The Legend of Life Marin's Erwachsen
Was uns Link's Awakening zu sagen weiß
Vieles schon wurde über jene Traumwelten gesprochen, die sich dem Spieler in dem vielleicht surrealsten
Zelda-Titel, Link's Awakening, offenbaren. Geschickt und vielfach verschmelzen in jenem Spiel die Ebenen von Traum
und Wirklichkeit, und so kommt es, dass Albträume ebenso Macht über das Geschehen gewinnen, wie sich aus dem Schlaf
Schätze bergen lassen. Doch erzählt dieses Spiel nicht nur über die Dekonstruktion von Wirklichkeit und Bewusstsein,
vielmehr wird jene Scheinwelt zur Folie einer ganz anderen Geschichte.
Mittelpunkt dieser Geschichte ist jedoch nicht der Spieler, ist nicht Link sondern jenes junge Mädchen, das die
erste Heldentat im Spielgeschehen erfüllt. Marin, ein junges Mädchen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, vollzieht
diese Entwicklung oft unbemerkt vor den Augen des Spielers, und erhält damit die Hauptrolle in einer virtuellen
Erzählung, die Literaturmotive aus 2500 Jahren Kulturgeschichte zusammenbrennt, und damit eine ungeheure kulturelle,
logische und menschliche Tiefe gewinnt.
Links Odyssee durch die Traumwelt greift schon zu Beginn auf die Abenteuer des Odysseus zurück und erzählt die
Episode über Nausikaa neu.
Wie damals Homer entspinnen die Entwickler in der Begegnung zwischen dem Mädchen und dem Helden jenen wesentlichen
Markstein der Reifung vom Kind zur Frau: Die erste Liebe.
Doch wirkt in Link's Awakening dieser Topos nicht ausschließlich innerhalb der Person, vielmehr überträgt er sich
symbolhaft auf die gesamte Spielwelt. Denn obwohl Cocolint auch von Monstern bewohnt ist, erscheint es dem
Spieler in vielen Gebieten als Idylle, jener Ort der Harmonie und Unbeschwertheit, der idealtypisch und
entwicklungspsychologisch Kindheit repräsentiert. Es ist sogar anzunehmen, dass vor der Ankunft Links die Insel
tatsächlich friedlich war. Die Eule sagt bei ihrem ersten Auftreten 'Du bist der Grund, warum die Monster so
aufgeregt sind.', oder in der nicht so verharmlosten englischen Version "...why the monster starting to act
so violently.'.
Link als Element von außen zerstört zwangsläufig den Charakter der Idylle des Ortes, denn zu dieser gehört
untrennbar eine innere Abgeschlossenheit, die die Lebenswelt der Bewohner vor Einflüssen von außen abschirmt und
auf diese Weise einer Entwicklung weg vom bekannten und guten Leben vorbeugt.
Untrennbar verbunden ist ebenfalls die Religion im strengen Sinne, denn diese trägt zu einem Weltverstehen bei, das
auf neue und fremde Erklärungsmuster nicht angewiesen ist. Die Religion genießt somit jene Autorität und
Vormundschaft, über die Eltern gegenüber ihren Kindern verfügen. Die Eule berichtet in diesem Sinne auch, dass auf
Cocolint andere Naturgesetze herrschten, und verweist mehrfach auf den Windfisch. In keinem Zelda ist der Glaube an
eine höhere schöpferische Kraft so gegenwärtig wie in jenem Gameboy-Spiel und in keinem wird die Abgeschlossenheit
- 'Kein Weg führt zur Außenwelt!' spricht die Eule -, getragen von dem Inselmotiv, so stimmig gebildet.
Gleichzeitig ist Link's Awakening auch der einzige Titel der aus dieser Abgeschlossenheit die Krise ableitet, so
ist die Zerstörung des Idylls letztlich das Ziel des Spiels, wie es das Ziel des Erwachsenwerdens ist, die Kindheit
zu beenden. Die Insel und damit die Idylle wird zum symbolischen Gefängnis der Heranwachsenden, nie klarer zum
Ausdruck gebracht als in der berühmten Strandszene, während der Marin Link von sich erzählt.
Sie erklärt, ihr Vater behauptete (und glaube), dass in der Weite des Ozeans nur Cocolint existiert, doch
sie zieht diese Aussage seit der Ankunft des Helden in Zweifel, und bittet den Windfisch darum, sie zur Möwe zu
wandeln, so dass sie die ganze Welt bereisen kann. Auf der gesamten Insel ist Marin die einzige die eine Sehnsucht
danach verspürt, die gewohnten Pfade zu verlassen, sich von dem Bekannten einschließlich ihres Vaters zu trennen,
sich Fragen zu stellen - 'manchmal frage ich mich woher diese Palmen kommen' - und ihr Denken gegen die
tradierte Lehre zu richten. Damit ist Marin eigentlich eine Romanfigur in einer Märchenwelt. Diese Sonderstellung
füllt Marin nicht unbegründet zu, sie hängt mit ihrem Alter zusammen. Marin ist mit Ausnahme von Link die einzige
Jugendliche auf der gesamten Insel, auch deshalb und die Umbruchphase des Heranwachsens wird zum Prüfstein für die
Ordnung der Väter.
