Hylianisches Märchen
Schattenauge
Es war einmal vor langer Zeit, als die Felsen noch jung waren und Kakariko noch nicht gegründet war, ein junges Mädchen voller Anmut und Schönheit, das bei ihren Eltern lebte. Ihre Augen waren grün wie Edelsteine und ihr goldenes Haar strahlte wie die Sonne, wenn Licht darauf fiel; und so verzückte sie alle, die sie zu Gesicht bekamen. Doch ihr Vater hütete sie eifersüchtig im Haus, denn er wollte nicht, dass ihr Unheil zustoße.
Eines Tages kam ein Streuner in die Stadt, und er erblickte sie auf der Straße und entflammte sofort in heißer Liebe zu ihr. „Dieses Mädchen werde ich erobern“, sprach er zu sich und fing sofort an, ihr den Hof zu machen. Ihr Vater aber mochte ihn nicht und sprach zu seiner Tochter: „Halte dich von diesem Streuner herum! Er hat keine Arbeit und keine Wohnung, und du wirst mit ihm nicht glücklich.“ Doch das Mädchen war ihrerseits in Liebe entflammt und hörte nicht auf Vernunft und Logik, und so packte sie eines Nachts ihre Siebensachen zusammen und floh mit dem Streuner aus der Stadt.
Als der Vater dies entdeckte, tobte er vor Zorn und er verfluchte den Streuner, dass nichts, was er anfangen würde, gelingen möge.

Und tatsächlich – bereits wenige Monate später war das Mädchen dem Streuner bereits überdrüssig, denn er kümmerte sich nicht um Recht und Anstand, sondern lebte auf der Straße und stahl sich zusammen, was er zum leben brauchte. Sie wäre zurückgekehrt, hätte sie nicht ein Kind von ihm unter ihrem Herzen getragen; und so fügte sie sich ihrem Schicksal und wurde verbittert und gram.
In einer kalten Herbstnacht wurde das Kind in einem Heuschober geboren, doch als der Streuner seinen Sohn erblickte, denn er hatte nur ein einziges, riesiges Auge auf der Stirn und ein riesiges Grinsen verunzierte seinen Mund. Und so nannten sie das Kind „Schattenauge“.

Bald schon fand der Vater heraus, dass Schattenauge ihm ein angenehmes Leben ermöglichte, indem er das arme Kind auf Märkten und Schauplätzen ausstellte und Geld dafür nahm, dass die Menschen den Jungen angaffen konnten, und so wuchs Schattenauge auf, verspottet von der Menge, ohne Freunde und immer allein.

Eines Tages, Schattenauge zählte gerade fünfzehn Umläufe, kam die unglückselige Familie in die Stadt Hyrule, und wieder stellten sie Schattenauge an den Pranger und banden ihn fest, damit er nicht weglaufen und sich verstecken konnten. So stand er dort am Pranger, Stunde um Stunde, sein großes Auge fest zugekniffen und sein Mund zu einem ewigen Grinsen verdammt; beworfen mit Obst und Eiern, bespuckt und verspottet. Am Abend banden sie ihn wie üblich los und kehrten in die Herberge zurück, und wie er es gewohnt war, warf sich Schattenauge einen weiten Umhang über und ging nach dem Abendessen hinaus, um durch die dunklen Gassen zu schleichen.
Plötzlich, als er in eine Seitenstraße abbog, sah er einen Mann auf einer Treppenstufe sitzen, ruhig zurückgelehnt und die Sterne beobachtend. Neugierig schlich Schattenauge näher, als der Mann sich umdrehte und Schattenauge direkt ansah und ihm zu verstehen gab, sich zu setzen.
Und so setzte sich Schattenauge zu dem Fremden und sah ihn neugierig an. „Was machst du hier um eine solche Uhrzeit, mein Junge? Es ist gefährlich hier in Hyrule.“ Schattenauge aber zuckte nur die Achseln und sprach: „Ach, ich habe nichts zu befürchten. Ich habe nichts als mein Leben, und selbst das ist mir nicht allzuviel wert.“ Und er klagte dem Fremden sein Leid. „Seid meiner Geburt trage ich den Makel meines Gesichtes an mir, werde verspottet und verachtet. Ich wünschte mir so sehr, die Leute betrachteten mich als Helfer, als Freund, doch alle sehen nur meine Fratze. Ich bin einsam, und mir liegt nichts am Leben mehr.“
Der Fremde überlegte lange und blickte zu den Sternen hinauf. „Weißt du, Schattenauge, ich glaube, ich könnte dir vielleicht helfen. Du musst wissen, ich bin ein wandernder Maskenhändler.“ Und er zeigte auf sein Gepäck, einen großen Rucksack, an dem allerlei Masken und Larven befestigt waren. „Ich werde dir eine Maske schnitzen, dein Antlitz zu verbergen, wenn du dich ihm so sehr schämst, und niemand wird mehr dich zwingen können, dich verspotten zu lassen.“
Als Schattenauge dies hörte, strahlte sein Auge und sein Lächeln wurde noch breiter als sonst. „Oh, was für eine Freude wäre das! Ich danke euch, werter Herr Maskenhändler!“ Und der Maskenhändler sagte ihm: „Komm in drei Tagen wieder hierher und ich werde dir deine Maske geben. Aber sei da, denn am Morgen des vierten Tages muss ich die Stadt verlassen!“
Und er nahm sein Gepäck und ging in die Nacht.

