Etwas großes erwartet uns - Fanfictions
Prolog:
Der eiskalte Wind bließ um die stabilen Holzhütten des kleinen Dorfes am Rande der Asgarwälder und verkündete ein bevorstehendes Chaos. Das kleine, siebenjährige Mädchen Arina klammerte sich fest an den Arm ihrer Mutter. Das beunruhigend dumpfe Donnern und Schlagen von Trommeln war in der Ferne zu hören. Als Arina den Kopf hob und hinauf zu den Weiten Hügeln blickte, entdeckte sie Massen von dunklen Umrissen von widerlichen Kreaturen, die sich um das unscheinbare Dorf versammelt hatten. Mit ausgebreiteten Schwingen und sichelförmigen Klauen rannten sie unaufhörlich und boshaft lachend näher an die wehrlosen Elderan heran. Doch Arina spürte es. Da war noch etwas anderes... etwas grausameres als diese Dämonen. Etwas, das schrecklicher war als all diese willenlosen Kreaturen. Sie drückte ihren Kopf schutzsuchend gegen den Körper ihrer Mutter.
Arina spürte die dunkle, unheimliche Aura eines schrecklichen Wesens und blickte hinauf. Eine schwarze Gestalt verharrte seit wenigen Minuten oben auf den Hügeln und blickte spöttisch auf das kleine, beinahe wehrlose Dorf.
Die Sonne stand in blutrote Farben getaucht am Himmel, erzählte von einem großen Unglück, dem kalten Tod, der die Bewohner heimsuchen und sie mit in sein Reich schleppen würde.
"Metzelt sie nieder, Männer! Lang lebe Fendor!", schrie eine rauhe, mächtige Stimme, die der geisterhaften Gestalt gehörte und auf diese Worte stürmten die Dämonen auf die Holztore zu. Mit ihren Schwingen konnten sie mit Leichtigkeit darüber hinwegfliegen und sich über die ersten Elderan hermachen. Mit einer ungeahnten Grausamkeit fielen sie über Frauen, Kinder sowie Männer her. Keine Gnade. Hauptsache ihre Gier nach frischem, lebendigem Fleisch wurde gestillt, ihr Durst nach dem Blut eines sterbenden Volkes.
"Du musst dich verstecken, Arina", ihre Mutter beugte sich herunter und strich ihr noch einmal über ihre Wange.
"Aber Mama... ", sie wollte etwas erwidern, doch ein Kopfschütteln hielt sie davor zurück. Sie hatte ihrer geliebten Mutter immer vertraut, wusste, dass sie immer Recht hatte und nach einem kurzen Zögern eilte sie hinter eine Hausecke. Ununterbrochen beobachtete sie ihre Mutter, ließ nicht eine Sekunde von ihr ab. In nur wenigen Augenblicken veränderte sich das Bild, das sie von dem friedlichen, unberührten Dorf hatte und sie erkannte das volle Ausmaß der Brutalität und der Zerstörung. Die Dämonen rissen die Leiber der Menschen lachend in mehrere Teile, stritten sich um das blutüberströmte Fleisch, spießten ihre blanken, abgekauten Schädel auf Stöcke und rammten sie in den Boden. Sie sah ihre eigene, bereits schwerverletzte Mutter, die verzweifelt versuchte, sich gegen die Angriffe der widerwärtigen Kreaturen zu wehren, bis eine der messerscharfen Klauen durch ihren Körper ragte.
Das letzte Fünkchen Hoffnung erlosch in dem kleinen Mädchen und Arina merkte, dass der Tod höchstpersönlich anwesend war und mit spottendem Blick auf das Geschehen hinabsah. Zerissene und verkohlte Leichen säumten den Boden und Blut quoll aus den tödlichen Wunden der Elderan. Schmerzverzerrte Gesichter spiegelten wieder, wie sie ihr Ende gefunden haben. Kein Leben regte sich mehr in dem Meer aus toten Körpern.
"Los! Verbrennt sie!", die dunkle Gestalt erschien jetzt mitten im Geschehen. Der Befehlshaber der Dämonen in unzählige, schwarze Umhänge gefüllt. Und schon begannen seine Untergebenen damit, die Leichen aufeinanderzuhäufen. Eng zusammengekauert beobachtete Arina das grausame Schauspiel. Die Höllenwesen zündeten die Toten an und jubelten und klatschten. Freudig tanzten sie um die empor züngelten Flammen und ihr Lachen flog hinüber zu Arina. Ein eisiger Schauer nach dem nächsten jagte über ihren Rücken und bei jedem Aufschrei dieser Ungetüme erbebte ihr hilfloser, angstbleicher Kindeskörper.
"Blut!"
"Angst!"
"Tod!"
Immer wieder brüllten die Kreaturen die selben Wörter, schmerzhaft hallten sie in Arinas Geist wider.
"General! Hier ist noch jemand!", ein Schrecken fuhr in ihr hoch, als sie die grässliche Fratze eines lachenden Dämons vor sich erblickte, der mit seinen Klauen nach ihrem zierlichen Körper griff.
Der Terror auf dem Dorfplatz nahm abrupt sein Ende, die Blicke der Ungetüme trafen Arina und durchbohrten sie förmlich. Das flackernde Rot der Flammen tauchte ihre Gestalten in eine angsteinflößende, blutrote Farbe. Eine der gewaltigen Krallen packte sie am rußgeschwärzten Hemd und zerrten sie in die Höhe.
"Stirb!", schrie der Dämon unter tosendem Beifall seiner Artgenossen und rammte seine Klaue mit einem Schlag in ihre Brust. Ein schmerzhafter Aufschrei ging unter dem spöttischen Lachen der Dämonen und dem Flackern der roten Flammen unter...
Mit weit aufgerissenen Augen lag das junge Mädchen in ihrem Bett. Seine Finger krallten sich tief in den weichen Saum der Bettdecke. Schwer atmend und mit zitternden Armen setzte es sich auf. Wenige silbrig glänzende Tränen liefen seine Wangen herab und es schluchzte leise. Seine langen, braunen Haare verdeckten einen Teil der grasgrünen Augen und einige Strähnen klebten an seiner nassgeschwitzten Haut. Langsam beruhigte es sich wieder und starrte mit verlorenem Blick an die hölzernen Dielen in diesem Raum. Er war klein und nur schwach erhellt durch das kaum mehr brennendes Feuer einer Kerze. Mit einer leichten Handbewegung wischte sich das Mädchen den Schweiß von der Stirn. In diesem Moment ertönte das leise Knarren einer Tür und ein junger Mann betrat den Raum.
"Arina, endlich bist du wach", ein gutmütiges Lächeln legte sich über sein Gesicht, "ich habe mir schon Sorgen gemacht" Er setzte sich neben sie aufs Bett und strich sanft mit seiner Hand über ihre Wange.
"Das brauchst du nicht, Sayan", Arina versuchte, ein Lächeln hervorzubringen, doch es gelang ihr nicht.
"Hattest du wieder diesen Traum?", fragte er besorgt nach, woraufhin sie nur mit einem zaghaften Nicken antwortete. Ja, sie hatte wieder diesen furchtbaren Albtraum, der sie Nacht für Nacht quälte. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, an der das Bett stand und atmete tief ein. Mit ihrer Hand drückte sie fest gegen ihr Herz.
"Ist es schlimmer geworden?", erkundigte Sayan sich weiter.
"Nein"
Er wusste, dass sie log und er wusste, was für Schmerzen sie durchleiden musste.
Arina bemühte sich, die Tränen zu unterdrücken, was ihr sichtlich schwer fiel. Immerzu musste sie an ihre Mutter denken und daran, wie schwer das Leben ohne sie gewesen war. Sie ballte ihre Hand zu einer Faust und presste sie noch stärker gegen ihr Herz. Wie sehr wünschte sie sich doch, das all das Unglück niemals eingetroffen wäre. All die schrecklichen Bilder von der Zerstörung ihres Dorfes und dem Tod ihrer Mutter kamen hoch, wenn sie nur für einen Augenblick die Augen schloss. Und in ihren Träumen kam... der Dämon... seine todbringende Klaue... und der Schmerz...
Nur zu gerne hätte sie gewusst, warum diese Wunde sie nicht umgebracht hatte. Eines Tages kam sie in eben diesem Bett zu sich und erblickte Sayan neben sich, der sich wochenlang liebevoll um sie gekümmert hatte, obwohl er auch nicht viel älter war als sie selbst. Auch er war ein Kriegsopfer, das hatte er ihr jedenfalls erzählt. Eine riesige Narbe lief an seinem Oberkörper entlang, die sich von seinem Schlüsselbein bis zu seiner Hüfte hinzog und auch ihm war es ein Rätsel, wie er diese tödliche Wunde überleben konnte. Zwar hatte Arina die damalige Schlacht überstanden, aber das machte sie auch nicht glücklicher, da ihr jedesmal ein Schauer über den Rücken lief, wenn sie daran dachte, was ihr geblieben war. Ein Dämonenfluch.
Ein Fluch, der sich aus ihrem Herzen herausgefressen hatte und jetzt beinahe ihren gesamten Oberkörper einnahm. Schwarze Adern gruben sich schmerzhaft durch ihre jugendliche Haut und entstellten sie. Arina wusste, dass sie eines Tages daran sterben würde. Sie wusste selbst nach zehn Jahren nicht, was der eigentliche Sinn ihres Überlebens war, das würde wohl für immer in den Sternen liegen.
"Kannst du aufstehen", Sayan erhob sich vom Bett und reichte ihr seine Hand als Hilfe.
"Ich denke schon", gab Arina, die sich mittlerweile wieder beruhigt hatte, zur Antwort und so legte sie ihre Hand in die seine und stand vorsichtig auf. Ein leichter Schwindel überkam sie, doch Sayan war zur Stelle und stützte sie behutsam ab. Zwischen ihnen hatte sich im Laufe der Jahre eine gewisse Zuneigung entwickelt und dass nicht nur, weil sie beide dem selben Stamm angehörten. Dem der Elderan, dem aussterbenden Drachenvolk. Zwar hatten sie die Gestalt der Menschen doch es gab wesentliche Unterschiede. Das deutlichste jedoch waren ihre Augen. Sie besaßen in jedem Auge jeweils drei reptilienartige Pupillen, wodurch sie in der Lage waren Auren zu lesen. Oft hielt man sie auf den ersten Blick für Menschen, doch diese waren ihnen zutiefst verhasst, da sie keinen Deut besser waren als die Dämonen. Sie zerstörten Städte, nur um auf den Ruinen ihre eigenen zu errichten. Sie wollten ganze Völker ausrotten, um an die absolute Macht zu gelangen und sie versklavten wehrlose, schwache Kreaturen, von denen sie ja nichts zu befürchten hatten. Wie sehr hatte Arina doch den Drang sich zu übergeben, wenn sie nur daran dachte.
"Du solltest etwas essen, dein Magen beschwert sich schon lautstark"
Ach wie sehr liebte Arina doch Sayans aufmunternde Art und sein ganzes Wesen. Ein amüsiertes Schmunzeln kam über ihre Lippen und er freute sich, dass seine Freundin trotz ihres Schicksals noch lachen konnte.
Sie gingen hinunter in die Küche und Arina setzte sich auf einen alten Holzstuhl, während Sayan hastig etwas zu Essen suchte.
"Scheint, als hätten wir kaum noch etwas. Nur einige Äpfel. Ich werde nachher auf den Markt gehen und einkaufen", mit diesen Worten gab er Arina einen Apfel und setzte sich daraufhin auch an den Tisch.
"Ich komme mit dir", die junge Elderan sah die Frucht einen Moment lang an und biss dann hinein. Sie war sehr säuerlich und nicht gerade wohlschmeckend.
"Warum isst du nichts?", erkundigte sie sich bei Sayan, während sie erneut abbiss.
"Ich überlasse es gerne dir. Ich esse dann später", wieder lächelte er ihr zu. Arina hielt kurz inne und überlegte, nicht etwas zu entgegnen, doch sie entschloss sich, es nicht zu tun. Schließlich kannte sie ihn ja gut genug und wusste, dass er sich sehr selbstlos verhielt, besonders ihr gegenüber. Während er nur ein schlichtes, schwarzes Hemd trug und eine lederne, braune Bauernhose, hatte er ihr die Kleidung einer wahren Kriegerin geschenkt. Ein ärmelloses, rotes Oberteil mit einem gelben Tuch um ihre Schultern. In der selben Farbe einen knielangen Rock, der an den Seiten weit eingeschnitten war. Sie trug wärmende Lederstiefel, er dagegen einfache, billig herzustellende Lederschuhe. Manchmal glaubte sie, dass er sich selbst vernachlässigte und ihr die Welt schenken wollte. Beide besaßen ein Stirnband der Elderan, doch da es zu sehr auffiel, trugen sie es nur innerhalb ihrer vier Wände.
Arina hatte den Apfel bis auf das Kerngehäuse aufgegessen und warf den letzten Rest in einen kleinen Holzkasten, der später im Wald ausgeleert wurde.
"Wir sollten uns beeilen, bevor der gesamte Platz von Menschen überflutet ist", meinte Sayan und griff nach einem Strohkorb, der in einer Ecke abgestellt war.
"Ja", war Arinas knappe Antwort und sie erhob sich wieder von ihrem Platz. Gekonnt verbarg sie ihre Angst vor den Menschen auf dem Marktplatz.
Er öffnete ihr die hölzerne Haustür und beide traten hinaus in die Morgensonne. Für einen kurzen Moment konnte Arina die Welt wieder genießen. Leise und schön raunte der Wind in den Blättern der wenigen Bäume, die hier gepflanzt waren und auf dem Markt herrschte bereits geschäftiges Treiben. Knechte und Mägde eilten mit großen Körben umher, bauten ihre Stände auf und Bauern aus dem Umland priesen lautstark ihre Waren an. Obst und Gemüse wurden zu kunstvollen Pyramiden aufgetürmt und ganz in der Nähe roch es verführerisch nach frisch gebackenem Brot. Doch das Auge wurde schon wieder von den bunten Farben riesiger Blumensträuße gefangen gehalten. Einige griffen entschlossen zu, andere schlenderten gemütlich durch die Budenstraßen, verharrten hier vor einem Stand, kauften dort eine Kleinigkeit. Man traf Freunde und Bekannte und tauschte Neuigkeiten aus.
Arina und Sayan begaben sich zielstrebig von einem Händler zum nächsten. Ohne Probleme erwarben sie Obst, Gemüse und Brot zu einem ungewöhnlich günstigen Preis. Doch als sie bei den Gewürzen ankamen, wurden sie nicht gerade höflich empfangen. Der bärtige Händler saß gelangweilt auf seinem Stuhl und beobachtete jeden, der an ihm vorüberging. Als er Arina ansah, vefinsterte sich sein Blick.
"Was willst du denn hier?", ertönte seine rauhe, gleichgültige Stimme. Die junge Elderan zögerte, antworte dann doch: "Ich würde gern etwas Pfeffer und Salz kaufen"
"Das ich nicht lache! Du verseuchst doch alles! Verschwinde hier!", er verschrenkte die Arme und baute sich in voller Größe vor ihr auf, doch Sayan mischte sich sofort ins Geschehen ein.
"Wir haben ein Recht auf Gewürze, wie jeder andere auch", er bemühte sich darum, nicht erbost zu klingen.
"Wie ihr wollt, dann dürft ihr das Zehnfache zahlen", der Händler beugte sich nach vorne und lachte Sayan mitten ins Gesicht. Arina verharrte derweil zitternd neben den Beiden und spürte, wie der Fluch in ihr wieder zu erwachen drohte. Die schwarzen Adern begannen zu pochen und sich weiter zu verzweigen.
"Verdammt, hört auf", bat sie mit verzerrtem Gesichtsausdruck und schlang ihre Arme um ihren Körper.
"Igitt! Schaff' mir gefälligst diese Missgeburt hier weg, das ist ja widerlich!", brüllte der Händler, als die Adern auf Arinas Armen sich weiter ausbreiteten und nun deutlich zu sehen waren.
"Arina, beruhige dich"
Doch es war schon zu spät. Langsam schritt sie zu dem ahnungslosen Händler und sah ihn einen Moment lang mit einem durchdringendem Blick an.
"Missgeburt, eh?", ihre Stimme klang geisterhaft und fremd, als würde sie jemand anderem gehören. Sie packte den Mann mit fester Hand am Kragen und zerrte ihn ein Stück über den Stand.
"Lass mich los!", schrie der Händler, während er versuchte, ihren Griff zu lockern. Die Adern waberten und pochten bedrohlich weiter und schlangen sich langsam um den Hals des Mannes.
"Warte! Ich nehme alles zurück! Ihr bekommt die Gewürze kostenlos!", das Schreien verkümmerte zu einem jämmerlichen Krächzen.
"Arina, bitte, tue ihm nichts", Sayan legte ein Beutelchen mit Goldstücken auf den Holztisch mit den Gewürzen und nahm sich dagegen die Menge an Waren, die er dafür erhalten hätte.
"Du kannst ihm danken. Eigentlich hätte ich große Lust dich umzubringen",
Arina hob den Händler in die Höhe, um ihn anschließend mit voller Wucht gegen eine Steinmauer zu werfen. Ein Schmerzensschrei drang durch die Menschenmassen, die dem Geschehen völlig irritiert zusahen. Arina fasste sich an den Kopf und begann zu taumeln. Ihre Pupillen schoben sich nach oben, bis sie fast gänzlich unter den Lidern verschwunden waren und sie bewusstlos zu Boden fiel. Die Adern wichen wieder zurück, so dass man sie auf den Armen nicht mehr erkennen konnte.
"Arina!", Sayan kniete sich zu ihr herunter, sah sie einen Augenblick lang besorgt an und legte dann eine Hand an ihren Nacken, die andere an ihre Kniekehlen, um sie schließlich hochzuheben.
"Der Fluch gerät außer Kontrolle", angestrengt dachte er über die momentane Situation nach, während er sich zurück in sein Heim begab.
"Wo bin ich?"
Ein Traum, so geheimnisvoll und seltsam. Arina fand sich in einem Schleier aus absoluter Dunkelheit wieder, doch es war nicht einfach nur dunkel, nein, es war die völlige Finsternis, die sie rätseln ließ. Es gab hier nicht die kleinste Andeutung von Licht oder einer Bewegung. Sie wäre froh gewesen, wenn es sich bei diesem Ort zumindest um einen Raum gehandelt hätte, doch das war wohl schon zu viel verlangt. Einsam schwebte sie in dieser allumfassenden, schwarzen Leere und wunderte sich darüber, was gerade vor sich ging. An diesem Platz konnte man soweit laufen, wie man wollte, man würde niemals auf Grenzen stoßen, auf keine Wände, keine Ecken.
"Arina... ", sie schrak auf. Wer oder was war das? Irritiert drehte sie sich mehrmals um sich selbst, um herauszufinden, woher die Stimme kam. Ein ohrenbetäubendes, körperloses Kichern hallte durch den unendlichen Raum und verlor sich irgendwo in den Tiefen der Dunkelheit.
"Wer ist da?", rief Arina entschlossen und ballte ihre Hand zur Faust.
"Hast du etwa Angst?"
Die Stimme kam ihr so fremd und doch so merkwürdig vertraut vor. Sie bemerkte, dass sich wie in weiter Ferne ein mattes Leuchten durch die Finsternis schälte. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck und sie schrie entsetzt auf.
Der Fluch.
Das Licht wandelte sich in ein grässliches Wesen, das nur aus verschlungenen, schleimigen Adern bestand und sich schwerfällig durch die schwarze Weite schob.
"Du zitterst ja... "
Arina spürte, wie sich die ersten Schweißperlen ihren Weg über ihr Gesicht bahnten, als ein riesiges, gelb schimmerndes Auge sich durch die schleimige Masse schob und sie gierig anstarrte. Plötzlich überkam Arina ein ungutes Gefühl und eine eisige Aura begann ihren Körper zu umgeben. Ein widerlich ächzendes Keuchen drang durch die unendliche Weite, als die Aura sich verdichtete und es der jungen Elderan vorkam, als würden sich dort Hände formen und nach ihr greifen wollen. Mit einem Mal spürte sie, wie sich etwas kraftvoll in ihr Gesicht krallte, bis dünne Rinnsale dunkelroten Blutes an ihren Wangen herabliefen. Sie wollte sprechen, doch ihr Entsetzen hielt sie permanent davor zurück. Bewegen konnte sie sich nicht, ihr Körper verbot es ihr.
Arina wusste, dass sie keine Angst zeigen durfte und so versuchte sie, dem fremden Wesen mit entschlossenem Blick in sein widerwärtiges Auge zu sehen.