Es ist kein Zufall, dass Marins Welt bisher von ihrem Vater regiert wurde. Ähnlich auch wie im bürgerlichen
Trauerspiel, einer Dramengattung des 18. Jahrhunderts, wird in LA abgebildet wie ein Mädchen sich zugunsten eines
jungen Mannes von ihrem Vater entfernt. Dieser Prozess wird in LA kaum explizit gemacht, ist aber unverkennbar
vorhanden und die Rivalität zwischen Vater und Freund der Tochter wird in vielen Gesten und Szenen angedeutet.
Marins und Links Weg kreuzen sich im Spiel mehrfach. Diese Aufeinandertreffen lassen sich letztlich stets als
konflikthaft lesen. Beginnend mit dem Waschbärfluch, der Link davon abhält den Wald zu passieren und den Schlüssel
zum Wurmpalast (darin Phallus- und Vulvasymbol zu sehen, wäre wohl auch für mich weithergeholt, aber möglich) zu
entdecken. Der träumende Vater hindert den Helden schon zu Beginn daran, den ersten Teil der Reise zu beenden,
später treten beide in Streit um eine Honigwabe. Tarin stößt die Wabe mit Hilfe von Link vom Baum und zieht so den
Zorn der Bienen auf sich. Link ist es dann möglich den Honigschatz vom Boden zu lesen und für sich zu beanspruchen,
doch eigentlich ist der Vertriebene der rechtmäßige Anspruchsteller.
Es fällt nicht schwer jenes Ereignis auch als Metapher für die komplizierte Dreiecksbeziehung zu lesen. Die vom
Baume fallende Frucht ist längst sprichwörtlich für die Verbindung zwischen Eltern und Kind, obgleich in jenem
Sprichwort die Lösung des Kindes aus der elterlichen Gewalt abgebildet wird, in LA wird sie umgedeutet zur Trennung
dieser beiden, die Bienen verkörpern hingegen eindrucksvoll und unmissverständlich jenes Zornpotential das sich bei
Lösung der Eltern-Kind-Beziehung häufig realisiert. Indem Tarin einen Anspruch an die Wabe stellt, verkennt er das
Eigenrecht des Bienenvolks, ebenso wie Väter das Selbstbestimmungsrecht ihrer heranwachsenden Kinder verkennen, und
tritt damit einen Konflikt los.
Kein Wunder ist es, dass jenes zweite Aufeinandertreffen den zweiten bedeutenden Handlungspart in der Begegnung von
Marin und Link einleitet. Jene Begegnung ist der Zoodorf-Episode und somit dem Strandgespräch direkt vorgelagert.
Diese markiert jedoch gleichzeitig den Höhepunkt der Liebesgeschichte. Dem gemeinsamen Musizieren des Weckliedes
wohnt auch eine sexuelle Komponente inne, maskiert und verklärt durch die eigentliche Handlung. Harmonie und
Rhythmus als bedeutender Bestandteil einer sexuellen Kompatibilität sind Wesensmerkmale von Musik. Dass es sich bei
dem Lied außerdem um ein Wecklied handelt, jenes Lied das nicht nur bestimmend für die Haupthandlung ist, sondern
auch zum Thema für die Beziehung zwischen Link und Marin wurde, verstärkt das Symbol um eine Entwicklungsdimension.
Es ist nicht nur das Ende der Traumwelt, welches die Ballade des Windfisches einläutet, sondern auch das
metaphorische Erwachen aus der kindlichen Welt während des Älterwerdens.
Tarin als Hüter dieser Kindheit und bisher einzigen männlichen Bezugsperson Marins steht dieser Entwicklung jedoch
im Weg. Der Drang, seine Tochter zu beschützen, ist gleichzeitig der Drang sie zu bewahren vor der Wirklichkeit.
An diesem Punkt verschmelzen die Geschichte und die Symbolik Cocolints mit der Entwicklung und dem persönlichen
Drama Marins. Der Vater als der Bewahrer der kindlichen Welt Marins tritt auch deshalb in Waschbärgestalt als
Bewahrer der Traumwelt auf, beendet ebenso drastisch die letzte Begegnung zwischen Link und Marin im Gebirge und
unterbricht ihr Liebesgeständnis. Jene Offenbarung hätte letztlich auch die Funktion einer Selbstoffenbarung und
markiert damit ein Bewusstsein für die eigene Seelenwelt und den Ausgang aus einer kindlichen Selbstbetrachtung.
Dieser Selbsterkenntnis geht eine Erkenntnissehnsucht voraus, die aus der Unstimmigkeit hervorgeht, die durch das
Auftauchen Links in der Idylle entsteht, und die zwangsweise zur Vernichtung der Idylle führen muss. Auch deshalb
sang Marin vor dem Ei mit der Absicht den Windfisch zu wecken, und nur deshalb verdient es Marin aus der Idylle
gerissen, befreit und gerettet zu werden.
Marins Entwicklung heraus aus der friedvollen Traumwelt läuft dabei konträr zu dem Empfindungswandel den der
Spieler vollzieht. Dieser nämlich entwickelt ein Bedürfnis danach in der Welt zu bleiben, die er mit seinem
Handeln zerstören soll. Doch wie heißt es in dieser Welt:
SCHLÄFT DER FISCH EWIG DER HELD WIRD ZU ERDE!
Auch die Heldin möchte man anfügen.