen Messer herum, machte einen großen Satz nach hinten und drehte elegant einen Rückwärtssalto. Ein sehr beweglicher Kerl, dachte Link.
Von innerhalb der Burg ertönten die Klänge eines leicht misstönenden Cembalos. Die Stimme der kämpfenden Gestalt erklang das erste Mal.
„Ah, er spielt schon wieder- unsere nostalgische Hoheit. Wie selbstzerstörerisch...“ Eine eigenartige Stimme, nicht typisch für einen Jungen, aber auch keineswegs zutreffend für ein Mädchen.
Die Person schaute nun markant in Links Richtung, fixierte ihn, durchschaute ihn vielleicht sogar. Hatte er ihn etwa wirklich bemerkt... unmöglich, aber er sah immer noch direkt in Links ernstes Gesicht.
Ergriffen von Hast und einer leichten Reue fremdes Grundstück betreten zu haben, drehte sich der Heroe um und ging schnellen Schrittes in Richtung der wenigen Bäume, die hier herum standen. Dann kletterte er über den Zaun, seinen Weg in Richtung des Feriencamps fortsetzend.
Als Link gegen zehn Uhr in sein Zimmer trat, wäre er vor Wut über sich selbst beinahe ausgerastet. Er kramte in seinen Taschen herum, durchwühlte seine Fächer. Wutschnaubend trat er gegen einen Schrank, der in sich zusammenfiel.
„Verdammt!“ Link konnte es nicht fassen, aber er hatte tatsächlich seine Okarina verloren. Ausgerechnet hier, ausgerechnet jetzt. Zelda würde ihm den Kopf abreißen, wenn sie davon erfuhr... Denn Link konnte sich denken, dass eine Okarina für Zelda so etwas wie einen kleinen Schatz darstellte.
Was musste er auch auf dem Grundstück von so seltsamen Leuten herumhampeln? Hatte er, da er doch Hyrules legendärer Held sein sollte, nichts besseres zu tun, als sich an irgendwelchen, seltsamen Orten herumzutreiben? „Prima, du Held“, sagte er spöttisch dröhnend über seine eigene Person. „Du könntest ja gleich dein Schwert lobpreisen und dir weitere dümmliche Blicke einhandeln.“ Wie blöd muss man auch sein, unbedingt auf diesem alten Grundstück herumzulungern...
Na gut. Kann man eben nichts machen.
Er fuhr sich ruhelos durch die blonden Haarsträhnen, ließ ich auf der Bettkante nieder und gähnte herzhaft.
Langsam beruhigte er sich, dachte daran, dass er sein Instrument jetzt sowieso nicht wieder finden würde, als er versuchte den verbeulten, unglücklichen Schrank wieder zusammenzubauen. Er nahm sich vor, morgen in aller Ruhe danach zu suchen.
In dem Augenblick trat eine weitere Gestalt in das Zimmer. Aha, der dritte Mitbewohner war nun endlich eingetroffen. Ein magerer Kerl, etwas größer als Link, mit einem sehr kurzen aschblonden Haaransatz und einer beinahe kugelrunden Nase.
„Guten Tag, mein Name ist Pat van der Hohen.“ So wie er auftrat, passte der Name perfekt zu ihm. Eitel und hochnäsig...
„Ich hoffe, wir haben eine vergnügliche Zeit hier.“ Pat musterte das Zimmer und dann die drei Betten.
„Welches ist jetzt mir zugedacht? Dieses? Aha.“ Mit einer Wenigkeit schossen seine in die Höhlen gedrückten Augäpfel zu dem letzten Bett. Der Typ fand das Bett, einschließlich des spartanischen Zimmers wohl nicht sehr behaglich.
„Also, mein Name ist Link Bravery“, und dieser wollte dem Unbekannten die Hand reichen.
Pat aber glotzte nur blöde und fixierte ihn mit kühlen, dunkelgrünen Augen. Er ignorierte es, dass Link ihm die Hand geben wollte und schien sich an seinem Namen zu ergötzen. Dann begann er zu grinsen und schließlich lautstark zu lachen.
„Haha... wo hast du denn Zelda gelassen? Held der Zeit? Haha...“
Link verzog sein Gesicht, seine Hände waren schwitzend zu Fäusten geballt. Vor Zorn kochend sah er auf den grauen Boden und wünschte sich, es würde etwas geschehen, bevor er dem Typen den Hals umdrehte.
„Tut mir leid. Aber ich kenne das Spiel und nun ja, ist witzig, dass es Leute gibt, die wirklich Link heißen.“
Jetzt war der unerkannte Held beruhigter und seine Hände entkrampften sich wieder. Er hatte schon befürchtet, dass der Typ zu jenen Kreaturen gehörte, die ihm das Leben zur Hölle machen wollten, aber Pat war sicherlich ein gewöhnlicher Jugendlicher, der das Zeldaspiel kannte.
„Soso, du kennst das Spiel“, meinte Link vorsichtig.
„Ja, das tue ich. Habe alle Spiele der Zeldaserie, die jemals erschienen sind. Zelda ist eben immer der Hammer.“ Das konnte Link nur zu gut verstehen. Der Besagte grinste dämlich und im nächsten Moment legte sich Wärme und Mitgefühl auf sein ansehnliches Heldengesicht. Zelda war wirklich der Hammer... in zweierlei Hinsicht. Und schon wieder war er mit seinen Gedankengängen bei ihr.