"Falscher Mut... ", der Klang dieser rasselnden Stimme schnitt sich in Arinas Gehörgänge wie scharfe Dolche und raubte ihr beinahe den Verstand. Die Kreatur verharrte geduldig in der Dunkelheit und wartete auf einen geeigneten Moment sie anzufallen. Das war sicher. Es gab hier keinen Ausweg, keine Fluchtmöglichkeit, nichts.
"W-Was willst du von mir?, stammelte sie verängstigt, bevor sich die schwarzen Adern mit einer ungeahnten Geschwindigkeit um ihren Oberkörper schlangen. Ein schriller Schrei entfuhr ihrer Kehle und sie wand sich im festen Griff des Ungetüms. Bedrohlich bäumte sich das Wesen vor ihr auf und kicherte hinterhältig.
"Du wirst ein Festmahl für mich darstellen. Fühle dich geehrt", zischte es, während sich eine der Adern aus der Masse erhob, sich mit einem Mal schmerzhaft in ihre Brust bohrte und ihr Herz davor zurückhielt, weiterzuschlagen...
"Arina... "
"Wer spricht dort?"
"Arina... "
"Mutter?"
"Meine liebe Tochter. Sieh dich um"
Nur langsam öffneten sich die müden Lider der jungen Elderan und sie blickte sich verwirrt um. Erleichtert atmete sie auf, als sie realisierte, dass sie sich auf einer blühenden Wiese befand. Sanft streichelte der Wind ihre Wangen, ihr Haar und ihren ganzen Körper. Das hochgewachsene Gras kitzelte zärtlich ihre Arme und Beine und die strahlende Sonne tauchte ihr sonst so blasses Gesicht in eine leuchtende Farbe. Dieser Ort schien endlos zu sein. Seichte Nebelschwaden umhüllten ihn und ließen keinen neugierigen Blick hindurch. Als sie sich weiter umsah, erkannte sie die geisterhafte Gestalt ihrer geliebten Mutter vor sich.
"Mama!", erfreut sprang sie auf und rannte sofort zu ihr, doch anstatt eine Umarmung als Begrüßung zu bekommen, konnte sie einfach hindurch laufen. Völlig irritiert starrte sie erst auf ihre Hände, dann auf ihre Mutter.
"Mein liebes Kind, es tut mir leid... dies ist nur ein Traum. Ich spreche aus dem Reich der Toten zu dir"
Arina unterdrückte den Drang zu weinen, doch das hielt sie nicht lange durch und schon nach wenigen Sekunden rollten die ersten Tränen ihre Wangen hinab.
"Mama... ", wieder streckte sie die Arme nach ihr aus, obwohl sie genau wusste, dass sie diese Geste auch nicht näher bringen würde.
"Ich bin hier, um dir eine Botschaft zu überbringen"
"Eine Botschaft?", verwundert sah sie in das Gesicht ihrer Mutter und wischte die Tränen mit einer lockeren Handbewegung weg.
"Ja. Der Götterdrache Marahn entsandte mich. Er hat eine Bitte an dich", der friedliche und sorgsame Blick ihrer Mutter gab Arina ein wohlig warmes Gefühl.
"Was kann ein Heiliger schon von mir wollen?"
"Er hat mir nicht sagen wollen, um was es sich genau handelt. Doch er meinte, dass er den Fluch an deinem Körper brechen würde, wenn du ihm hilfst"
Für einen Moment herrschte tiefste Stille, selbst der Wind hatte sein Spiel mit den Pflanzen unterbrochen. Tief in Arinas Innerem schoss eine Freude empor, die sie aber zwanghaft unterdrückte. Nur ein dünnes Lächeln legte sich über ihre Lippen.
"Wie gelange ich zu ihm?", entschlossen sah Arina ihrer Mutter in die toten, leeren Augen.
"Dein Weg soll dich gen Westen führen... er wartet auf dich in der Nascenenwüste"
"Gut, ich werde gehen. Sag Mutter, werden wir uns wiedersehen?"
"Ich fürchte nicht. Für diese Botschaft hat der Herr der Toten eine große Ausnahme gemacht und nur, weil es der Götterdrache so wollte"
Betroffen senkte Arina den Kopf zu Boden und ihre sechs Pupillen starrten einen Grashalm an, der sich verwegen dem Wind behauptete.
"Ja, ich werde gegen den Fluch kämpfen. So wie du es mit dem Herren der Winde tust, tapferer Grashalm", langsam legte sie sich in das weiche Gras, betrachtete für einen kurzen Augenblick diesen himmlischen Ort und schloss dann ihre Augen. Und für einen Moment hatte sie das Gefühl, die schützenden Hände ihrer Mutter an ihren Schultern zu spüren...
Ein schmerzhafter Schlag mitten ins Gesicht riss Arina aus ihrem Schlaf. Erschrocken schlug sie die Augen auf und wusste zuerst nicht, wo sie war. Doch es dauerte nicht lange, ehe sie begriff, dass sie sich in ihrem vertrauten Zimmer befand. Nur verschwommen zeichneten sich die Konturen von mehreren Männern vor ihr ab. Nach und nach erkannte sie die Gardesoldaten Fendors, die mit wütenden Blicken auf sie herabsahen. Ihre metallenen Rüstungen schimmerten im fahlen Mondlicht und die vielen Symbole und Orden sprachen von ihrem gesellschaftlich hohen Status.
"Was zum... ?", sie wurde jäh durch das Geschrei der Männer unterbrochen.
"Los, steh auf!", einer von ihnen packte sie am Kragen und drückte ihr durch den eisernen Handschuh fast die Luft ab. Drohend zog er sie in die Höhe und durchbohrte sie förmlich mit seinem überlegenen Blick.
"Was wollt ihr von mir?", fragte Arina erbost nach.
"Wir wollen, dass du hier verschwindest! Los!", der Soldat warf sie mit voller Wucht zu Boden und stemmte seinen bestiefelten Fuß auf ihren Rücken. Mit schmerzverzerrten Gesicht sah sie auf und erblickte Sayan verletzt an einer Wand lehnen. Ein Dolch steckte tief in seinem Oberarm und er atmete erschöpft.
"Kannst du nicht aufstehen?", ein Tritt in die Seite ließ Arina vor Schmerzen aufstöhnen und ein krankes Gelächter erfüllte den kleinen Raum.
"Hör' auf... ich warne dich", murmelte die Elderan so laut es ihr möglich war. Wieder ertönte ein lautstarkes Lachen.
Arina bekam das alles nicht mehr wirklich mit. Es schien ihr, als würde eine Stimme in ihrem Kopf schreien und als würde diese ihr Trommelfell zerreißen. Ihre Schläfen pochten, ihr Oberkörper begann willkürlich zu zucken und ein reißendes Feuer wütete in ihrem Geist.
"Steh doch auf!", als er sie wieder trat, schien sein Fuß an ihrem Rücken festgewachsen zu sein.
"Was soll das?", er wollte sein Bein zurückziehen, doch es gelang ihm nicht. Ein unheimliches Knurren schlich durch die Stille, die mittlerweile eingetreten war. Begleitet von einem angsteinflößendem Knacken ihres Genicks, drehte Arina ihren Kopf ein Stück nach hinten und sah den Soldaten mit durchdringendem Blick an. Dieser fühlte ein starkes Zucken ihres Körpers, bevor dutzende der schleimigen Adern durch ihre Kleidung schossen und sich mit einer ungeahnten Geschwindigkeit um sein Bein schlangen. Sie zerfraßen seine Stiefel, das Leder seiner Hose und windeten sich weiter um seinen zitternden Leib.
"Nein! Hör auf! Lass mich los!", verzweifelt bettelte der Soldat um sein Leben und sah erwartungsvoll zu seinen Kameraden hinüber, "wollt ihr denn tatenlos zusehen? Tut irgendetwas!"
Doch die Angst überkam auch die anderen Männer. Schweigend wohnten sie dem Geschehen bei, starrten ununterbrochen auf den wachsenden Fluch, der bereits am Kopf des hilflosen Soldaten angelangt war. Ein scharfes Zischen, bekundet von einem aufsteigenden Dampf erzählte vom Schicksal des Mannes. Als die Adern sich wieder zurückzogen hatten, war ein verbrannter, mickrig zusammengekauerter Körper alles, was übrig blieb. Mit panischen Schreien eilten die anderen Männer aus dem Raum und begaben sich hinaus ins Freie. Allmählich konnte Arina sich wieder fassen und rieb sich verwirrt den Kopf. Diesmal fiel sie jedoch nicht in Ohnmacht, sondern hatte nur ein leichtes Schwindelgefühl, wovon ihre irritiert umherblickenden Pupillen sprachen. Nach und nach erholte sie sich und sah erneut zu Sayan, dessen Arm bereits völlig blutüberströmt war.
"Sayan... warte, ich helfe dir"
Vorsichtig aber doch zielstrebig tastete sie sich zu einer kleinen Kommode und holte eine Rolle Bandagen heraus. Sie ging zu Sayan und griff nach dem Dolch, doch zögerte sie unentschlossen.
"Tue es ruhig... ", sein verschwitztes Gesicht und das erschöpfte Atmen bereitete Arina ein unangenehmes Gefühl, doch schließlich zog sie die Waffe mit einem Ruck heraus, warf diese auf den Boden und umwickelte seinen Arm hastig mit den Bandagen.
"Du bist so... fürsorglich, obwohl du doch... ", er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und legte seine Hand auf ihre Wange.
"Du hast viel Blut verloren und musst dich ausruhen", vorsichtig stützte sie ihn, als er schwerfällig aufstand und sich auf das Bett setzte. Arina tat es ihm gleich. Wortlos verharrten beide einen Moment nebeneinander, ohne sich anzusehen oder irgendeine Bewegung anzudeuten.
"Ich verstehe es ", Arina war die erste, die das Schweigen brach.
"Was meinst du?"
"Der Fluch... von mir kann er nicht mehr lange zehren, deswegen sucht er sich neue Nahrung. Wenn ein Angriff naht, dann verhindert er durch diese merkwürdigen Adern, dass sein Wirt sterben muss", erklärte sie mit kleineren Aussetzern, während sie wissend die Leiche des Soldaten musterte.
"Glaubst du, dass der Fluch auch mich angreifen würde?", fragte Sayan interessiert nach.
"Was? Ich... nein, natürlich nicht. Ich meine...", sie schien sich nicht wirklich darüber sicher zu sein und stammelte unförmige Sätze vor sich hin. Beruhigend lächelte Sayan sie an.
"Geht es dir wieder besser?", geschickt lenkte Arina das Thema zurück auf seinen Arm.
"Ja. Doch darum können wir uns jetzt nicht kümmern", er stand auf, sah prüfend aus dem Fenster und meinte dann nurnoch:
"Sie kommen"
"Was?"
Hastig nahm er Arinas Hand und rannte mit ihr die Treppen hinunter und aus dem Haus. Er schien etwas zu suchen, als er sich nervös umsah.
"Aber sie haben Pferde! Zu Fuß werden wir ihnen niemals entwischen"
"Haben wir denn keins?", er grinste frech und deutete auf eine Stute, die auf einem fremden Grundstück hinter einem Gatter angebunden war. Die Beiden wirbelten herum, als sie die Schreie der Fendorer hinter sich hörten.
"Schnell!", die beiden Elderan eilten zum Gatter und Sayan stieß es mit einem kräftigen Tritt auf. Die Stute trippelte zurück und wieherte aufgebracht.
"Komm... ", behutsam legte Sayan eine Hand zwischen ihre Augen und nach einem kurzen Moment ließ das Pferd die Beiden näher an sich heran.
"Ich danke dir", er ging einen Schritt zur Seite, "nach Euch"
"Sayan... ", eigentlich mochte sie es überhaupt nicht, wenn er sich trotz seiner Verletzungen immer nur um sie kümmerte, doch sie hatte es noch nie geschafft, ihm das auszureden. Also stieg sie widerwillig auf das Pferd, Sayan ebenso. Plötzlich schoss ein Pfeil dicht an seinem Kopf vorbei und blieb in einer Holzwand stecken.
"Ich denke, jetzt sollten wir uns selber viel Glück wünschen", er drückte seine Fersen in die Seite der Stute und diese ritt auf Anhieb los.
Ihre Hufen klangen dumpf auf dem Kopfsteinpflaster der Straßen. Als Arina nach hinten sah, erkannte sie die Soldaten zu Pferde, die mit erhobenen Bögen und Schwertern hinter ihnen her ritten. Mit aller Gewalt würden sie versuchen, die verhassten Elderan aus der Stadt zu vertreiben. Womöglich gab der König Fendors, Vandor, diesen Befehl. Arina wollte nicht weiter darüber nachdenken.
"Verrecke du Monster!", brüllte einer der beiden Soldaten, die sich an den Stadttoren aufgestellt hatten und jeder von ihnen präsentierte drohend sein silber glänzendes Schwert in der Luft.
"Verdammt... ", zischte Sayan wütend, während Arina wie ferngelenkt ihre Arme zu beiden Seiten ausstreckte und ihre Hände zu Krallen formte.
"Was tust du denn?", rief ihr Freund durch den pfeifenden Wind.
"Der Fluch lässt nicht zu, dass ich sterbe... "
Für sie lief das ganze Geschehen nurnoch in Zeitlupe ab. Langsam kamen die Soldaten vor ihren Augen immer näher und näher. Sie konzentrierte sich fest auf die scharfen Klingen. Als sie schon fast an ihnen vorbeigeritten waren, packte sie die Schwerter und brach ihre Spitzen mit einem hellen Klang ab. Die Wachen starrten fassungslos auf ihre zerstörten Waffen und waren nicht mehr in der Lage, sich auf irgendeine Art und Weise zu bewegen.
"Das könnt ihr vergessen!", ihr Rufen unterbrach für einen kurzen Moment das Geschrei der Fendorer, doch auch das hielt sie nicht davon ab, sie weiter zu verfolgen. Arina legte ihre Arme wieder um Sayans Oberkörper und drückte sich fest an ihn. Jetzt ging es nurnoch darum, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden, denn wieder prasselte ein Hagel von gefiederten Pfeilen knapp neben ihnen auf die Erde. Die beiden Elderan mussten sich fest in den Sattel drücken, um eine angemessene Geschwindkeit zu erhalten. Sayans Augen tränten bereits vom kühlen Nachwind, der ihm um die Ohren wehte. Er kniff die Augen zusammen, lehnte sich noch etwas weiter über den Hals der Stute und gab ihr die Zügel. Diese hatte gehetzt die Ohren angelegt und Sayan hörte ihr zitterndes Atmen.
"Warum verfolgen sie uns immernoch?", fragte Arina verwirrt, als sie wieder nach hinten sah. Die Soldaten zu Pferde ritten stetig hinter ihnen her und schienen nicht einmal daran zu denken, umzukehren.
"Das würde ich allerdings auch gerne wissen" Er wusste, dass es jetzt darauf ankam, einen möglichst großen Abstand zwischen sich und die Fendorer zu bringen. Die Muskeln der Stute zitterten vor Überanstrengung und ihr Atmen war nun nicht mehr als ein gequältes Keuchen. Die Fendorer waren weit zurückgefallen und blieben schließlich stehen, als sie merkten, dass ihre Pferde diese Verfolgung nicht mehr lange durchhalten würden.
"Wir haben es geschafft. Wir haben die Brut der Dämonen aus unserer heiligen Stadt vertrieben. Unsere Majestät Vandor wird es uns danken", meinte einer der Soldaten und gab den Befehl zum Heimkehren.
Begleitet von dem Klang knackender Äste und raschelnden Laubes brachen Pferd und Reiter in den Wald ein. Das Einzige, was diesen Ort erhellte, war das spärliche Licht des Mondes, welches durch das dichte Blätterdach fiel. Sayan verlangsamte das Tempo und parierte die erschöpft schwankende Stute. Gekonnt sprang er ab und bot Arina die Hand zur Hilfe an. Als auch sie abstieg, packte sie ein Schwindelgefühl und sie begann zu taumeln. Sayan war zur Stelle und stützte sie. Er wusste, dass ihr das Reiten nicht sonderlich geheuer war.
"Ich denke, wir haben sie abgehängt", aufmerksam beäugte er jeden Baum und jedes Dickicht in stetiger Erwartung eines Angriffes.
"Kalt... ", murmelte Arina kaum hörbar.
"Was? Es herrscht doch Silbermond und- "
"Nein, das meine ich nicht", unterbrach sie ihn.
"Hm?"
"Die Aura der Menschen... sie ist dunkel und kalt. Eiskalt. Als ich ihre Schwerter zerbrach", mit betrübtem Blick sah sie auf ihre Hände, "fühlte ich ihren Hass"
"Das ist doch normal. Es sind eben Menschen", Sayan schien es nicht wirklich zu interessieren.
"Nein, das ist es nicht. Ihre Abscheu gegen unser Volk ist eigentlich etwas völlig unnormales. Früher waren Elderan und Menschen enge Freunde und Handelspartner"
"Alles verändert sich im Laufe der Jahrhunderte"
Sie kamen an einem geeigneten Rastplatz an. Eine grasbewachsene Fläche unter dem beruhigenden Schein des untergehenden Mondes. Müde von der langen Verfolgung setzten sie sich auf einen umgestürzten Baum, der sich ihnen förmlich als Sitzmöglichkeit präsentierte.
"Wären die Kreaturen dieser Welt doch nur wie die Sterne. Ein friedliches Beieinandersein ohne Kompromisse, dann wäre das Leben einfacher... "
"Sie haben es eben verlernt, Freundschaft zu wahren. Machtgier und Egoismus bestimmen ihr Leben, darauf sind sie aus. Nicht auf Frieden, auch wenn sie das behaupten" Sayan strich sich durch die vom Wind zerwühlten Haare. Arinas Blick wurde immer betrübter und verständnisloser.
"Sie reißen Städte nieder, um auf den Plätzen ihre eigenen zu errichten. Sie wollen ganze Völker ausrotten, um an die absolute Macht zu gelangen. Das Einzige, was sie wirklich glücklich macht, ist Geld", sie hob ihren Kopf zum Himmel, "Warum hat der Götterdrache nur solch eine widerliche Rasse erschaffen?"
Besorgt sah Sayan in das traurige Gesicht seiner Freundin. Er legte einen Arm um ihren Rücken, als er merkte, dass sie vor Kummer zu zittern begann. Sie rückte ein Stück näher und schmiegte sich eng an ihn. Ihr Kopf war fest an seinen Oberkörper gepresst.
"Ich höre deinen Herzschlag ", flüsterte sie mit halb geschlossenen Augen, "es hört sich sehr schön an... " Er strich durch ihre langen, braunen Haare und freute sich innerlich darüber, dass sie endlich das Thema beendet hatten. Beide verharrten ein paar Minuten in dieser Position und rührten sich nicht. Als Sayan sie wieder ansah, bemerkte er, dass sie eingeschlafen war. Vorsichtig stand er auf, während er ihren Oberkörper festhielt und nahm sie dann auf beide Arme. Er legte sie behutsam auf das weiche Gras und lächelte sie ein letztes Mal an, bevor auch er sich zur Ruhe bettete.
Der Morgen war bereits angebrochen, als Arina die Augen aufschlug. Sie spürte einen warmen Lufthauch an ihrer Schläfe und drehte ihren Kopf zur Seite. Erschrocken hielt sie den Atem an und schluckte. Sayan lag dicht neben ihr und hatte einen Arm über ihren Bauch gelegt. In diesem Moment durchflutete Arina ein ihr völlig unbekanntes Gefühl. Seine plötzliche Nähe erschien ihr so unglaublich vertraut und gleichzeitig so fremd. Warum wich sie nicht zurück? Warum weckte sie ihn nicht auf oder drehte sich einfach zur anderen Seite? Sie wusste es nicht... es gab ihr einfach ein wohliges Gefühl in seinen Armen zu liegen. Sie errötete leicht, als sie daran dachte.
Langsam aber sicher erwachte auch er und erschrak selber, als er merkte, wie nah er ihr doch war. Mit einer blitzschnellen Bewegung ließ er von ihr ab und setzte sich beschämt auf.
"T-Tut mir Leid. Das muss im Schlaf passiert sein", murmelte er sich vor sich hin und hoffte, dass sie ihm das nicht übel nehmen würde.
"Schon gut... ", stammelte Arina verwirrt und legte eine Hand an ihr Herz. Sie glaubte, nur für einen Augenblick die Macht des Fluches geschwächt und die Schmerzen gelindert zu haben. Schnell lenkte sie das Thema wieder ab.