Und Schattenauge wartete sehnsüchtig auf den Tag, an dem er sein Gesicht endlich verbergen könnte, so dass er die Demütigungen am darauffolgenden Tag und am Tag danach ohne zu zögern ertrug und nachts kaum schlafen konnte, sodass er die Stadt durchstreifte und seine Gassen kennenlernte und allerlei an Gerüchten lernte, und selbst die Schelte und die Schläge seines Vaters machten ihm kaum mehr etwas aus; und so vergingen die drei Tage wie im Fluge, und bald war die ersehnte Nacht da.
Doch der Maskenhändler wartete an der Stufe vergebens und die Stunden vergingen, aber Schattenauge kam nicht. Doch da er wusste, wie sehr Schattenauge seine Maske ersehnte, machte er sich auf, den Jungen zu suchen; und in einer kleinen Gasse fand er ihn, doch er atmete flach und lag auf dem Boden. Rasch kniete sich der Maskenhändler zu dem Jungen, und er sah, dass dieser Wunden hatte und dass sein Mantel fehlte, denn er war überfallen und erstochen worden, sein großes Auge geschlossen, doch immer noch das Lächeln der Vorfreude auf den Lippen.
Als er dies sah, weinte der Händler bittere Tränen und hielt den Jungen im Arm, aus dessen Körper das Leben floss; doch er besann sich und nahm seine Mundharmonika zur Hand.
Und er spielte eine Melodie, die er selbst einst geschrieben hatte, um unruhige Geister zur Ruhe zu bringen, und ein geheimnisvolles Leuchten durchblitzte die Gasse, und als es wieder dunkel war, war Schattenauge fort und dort lag eine Maske, mit einem großen, strahlenden Auge und einem breiten Lächeln. Und der Maskenhändler sprach: „Ich habe dir versprochen, dir eine Maske zu fertigen, lieber Schattenauge, und dieses Versprechen habe ich gehalten. Nicht mehr verspottet, sondern geehrt sollst du werden von denen, die dich verachteten. Nicht mehr im Schatten sollst du wandeln, sondern im Licht der Wahrheit, und so widme ich dir die Maske der Wahrheit. Wahr soll dein Traum werden, und jeder soll dich als freundlichen Helfer in der Not kennen lernen.“

Und als der Maskenhändler am darauf folgenden Morgen die Stadt verließ, hinterließ er mehrere runde Steine, die das Antlitz Schattenauges trugen; und überall, wo er hinkam, erbaute er weitere Steine, die einem jeden Wandersmann Auskunft und Hinweis geben sollten, wenn er diesen benötigte. Und so kamen die Steine der Weisheit mit dem Antlitz Schattenauges nach Hyrule, nach Kokiri, an den Hylia-See, ins Tal der Gerudos und auf den Todesberg und bis in die zerklüftetsten Schluchten der Zora-Kavernen; und wenn sie niemand zerstört hat, dann stehen sie noch heute dort.
Denkt daran, wenn ihr sie das nächste Mal etwas fragt.


AstartusSavall