Pat stellte seine vollgestopfte, riesige Reisetasche vor das Bett und machte sich darauf breit. Er meinte: „Du kennst das Spiel wohl auch?“
„Jep, besser, als du dir vorstellen kannst.“
„Nun, ich kann mir das schon ganz gut vorstellen.“, grinste Patrick und hüpfte vergnügt auf das staubige Bett, welches unerhört knatterte, als ob die Balken in dem Bett auseinander gebrochen waren.
„Und was hat dich hierher verschlagen?“, meinte der Grünäugige wissbegierig.
Link zuckte kurz mit den Schultern und sagte gedämpft: „Wenn ich es nicht besser wüsste... das Schicksal...“ Er kratzte sich daraufhin an einer hellbraunen Augenbraue.
„Und du? Was machst du hier?“ Pat stand dann auf und wisperte auffallend leise, hielt sich vorsorglich noch eine Hand an den Mund.
„Ich bin vor einem Mädchen geflohen.“ Link jubelte kollernd und hielt sich vor lauter Lacherei die Hände an seinen angespannten Bauch.
„Das ist nicht lustig“, meinte Pat beleidigt und hob belehrend einen Zeigefinger in die Höhe. „Du kannst sie gerne haben, wenn du willst.“, murrte Patrick, und schien dennoch traurig zu sein...
„Ich? Nein danke, ich habe erst mal genug von anstrengender Damenwelt.“ Selbstverständlicherweise war in dieser Definition seine Zelda nicht mit eingeschlossen.
„Aber ist sie denn eine solche Xanthippe, dass du vor ihr fliehen musstest?“ Pat klopfte mit einer Hand mehrmals auf Links Schulter. „Glaub’ mir, wenn die hinter dir her wäre, dann würdest du deines Lebens nicht mehr froh sein. Sie ist ne Stalkerin, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Dann lass’ uns bloß hoffen, dass sie nicht auf den Dreh kommt, dir hinter herzureisen“, lachte Link. Pat schwieg dazu und packte gemächlich seine Tasche aus, hatte einen eher übertriebenen Wahn seine Sachen ordentlich und ohne jedwede Falte in den Schrank zu sortieren.
Geschwind kramte der Heroe einige Sachen aus seiner blauen Reisetasche. Eine Waschtasche und einen waldgrünen Schlafanzug.
„Wegen Zelda.“, fing Pat an.
„Was ist mit ihr?“, meinte Link prompt und blickte ernst und misstrauisch drein.
„Na ja, wenn man schon Link heißt, muss man das Spiel wohl einfach kennen, was?“ Wieder falscher Alarm, dachte der Heroe.
„Nicht zwangsläufig. Vielleicht nur dann, wenn man weiß, dass sich hinter diesem Spiel mehr verbirgt als einem lieb ist...“, murmelte Link und trat langsam in Richtung Tür.
„Was ich noch sagen wollte, Tommy ist irgendwie komisch.“, meinte Patrick und hielt Link davon ab, in das Schlafzimmer zu stolpern.
„Wie meinst du das?“
„Na ja, er hat mir vorhin aus uneinleuchtenden Gründen aufgezählt, wovor er Angst hat und... ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch vor so vielen Dingen Angst haben kann.“
„Na und? Das ist noch lange kein Grund jemanden komisch zu finden. Wenn du lästern willst, dann sprichst du mit der falschen Person“, meinte Link gelangweilt.
Aufgeregt rechtfertigte sich der weitere Mitbewohner: „Aber das ist ja nicht meine Absicht. Und das mit der Angst war ja noch nicht alles!“
„Nein?“ Und Link runzelte die Stirn. „Was dann?“
„Ich habe ihn vorhin beobachtet... aus Neugier... und festgestellt, dass er mit jemanden geredet hat, aber nicht per Handy oder so, sondern... irgendwie mit sich selbst und dann doch wieder nicht.“
„Und was bindest du das ausgerechnet mir auf den Schnabel?“
Pat zuckte kurz mit den Schultern. „Ich wollte bloß, dass du weißt, mit wem wir hier ein Zimmer teilen, nichts anderes.“
„Und was genau hat Tommy dieser unsichtbaren Person gesagt?“
„Es geht alles seinen Gang...“ Misstrauisch zogen sich Links Augen zu einem entschlossenen Blick zusammen. Was erzählte dieser Pat van der Hohen ihm so einen Müll? Hatte er sich das bloß ausgedacht, um interessant rüberzukommen?
„Wie Tommy schon sagte, es wird sicherlich alles seinen Gang gehen“, meinte Link dann und schüttelte mit dem Kopf. Dieses Misstrauen war einfach nur ungesund, dachte Link. Sollte er etwa jeden Menschen für einen Diener des Bösen halten? Nein, nicht hier und bestimmt nicht diese Menschen...
„Aber macht dich das nicht stutzig?“
„Mich? Mich kann echt nichts mehr überraschen“, lachte Link und hinterließ einen beeindruckten weiteren Zimmerkollegen.
„Lass’ uns morgen weiterreden. Ich gehe dann schlafen“, sagte Link lethargisch, streckte sich und gähnte genüsslich. Dann verschwand er in Richtung Badezimmer.