"Wir... wir müssen weiter"
"Wohin denn? Wir sind doch nirgendswo erwünscht"
Ja, er hatte Recht. Die Menschen hatten schon längst Gerüchte über sie in die Welt gesetzt und auch in anderen Städten herumerzählt. Jedesmal, wenn sie auf dem Markt einen Angehörigen eines fremden Volkes sah, starrte auch dieser sie angewidert an und machte einen großen Bogen um sie.
"Wir müssen in die Nascenenwüste", gab sie kurz aber klar zurück, als sie sich an ihren Traum erinnerte.
"Warum denn?", erkundigte sich Sayan interessiert.
"Hör zu. Ich hatte einen Traum, in dem meine Mutter mir erschienen ist und mir sagte, dass ich in die Nascenenwüste reisen soll, da der Götterdrache angeblich meine Hilfe benötigt"
Sayan musste sich ein Lachen verkneifen und meinte nur amüsiert:
"Ein Heiliger? Sei nicht albern, das war nur ein Traum"
"Wo sollen wir denn deiner Meinung nach hingehen? Wir haben doch keine Wahl. Willst du lieber wieder zurück nach Fendor?", meinte Arina etwas verärgert über seine Ungläubigkeit. Er seufzte.
"Dann brechen wir eben auf. Aber bis in die Wüste ist es sehr weit, wie kommen wir da hin?", fragte Sayan neugierig und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Ein paar Mal ließ Arina ihren Blick über den schwachbewachsenen Platz schweifen.
"Hast du die Stute etwa stehen lassen?", ihr Blick verriet, dass er jetzt besser nichts Falsches sagen sollte. Ein verlegenes Lachen war ihr Antwort genug.
"Na wunderbar! Und was machen wir jetzt? Zu Fuß die weite Strecke laufen?", am liebsten wäre sie vor Enttäuschung aufgesprungen und losgerannt. Ihre Mutter - und mochte es auch ein Traum gewesen sein - erzählte ihr die Wahrheit und sie hat sie wirklich getroffen. Es war nicht einfach ein Wunschtraum... es war real. Selten sah Sayan seine Freundin so erbost und enttäuscht. Langsam begriff er, was in ihr vorgehen musste und auch er zweifelte daran, dass das Ganze nur ein gewöhnlicher Traum war. Er sah zum Himmel hinauf und schien ihn aufs kleinste Detail zu mustern.
"Ein Drache ist hier vor nicht allzu langer Zeit entlang geflogen. Die Form der Wolken verrät es mir. Wir werden uns einfach einen Winddrachen zu Hilfe nehmen"
Arina sah ihn jetzt nur noch verdutzter an. Seit wann wusste er so gut über diese mächtigen Flugechsen Bescheid? Wahrscheinlich hatte er sich dieses Wissen angeeignet, als er die Natur sorgfältig beobachtete. Es war seine Lieblingsbeschäftigung, doch das hat sie nie sonderlich interessiert, deswegen ließ sie ihn dabei immer alleine.
"Und wie willst du das anstellen?", erkundigte sie sich mit ungläubigem Gesichtsausdruck.
"Ebenso, wie ich es bei der Stute gemacht habe. Ich werde ihm meine gute Absicht mitteilen und hoffen, dass er unsere Lage versteht und uns helfen wird", erklärte er langsam und hielt dabei seine Handflächen in die Luft.
"Guter Plan", musste Arina zugeben, "hoffentlich haben wir Glück und es kommt noch ein Drache"
"Er zieht seine Bahnen am Himmel und wird früher oder später wiederkommen. Dort, siehst du? Dort oben", er deutete mit dem Zeigefinger auf einen Schatten am Himmel. Ob es nun wirklich ein Winddrache war, konnte selbst Sayan nicht erkennen.
"Nicht umsonst sind wir Elderan das 'Volk der Drachen'. Ich werde ihn zu uns rufen", er tippte mit den Fingerspitzen an seine Stirn, während er einen Arm von sich gestreckt in den Himmel hielt. Leise flüsterte er ein paar Worte, die Arina nicht deutlich hören konnte, und schloss die Augen.
Sie sah auf.
Gemächlich kreiste diese gewaltige Echse am Himmel und ließ sich dabei von ihren Schwingen sanft nach unten tragen. Arina war völlig fasziniert, als der Schatten sich als wahrhaftiger Winddrache entpuppte. Ein Wesen, mit titanischen Kräften ausgestattet und von solcher Eleganz und Schönheit, die, trotz der beängstigenden Gewalt, zum Träumen verleitete. Eine Staubwolke bekundete die Ladung des riesigen Tieres. Es hatte kaum Platz auf dieser kleinen Lichtung. Sayan ließ die Augen immernoch geschlossen und der Drache senkte seinen Kopf zu ihm herunter. Als er seine Hand auf die Nüstern der Echse legte, begannen diese zu zittern und der Drache schnaufte verständnisvoll.
Ihr seid also Elderan, Angehörige des 'sterbenden Volkes'. Ich kenne und beobachte euer Leid zur Genüge und weiß, was ihr durchmachen müsst. Gerne bin ich bereit euch zu helfen. Mein Name übrigend ist Galrah, Herr der Winde.
Da diese gewaltigen Urechsen nicht die Gabe des Sprechens besaßen, mussten sie den Weg der Telepathie wählen. Es war sehr angenehm, die Stimme eines solchen Wesens zu hören, denn sie klang stets weise, erfahren und vor allem beruhigend.
"Vielen Dank, dass Ihr uns helft", bedankte sich Sayan vornehm.
Nicht so förmlich... ich bin dir kein Fremder, also sprich mich doch wie einen guten Freund an, ich werde es dir nicht verübeln.
Der Elderan lächelte Galrah freundlich an und strich ihm über die schuppige Haut.
Ihr wollt also in die Nascenenwüste, ja? Ich bringe euch gerne hin. Steigt nur auf meinen Rücken.
Und mit diesen Worten ließ der Drache eine seiner Schwingen zu Boden gleiten, woraufhin Arina und Sayan eilig hinaufliefen. Sie machten es sich auf dem breiten Rücken gemütlich und Galrah setzte zum Flug an. Als sich sein gewaltiger Körper ruckartig gen Himmel erhob, krallte sich Arina reflexartig in Sayans Kleidung und hielt sich unsicher an eben dieser fest.
"Das ist ja noch schlimmer als auf einem Pferd... ", grollte sie verärgert.
"Genieße es lieber, anstatt dich zu quälen", er lachte sie frech an und wollte aufstehen, doch der starke Wind erschwerte es ihm. Da Arina sich nicht traute loszulassen, stand sie widerwillig mit auf. Nach anfänglichen Sorgen bestaunte sie jetzt jedoch die atemberaubende Aussicht. Aus dieser Höhe hatte man alle umliegenden Städte, Wälder, Seen und Wüsten in einem großartigen Bild zusammengefasst.
"Das ist wunderschön"
"Ja, wunderschön... ", er sah sie einen Augenblick lang an. Zärtlich legte Sayan einen Arm um ihre Hüfte und zog sie etwas näher an sich heran. Arina schwieg wissend und ließ sich diesen Moment durch nichts auf der Welt verderben.
Unser Ziel ist nicht mehr weit. Die Wüste ist in Sicht.
Der Drache meldete sich wieder zu Wort und ließ sich allmählich zu Boden sinken. Die Landung mitten in der Nascenenwüste ging sanfter vonstatten als der Abflug. Doch war dieser Ort ungewöhnlich ruhig, anders, als es in den Schriften der uralten Wüstenvölker verzeichnet war.
Ich muss euch nun verlassen, da ich hier nicht sehr lange überleben kann. Ich wünsche euch viel Glück, meine Freunde.
"Vielen Dank, Galrah", und mit diesen Worten stiegen Sayan und Arina von dem Rücken des Drachen hinab.
Lebt wohl!
Wieder erhob er sich mit einigen Schlägen seiner Schwingen in die Luft und nach wenigen Minuten war er schon kaum mehr am Himmel zu sehen.
"Jetzt sind wir auf uns alleine gestellt", Sayan musste sich bereits den Schweiß von der Stirn wischen. Hier war es heißer, als in jeder anderen Wüste dieser Welt und die einzige Stadt war Nascia, im Herzen dieser trostlosen Einöde. Die Einwohner hatten gelernt, hier zu leben und sich dem tödlichen Klima zu widersetzen. Noch niemals hatte es jemand gewagt, sie anzugreifen, aus Sorge um die eigene Armee.
"Ja... ", durch ihren Fluch hatte Arina noch mehr mit der Hitze zu kämpfen als ihr Freund. Als sie zum Horizont sah, glaubte sie, dieser Ort wäre endlos. Kein Baum, kein Strauch, nichts. Unendliche Flächen an Sand. Doch sie erinnerte sich an die Geschichte eines Magiers, der sie auf dem Marktplatz einst gelauscht hatte. Angeblich soll hier die sagenumwobene "Wandernde Oase" sein, die dank eines verunglückten magischen Experimentes entstanden ist. Jedes Jahr zur Zeit des Silbermondes tauchte sie an einer anderen Stelle auf und bot Wasser für das gesamte Volk der Nascenen, man musste sie nur finden.
"Sonst herrschen hier doch immer Sandstürme", Sayan kam das alles mehr als merkwürdig vor.
"Der Götterdrache... ist hier... ", keuchte Arina, bevor sie geschwächt zu Boden sank und sich, wie jedesmal bei starken Schmerzen, die Hand auf ihr Herz legte, "ich spüre seine Macht... er wird bald erscheinen... "
Wieder begann ihr Oberkörper zu zucken und sie schlang die Arme um die schwarze Masse, die sich ihren Weg durch die weiche Haut der Elderan bahnte und sie zu einem beinahe steinharten Gebilde formte.
"Arina! Was ist mit dir?", besorgt kniete sich Sayan zu ihr hinunter und legte eine Hand auf ihre Schulter, doch Arina schlug sie schnell beiseite.
"Lass das, sonst... greift dich der Fluch auch an... ", ihre erstickte Stimme machte ihm schwer zu schaffen. Wie gerne würde er ihr helfen, doch konnte er es nicht. Aber er verstand die Reaktion des Fluches. Niemals würde sich ein Wesen der Unterwelt in die Nähe eines Heiligen begeben und jetzt versuchte er, Arina dazu zu bringen, hier zu verschwinden. Möglicherweise würde er sogar Sayan angreifen, um eine Warnung auszusprechen.
"Du bist also wahrhaftig erschienen, junge Elderan"
Eine körperlose Stimme durchriss die Stille des Wüstensandes. Verwundert hob Arina den Kopf und blickte sich um. Nichts. Hatte sie sich etwa verhört? Nein, das konnte nicht sein, Sayan war ebenso erstaunt wie sie.
"Wer seid Ihr? Gebt euch zu erkennen!", sie nahm all ihre Kraft zusammen und stemmte ihren Körper in aufrechte Position. Wenn es wirklich der Götterdrache sein sollte, durfte sie keineswegs Schwäche zeigen.
"Die Natur gab mir den Namen Marahn. Da ich in euren Gesichtern Verwunderung lese, werde ich mich euch zeigen"
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, verdunkelte sich der Himmel und die Wolken bildeteten eine scheinbar undurchdringliche Mauer. Aus der Dunkelheit war plötzlich ein dumpfes Geräusch zu vernehmen, das sich regelmäßig wiederholte. Für den Bruchteil einer Sekunde erstrahlte ein gleißend helles Licht am Himmelszelt und aus diesem heraus schoben sich zwei klauenartige Gebilde. Ja, es waren die Klauen einer gigantischen Kreatur. Mit einem tiefen, dröhnendem Knurren stieß auch der Kopf der Bestie durch die Wolkendecke und nach und nach erkannte man den ganzen Körper dieses heiligen Wesens aus uralten Zeiten. Schneeweiß glänzte der Schuppenpanzer, gelb wie die Mittagssonne seine wehende Mähne und blau wie der Ozean seine atemberaubend schönen und weisen Augen. Die muskelbepackten Glieder streckten sich und die zuvor flach am Rücken angelegten Schwingen schnellten hervor und entfalteten sich in ihrer ganzen Pracht. Eine gewaltige Staubwolke flog während der Landung des Drachen empor und blies die beiden Elderan fast von ihren Plätzen.
"Sorge dich nicht Arina. Ich habe die Zeit in dieser Welt angehalten, um mit dir und Sayan in aller Ruhe sprechen zu können. Der Fluch hat nicht genügend Macht, um dir hier ein Leid zuzufügen"
Arina war mehr als fasziniert von diesem Wesen. Nicht nur, dass es die Gabe des Sprechens besaß, nein, durch seine unglaubliche Schönheit und Weisheit wurde es ihr ganz warm ums Herz, wenn es ihm in die Augen sah. Auch Sayan war nicht minder erstaunt über den Anblick dieses heiligen Tieres. Die Legenden und Sagen um Marahn waren unzählige, Geschichten wurden von Generation zu Generation weitergegeben, doch niemals hatte jemand diese Kreatur lebend gesehen.
Den Schöpfer dieser Welt.
Er war es, der das Diesseits und das Jenseits, das Land und das Leben in ihrer heutigen Form erschuf. Die Natur, die Urkraft allen Daseins, verlieh ihm diese Fähigkeiten. Es war eine Ehre, nein, mehr noch als das, es war ein Segen diesem Wesen zu begegnen und sogar mit ihm sprechen zu dürfen.
"Nun, ihr jungen Elderan, ich möchte euch nicht mit wirrem Gerede hinhalten. Lauscht meinen Worten und vorallem du, Arina. Es sind Worte, über die du gut nachdenken musst, bevor du mir und den Göttern eine Antwort gibst"
Arina schluckte. Sie wusste nicht, was sie jetzt erwarten würde. Und dass eine solch mächtige Kreatur wie diese ihre Hilfe benötigte, konnte sie sich schon garnicht vorstellen.
"Arina, dein Hass gegen die Menschen ist berechtigt, doch lasse dein Urteil nicht zu schnell fallen. Eine diabolische Macht zwingt sie zu ihrem Handeln. Der Weltendämon Kadin zehrt vom Körper des residierenden Königs Vandor und lässt seine grenzenlose Wut auf die Menschen übergehen. Erinnerst du dich nicht daran, was der General der Dämonen rief, als sie euer Dorf angriffen?", der Blick des Drachen verfinsterte sich.
Die junge Elderan riss die Augen weit auf und ihre Stimme begann zu zittern.
"Lang lebe Fendor... ", sie brachte es nur schwer über die Lippen. Erst jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Alles, was der Drache erzählte, bekam urplötzlich einen Sinn für sie.
"Dann hat Vandor unser Dorf und meine... meine Mutter auf dem Gewissen", fassungslos brach sie zusammen, die Hände entsetzt vor dem Gesicht zusammengeschlagen.
"Nein, nicht Vandor, sondern Kadin hat euer Dorf angegriffen. Ihn solltest du hassen. Seine Abscheu gegen die Götter und Drachen hat auch das ewige Feuer des Unterganges über euer Volk gebracht, da ihr die Rasse der Drachen verehrt"
Ein Schluchzen drang durch die eingetroffene Stille. Tränen tropften auf den heißen Wüstensand und rannen zwischen den einzelnen Sandkörnern hinunter.
"Mama... ", Arina kippte von aller Kraft verlassen nach vorne um, allein abgefangen von ihren Knien. Verzweifelt kauerte sie sich auf dem Boden zusammen und Sayan musste zum ersten Mal mitansehen, wie sie von tiefer Trauer überwältigt wurde und unter Tränen zusammenbrach. Er kniete sich hinunter zu ihr und nahm sie tröstend in den Arm. Sofort presste sie ihren Kopf gegen seinen Oberkörper und gab ängstliche Laute von sich, die unter anderen Umständen möglicherweise Worte gewesen wären.
Selbst Marahn war tief gerührt von dieser plötzlichen Gefühlsregung.
"Denkst du, dass du stark genug bist, meine Bitte anzuhören?", ein verständnisvoller Unterton lag in seiner Stimme. Zitternd wischte Arina die Tränen aus ihrem Gesicht und bemühte sich darum, einigermaßen entschlossen und ernst zu klingen.
"Sag es mir nur, ich bin bereit"
"Nun gut. Ich und alle Götter und Halbgötter der himmlischen Gefilde bitten dich, den Weltendämon Kadin zu bezwingen", er senkte sein Haupt nieder, um Arina direkt in die Augen blicken zu können und sandte ihr einen kühlen Lufthauch, der ihren Geist beruhigte.
"Was sagt Ihr da? Wieso sollte ich, eine einfache Elderan, in der Lage sein, gegen den Weltendämon zu bestehen? Ihr müsst euch irren... ", sie drehte den Kopf verwirrt zur Seite.
"Keineswegs. In der Legende wird eine Angehörige eures Volkes beschrieben, die ihre Familie und ihren Körper verliert, ihren Glauben und ihre Freude. Doch trotz des Schmerzes, der sie im Laufe ihres Lebens übermannen wird, gewinnt sie doch etwas zwischen all den Dingen, die sie verlor. Den Kampf gegen ihre Angst und die Geborgenheit, die sie sich immer erhofft hatte. Dadurch ist sie in der Lage, den Weltendämon zu verbannen. Arina, diese Legende spricht von dir. Es mag dir zu diesem Zeitpunkt noch fremd sein und du wirst nicht daran glauben, doch vertraue mir, ich irre mich nicht", erklärte der heilige Drache geduldig.
Die junge Elderan sah zu Sayan hinauf. Er nickte zustimmend und half ihr beim Aufstehen.
"Ich verstehe es zwar auch nicht, aber du kannst ihm vertrauen. Spürst du seine Aura? Sie ist rein und gewissenhaft, also wird er wohl nicht lügen oder unsicher sein", sein zusätzliches Lächeln gab Arina ein gutes Gefühl. Jetzt stand sie auch wieder fest auf beiden Beinen.
"Erhabener Marahn, wie soll ich Kadin denn bezwingen können? Auch wenn ich verborgene Kräfte besitzen sollte... weiß ich nicht, wie ich sie einsetze. Und warum kämpft Ihr denn nicht gegen ihn? Ihr seid doch weitaus stärker"
"Verzeih', doch meine Kraft wirkt nur für eine begrenzte Zeit in dieser Welt und das reicht bei Weitem nicht aus. Unglücklicherweise musst du auch deine Kräfte selbst entdecken und ich hoffe, du wirst dies sehr bald schaffen, denn dem diabolischen Weltendämon dürstet es nach dem Blut der Götter", mit diesen Worten schnellten die Schwingen des Drachen in die Höhe und ein leichter, silberner Glanz fiel von ihnen herab und gab der Umgebung eine wunderbare Atmosphäre.
"Nun muss ich euch leider verlassen, meine Freunde, doch werde ich auch im Auge behalten. Lebt wohl und viel Glück. Ich werde euch nach Fendor bringen"
Arina und Sayan spürten nurnoch einmal ihren heftigen Herzschlag, bevor ihnen schwarz vor den Augen wurde und sie ohnmächtig zu Boden fielen.
"Ich habe großes Vertrauen, die Götter brauchen eure Hilfe... "
Mitten auf dem Marktplatz kamen die Beiden wieder zu sich. Als sie ihre Augen öffneten, konnten sie einen verwirrten Blick nicht mehr zurückhalten. Sie sahen sich um. Dort waren Menschen, die sie einkreisten, doch in einem übertriebenen Abstand. Sie tuschelten und flüsterten, nur ein junges Mädchen lächelte sie freundlich an.
"Hm? Sieh mal da, Sayan. Ein Mensch... der uns anlächelt", murmelte Arina ungläubig und nach einem kurzen Zögern lächelte sie eben so gutmütig zurück. Das Mädchen schien sich sehr zu freuen und kicherte. Doch die glückliche Begrüßung der Beiden endete in einem Schrei eines Soldaten.
"Was ist hier los?"
Er schlug sich förmlich durch die Massen und blieb schließlich mit erhobenem Schwert vor den Elderan stehen.
"Ihr! Was soll das? Wir haben euch doch aus der Stadt gejagt! Verschwindet!", seine rauhe, dröhnende Stimme schmerzte Arina, doch sie antwortete behände:
"Wir wollen zu Vandor! Bringt uns zu ihm!"
"Ich sage dir, wohin ich euch bringe! In den Kerker! Männer, schafft sie fort!", sein Befehl war einfach zu verstehen und schon nach wenigen Sekunden hatten die ersten Soldaten die Beiden eingekreist. Arina war sehr verwundert darüber, dass der Fluch nichts unternahm. Hatte die Anwesenheit des Drachen ihn so sehr geschwächt? Oder kam er bloß zum Vorschein, wenn sie wirklich in Todesgefahr schwebte? Nein, das konnte nicht sein. Der Händler auf dem Marktplatz hatte sie auch nicht angegriffen und doch erschien der Fluch und hätte ihn fast umgebracht. Doch es war schon zu spät, um darüber nachzudenken, denn die Gardesoldaten hatten sie schon unsanft an den Armen gepackt und schleppten sie in Richtung Palast. Sayan und Arina wehrten sich nicht, was sollten sie auch ausrichten können? Das würde das Ganze ja nur schlimmer machen.
"Ihr habt einen großen Fehler begangen. Ich bin gespannt, welche Torturen sich unsere Majestät Vandor für euch ausdenken wird. Das wird ein Spaß", lachte der Soldat. Mittlerweile waren sie im riesigen Eingangssaal des Palastes angekommen und gingen weiter, bis sie an einer alten, klapprigen Tür ankamen. Arina wollte das Innere dieses prächtigen Gebäudes aus alter Zeit nicht bestaunen, da es von Menschenhand erbaut wurde. Selbst die vielen Gemälde, die prächtig verzierten Wände und Türen, die goldenen Statuen und die leuchtend rot-goldenen Vorhänge beeindruckten sie nicht im Geringsten.
"Willkommen, tretet doch ein in unser bescheidenes Folterkämmerlein", sarkastisch schloss der Wachmann die Tür auf und mit einem hellen Quietschen öffnete sie sich und legte eine graue Finsternis frei. Ein ekelhafter Geruch stieg allen Anwesenden in die Nase.
"Bah, lass es uns schnell hinter uns bringen. Das ist ja grausam", angewidert verzog der Soldat sein Gesicht und schob die Gefangenen weiter nach vorne.
"Los, da rein!", befahl er und stieß sie in eine kleine, mit Stroh ausgelegte Zelle, die mit Gitterstäben vom Gang getrennt war.
"Ich werde unserer Majestät Bescheid geben. Derweil wünsche ich euch hier unten viel Spaß", wieder lachte er, verschloss die Zelle und begab sich mit den Anderen wieder hinaus. Das Quietschen der Tür bekundete sein Verschwinden. Dieser Ort war mehr als einfach nur widerlich, er war geradezu abstoßend. Überall lag Ratten- und Mäusekot und Kadaver von kleinerem Getier. Ein verfaulter und modriger Geruch hing an den Wänden und am Stroh und gab den Elderan das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Ein altes, klappriges Holzbett war alles, was es hier drinnen gab. Nicht einmal mit Stoff war es überzogen, nur das blanke Holz. Als ob das allein nicht schon genug wäre, musste sich Arina auch noch die lüsternen Blicke ihrer Mitgefangenen gefallen lassen. Allesamt ungewaschene, widerwärtig stinkende Verbrecher. Die Elderan schlug die Hände vor dem Mund zusammen. Das Erbrechen war ihr nahe, doch Sayan war sofort zur Stelle. Er legte eine Hand auf ihre Augen, um ihr den Anblick dieses Ortes zu ersparen und drückte sie fest an sich.
"Höre nicht hin... denke an ein schönes Lied und lasse es durch deinen Kopf tanzen", zu diesen Worten summte er eine angenehme Melodie und mit einem Mal ging es Arina wieder besser. Sie lauschte seiner Stimme, die jedoch von den anderen Gefangenen jäh unterbrochen wurde.
"Hey, wir wollen was sehen!"
"Ja! Ihr seid zusammen in einer Zelle! Los, macht schon!"
Sayan trieb es die Schamesröte bis unter die Haarspitzen.
"Haltet die Klappe!", rief er zurück und legte seinen Kopf auf Arinas, um ihr wenigstens etwas Sicherheit zu versprechen.
"Hab keine Angst... wir kommen hier schon raus", flüsterte er ihr beruhigend ins Ohr und strich ihr über die Wange. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, als sie die Hand eines Gefangenen an ihrem Arm spürte. Er hatte sie durch die Gitterstäbe gezwängt und starrte die junge Elderan nun gierig an.
"Wenn du es nicht mit ihm machen willst, dann komm doch zu mir... ", ächzte er und kicherte daraufhin wie ein Wahnsinniger.
"Fass sie nicht an!", zischte Sayan wütend und riss die Augen bedrohlich auf, "ich warne dich!"
Noch bevor er diesen Satz zuende gesprochen hatte, hörten die beiden Elderan dumpfe Schritte auf dem Gang widerhallen. Plötzlich waren die Gefangenen still und rührten sich nicht mehr. Eine großgewachsene, dunkle Gestalt kam auf sie zu. Eingehüllt in dutzende von schwarzen Umhängen präsentierte sie sich ihnen als vollkommen überlegen. Es war Vandor, Herrscher über Fendor.
"Jämmerlich", raunte er mit tiefer Stimme und sah zu Arina, "dich kenne ich gut. Bist du nicht das kleine Mädchen von damals?"
Arina erschrak. Sie wollte vor diesem mächtigen Wesen zurückweichen, da sie seine gewaltige Aura spürte. Schwarz und kalt.
"Zeig mir deinen Oberkörper... ", sagte er weiter, doch sie kreuzte nur die Hände davor und meinte mit nervösem Tonfall: "Du hast sie wohl nicht mehr alle"
"Du wirst gefälligst gehorchen! Und rede anständig mit mir!"
Sie wusste sich nicht zu helfen, nicht einmal Sayan konnte ihr jetzt noch wirklich beistehen. Vandor würde sie so oder so kriegen. Tot oder lebendig, das war ihm anscheinend gleich. Widerwillig wickelte sie das Tuch um ihren Hals ab und zog das rote Oberteil aus. Sayan sah währenddessen weg, er wollte ihre Situation keineswegs ausnutzen. Die Gefangenen dagegen begannen wieder zu tuscheln und stierten sie an, als wäre sie ein einziges Lustobjekt.
"Tatsächlich", Vandor blickte auf den Fluch und dessen schleimigen Adern und ließ ein amüsiertes Kichern los. Wie beschämt kam sich Arina doch vor, halbnackt vor all diesen Männern. Auch wenn der Fluch ihren Körper zum Teil verbarg, konnten sie immernoch zu viel sehen.
"Gib mir das", er deutete auf ihr Oberteil und grinste bösartig.
"Nein! Ich meine... das kriegt Ihr nicht... ", brachte sie nur kleinlaut hervor und krallte sich in den Stoff ihrer Kleidung. Vandor streckte sein Hand in ihre Richtung aus und ein schwacher, violetter Lichtschein baute sich um seine Handfläche auf.
Arina wurde von einer ihr unbekannten Macht nach vorne gezogen, bis sie gegen die Eisenstangen gedrückt wurde.
"Ich will dich weiter leiden sehen, also gib es mir", grollte er und mit einem Zögern gab sie ihm, was er verlangte.
"Ich werde mir eine angemessene Strafe für euch überlegen. Solange solltet ihr den Rest eures Lebens genießen", ohne ein weiteres Wort zu sagen, wendete er sich von ihnen ab und verließ den Kerkergang mit langsamen Schritten. Arina kauerte sich zu einer mickrigen Gestalt zusammen und zitterte am ganzen Leib. Sayan überlegte einen Moment, zog dann aber doch sein schwarzes Hemd aus.
"Hier, zieh dir das an. Ich weiß sonst nicht, wo ich hinsehen soll", er hielt es ihr hin, während er jedoch immernoch in die andere Richtung sah. Einen Moment lang zögerte Arina noch, bevor sie sein Angebot annahm und sich das Hemd überzog.
"D-Danke... ", stotterte sie und verbarg ihr errötetes Gesicht.
Plötzlich vernahm sie ein Rascheln aus einer Ecke des Kerkerganges. Sie hob ihren Kopf und blickte in die Richtung, aus der sie das Geräusch vermutete.
"Sayan, da ist jemand", flüsterte sie ihrem Freund zu, woraufhin sich dieser ebenfalls umdrehte. Und tatsächlich. Ein Schatten schlich durch die Dunkelheit des Raumes und sah scheinbar zu Arina hinüber. Die Gestalt war von mittlerer Statur und Größe und sah nicht besonders furchterregend aus. Ein dunkler Mantel verdeckte sie vollkommen. Die Elderan kroch zu den Gitterstäben hinüber. Seltsamerweise wich die Gestalt keinen Schritt zur Seite.
"Wer bist du?", erkundigte sie sich interessiert.
"Mein Name ist Toki, Toki Segin. Ich habe dich vorhin auf dem Marktplatz gesehen und du hast mir sehr leid getan. Ich wollte dir und deinem Freund helfen"
Einen Moment lang sah Arina die Fremde ungläubig an und wollte ihr nicht so recht vertrauen, da sie ja immernoch ein Mensch war, doch dann streckte sie neugierig eine Hand durch das Gitter. Sie griff die Kapuze des Mantels und zog sie vom Kopf des Mädchens. Seine langen, braunen Haare, die es zu einem zotteligen Zopf gebunden hatte, hingen franzig über ihre Stirn. Die himmelblauen Augen stachen deutlich hervor und die grüne Kleidung passte perfekt zu ihrem Charakter. Toki lächelte sie freudig an und nahm ihre Hand. Warum nur fühlte sich Arina so hingezogen zu diesem Wesen, obwohl es doch der Rasse der Menschen angehörte? Das junge Mädchen nahm Arinas Hand und schloss die Augen.
"Du bist traurig, nicht wahr? Du hast Angst um dein Leben und um das deines Freundes und du fürchtest dich vor einem erneuten Zusammentreffen mit Vandor", Toki schien genau zu wissen, was gerade in Arina vorging.
"Wo... woher weißt du das?"
"Das habe ich von einem Magier gelernt. Es ist die Fähigkeit, Gefühle durch die Handflächen zu erahnen", sie kicherte und holte blitzschnell einen Schlüssel hervor.
Mittlerweile hatte die Situation auch in Sayan Interesse geweckt und er schritt ebenfalls zu den Beiden hinüber. Toki schloss die Zelle auf und öffnete die Gittertür.
"Kommt, beeilt euch"
Den Gefangenen schien es völlig gleichgültig zu sein, ob sie verschwinden oder nicht und die Wachen waren sowieso außerhalb des Kerkers postiert, so dass niemand ihre Flucht bemerken würde. Toki führte die Elderan zu einem unscheinbaren Gang, der unter der Erde entlang führte und nur von einer morschen Holzplatte verdeckt gehalten wurde.
"Auf geht's", lachte Toki und ließ sich in das dunkle Loch fallen, das anscheinend nicht sehr tief hinab führte, "folgt mir"
Und schon begaben sie sich in den dunklen, dreckigen Gang und mussten sich schon tief hinunterbeugen, um überhaupt darin laufen zu können. Die ganze Zeit über beobachtete Arina das kleine Mädchen und wunderte sich, warum sie ihnen half. Sicherlich nicht aus purem Mitleid, wie sie es behauptete. Da steckte noch etwas Anderes dahinter.
"Wir sind da", am Ende des Ganges hob Toki eine weitere Holzplatte hoch und stieg wieder hinaus.
"Wo sind wir?", erkundigte sich Sayan, als er bemerkte, dass sie in einem kleinen Wohnhaus angekommen waren.
"Das ist das Heim meines Ziehvaters Rogan. Hier seit ihr vorerst sicher"
Sie kletterten hinaus und schoben die Platte wieder auf ihren ursprünglichen Platz. Dieses kleine Haus hatte nicht viel. Lediglich ein einfach zusammengebauter Holztisch mit vier Stühlen, ein breiter Schrank und eine kleine Kommode füllten den Raum.
"Setzt euch doch", gastfreundlich bot Toki den Elderan eine Sitzgelegenheit auf den Stühlen an.
"Gerne", Arina und Sayan nahmen ihr Angebot dankend an. Noch einen Augenblick sah Arina sich in dem kleinen Zimmer um, bevor sie sich wieder Toki zuwandte.
"Sag, warum hast du uns geholfen? Doch bestimmt nicht, weil du Mitleid mit uns hattest. Ich würde es gerne wissen. Bald werden die Soldaten nämlich bemerken, dass wir verschwunden sind und werden uns suchen und verfolgen", erklärte Arina und verschränkte die Arme.
"Das wird Rogan euch erklären. Er hat nur gesagt, ich solle euch befreien", erklärte sie und wippte auf ihrem Stuhl hin und her, "er ist ein ganz toller Magier"
"Wo kommt eigentlich dieser Gang her?", meldete Sayan sich zu Wort. Das junge Mädchen legte den Kopf schief.
"Das weiß ich nicht. Er war schon immer dort. Als kleines Kind bin ich einmal durchgekrochen, obwohl Rogan es mir verboten hat und war plötzlich im Kerker. Natürlich bin ich sofort umgekehrt und bin seitdem auch nie wieder dorthin gegangen, bis heute"
"Und der Schlüssel?", erkundigte sich Arina weiter.
"Den hab ich vor ein paar Jahren einem Soldaten geklaut", sie lachte kurz, "die Wachen im Palast sind wirklich dumm"
Ein lautes Knarren bekundete das Eintreten eines bärtigen, alten Mannes, der gestützt auf einem knorrigen Stock, zu den Anwesenden trat.
"Rogan!", Toki sprang auf und warf sich um den Hals des Magiers.
"Ist ja schon gut, ich bin nicht mehr der Jüngste. Wie ich sehe, hast du es geschafft, die Beiden zu befreien", er sah zu den Elderan hinüber und schritt zu ihnen. Sein langer, dunkelblauer Mantel schleifte auf dem Boden entlang und die schmalen, von Falten umlegten Augen wirkten freundlich und vertrauenswürdig.
"Warum helft Ihr uns?", Arina zögerte nicht, fragte direkt nach dem Grund. Der alte Mann lachte auf und ließ seine Hand nachdenklich durch seinen Bart gleiten.
"Nun, du hast doch Marahn gesehen, nicht wahr?"
"Was? Nein... wie kommt ihr nur auf solch eine absurde Idee", Arina wusste sich nicht zu helfen. Woher wusste dieser Kerl davon?
"Du brauchst es vor mir nicht zu verheimlichen. Ich bin schon sehr alt und habe viel in meinem Leben gelernt und eine Veränderung des zeitlichen Ablaufs geht nicht spurlos an mir vorüber. Außerdem weiß ich nur zu gut, wie Marahns Aura aussieht und seine Anwesenheit in dieser Welt verändert vieles", eine gewisse Logik lag hinter seinen Worten. Er räusperte sich.
"Du bist auserwählt worden, gegen Kadin zu kämpfen. Stelle jetzt keine Fragen, ich spüre es ebenfalls an deiner Aura und auch an deinen Augen"
"Seit wann kann ein Mensch Auren lesen? Ihr spinnt doch!", platzte es aus Arina heraus, "es ist eine Kunst unseres Volkes!"
"Denkst du etwa, die Menschen könnten sich eure einzigartige Magie nicht aneignen?"
Wut stieg in der jungen Elderan auf. Das streng gehütete Geheimnis ihres Volkes... einfach den Menschen überlassen, die es nicht wert waren, es zu verwenden. Wie war sowas möglich? Sie biss die Zähne zusammen, um den Zorn nicht die Oberhand gewinnen zu lassen und den Magier wie ein wildes Tier anzufallen. Wer hatte es nur gewagt, das Geheimnis an eine dieser widerwärtigen Kreaturen weiterzugeben?
"Ich spüre es. Du bist wütend. Du hasst die Menschen, nicht wahr? Aber warum stehst du dann hier, in meinem Haus? Warum hast du dich von einem Menschen aus dem Kerker retten lassen und warum redest du überhaupt mit uns?"
Verwirrt sah sie zu Toki, dem jungen Mädchen, das sie gerade vor einer schlimmen Zukunft bewahrt hatte. Noch immer fasziniert von diesem doch so verabscheuungswürdigen Wesen. Ihr Oberkörper begann zu pochen, immer wieder. Anscheinend war die Kraft des Fluches zurückgekehrt, die ihm durch den Drachen für eine gewissen Zeitraum genommen wurde. Krampfhaft sackte Arina zusammen, als wäre sie ein plumper Stein und ihr Herz begann immer schneller und stechender zu schlagen. Erschrocken wich Toki zurück und versteckte sich hinter ihrem Ziehvater.
"Ist das der Fluch, von dem du gesprochen hast? Der ist mir nicht geheuer... ", murmelte sie, starr fixiert auf diese merkwürdige schwarze Masse, die bedrohlich anschwoll. Die Adern bohrten sich durch den Boden, hinterließen geschwärzte Flächen und hoben Arina wieder in aufrechte Position. Ihre sechs Pupillen starrten ununterbrochen auf diesen weisen und erfahrenen Magier, der sie doch aber auszulachen schien und dachte, dass er ihr Leid bis ins kleinste Detail kannte.
"Du weißt darüber Bescheid? Über mich, über den Fluch? Dann hilf mir gefälligst!", der letzte Satz schoss förmlich aus ihrem Mund und ließ die Luft erzittern. Doch noch immer sprach ihre eigene Stimme, schien ihr eigener Verstand Herr über diese Lage zu sein.
"Ich kenne dich gut, Auserwählte der Götter. Ich habe mich viel mit den alten Schriften beschäftigt und diese Legende gefunden, in der eindeutig von dir die Rede ist. Damals habe ich einen kleinen Helfer, einen Drachen, losgeschickt, um das letzte Dorf der Elderan zu beobachten und er hat mir mitgeteilt, dass du die einzige wärst, von der in der Legende die Rede sein kann"
"Auserwählte der Götter... so ein Schwachsinn. Ich bin niemals dazu in der Lage, einen Weltendämon zu besiegen!"
"Dazu wäre selbst ein Kind fähig, würde es doch nur wahren Mut mit sich führen. Niemals wirst du gewinnen, wenn du Zweifel und Angst über dich herrschen lässt. Ein Laster der Menschen, doch nicht etwa eines der Elderan, dem Volk der Drachen. Sind diese Tiere, die ihr so vergöttert, nicht mutig und stark? Verkriechen sie sich etwa hinter einem Stein, wenn Gefahr droht? Du tust es, obwohl du doch eines der mächtigsten Wesen überhaupt anbetest. Seltsam, oder?"
"Halt den Mund... ", jetzt war es wieder die fremde Stimme, die aus ihr sprach. Die Adern schnellten in die Höhe und bauten sich gleich einer streitlustigen Schlange in der Luft auf. Sofort war Sayan zur Stelle und versperrte dem Fluch den Weg zu seinem Opfer.
"Greife ihn nur an, doch vorher musst du an mir vorbei, Dämon", ein hinterhältiges Grinsen legte sich über seine Lippen und ließ ihn selbstsicher wirken. Ohne jede Vorwarnung schossen die Adern nach vorne und schlangen sich um seinen nackten Oberkörper.
"Wie du willst"
Die schleimige Masse brannte schmerzhaft auf seiner ungeschützten Haut und er konnte ein schmerzverzerrtes Gesicht nicht mehr unterdrücken. Als Arina dieses sah und ihr eigener Wille sich wieder meldete, ließen die Adern wieder von ihrem Freund ab und zogen sich unter ihre Kleidung zurück. Geschwächt fiel sie zu Boden, ihre Hände fest an die Seiten ihres Kopfes gepresst, in dem ein Stahlhammer ihre Gedanken zu zerschmettern schien. Ohne an seine eigenen Verletzungen zu denken, kniete sich Sayan zu ihr herunter und wollte ihr helfen, doch sie stieß ihn beiseite und blickte sich um. Als sie in einem weiteren Gang eine Treppe erkannte, stand sie schwerfällig auf, schwankte hinüber und schritt dann eilig in den ersten Stock. Niemand hinderte sie daran, nur Toki sah ihr mit ängstlichem Blick nach.
"Das ist also der Fluch... Aber warum geht sie jetzt hinauf? Nun gut, komm Sayan, ich werde deine Wunden heilen"
"Wenn Ihr so gut über sie Bescheid wisst, warum tut Ihr dann sowas? Ihr müsstet doch genau wissen, dass jede aufsteigende Wut den Fluch in ihr erweckt", er setzte sich wieder auf den Stuhl, "wenn Ihr so etwas noch einmal wagen solltet, werde ich gezwungen sein, Euch aus dem Weg zu schaffen. Sie hat doch schon genug gelitten"
"Du willst mich töten? Dir scheint ja wirklich viel an diesem Mädchen zu liegen", Rogan ließ seine Hand über die verwundeten Stellen kreisen und ein schwach schimmerndes Licht fiel auf Sayans Haut.
"Sie ist mir wichtiger, als mein eigenes Leben. Etliche Jahre musste sie schon leiden und ich kann es nicht mit ansehen, wenn es jemand noch schlimmer macht", er ballte die Hand zur Faust, um seine Wut zu unterdrücken, seine Stimme jedoch klang ruhig, "sagt mir lieber, was es mit der ganzen Geschichte auf sich hat. Ich verstehe das alles nicht"
"Wie du wünschst. Dann höre gut zu"
Mittlerweile waren Sayans Wunden wieder vollkommen verheilt und der alte Mann nahm auf einem der Stühle Platz. Toki hatte an diesem Gespräch kein Interesse, ging stattdessen ebenfalls nach oben, um mit Arina zu sprechen.
"Der Grund, warum Arina überleben muss, ist garnicht so schwer zu verstehen. Sie ist nunmal die Einzige, die gegen Kadin bestehen kann"
"Was hat es überhaupt mit diesem Kadin auf sich? Ich habe als kleiner Junge in einem Märchen von ihm gehört. Ich wusste nicht, dass es ihn wirklich gibt... "
"Kadin ist bei Weitem kein Märchen! Diese Welt existierte noch nicht einmal, als Chaos und Ordnung sich zur absoluten Urmacht verbanden, der Natur. Sie erschuf diese Welt, doch war sie nicht in der Lage, sie zusammenzuhalten. Aus diesem Grund erschuf sie auch die zwei Götterdrachen Kadin und Marahn, die jeweils einen bestimmten Teil der Welt im Gleichgewicht halten mussten. Doch Kadin wollte die ganze Welt nur für sich alleine haben, er war der Teil, der das ursprüngliche Chaos in sich barg und nun das Vorrecht für all ihre Schöpfungen verlangte. Marahn erbat daher Rat bei seinem Meister, der Natur und diese entschied, Kadin für seinen Verrat zu verbannen. Dieser wehrte sich zwar verbissen, konnte jedoch nichts gegen die Gewalt der Urkraft erwidern. Er wurde nach Nomika, der Welt der Dämonen , verbannt und daraufhin nie wieder gesehen. Doch vor einigen Jahrhunderten erfuhr er von eurem Volk, dem der Drachen und erschuf seine eigenen Untertanen, um eine Warnung an den Götterdrachen zu senden. Da er darauf nicht reagierte, begann er damit, die Städte und Dörfer der Elderan anzugreifen und zu zerstören", Rogan musste eine Pause einlegen, da ihn das lange Reden ermüdete.
"Ja, die Schöpfungsgeschichte... aber warum hat er sich in Vandor eingenistet? Und was hat es mit dem Fluch auf sich?", er durchlöcherte ihn mit Fragen, bevor der alte Magier überhaupt Zeit fand, zu antworten.
"Gemach, gemach. Nun, Kadin wollte den Göttern zeigen, dass er keineswegs Späße trieb und setzte auch in Vandors Körper einen Dämonenfluch, der allerdings wesentliche Unterschiede zu Arinas Fluch zeigt. Jedenfalls gelingt es Kadin, durch Vandor Kontrolle über das gesamte Staats- und Kirchenwesen auszuüben. Er macht ihnen glauben, dass alle Elderan bösartige Wesen seien und dass man sie vernichten müsse. Leichtgläubig wie die Menschen sind, glauben sie ihm natürlich.
Arinas Fluch... ", Rogan brach den Satz abrupt ab und blickte sich um.
"Was ist damit? Sag es mir", man sah Sayan seine Nervosität deutlich an.
"Es ist deine Entscheidung, es ihr zu sagen oder nicht. Sayan... sie wird innerhalb dieser Mondzeit sterben, wenn du nicht einen Weg findest, ihr Leid zu beenden"
Der Elderan brachte nicht die kleinste Andeutung eines Wortes heraus. Ungläubig starrte er auf den Boden und stützte seinen Kopf in die Handflächen.
"Nein... ", seine Stimme bebte und sein ganzer Körper begann zu zittern. Das konnte nicht wahr sein, nein, das war eine einzige Lüge. Oder doch nicht? Was ist, wenn seine über alles geliebte Freundin wirklich sterben sollte? Er hatte ihr ja noch nicht einmal gestanden, dass er sehr starke Gefühle für sie hegte. Er wusste ja selber nicht einmal, ob es tatsächlich Liebe war. Unauffällig wischte er eine Träne hinfort.
"Dies mag keineswegs einfach für dich sein, aber- "
"Sei still!", Sayan sprang auf und stürmte hinaus, begleitet von dem heftigen Knallen der Tür. Alles brach so plötzlich über ihn herein, überfiel ihn wie eine lauernde Raubkatze auf der Jagd. Er konnte das einfach nicht verstehen. Seine langjährige Begleiterin durch jegliche Qualen, die sie durch die Menschen erdulden mussten, sollte jetzt für immer aus seinem Leben verschwinden? Zwar hätte er noch wenige Wochen Zeit, jedoch... das half ihm auch nicht, da er keinen Ausweg sah. Was sollte er nur tun? Wie würde sie reagieren, wenn er es ihr sagen würde?
Währenddessen herrschte auch bei Arina nicht gerade eine rosige Stimmung. Zutiefst verzweifelt saß sie auf dem Bett in einem der Zimmer im ersten Stock. Vorsichtig klopfte Toki an die geschlossene Tür.
"Darf ich reinkommen?"
"Ja... "
Langsam öffnete sie die hölzerne Tür und lugte durch einen Spalt hinein. Schließlich gab sie sich einen Ruck und betrat den Raum. Schüchtern und verängstigt verharrte sie in einer Ecke des Zimmers und musterte Arina ganz genau.
"Du hast Angst vor mir, nicht wahr?"
Toki nickte zaghaft.
"Das wundert mich nicht, ich habe ja vor mir selber Angst. Und vor den Menschen. Ach, eigentlich habe ich vor alllem Angst. Ich bin ein einziger, großer Feigling"
Schritt für Schritt wagte sich das junge Mädchen näher an die Elderan heran. Sie setzte sich neben sie auf das weiche, mit Samt überzogene Bett und sah zum Fenster hinaus. Es herrschte sternenklare Nacht, die vier Monde standen hell am Himmelszelt und leuchteten mitleidig auf die Kreaturen dieser Welt herab.
"Magst du die Sterne?", fragte Toki neugierig nach. Jetzt hob auch Arina den Kopf.
"Die Sterne... ", sie erinnerte sich daran, was sie vor einigen Tagen zu Sayan im Wald gesagt hatte, "ja, ich mag sie sehr"
"Und die Monde? Welchen hast du am liebsten?"
"Den Silbermond"
Warum nur stellte sie solche Fragen? Was sollte das alles? Doch Arinas Verwunderung über das freiwillige Gespräch mit einem Menschen war die Größte. Dieses junge Mädchen... es schien gleichzeitig fröhlich und traurig zu sein und es zog sie zu diesem Wesen hin, als würden sie sich schon seit ewigen Zeiten kennen. Sie spürte Tokis Aura. Es fühlte sich wie ein eiskaltes Inferno an, wie ein vertrockneter See aus tausenden von Tränen. Interessiert blickte Toki ihr direkt in die Augen.
"Du hast ja drei Pupillen in jedem Auge. Kannst du mit denen besser sehen?"
"Nein, ich sehe nur Auren"
"Und siehst du auch meine?"
"Ja, aber... sie kommt mir so merkwürdig vor"
Toki sah auf.
"Fühlst du, was ich fühle?", sie legte ihre Hand auf Arinas Arm.
"Ja", gab sie knapp zur Antwort. Sie wehrte sich nicht gegen die Berührung eines Menschen. Aber warum nur?
"Was ist es?
"Trauer ", murmelte sie.
"Was noch?"
"Freude, aber... sie ist falsch", sie verstand diesen Satz selber nicht so recht.
"Endlich jemand, der mich versteht", erleichtert seufzte das junge Mädchen auf.
"Warum trägst du Trauer in dir?", erkundigte sich Arina und schien völlig vergessen zu haben, über ihren Fluch nachzudenken. Das Schicksal eines Menschen weckte größeres Interesse in ihr.
"Ich weiß es auch nicht so recht. Ich wurde als kleines Kind hier ausgesetzt und bin von Rogan großgezogen worden. Jetzt bin ich schon zwölf Jahre alt und habe nicht ein einziges Mal meine Eltern gesehen. Vielleicht ist es ja deswegen... ", Toki lächelte wehmütig und lehnte sich an Arinas Arm. Diese wollte sie schon warnen, dass sie doch nicht zu nah herankommen sollte, doch dann entschied sie, es nicht zu tun. Stattdessen schwieg sie.
"Du kennst deine Eltern nicht?"
"Nein... "
"Wir sind uns sehr ähnlich. Mein Vater ist kurz nach meiner Geburt am tödlichen Rattenfieber gestorben und meine Mutter... ", sie brachte es nicht fertig, den Satz zuende zu sprechen. Auch Toki begriff und schmiegte sich noch enger an Arina. Diese machte keine Anstalten zurück zu weichen, leistete nicht den geringsten Widerstand.
"Warum lässt du mich so nahe an dich heran? Ich dachte, Elderan hassen die Menschen"
"Ich weiß es auch nicht. Du bist anders als diese grässlichen Wesen dort draußen. Unsere Schicksale ähneln sich sehr und du hast einen aufrichtigen Charakter", sie stand auf und Toki tat es ihr gleich. Beide schritten zum Fenster und sahen hinaus. Ein kühler Wind bließ eine sanfte Brise um ihre Gesichtszüge. Sie spürte Sayans Aura in ihrem Herzen und blickte hinunter.
"Da ist dein Freund. Er sieht betrübt aus, was ist mit ihm los?", Toki lehnte sich etwas über die Fensterbank.
"Ich weiß es nicht... ", Arina war selber völlig verwirrt.
"Gehe doch zu ihm"
"Nein, ich... er will sicher alleine sein", sie versuchte, eine Ausrede zu finden, um nicht hinuntergehen zu müssen. Immerhin hatte sie ihn angegriffen und wollte ihm jetzt nicht in die Augen sehen.
"Es ist doch nicht deine Schuld. Wenn ein Fluch von dir Besitz ergreift, kannst du dich selber nicht mehr kontrollieren. Du musst dich also nicht fertig machen deswegen"
Arina sah sie einen Moment lang an.
"Dass ein Mensch solch logisches Geschwätz von sich lässt", sie lachte kaum hörbar.
"Ich bin nur ein Kind, auf mich hat noch nie jemand gehört"
"Dabei sind es kluge Worte, die aus deinem Mund kommen. Ich werde jetzt zu Sayan gehen. Es scheint, als gehe es ihm nicht sehr gut", und mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ den Raum. Toki blieb allein zurück
Endlich hatte Arina den Mut gefasst, mit Sayan zu reden. Als sie draußen ankam, zögerte sie zuerst. Sie wusste nicht so recht, was sie jetzt sagen sollte und blieb einen Moment im Rahmen der Tür stehen. Noch immer völlig ratlos schlenderte ihr Freund auf der Straße herum. Anscheinend machte er sich keine Sorgen darum, entdeckt zu werden. Wenn die Soldaten hier ihre Patroullie ablaufen sollten, wäre alles vorbei.
"Sayan"
Er schrak auf und drehte sich blitzschnell um. Jetzt stand sie also vor ihm und sie würde es garantiert erahnen, wenn etwas nicht stimmte. Sein Herz raste, die ganze Zeit über hatte er überlegt, wie er ihr die grausame Botschaft beibringen sollte.
"Arina, ich... ", er brachte es nicht einmal fertig, den Satz wirklich anzufangen. Arina schritt währenddessen immer näher an ihn heran.
"Deine Aura ist sehr blass. Was ist mit dir los?", ihr Blick verriet, dass sie sich große Sorgen um ihn machte. Sie faltete die Hände, wahrscheinlich betete sie zur Göttin Endiss, dass er keine schlechten Nachrichten für sie bereit hielt.
"Sag es mir ruhig. Egal was du sagst, es kann mein Leben ja nicht mehr schlimmer machen"
Sayan zuckte unruhig zusammen. Was hatte sie da gerade gesagt? Es klang beinahe so, als hätte ihr Leben in ihren Augen überhaupt keinen Sinn mehr, nicht den kleinsten Hoffnungsschimmer erkannte er in ihrem Gesichtsausdruck. Anscheinend machte es keinen Unterschied, ob er es ihr sagen würde oder nicht.
"Arina, Rogan hat mir gesagt, du... der Fluch... "
Sie legte ihre Arme um seinen Körper und lehnte ihren Kopf gegen seine Brust. Er schluckte.
"Du wirst... innerhalb dieser Mondzeit... sterben... ", die letzten Worte ließ er langsam ausklingen, da er Mühe hatte, sie überhaupt auszusprechen. Arina schwieg, drückte sich nur noch fester an ihn. Damit hatte Sayan nicht gerechnet. Er dachte, sie würde in Tränen ausbrechen oder völlig entgeistert wegrennen. Dabei blieb sie ganz ruhig bei ihm stehen. Ihre Finger krallten sich förmlich in seine Haut, dass es ihn beinahe schmerzte, doch auch er nahm sie behutsam in den Arm und strich ihr durch ihr weiches, im Mondlicht glänzendes Haar. Sie mochte seine Nähe. Noch nie hatte sie sich so nahe an ihn herangewagt, nur in ihren Träumen. Wie glücklich war sie doch für diesen einen Augenblick. Schon immer herrschte diese Zuneigung für ihn, aber niemals hatte sie sich wirklich getraut, ihm so nahe zu sein.
"Endlich... ", flüsterte sie.
"Hm?"
"Ich kann endlich wieder bei meiner Mutter sein... ", Arina schien ihr baldiger Tod nichts auszumachen, im Gegenteil, sie erwartete ihn sogar. Doch Sayan merkte, wie sie immer schwächer wurde und er sie schon stützen musste.
"Aber wäre deine Mutter erfreut, wenn sie wüsste, dass es dir nichts ausmacht zu sterben?"
"Nein, doch ich muss sie wiedersehen. Ich vermisse sie so sehr Sayan... ", eine Träne rann an ihrer Wange hinab.
"Und ich würde dich vermissen... ", er beugte sich etwas nach vorne und küsste die Träne liebevoll fort. Als Arina seinen angenehm warmen Atem auf ihrer Haut spürte und seinen Herzschlag vernahm, vergaß sie für diesen Augenblick all ihr Leid. Sie hob ihren Kopf und sah ihm tief in seine ebenholzbraunen Augen.
"In all den Jahren habe ich immer versucht bei dir zu bleiben. Keine einzige Sekunde wollte ich dich alleine lassen, aus Angst, dir könne etwas zustoßen", erzählte er gemächlich und legte seine Hand auf ihre Wange.
"Wir wussten doch beide schon die ganze Zeit, dass mich der Fluch irgendwann umbringen würde. Vielleicht ist es auch gut so... dann gibt es in dieser Welt einen Schandfleck weniger", Arina bemitleidete sich gerne selber. Aus irgendeinem Grund beruhigte sie das.
"Für mich bist du die Schönste unter all den Schöpfungen der Natur und ich will dich nicht verlieren, weil... "
Jetzt schien die Zeit nur für diesen einen Moment stillzustehen.
"Weil ich dich liebe"
Beide schlossen langsam die Augen. Sanft berührten sich ihre Lippen und schlossen sich zu einem leidenschaftlichen Kuss zusammen. Arina spürte die Anwesenheit ihrer Mutter, die gütig auf die Beiden herabsah, als wolle sie sagen "Du darfst jetzt noch nicht sterben, mein Kind. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir"
Die beiden Elderan verharrten einige Minuten in der selben Position, bevor sich ihre Lippen wieder trennten und sie einander wehmütig anlächelten.
"Ich liebe dich auch, Sayan. Jetzt habe ich es begriffen"
"Ich hatte Angst, dir dieses Geständnis zu machen. Ich dachte, dass du sehr betrübt darüber sein würdest, weil wir ja immernoch kein Heilmittel gegen den Fluch kennen"
"Das dachte ich auch, doch ich bin froh, dass du es mir gesagt hast"
"Hach, ist das nicht romantisch?", schwärmte Toki, die immernoch am Fenster verharrte, den Kopf verträumt in die Hände gestützt. Als sie sah, das Rogan gerade hinaus gegangen war, stürmte sie auch los und rannte nach unten.
"Störe ich gerade?", der alte Mann lachte mit rauher Stimme auf und bewegte sich auf seinem knorrigen Stock nur langsam fort.
"Nein, nein. Was gibt es denn?", erkundigte sich Sayan, Arina immernoch fest in seinen Armen haltend.
"Nun, zwar ist die Zeit gekommen, den Weltendämon für immer nach Nomika zu verbannen, doch ohne ein Hilfsmittel werdet ihr das gewiss nicht zustande bringen", er hustete einmal leise auf.
"Was meint Ihr damit?", interessiert wendete sich Arina dem weisen Magier zu.
"Ein Amulett... ein uraltes Relikt aus vergangenen Zeiten. In ihm ruht die Kraft der Natur, die ihm schon einmal den Zutritt zu dieser Welt verwehrt hatte. Ihr braucht es, denn mit irdischen Kräften seit ihr niemals in der Lage, diese Bestie zu besiegen. Und nur du, Arina, bist in der Lage, dieses Amulett in Händen zu halten und seine Energie zu nutzen", erklärte Rogan geduldig und setzte sich auf eine alte Holzbank, die hier aufgestellt war.
"Wo finden wir dieses Amulett?", nachdenklich legte Sayan eine Hand an sein Kinn, "ich glaube... davon schon einmal etwas gehört zu haben"
"Oh, das kann durchaus sein, es findet Erwähnung in unzähligen Sagen und Legenden, doch kaum jemand glaubt wirklich an seine Existenz"
In diesem Moment gesellte sich Toki zu der Runde.
"Hey, was erzählst du ihnen gerade?"
"Oh, Toki. Ich habe ihnen nur von Amulett erzählt und wollte ihnen sagen, wo es ist und-"
"Es ist Norden des Landes. Es wird von den uralten Eisdrachen gehütet und sie gewähren nicht jedem Dahergelaufenem den Durchgang", jäh unterbrach sie seine Erzählung und beendete sie alleine, "ich weiß genau, wo dieser Ort ist"
Arina war erstaunt darüber, wie viel dieses junge Mädchen doch über diese Welt wusste. Wie ein kleines Kind hüpfte sie vor dem alten Magier auf und ab.
"Oh, bitte Meister Rogan. Darf ich mit ihnen gehen? Was ist, wenn sie den Weg nicht finden, oder sonst etwas passiert?", bettelte sie permanent.
Rogan zögerte nicht lange herum. Im Grunde war er froh, dass sie endlich hinausging, um die Welt zu erkunden.
"Sicher darfst du", er warf einen ernsten Blick auf die Elderan, "ihr werdet sie wie euren Augapfel hüten, habt ihr mich verstanden? Wenn ihr etwas zustößt, werde ich euch zur Verantwortung ziehen"
"Sei nicht so streng mit ihnen. Ich bin kein kleines Kind mehr, ich kann auf mich aufpassen", Toki grinste schelmisch und verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf.
"Nun gut, dann bereiten wir uns auf die Reise vor. Morgen brechen wir auf", verkündete Sayan und sie alle gingen wieder zurück in das kleine Haus.
Als Arina gerade die Tür hinter sich schließen wollte, glaubte sie, einen Schatten hinter einer der Hausecken gesehen zu haben...
Kapitel 2 - Die Suche
"Eure Majestät!"
Eilig kam ein schlicht gekleideter Mann in den Thronsaal gerannt. Erschöpft kniete er sich vor den beinahe riesigen Thron, der am Ende einer Treppe Platz gefunden hatte und keuchte: "Ich habe sie beobachtet und das Gespräch mitgehört. Sie wollen in den Norden aufbrechen und sich ein Amulett beschaffen"
"Das heilige Relikt also... ", raunte eine kühle, tiefe Stimme, die dem Herrscher von Vandor gehörte. Doch sie klang anders, als normalerweise, das bemerkten auch die Wachen, die hier in den Gängen postiert waren. Gemächlich erhob er sich und ging die Stufen eine nach der anderen hinunter. Deutlich sah man ihm an, dass er der König von Fendor war. Seine prunkvolle Kleidung, bestehend aus dutzenden von blassen, jedoch sehr wertvollen Gewändern, wehte im schwachen Luftzug seines eigenen, selbstsicheren Ganges. Unzählige von Ketten, Arm- und Beinreifen und der königliche Stirnschmuck zierten seinen Körper. Er trug eine schwere, lederne Kriegerrüstung, doch niemand wusste so genau, was das für einen Sinn mit sich bringen sollte. Die schwer anzufertigenden Drachenstiefel traten dumpf auf dem kalten Fliesenboden auf und gaben ein hallendes Geräusch von sich. Stets trug er mehrere Dolche an seinem Hüftgürtel und die Leute rätselten, warum er so viele bei sich tragen wollte. Es waren reich verzierte Kurzdolche, die von ihrer Schärfe her einem nagelneuen Rasiermesser glichen. Er hielt an. Der Auftrag, welchen er dem Bauern anvertraut hatte, war simpel, doch er mochte es nicht, wenn jemand ihm keine guten Neugikeiten präsentierte.
"Du bringst mir schlechte Nachrichten?", seine langen, dunkelblonden Haare fielen ihm vor die bedrohlich glühenden, roten Augen.
"M-Majestät! Bitte, ich bin Eurem Befehl gefolgt. Lasst meine Familie doch am Leben. Ich bitte Euch, bitte... "
"Schweig!", unterbrach er ihn mit erhobener Hand, "bringt ihn weg... solch armes Gesindel kann ich hier nicht dulden. Das ist ja widerlich, dieser jämmerliche Bauer verschmutzt den Palast"
Sofort kamen zwei der Wachmännern und packten den Mann an den Armen.
"Nein! Ich flehe Euch an!"
"Ich hasse es, wenn jemand um sein Leben bettelt", grollte Vandor und wendete sich einem der Soldaten zu.
"Schicke sofort einen Reitertrupp in den Norden. Entweder sie fangen diese Gören ab und bringen sie um, oder sie liefern sie meinen Waffen aus", ein hämisches Lachen entfuhr ihm und hallte im riesigen Thronsaal wieder, während er mit den Fingern über den Griff eines Dolches fuhr.
"Jawohl!", der Soldat eilte sofort aus dem Palast.
"Wenn hier einer das Amulett in Händen halten wird, dann bin ich das", murmelte er vor sich hin und blickte aus einem der gigantischen Fenster. Der frühe Morgen kündigte sich an. Wie sehr hasste er doch das Licht der aufgehenden Sonne. Er hielt seine Hand in die Luft und ballte eine Faust, als wolle er dieses ewige Licht einfach auslöschen.
"Der Tod wird noch die mildere Strafe für euch sein... "
"Habt ihr auch wirklich alles beisammen?", erkundigte sich Rogan mit besorgtem Blick. Er hatte Arina und Sayan mehrere Gewänder bereitgelegt, damit sie nicht sofort unter den Menschen erkannt wurden. Die Soldaten suchten wahrscheinlich schon nach ihnen und waren in der ganzen Stadt postiert. Zum Glück war Fendor eine Weltstadt und von daher mehr als nur groß und verzweigt. Die Gassen schlangen sich oft wie ein Labyrinth zusammen, in dem man sich mit Leichtigkeit verstecken konnte.
"Macht Euch keine Sorgen. Wir werden das schon schaffen", mit einem eleganten Schwung sprang Arina auf eine der beiden blauen Reitechsen namens Calero. Diese Tiere kannte man eigentlich nur in Araka, im Süden des Landes, doch Rogan hatte keine Möglichkeit mehr gehabt, andere Tiere aufzutreiben. Es bestand die Gefahr, dass die Fendorer sie für Fremde halten würden. Die Echsen waren wunderschöne Wesen, doch der Vorteil lag in ihrer Schnelligkeit. Zwar hatten sie nur zwei Beine, aber die Stärke und Geschwindigkeit übertraf die der Pferde bei Weitem. Nur ihre kurzen Stummelarme entpuppten sich oft als großer Nachteil. Auch bei diesen Tieren musste man der Bequemlichkeit halber auf einem Sattel sitzen. Sayan schwang sich auf Cisuo, die andere der beiden Echsen. Sachkundig überprüfte er den Halt der Satteltaschen und Arina tat es ihm gleich. In ihnen war genug Proviant für mehrere Wochen. Rogan hatte ihn durch einen Zauber für eine geraume Zeit haltbar und frisch gemacht. Arina half Toki dabei, auf Calero zu steigen.
"So, wir sollten jetzt losreiten. Man weiß ja nie, wann diese Wachen kommen", meinte sie und gab der Reitechse die Zügel. Sayan winkte dem alten Magier noch einmal zu, bevor auch er losritt. Die beiden Elderan hofften, dass sie dieses Mal ohne Zwischenfälle aus der Stadt kommen würden.
Auf Calero zu reiten war für Arina weitaus angenehmer als auf einem Pferd, denn diese Tiere liefen wesentlich ruhiger und gleichmäßiger. Die Stadttore rückten immer näher und die Blicke der Soldaten schienen sich alle auf die Elderan zu richten. Arina zog die Kapuze ihres Gewandes tief ins Gesicht und schloss die Augen.
"Marahn, bitte lass sie uns nicht sehen... "
Ohne jeden Vorfall rannten die Echsen an den Stadtwachen vorbei und hinaus aus Fendor. Endlich waren sie wieder sicher vor Kadin und seinen Schergen, oder doch nicht? Immernoch hatte Arina das ungute Gefühl, verfolgt zu werden und drehte ihren Kopf mehrmals zu allen Seiten.
"Wie lange werden wir unterwegs sein?", fragte sie Toki, die ihre Arme um Arina gelegt hatte.
"Wenn wir dieses Tempo beibehalten, werden wir morgen bei Sonnenaufgang dort sein", antwortete sie.
"Dann ist es zu riskant eine Pause einzulegen. Wir dürfen also nicht schlafen, bis wir unser Ziel erreicht haben"
Auf diese Aussage hin seufzte Toki beleidigt und lehnte ihren Kopf an den Rücken der Elderan. Selbst durch die Gewänder und das Hemd konnte das junge Mädchen die Auswüchse des Fluches spüren. Sie waren weich und unangenehm und es kam ihr beinahe so vor, als würden diese merkwürdigen Adern sie jeden Moment ergreifen wollen. Doch sie wollte nicht zurückweichen und schloss die Arme noch etwas enger um Arina. Sie lächelte dünn und dachte darüber nach, wie sie sich mit diesem Schicksal nur abfinden konnte.
Eine unheimliche Stille herrschte auf den Ebenen und sogar die Luft schien stillzustehen. Da beschlich die Reisenden plötzlich eine ungeahnte Kälte, obwohl sie noch nicht einmal in der Nähe der Eiswüste im Norden waren. Doch dieses unangenehme Gefühl verschwand genauso schnell, wie es gekommen war. Ein gellendes Lachen hallte wieder und erschütterte sie bis ins Mark. Verängstigt krallten sich Arinas Finger um das Lederband der Zügel. Sie schluckte.
"Weg hier!", schrie sie plötzlich auf und drückte ihre Fersen in Caleros Rumpf. Sayan brauchte ein paar Sekunden, um zu reagieren, gab Cisuo dann aber mit voller Kraft die Zügel. Mit rasender Geschwindkeit hetzten sie über die Ebenen und die scharrenden und kratzenden Geräusche am Boden gaben kein sicheres Gefühl. Erschrocken wichen die Reitechsen zurück, als unzählige lachende Fratzen vor ihnen auftauchten. Mehrere Klauen griffen nach Caleros Beinen und stoppten ihn mit einer heftigen Bewegung ab. Arina wurde durch diesen Ruck zwangsläufig nach vorne geworfen und kam mit einem dumpfen Aufschlag am Boden auf. Toki konnte sich nur schwer an Calero festhalten und lenkte ihn in entgegengesetzte Richtung, um von den Dämonen nicht angegriffen zu werden. Auch Sayan wurde von Cisuo gestoßen, die mit nervösem Getrippel zu Calero floh. Nicht eine Sekunde fand Arina Zeit sich zu bewegen, denn die hässlichen Kreaturen packten sie an Armen und Beinen und zerrten sie in die Luft. All diese Dämonen schienen sich durch die Erde gegraben zu haben.
"Lasst mich los! Wer seid ihr?", zeterte sie und versuchte verzweifelt, sich aus dem Griff dieser Wesen zu befreien. Sie sah auf und erblickte die gigantische Statur eines Dämons vor sich. Dieser riss sein Maul weit auf, wodurch seine langen, spitzen Eckzähne zum Vorschein kamen. Sein Kopf glich dem einer Eidechse und aus seinen Augenhöhlen blitzen zwei gefährlich gelbe Lichter auf. Die muskulösen Körper dieser widerlichen Kreaturen waren von einer sehnigen, blauschwarzen Haut überspannt. Ihre klobigen Pranken besaßen zwei weitere Gelenke mit sichelförmigen Klauen, die als zusätzliche Waffen dienten. Die majestätischen Schwingen entsprangen ihrem Rückgrat, das mit dutzenden von kleinen Stacheln besetzt war. Der größte Dämon schien der Anführer der Horde zu sein und er baute sich in voller Größe vor der Elderan auf. Die anderen Dämonen hinderten Sayan währenddessen daran, näher zu ihr vorzudringen, was sie meistens durch pure Gewalt taten.
"Du bist also diese Auserwählte. Auf mich wirkst du eher wie ein zierliches Burgfräulein", die dicke, schleimige Zunge des Anführers schoss seinem Maul und schlang sich um Arinas Hals.
"Ich habe den Auftrag, dich aus dem Weg zu räumen und glaube mir... dieses Privileg werde ich mit Freuden genießen!"
Die Dämonenscharen lachten lauthals auf und feuerten ihren Anführer an. Ihre Klauen kratzten schmerzhaft auf Arinas Haut, bis Rinnsale dunkelroten Blutes daran hinabrannen.
"Nein! Hört auf!"
"Arina!", Sayan zwang sich an den Dämonen vorbei, doch konnte er keine drei Schritte gehen, ohne dass ihn eine der Kreaturen am Kragen packte.
"Sayan, hilf mir!", schrie Arina fast, doch war es mehr ein lautes Betteln. Hilflos hing sie, gehalten nur von den Klauen der Dämonen, in der Luft und zitterte am ganzen Leib. Todesahnungen durchschossen ihre Gedanken und versetzten sie in einen permanenten Angstzustand.
"Stirb!"
Der Anführer der Dämonen hob drohend seine Klaue und rammte sie mit solch einer Wucht in Arinas Brust, dass sie nicht einmal Atem fand, um zu schreien. Doch es floss kein einziger Tropfen Blut, denn der Fluch hatte die Klaue abgefangen. Wieder begann dieser zu pochen und wurde an einer Stelle rissig. Ein widerwärtig gelber Augapfel schob sich durch die pechschwarze Masse und starrte den Dämon wütend an.
"Du... ! Verschwinde, ich brauche diesen Körper noch!", hallte die körperlose Stimme, die Adern schnellten in die Höhe und enthaupteten den Anführer mit einem wuchtigen Schlag. Fassungslos und völlig bewegungsunfähig verharrten die Dämonen an Ort und Stelle und Sayan fand eine Möglichkeit, zu Arina zu rennen. Mittlerweile haben die Höllenwesen sie wieder losgelassen und sich wenige Schritte entfernt. Die Elderan schien völlig abwesend zu sein, allein der Fluch hielt sie auf den Beinen. Er verzweigte sich weiter, bis er in ihrem Gesicht ankam und wendete sich den Dämonen zu.
"Schert euch fort... ich kann sie Kadin noch nicht überlassen"
Zuerst zögerten sie, doch dann erschien unter jeder der Kreaturen eine Art schwarzes Loch und sog sie hinab in die Tiefe. Kein Wort, kein Lachen verloren sie mehr, denn sie hatten ihren Anführer verloren und das war eine große Schande für ihre Rasse.
"Arina! Wach auf!"
Sie drehte ihren Kopf in seine Richtung.
"Ist das nicht pure Ironie? Ich, der deine Freundin bald töten und verspeisen wird, habe eure jämmerliche Haut gerettet. Bilde dir darauf bloß nichts ein, verstanden? Ohne ihren Körper kann ich vorerst leider nicht überleben... "
Auf diese Worte hin zogen sich die Adern wieder zurück und Arina kippte entkräftet nach vorne um. Zwar konnte Sayan sie stützen, doch ihr sonst so federleichter Körper, kam ihm jetzt wie ein schwerer Felsen vor. Er hatte Mühe, sie auf seine Arme zu nehmen. Erschöpft lief er zu Calero.
"Jage mir nie wieder solch einen Schrecken ein... ", murmelte er, während er Arina besorgt in die Augen sah und hiefte sie auf die immernoch erschrockene Reitechse, die das ganze Geschehen zusammen mit Cisuo und Toki aus sicherer Entfernung beobachtet hatte.
Er nahm Caleros Zügel und stieg auf Cisuo auf. Langsam schritt die Reitechse los und Toki bemerkte Sayans traurigen Blick, schwieg jedoch. Der Elderan behielt seine bewusstlose Freundin ständig im Auge, seine Sorgen wuchsen stetig an und er zweifelte daran, dass diese Reise ein gutes Ende nehmen würde...
Der stundenlange Ritt verlief ohne größere Zwischenfälle und als der Mond bereits seinen Höchststand in der Nacht überschritten hatte und die Reitechsen völlig erschöpft vor sich hin keuchten, entschied sich Sayan, eine Rast einzulegen. Diese Region lag nahe an Ganta, der ewigen Eiswüste und bereits hier warnten hohe Schneemassen davor, weiterzugehen. Es war entsetzlich kalt, nicht einmal die Umhänge der drei konnten genügend Wärme versprechen. Arina hustete erbärmlich und öffnete ihre Augen. Reflexartig griff sie sich an ihr Herz. Und zu allem Unglück war der Himmel auch gegen sie, es begann zu schneien. Es waren nur wenige, kleine Flocken und doch war es hier sehr unbehaglich.
"Alles in Ordnung?", im Gehen erkundete Sayan sich nach ihrem Befinden.
"Jaja... ", sie unterdrückte krampfhaft die Schmerzen und setzte sich, ungeachtet ihres Fluches, aufrecht auf Calero. Als Arina tief einatmete, schnitt sich die Kälte wie eine scharfe Schwertklinge in ihre Lunge und sie spürte die winzigen Eiskristalle, die sich an ihren Augenbrauen, ihren Haaren und ihren Lippen festsetzten. Ihre Blicke glitten fassungslos auf ihre Hände, die schon eine leicht bläuliche Färbung aufwiesen. Die Konturen verschwammen und bildeten helle Flecken vor ihren Augen. Plötzlich hustete sie kläglich auf, als sich ein weiterer Strom aus eiskalter Luft sich den Weg durch ihre Lunge bahnte.
"Wir machen besser eine Pause", schlug Sayan besorgt vor. Toki sah dem ganzen Geschehen im Hintergrund zu. Sie wusste nicht so recht, wie sie sich jetzt verhalten sollte.
"Nein... wir müssen weiter... ", selbst ihre Stimme wirkte vereist, kaum ein Wort war zu verstehen. Sie wusste nur zu gut, dass Dämonen sehr anfällig gegen Kälte waren und da der Fluch auch eines dieser Höllenwesen war, würde er ihren Körper auch nicht gegen die Kälte schützen können, auch wenn er sie noch brauchte. Sie spürte ihre eingefrorenen Finger nicht mehr und ihre Füße waren einzige Eisblöcke. Schließlich konnte Arina ihren Körper nicht mehr kontrollieren, rutschte vom Rücken der Echse und fiel ohne jeden Halt auf den schneebedeckten Boden.
"Was ist mit dir?", erschrocken ließ Sayan die Zügel los und kniete sich hinunter zu ihr. Er legte seine Hand an ihren Hals und musste sich schon konzentrieren, um den schwachen Puls überhaupt wahrnehmen zu können.
"Oh bitte Endiss, lass sie nicht sterben... ", flehte er mit gefalteten Händen, bevor er Arina wieder auf seine Arme nahm.
"Sayan... du bist... so warm... ", sie versuchte ein Lächeln anzudeuten, doch ihre zugefrorenen Lippen verboten es ihr.
"Halte durch, Arina. Du darfst nicht einschlafen, hörst du?", er schüttelte sie sanft, um sie wach zu halten.
"Da hinten ist eine Höhle. Verstecken wir uns dort", schlug Toki vor und lief eilig voraus. Der Schneesturm wurde immer dichter und heftiger und erlaubte Sayan kaum mehr einen Blick hindurch. Wie froh war er doch, als er endlich das Innere der Höhle erreichte, mochte sie auch noch so feucht und kalt sein.
"Arina, nicht einschlafen", warnte er bereits etwas lauter und lehnte sie an eine der unebenen Steinwände. Er zog sich eines der Gewänder aus, legte es auf den Boden und strich es glatt. Sachte half er seiner Freundin dabei, sich auf den Umhang zu legen.
"Wir brauchen ein Feuer, sonst überlebt sie diese Kälte nicht", auch er und Toki froren erbärmlich und mussten die Arme um ihre Körper schlingen, um sich wenigstens etwas zu wärmen.
"Aber wir haben kein Holz", erwiderte das junge Mädchen und kauerte sich fest in einen Winkel der Höhle.
"Na und?", er zog sich einen weiteren Umhang vom Leib und knüllte ihn zusammen, bevor er ihn auf den Boden legte. Zwar hatte er jetzt nurnoch ein Gewand, aber das musste ausreichen.
"Dieses Problem wäre beseitigt, aber wie zünden wir es an?", ein Husten durchschnitt Sayans Atemgänge und bereitete ihm ein schmerzhaftes Gefühl. Die Kälte machte auch ihm zu schaffen. Mit grübelndem Blick beäugte Toki die losgelösten Steine, die auf dem Boden verteilt lagen.
"Einen Versuch ist es wert", sie nahm zwei der Steine, hielt sie knapp über den Umhang und schlug sie mehrere Male gegeneinander, so dass wenige helle Funken sprühten und das Gewand entzündeten.
"Wo hast du sowas denn gelernt?", fragte Sayan interessiert nach.
"Rogan hat mir das beigebracht... Er ist ein sehr schlauer Magier", ein Seufzen entfuhr ihr und sie warf die Steine auf den Boden.
"Ich hoffe, sie wird das überleben", er blickte in ihr völlig erkaltetes Gesicht, sah an ihrem beinahe reglosen Körper hinab und kämpfte mit den Tränen. Noch nie hatte er sie in solch einem jämmerlichen Zustand gesehen, es war ihm alles so fremd. Wie sehr betete er jetzt zu allen Göttern dieser Welt, auf dass sie Arina doch retten mögen.
Ihre Augen waren bereits geschlossen, obwohl er sie gewarnt hatte, nicht einzuschlafen. Er musste jetzt alles tun, um sie am Leben zu halten, oder er würde Gefahr laufen, sie für immer zu verlieren. Nun legte er auch seinen letzten Umhang ab und deckte Arina damit zu. Mit vier Gewändern hätte sie eine wesentlich größere Chance zu überleben. Er legte sich neben sie auf den Boden und nahm sie in den Arm.
"Keine Sorge. Ich lasse es nicht zu, dass du stirbst... ", flüsterte er ihr ins Ohr.
"Komm, Toki. Du musst da doch nicht alleine liegen"
Das junge Mädchen kroch zu ihm hinüber und bettete sich zwischen den beiden Elderan auf dem harten Gestein. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich geborgen und sicher.
"Schlaf gut", murmelte er mit halb geschlossenen Augen.
"Du auch, Sayan", Toki legte den Kopf auf ihre Arme und versuchte einzuschlafen, auch wenn dies kaum möglich war. Es waren einfach zu viele Gedanken da, die sie davon abhielten...
"Was zum... ?", von Kopfschmerzen geplagt erhob sich Arina und setzte sich aufrecht hin. Verwunderung breitete sich in ihr aus, als sie bemerkte, dass sie in einer Höhle geschlafen hatte und dass Sayan und Toki friedlich neben ihr lagen. Sie blickte hinaus und sah die helle, rote Morgensonne, die sich gemächlich am Horizont hinaufschob. Der Schneesturm hat deutlich nachgelassen und eine angenehme Wärme durchflutete die Höhle. Ein Schrecken kam in ihr hoch, als sie Sayan sah, dessen Oberkörper völlig unbekleidet war. Stattdessen lagen alle Gewänder auf ihr selbst. Nur langsam konnte sie sich erheben und musste sich an der feuchten Steinwand abstützen, da ihr immernoch etwas schwindlig war. Sie nahm einen der Umhänge und legte ihn auf Toki und Sayan.
"Arina... ?", murmelte Toki und öffnete die Augen.
"Ja", die Elderan strich ihr eine Haarsträhne von der Stirn und lächelte gutmütig. Sofort entfuhr dem jungen Mädchen ein erfreutes Lachen und sie warf sich um Arinas Hals.
"Bin ich froh!"
Von diesem Lärm wurde auch Sayan aufgeweckt, der mit müdem Blick auf seine Freundin sah.
"Arina... es geht dir gut. Wie schön... ", erleichtert atmete er auf und rutschte ein Stück näher an sie heran.
"Ich dachte schon, du würdest erfrieren"
"So leicht wirst du mich nicht los", Arina lächelte und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange, "das ist für meine Rettung, edler Held"
"Oh, welche Ehre, Teuerste", meinte er sarkastisch und strich mit einer Hand durch sein zerwühltes Haar. Wie froh war er doch, dass sie noch immer lachen konnte. Solche Glücksmomente gab es selten zwischen ihnen. Immerzu mussten sie in Angst vor den Soldaten Fendors leben, jetzt jedoch befanden sie sich in keiner Stadt, in keinem Dorf. Hier waren sie zwar in einer scheinbar grenzenlosen Eiswüste, doch sie waren frei. Und das hatte eine weitaus größere Bedeutung als jedes Leben unter den Menschen.
"Wir müssen weiter", meinte Arina knapp und stand hastig auf.
"Wir können uns ruhig Zeit lassen. Hier gibt es keine Bedrohung", beruhigte Sayan sie, doch es zeigte keine Wirkung.
"Ich weiß nicht... bestimmt sind diese Dämonen immernoch hinter uns her", nervös rieb sie ihre Hände gegeneinander.
"Mach dir keine Sorgen", Sayan nahm einen der Umhänge und warf ihn sich gekonnt um die Schultern. Er half Toki nach oben und beide gingen hinüber zu Arina.
"Wo sind Calero und Cisuo?", die Elderan blickte sich suchend um.
"Nun... sie scheinen uns im Schneesturm verloren zu haben", gab Sayan zur Antwort.
"Du hast sie nicht mitgezogen?", entgeistert schlug sich Arina eine Hand gegen die Stirn.
"Mir war dein Leben nunmal wichtiger als irgendeine Reitechse", doch auch er wusste nicht, wie sie jetzt durch die Eiswüste kommen sollten. Zu Fuß war solch ein Unterfangen viel zu gefährlich, als dass man es überleben könnte. Angestrengt grübelte er über eine Antwort auf dieses Problem nach. Arina marschierte ohne ein weiteres Wort los. Verwundert sah er auf.
"Halt!", rief Toki und zerrte sie am Arm zurück, "was hast du vor?"
"Wir dürfen keine Zeit verlieren. Ich muss dieses Amulett finden"
"Du bist gerade knapp dem Totengott entronnen und willst dich ihm jetzt wieder entgegenstellen?", Toki musste sich zusammenreißen, nicht sofort loszuschreien.
"Morrt wäre dumm, würde er diejenige in sein Reich holen, die Kadin bezwingen soll", ein selbstsicheres Lachen entfuhr ihr. Plötzlich packte Sayan sie am Arm und drehte sie zu sich um.
"Was ist mit dir los? Toki hat Recht! Wir werden gemeinsam dieses Relikt finden und keiner lässt sich hier mit Morrt ein!", der Klang seiner Stimme verängstigte Arina etwas, da sie ihn so noch nie erlebt hatte. Diese Reise schien jeden zu verändern...
"Tut mir Leid... ich weiß nicht, was über mich gekommen ist", ihre Entschuldigung klang ehrlich und so ließ der Elderan sie wieder los.
"Gut. Toki, du bist die Einzige, die weiß, wo dieses Amulett verborgen liegt. Du musst uns sagen, wo wir hingehen sollen", forderte er das junge Mädchen auf.
"Ihr könnt doch Auren lesen, nicht wahr? Das heilige Relikt strahlt die reine Energie der Urkräfte aus und ihr solltet in der Lage sein, genau diese zu fühlen. Allerdings geschieht dies nur, wenn wir in der Nähe des Amulettes sind", erklärte sie geduldig und lehnte sich gegen die Steinwand. Plötzlich vernahmen die drei einen lauten Knall von draußen und ein gleißend heller, blauer Feuerstrahl kam dicht neben der Höhle auf.
"Was ist da los?", rief Sayan und eilte hinaus. Ein majestätischer Anblick bot sich den Reisenden, als sie zum Himmel hinaufsahen. Zwei gigantische Eisdrachen kämpften verbissen miteinander. Ihre schneeweißen Schuppen glänzten unter den Strahlen der morgendlichen Sonne und die lange Mähne flatterte im Wind. Ihre scharfen Krallen hatten sich ineinander verhakt und sie bissen sich mit voller Kraft und Härte gegenseitig in die ledernen Schwingen, die an manchen Stellen schon eingerissen waren. Der Schnee am Boden war bereits blutbefleckt und selbst die drei Reisenden sahen die riesige Wunde am Rumpf eines Drachen. Er konnte sich kaum noch in der Luft halten, seine Flügel versagten ihren Dienst und er fiel ungehalten zu Boden. Sein Sturz wurde durch einen erneuten Flammenangriff des anderen Drachen umso heftiger und schmerzhafter. Dieser flog in entgegengesetzter Richtung davon. Sein rauher, dröhnender Ruf klang siegessicher und hallte noch lange wider.
"Bei allen Göttern... Drachen sind doch niemals so angriffslustig. Schon garnicht zu ihren eigenen Artgenossen", dachte Toki angstrengt nach und rannte zu dem schwerverletzten Ungetüm, das dort hilflos im Schnee lag und seinem Tod entgegensah. Als der Drache das junge Mädchen sah, wandelte sich sein schmerzverzerrtes Gesicht in ein verwundertes.
Du bist ein Mensch. Was machst du hier in dieser Einöde?
"Wir haben keine Zeit für eine Unterhaltung... ich muss dir irgendwie helfen", mit einem Schluchzen sah sie sich in dieser weißen Leere um und musste feststellen, dass sie schlicht und einfach keine Möglichkeit besaß, diesem anmutigendem Tier zu helfen.
Mach dir keine Sorgen. Morrt wird auf mich achten. Nun sag, was machst du hier?
Als er diesen Satz gesprochen hatte, quoll ihm dunkles Blut von den Lippen und er hustete geschwächt. Toki lief ein Schauer über den Rücken, doch sie riss sich zusammen.
"Naja, ich und meine Freunde suchen nach dem heiligen Relikt der Natur, aber wir haben keine Reitechsen mehr und deshalb können wir uns nicht auf die Suche machen. Was sollen wir tun?", nachdem Toki ihre momentane Situation genau geschildert hatte, lächelte der Drache wehmütig und schien nachzudenken.
Das Leuchten in seinen weisen, von Falten umlegten Augen verblasste nach und nach und sein Atem wurde zunehmend gequälter.
Hör mir zu... um zu dem uralten Relikt zu gelangen, müsst ihr weiter in den Norden, bis ihr die Küste erreicht... Dort werdet ihr einen Felsen finden, der weit über das Meer hinausragt. Und eben auf diesem ruht das Amulett. Doch nur die Auserwählte der Götter kann dieses Relikt berühren und nutzen... Ich werde... euch helfen... Noch ein letztes Mal hob der Drache mit Mühe seinen gewaltigen Schädel in die Höhe und stieß einen harten, donnernden Ruf aus, bevor er wieder mit voller Wucht auf dem Boden aufschlug. Toki erkannte, dass er wohl genau in diesem Moment gestorben war, denn seine Augen waren tot und leer und seine Zunge hing regungslos aus seinem Maul heraus. Sayan kniff die Augen zusammen, als er einen schwachen, aber dennoch deutlichen Luftzug an seinem ganzen Körper spürte. Auch Arina und Toki fühlten es, hier ging etwas vor sich. Das junge Mädchen wunderte sich, warum der Drache noch ein letztes Mal gerufen hatte. Doch dann musste sie es am eigenen Leib erfahren. Etwas riss die drei mit solch einem Ruck in die Höhe, dass sie vor Schreck aufschrien und die Augen weit aufrissen. Der darauffolgende Sturz in die Tiefe war nicht minder unangenehm, doch etwas fing sie sanft in der Luft ab, als würden die drei fliegen können.
"Was geht hier vor?", erschrocken schnappte Arina nach Luft, als sie realisierte, dass es ihr möglich war, hier oben scheinbar ohne jeden Halt zu stehen. Auch Sayan musste einen Moment lang nachdenken, bevor ihm die Antwort wie Schuppen von den Augen fiel.
"Das sind Windgeister!", rief er und klammerte sich fest an eine der Kreaturen, die nur für ein geschultes Auge deutlich sichtbar waren. Mit einer ungeahnten Geschwindigkeit rasten diese Wesen über die eisige Wüste, begleitet vom wild umherwirbelnden Schneegestöber und einem eisigen, schneidenden Wind. Ja, Windgeister waren in all den Regionen bekannt, in denen es ununterbrochen starke Böen, wenn nicht gar Stürme gab. Sie hatten zwar einen länglichen, schlangenähnlichen Körper, jedoch konnten diesen nur die Magier wirklich sehen, die sich jahrelang intensiv damit beschäftigten. Man vermutete sogar, die Windgeister verbargen ihre Gestalt absichtlich, weil sie Angst vor den fremden Wesen hatte, doch dies schien hier nicht der Fall zu sein.
"Was sind das für Kreaturen?", fragte Arina weiter nach.
"Sie sind die Diener der Eisdrachen und die Schutzgeister des Windes", erklärte Toki mit lauter Stimme und hielt sich die Hand vor die Augen, um überhaupt etwas erkennen zu können.
"Diener der Drachen?", überlegte Arina mit schiefgelegtem Kopf, "ich habe noch nie etwas von ihnen gehört"
Nach und nach verlangsamten die Geister ihren Flug, kreisten noch ein paar Mal über dem Boden, bevor sie die drei Reisenden behutsam am Boden absetzten.
"Gebt Acht! Der Herr der Ozeane nennt dieses Gebiet sein Eigen!", hallten die Rufe der Kreaturen, bevor sie in einer starken Windböe genauso schnell verschwanden, wie sie gekommen waren. Noch immer etwas verdutzt starrten die Reisenden in den von Wolken bedeckten Himmel, bevor sie sich dem Ozean zuwanden.
"Diese Windgeister sind merkwürdig... die haben wohl niemals Zeit", raunte Arina und machte ein verwundertes Gesicht.
"Nun, sie müssen sich ja auch um den Wind kümmern. Ich denke nicht, dass das eine leichte Aufgabe ist", Toki sah sich genauestens um.
"Seht ihr den Felsen, von dem der Drache gesprochen hat?", sie musste die Augen schon zusammenkneifen, um durch die dichten Schneewolken blicken zu können. Die beiden Elderan spürten die Präsenz einer enormen, magischen Energie. Das musste das Amulett sein, kein Zweifel.
"Ja, dort hinten!", rief Sayan, nachdem er sich ein paar Mal um sich selbst gedreht hatte und deutete auf einen dunklen Fleck in der Ferne. Alle drei rannten sie los, immerhin durften sie keine Zeit verlieren. Arina stoppte plötzlich, als sie meinte, ein helles Licht im Wasser zu sehen.
"Was... ?"
"Nun komm schon", stachelte Toki sie an und hastete weiter voraus. Die Elderan schüttelte ein paar Mal den Kopf. Vermutlich war es nur reine Einbildung, eine Täuschung, wie es sie hier in der Eiswüste oft gab. Sie mussten noch ein paar Minuten rennen und zwischendurch sogar eine Pause einlegen, denn die Luft hier war noch kälter, als die in der Höhle. Endlich kamen sie bei dem Felsen an, den der Drache erwähnt hatte. Weit ragte er über das silber schimmernde Meer hinaus, auf dem verirrte Eisschollen trieben und nach wenigen musternden Blicken erkannten die Reisenden, dass der Fels die Form eines gigantischen Schwertes aufwies und in einem länglichen Drachenschädel endete.
"Jetzt müssen wir wohl oder übel da hoch... ", grollte Sayan und kratzte sich den Hinterkopf. Er schien zu überlegen, wie er wohl mit bloßen Händen hinaufkommen sollte. Doch er fasste Mut und kletterte, zusammen mit den anderen Beiden, das kalte, unebene Gestein hinauf, was sich allerdings sehr schmerzhaft gestaltete. Ihre Finger wurden daran aufgerauht, bis sich die Haut sogar an wenigen Stellen abschälte.
Als sie endlich oben ankamen, mussten sie vorerst eine kleine Rast einlegen. Arina vergrub ihre Hände unter ihren Umhängen, um sie wenigstens halbwegs warmzuhalten. Sayan sah sich erneut um, und erkannte einen schwachen Schimmer auf dem Felsen. Hier oben war es außerordentlich glatt und eisig, was das Vorankommen auf diesem riesigen, klobigen Stein nur erschweren konnte.
"Und was jetzt?", fragte Toki geradeheraus mit verärgerter Miene.
"Von sowas lasse ich mich nicht aufhalten", grinste Arina und erhob sich.
"Was hast du vor?", wollte Sayan wissen, doch er erhielt keine Antwort. Stattdessen faltete Arina ihre Hände und schloss die Augen. Sie schien sich fest auf etwas zu konzentrieren.
"Marahn... führe mich. Ich brauche deine Hilfe", erbat sie im Geiste und tat die ersten Schritte. Seltsamerweise rutschte sie nicht im Geringsten. Ein schwaches, orangefarbenes Licht lag unter ihren Füßen, welches sie behutsam über das Eis trug. Mit offenem Mund starrten Sayan und Toki die siegessichere Arina an. Der Elderan wusste zwar, das ihr Volk in engem Verhältnis zu den Drachen stand, doch zu einem wahrhaften Gott? Auch ihn verwunderte dieser Gedanke, sie schien wirklich eine Auserwählte zu sein, obwohl ihm dieser Titel überhaupt nicht gefiel. Einem sterblichen Wesen solch einen Status zuzuordnen hatte für ihn keinen Sinn.
Näher und Näher kam Arina dem Ende des Felsens und war im Geiste völlig gespannt, was sie dort wohl finden würde. Auf eine gewisse Art und Weise kam es ihr viel zu einfach vor, das Amulett auf solch einem einfachen Weg zu ergattern. Da musste noch etwas Anderes dahinterstecken, aber was? Diese Ungewissheit verängstigte sie und sie begann zu schwanken. Plötzlich spürte sie einen kurzen Stich in ihrer Brust.
"Verdammt...", das helle Licht unter ihren Füßen wirkte auf einmal leer und unbedeutend. Was jetzt kommen sollte, wusste sie nur zur Genüge. Ohne jeden Halt würde sie in das eiskalte Gewässer stürzen und binnen weniger Minuten erfrieren und niemand könnte ihr helfen. Und dann geschah es. Sie rutschte mit den Füßen an den Seiten des Felsen ab, rauhte sich dabei schmerzhaft den Rücken auf und schloss die Augen. So also sollte ihr Tod sein Gesicht zeigen, erfroren in den Fluten des Eismeeres. Doch entgegen all ihrer Erwartungen landete sie weich und es fühlte sich merkwürdig warm an... sie öffnete die Augen und sah hoch. Nur schwach erkannte sie das Gesicht eines jungen Mannes, der Nebel war viel zu dicht, als dass sie mehr hätte sehen können. Sicher lag sie in seinen muskulösen Armen und starrte ihn an.
"Da hast du wohl noch einmal Glück gehabt, wie?", seine Stimme klang überaus freundlich und einfühlsam. Arina errötete leicht, als sie ein Lächeln auf seinen Lippen erkannte. Behutsam trug der Fremde sie bis an die schneebedeckten Ufer der Küste und setzte sie auf dem Boden ab. Nach wenigen Sekunden kamen auch Sayan und Toki eilig angerannt und der Elderan kniete sich hinunter zu seiner Freundin.
"Ist dir etwas geschehen? Was ist denn nur passiert?", erkundigte er sich hastig, bevor er zu dem Fremden hinübersah.
"Es ist nichts... er hat mich gerettet", antwortete sie kleinlaut und schlang die Gewänder um ihren frierenden Körper. Sayans Blick verriet, dass er den jungen Mann kennen musste. Eine Handbewegung von diesem ließ den Nebel schwächer werden.
"Man sollte ein neues Gesicht immer genau mustern und dafür braucht man freie Sicht", ein weiteres Lächeln schlich über seine Lippen. Und jetzt erkannten die Reisenden, dass dies auch das Einzige war, das man wirklich sehen konnte. Nur seinen Mund. Er trug Bandagen um den oberen Teil seines Kopfes, die seine Augen und einen Teil seiner Nase völlig verbargen. Seine glatten Haare waren sehr lang und zu einem Zopf gebunden. Die Haut des Mannes war vollkommen blau und glitzerte in den warmen Strahlen der Sonne, doch es waren keine Schuppen, wie sie bei den Nixen zu finden waren. Er trug keine Kleidung und sein Unterkörper begann und endete nur in wabernden Wassermassen.
"Das ist der Herr der Ozeane, Itar", freudig sah Toki diesen stolzen Wasserbewohner an und trippelte aufgeregt auf ihrem Platz herum.
"Du bist sehr weise, junges Mädchen. Es freut mich, euch kennenzulernen", höflich verbeugte er sich und blickte zu Arina hinüber.
"Das wäre fast ins Auge gegangen. Was hast du nur dort oben gemacht?"
"Ich... ", fassungslos starrte sie auf die Verbände um seinen Kopf. Wie konnte er auf diese Weise nur etwas sehen? Das war doch völlig unmöglich. Andererseits war er der Herr der Ozeane und die Götter mögen wissen, welche Kräfte er besaß. Möglicherweise konnte er Auren noch besser erkennen und deuten, als das Volk der Elderan. Das wäre zumindest eine plausible Erklärung.
"Ich habe nach dem heiligen Amulett gesucht... ", murmelte sie mit heiserem Unterton. Der eiskalte Wind schien ihre Stimme nun völlig ruiniert zu haben. Itar hob verwundert den Kopf.
"Ist das so? Wozu braucht ihr es?", noch bevor er die letzten Worte wirklich ausgesprochen hatte, sprang Toki auf, packte Arina an ihrem Arm und meinte lautstark: "Vor dir steht die Auserwählte der Götter! Sie soll die himmlischen Gefilde zum Sieg gegen Kadin, den grausamen Weltendämon führen!" Das alles gab sie so übertrieben von sich, das Itar schon schmunzeln musste.
"Soso... eine Auserwählte. Nun, ich bin derjenige, der das Amulett bewacht und ich gebe es nicht jedem Dahergelaufenen, der sich für einen Auserwählten ausgibt", deutlich merkte man, dass seine Stimme ernst klang.
"Was willst du damit sagen?", erkundigte sich Arina und begab sich in eine herausfordernde Position. Etwas beleidigt verschränkte Itar die Arme vor der Brust.
"Glaubst du etwa, ich bin so kampfeslustig? Nein, ich werde dir eine Frage stellen, bei der es kein falsch oder richtig gibt. Alleine die Antwort wird mir genug über dich verraten, dass ich entscheiden kann, ob du des Amulettes würdig bist", erklärte er.
"Das klingt interessant. Fang an", verlangte Arina und spitzte bereits ihre Ohren. Eine Frage, auf die es kein falsch oder richtig gibt'. Was das wohl sein mag?
"Gut, hör zu. Dein Sohn und deine Tochter werden entführt, doch du hast die Möglichkeit, einen von den beiden zu retten. Wen wählst du?"
Verwundert sah Arina auf. So etwas hätte sie nun wirklich nicht erwartet, doch sie begann nachzudenken. Es war ziemlich knifflig, solch eine Frage zu beantworten.
"Du hast zehn Sekunden Zeit... ", mit diesen Worten begann Itar im Geiste hinunterzuzählen. Das machte das Ganze natürlich umso schwieriger für die Elderan. Eine Entführung also... und sie wäre in der Lage, entweder ihren Sohn oder ihre Tochter zu retten. Aber beide Kinder lägen ihr am Herzen. Einen der Beiden zu retten bedeutete, den anderen herzlos im Stich zu lassen. Als Mutter besitzt man gleichermaßen Gefühle für die Tochter, wie für den Sohn. Was sollte sie nur antworten?
"Die Zeit ist um. Antworte", Itars Haltung verriet, dass er sehr gespannt auf die Antwort war. Arina wusste nun, was sie sagen würde.
"Gut, meine Antowrt lautet... "
"Gut, meine Antwort lautet... ", sie schluckte, "niemanden"
"Interessant", nachdenklich griff sich Itar an sein Kinn und lachte leise. Arina verharrte derweil zitternd auf ihrem Platz. Was ist, wenn sie nun die falsche Antwort gegeben hatte und sie das Amulett nie zu Gesicht bekommen würde? Wahrscheinlich hielt er sie für herzlos und grausam, einfach beide Kinder entführen zu lassen.
"Ich habe mich entschieden. Du sollst das heilige Relikt von mir erhalten. Doch vorher möchte ich wissen, warum du diese Entscheidung getroffen hast"
Wie erleichtert war die Elderan doch, das zu hören. Nach diesem kurzen Freudenmoment erklärte sie es ihm: "Nun, wenn ich eines der Kinder rette, dann wird zwar nur eines der beiden entführt, jedoch... ", traurig sah sie auf einen Fußabdruck im Schnee, "zeigt es nicht, dass man das eine Kind bevorzugt? Als Mutter hat man die gleichen Gefühle für Tochter, wie für Sohn und es ist nicht minder grausam, wenn man eine der beiden einfach im Stich lässt, nicht wahr?"
Sayan war beeindruckt. In zehn Sekunden eine solche Entscheidung zu treffen war gewiss nicht einfach, doch ihm kam Arinas Antwort doch etwas herzlos vor. An ihrer Stelle hätte er zumindest ein Kind gerettet, um ihm zu helfen. Nun, es war ihre Sache und er wollte sich dort auch nicht einmischen.
Itar lächelte gutmütig. Ihm gefiel diese Antwort sehr. Sie war anders als die, die er bisher erhalten hatte. Die meisten hätten ihren Sohn oder ihre Tochter gerettet, doch dass jemand beide im Stich gelassen hätte, das war ihm noch nie untergekommen. Und genau das interessierte ihn so sehr. Arina schien wirklich etwas Besonders zu sein, wenn sie solch eine Antwort gab. Er machte eine seiner Hände bereit und fuhr mit ihr langsam in seinen Brustkorb, der plötzlich nur aus Wasser zu bestehen schien. Als er sie wieder herauszog, lag ein kleiner, unscheinbarer Gegenstand in seiner Hand. Auf den ersten Blick würde man niemals erahnen, dass es sich hierbei um ein heiliges Relikt handelte. Ein kleiner, weiß schimmernder Stein mit einer goldenen Fassung in Form eines Meeresdrachen. Das Ganze wurde von einer silbernen Kette gehalten, die relativ lang war.
"Ich vertraue dir hiermit die uralte Kraft der Natur an, die diese Welt mit all ihren Bewohnern und Geheimnissen erschuf. Bewahre sie in deinem Herzen und trage sie dicht bei dir. Und was auch immer geschehen mag, du musst diese Macht mit deinem Leben beschützen, sonst sind wir alle verloren", warnte Itar mit erhobenem Zeigefinger und übergab Arina das kostbare Schmuckstück.
"Was ist, wenn Kadin es doch in die Finger bekommen sollte?", die Elderan wollte ganz sicher gehen, damit sie sich auf einen möglichen Angriff vorbereiten könnte.
"Das darf auf keinen Fall geschehen! Aber ich weiß, warum du fragst... ", er schien ernsthaft über etwas nachzudenken, "ihr seid keine geübten Kämpfer und könnt euch nur schlecht verteidigen"
Arina nickte zustimmend und legte sich die Kette um den Hals. Schnell versteckte sie das Amulett unter den Gewändern, damit es nicht jeder sofort erkennen konnte. Doch kaum hatte sie das getan, spürte sie wieder dieses Stechen in ihrer Brust, als wolle der Fluch sich gegen das Relikt wehren. Aber sie schwieg und verbarg gekonnt ihren Schmerz, denn noch mehr Kummer wollte sie Sayan und Toki nicht bereiten.
"Im Süden gibt es eine Wüste, jedoch nicht die der Nascenen. Sie liegt etwas weiter östlich und die Berserker nennen dieses Gebiet ihr Zuhause. Sie sind das kriegerischste Volk seit Anbeginn der Zeit und sie hassen Fremde. Doch wenn sie sehen, dass du das heilige Amulett in Händen hälst, werden sie euch sicher weiterhelfen. Es gibt keinen Zweifel. Sie sind die erfahrensten und bedeutensten Kämpfer im Land und mit ihrem harten Training werdet ihr in nur ein paar Tagen die wichtigsten Kampftechniken erlernt haben", erzählte Itar, während er weiter nachdachte.
"Was soll uns das bringen, wenn wir auf dem Weg dorthin bereits angegriffen werden?", entgegnete Arina mit hochgezogener Augenbraue.
"Auf dem Seeweg seid ihr nicht gefährdet, jedenfalls nicht, wenn es um eure Feinde geht. Die einzige Gefahr dort draußen sind die Strömungen und Seeschlangen, an denen man aber leicht vorbeifindet", Itar hob erneut seinen Arm gen Himmel und murmelte kaum hörbare Worte. Kaum hatte er dies getan, ertönte ein unheimliches Grollen aus der Tiefe des Gewässers und ein Schatten schien sich dort hin und her zu bewegen.
"Begrüßt meinen Freund, den Meeresdrachen Skaa!", rief Itar mit froher Stimme. Sofort schob sich ein riesiges, rotes Horn durch das Eiswasser, bevor ein gewaltiger Drachenschädel daraus hervorschoss und das Ungetüm seine durchnässte, gelbe Mähne schüttelte. Mit einem zufriedenen Raunen begrüßte er die Reisenden und stupste Itar zärtlich in die Seite. Seine wunderschöne, glänzende Haut wirkte durch die vielen Wassertropfen frisch und lebendig und der himmelblaue Ton verlieh ihr eine unverwechselbare Schönheit. Seine feurigen, roten Augen strahlten eine Abenteuerlust und Leidenschaft aus, wie sie bei keiner anderen Drachenart zu finden war. Diese Tiere waren es, die es vor langer Zeit gewagt haben, das Meer zu überfliegen und andere Länder zu erkunden. Nach und nach gewöhnten sich sich aber auch an das Element des Wassers, welches ihnen sehr zuzusagen schien. Sie verlegten ihren Lebensraum dorthin und lebten seither friedlich mit den anderen Meeresbewohnern beisammen.
Deutlich erkannte man, dass der Drache noch jung war, denn seine Haut war zu hell und seine Mähne hatte sich noch nicht rot verfärbt.
"Er scheint mir nicht sehr erfahren zu sein... ", Arina musterte das Tier aufs Genaueste und musste feststellen, dass es doch eher verspielt, als ernst war. Skaa legte den Kopf schief und schnaufte etwas empört.
"Glaube mir. Er kennt sich in allen Meeren dieser Welt besser aus, als jeder Seefahrer und jede Seeschlange. Trotz seines Alters ist er mit mir schon viel herumgezogen und hat dabei auch nützliche Dinge gelernt", freundschaftlich klopfte Itar dem Drachen auf die Stirn und lachte, "nur die Telepathie beherrscht er nicht. Das geschieht wirklich erst mit dem Alter"
Arina nickte und streichelte Skaa ebenfalls über seine Nüstern. Seine Haut fühlte sich sehr weich und äußerst angenehm an. Wahrscheinlich brauchte sie sich garkeine Sorgen zu machen, es würde schon alles gut gehen.
"Nun gut Skaa, du sollst die drei an der Südküste absetzen, dann können sie sich noch genug Wasser für die Wüste beschaffen", bat er den Meeresdrachen, bevor er sich den Reisenden zuwandte.
"Ich wünsche euch viel Glück und bete dafür, dass ihr die Reise gut überstehen werdet"
"Vielen Dank", gab Arina zurück und bestieg als erste den Rücken des Drachen. Fast wäre sie ausgerutscht, da seine Haut äußerst glitschtig war und nur seine Mähne einen gewissen Halt bot. Sayan und Toki folgten ihr nach und auch sie mussten achtgeben, nicht rücklings hinunterzufallen. Mit einem Schlag schnellten Skaas Flügel aus dem Wasser und entfalteten sich in all ihrer Schönheit. Die vielen Wassertropfen, die von seinen Schwingen hinabfielen, wirkten wie ein funkelnder Wasserfall aus tausenden von Sternen. Tokis Augen glänzten bei diesem wunderschönen Anblick. "Haltet euch lieber fest!", rief Itar ihnen vorsichtshalber zu. Nach wenigen Augenblicken stieß der Drache sich ab und setzte zum Flug an. Sein langer Hals reckte sich der Sonne entgegen und seine Klauen lagen eng an seinem Körper an. Mit einem geradezu majestätischen Äußeren erhob er sich in die Lüfte. Itar hob seinen Arm und winkte den drei Reisenden zum Abschied hinterher. Insgeheim hoffte er, das Richtige getan zu haben. Das Amulett war keineswegs ein Spielzeug und Arina würde seine Kräfte nicht über einen Tag kennenlernen. Ob sie die Macht des Reliktes wirklich anwenden konnte? Er beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken, da es ihm am Ende ja doch nur Kopfschmerzen bereiten würde.
Als Skaa gemütlich Richtung Süden gleitete, kündigte sich am Horizont bereits die Dämmerung an. Der Himmel erstrahlte in allen möglichen Farben, von gelb bis violett waren sie alle vertreten. Die Sonne sank derweil hinter den Gebirgen nieder und sah nurnoch mitleidig auf die Schöpfung der Natur herab. Verträumt beobachtete Arina das Schauspiel, das eigentlich etwas völlig Normales war. Vielleicht war dies der letzte Abend, an dem sie solch einen Anblick genießen konnte. Wusste sie doch, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte. Sayan saß direkt neben ihr und anstatt den Sonnenuntergang zu beobachten, sah er lieber ununterbrochen in das Gesicht seiner Freundin. Durch die vielen warmen Farben des Himmels wirkte es noch schöner, als sonst. Behutsam strich er eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und lächelte sie gutmütig an. Auf diese Geste hin lehnte sich Arina gegen seine Schulter und schloss die Augen. Zärtlich küsste Sayan ihr Haar und nahm sie beschützend in den Arm. Toki saß ihnen derweil gegenüber und musste schelmisch grinsen, als sie die Beiden länger ansah.
"Tue es, Sayan!", lachte sie und zwinkerte ihm auffordernd zu, woraufhin Sayan die Röte in seinem Gesicht nicht mehr verbergen konnte. Auch Arina musste leise schmunzeln und holte das Amulett unter ihren Gewändern hervor.
"Ist es nicht schön?", murmelte sie und strich mit ihren Fingern über den kleinen, weißen Stein, von dem man niemals vermuten würde, dass er die Kraft der Natur in sich barg.
"Ich sehe hier nur eine Schönheit und das ist nicht das Amulett... ", meinte Sayan und legte eine Hand an die Seite ihres Kopfes.
"Du bist ein Schmeichler", murmelte Arina, bevor sie ihre Augen schloss und sich einfach gehen ließ. Es war wieder einer dieser Momente, der durch nichts auf der Welt hätte gestört werden können. Sayan konnte sich einfach nicht mehr zurückhalten. Diese Nähe zu ihr ließ ihn immer wieder aufs Neue erschaudern und das sanfte Kitzeln ihres Haares auf seinem Arm ließ ihm einfach keine andere Wahl mehr. Er beugte sich etwas zu ihr hinunter und küsste sie zärtlich auf die Lippen, während der laue, warme Wind ein wohliges Gefühl verbreitete.
"Ich liebe dich", flüsterte Sayan seiner Freundin ins Ohr und küsste sie noch einmal leicht, bevor er wieder von ihr abließ.
"Ich liebe dich auch...", Arina konnte ihre Augen nurnoch mit Mühe offen halten.
Der Elderan bemerkte ihre Müdigkeit. Kein Wunder, die lange Reise musste sie völlig ausgezehrt haben. Plötzlich schoss ein Pfeil dicht an den Beiden vorbei und traf eine Stelle auf Skaas Rücken. Zwar waren seine Schuppen hart genug, um das Geschoss einfach abprallen zu lassen, jedoch blickte auch er sich verwirrt und ängstlich um.
"Was war das?", rief Toki, bevor sie in den Himmel sah und dort unzählige Gestalten entdeckte, die ebenfalls auf Drachen flogen. Doch waren diese weitaus kleiner und gelenkiger als Skaa.
"Verdammt... was wollen die von uns?", Sayan konnte nur knapp einem weiteren Pfeil ausweichen. Arina kroch nach vorne, bis sie beim Kopf des Meeresdrachen ankam.
"Schnell, du musst uns hier weg bringen!"
Skaa nickte wissend und ließ sich leicht nach links abfallen. Durch den nun starken Wind musste sich Arina fest an seine Mähne klammern und auch Sayan und Toki stemmten sich dagegen. Plötzlich spürte Arina einen stechenden Schmerz, als sich einer der Pfeile durch ihre Schulter bohrte. Ein schmerzerfüllter Aufschrei drang durch den starken, schneidenden Wind. Sofort griff sie mit ihrer Hand nach dem Geschoss und wollte es herausziehen, doch eine ungewohnte Schwäche durchflutete ihren Körper und sie sackte auf dem Rücken des Drachen zusammen. Mit einigen Schlägen seiner Schwingen gewann Skaa wieder an Höhe.
"Arina!", Sayan wollte ihr zu Hilfe eilen, doch da erblickte er ihre Verfolger neben sich. Es waren Dämonen, darin bestand kein Zweifel. Doch ihre Körper waren nicht so klobig wie die ihrer Artgenossen. Vielmehr glichen sie von ihrem Äußeren her den Menschen, wenn man von den blutroten Augen und den scharfen Eckzähnen absah. Auch hatten sie ihre Handgelenkte stark nach innen geknickt, als wären es Klauen. Sayan konnte sich nicht helfen, warum trugen sie nicht die Gestalt der anderen Dämonen? Allerdings bestand jetzt kein Grund, darüber nachzudenken, denn Arina war in Gefahr. Wenn Skaa auch nur einmal zu stark ablenken würde, könnte sie ohne jeden Halt in die Tiefe stürzen. Einer der Dämonen hatte schon einen Pfeil eingespannt und zielte bedrohlich auf Sayans Kopf.
"Keinen Schritt weiter!", krächzte er und musste hämisch lachen, da er wusste, dass der Elderan keinen Ausweg zur Verfügung hatte. Sofort hielt Sayan inne, die ersten Schweißperlen rannen seine Gesichtszüge hinab, tropften hinunter und verschwanden in den Gewändern. Drei weitere Dämonen, die neben Skaa herflogen, sprangen mit einem Satz auf den Rücken des riesigen Tieres und gingen näher auf Arina zu. Sie hatten einen schwankenden Gang, ihre Arme baumelten einfach an ihren Körpern hinunter, als wären sie zu nichts zu gebrauchen. Was sollte Sayan jetzt nur tun? Er schluckte. Es war eine aussichtslose Situation und trotzdem suchte er fieberhaft nach einer möglichen Lösung. Toki sah dem Geschehen von ihrem Platz aus zu. Sie war nicht fähig, sich zu bewegen und panische Angst überkam sie. Was wäre, wenn sie Arina etwas antuen würden?
"Verdammt... ", raunte Sayan und fragte sich insgeheim, warum der Fluch nichts gegen diesen Angriff unternahm. Ohne jede Bewegung lag seine Freundin dort, auf dem Rücken des Drachen, nicht dazu fähig, sich auf irgendeine Art und Weise zu wehren. Möglicherweise war das Amulett daran Schuld, dass der Fluch seine Kraft nicht entfalten konnte. Doch das war ihm jetzt alles völlig egal. Er musste ihr helfen.
Jetzt fiel ihm die rettende Idee wie Schuppen von den Augen.
"Skaa! Flieg nach rechts!", schrie er, während er seine Hände gewölbt vor den Mund hielt. Der Meeresdrache raunte zustimmend und schwenkte mit einem plötzlichen Ruck nach rechts ab. Dessen völlig unerwartet konnten die Dämonen sich nicht mehr halten, rutschten an den Seiten seines Körper entlang und stürzten schlussendlich mit lautem Geschrei in die Tiefe. Auch die noch immer bewusstlose Arina rutschte völlig ungehalten ab. Sofort reagierte der Dämon, der Sayan noch immer bedrohte und schoss den Pfeil ab, der jedoch sein Ziel verfehlte, da der Elderan schon losgelaufen war und Arina vor einem tödlichen Sturz bewahrte, in dem er sie blitzschnell am Arm packte und wieder hochzog.
"Bitte wach auf... hörst du mich? Bitte, wach doch auf", bat er seine Freundin, die nach einem abhackten Atemzug endlich die Augen öffnete. Erleichtert lächelte Sayan auf sie herab, was sie jedoch kalt zu lassen schien. Seiner ungeachtet erhob sie sich von ihrem Platz, packte den Pfeil, der noch immer in ihrer Schulter steckte und zog ihn mit einem Ruck heraus. Der Dämon sprang derweil auf den Rücken des Drachen und zog einen Säbel aus der Scheide, die an seiner Hüfte befestigt war. Schnell begab er sich in eine geeignete Kampfposition und lachte der Elderan herausfordernd ins Gesicht.
"Du forderst mich heraus?", lachte Arina, die wieder durch den Fluch kontrolliert wurde und warf dem menschenähnlichen Ungetüm einen schauderhaften Blick zu. Langsam glitt sie mit ihrer Zunge über ihre Oberlippe und zeigte damit, dass sie keineswegs Angst vor der Bestie hatte. Im Gegenteil. Sie erhoffte sich sogar einen Kampf. Der Dämon schien jedoch keine Furcht zu haben, da er den wachsenden Fluch nicht bemerkte und rannte mit lautem Kichern und erhobener Waffe auf die Elderan zu. Der Säbel des Dämonen bohrte sich tief in Arinas Körper, doch sie rührte sich keinen Millimeter. Stattdessen begann sie amüsiert zu kichern und riss die Augen weit auf. Sechs Pupillen... und alle starrten sie den hilflosen Dämonen an, der realisierte, dass er keine Chance gegen sie hat. Er schrie entsetzt auf, als die Adern des Fluches unter den Gewändern hervorlugten und sich um den Griff seiner Waffe windeten. Aus irgendeinem Grund war er nicht in der Lage, seine Hände zurückzuziehen, die den Säbel noch immer zitternd festhielten. Der Fluch begann langsam damit, sich an seinen Armen hinaufzuschlängeln und schließlich seinen ganzen Oberkörper mit unglaublicher Schnelligkeit zu umwickeln. Verzweifelt zeterte der Dämon und versuchte, sich aus dem Griff des Fluches zu retten, doch schon nach wenigen Sekunden verstummte das Betteln und sein Kopf sank auf seine Brust. Die roten Augen waren von einer nichtssagenden Leere erfüllt, schwarzes Blut floss aus seinem Mund und verlief sich in der Soldatenkleidung. Die Auswüchse des Fluches hoben die Leiche in die Höhe, bevor sie diese mit Schwung vom Rücken des Drachen warfen.
Langsam zog sich der Fluch wieder zufrieden unter Arinas Kleidung zurück, wobei sie anfing zu taumeln, da sie ein starker Schwindel überfiel. Alles wirkte verschwommen und es kam ihr so vor, als würde sich die ganze Umgebung vor ihren Augen drehen. Sayan war sofort zur Stelle und stützte sie behutsam ab. Arina klammerte sich sofort an seinen Armen fest.
"Was ist... passiert?", murmelte sie verstört und sah ihm mit einem verwirrten Blick in die braunen Augen.
"Der Fluch ist wieder erwacht", gab Sayan zur Antwort und wunderte sich, dass sie von dem Angriff kaum etwas mitbekommen hatte. Scheinbar übernahm der Fluch immer mehr Kontrolle über sie, so dass sie nicht einmal mehr das Geschehen wirklich miterlebte. Arina griff sich mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck an den Kopf, in dem es wie verrückt hämmerte und pochte. Ihre Augen waren noch immer weit aufgerissen, doch diesmal lag ein ängstlicher, nach Schutz suchender Blick darin, dass Sayan die Tränen schon krampfhaft unterdrücken musste. Behutsam nahm er sie in seine Arme und schmiegte seinen Kopf eng an ihren. Immer wieder flüsterte er beruhigende Worte in ihr Ohr, um sie wenigstens etwas von den Geschehnissen abzulenken. Gerade war es doch noch so ein friedlicher Augenblick und er hatte ihr Wohlbefinden und die sorglose Atmosphäre richtig genossen... doch die Dämonen lassen ja nichts unversucht, um Arina umzubringen und ihr das Amulett zu stehlen. Bei diesem Gedanken musste er eine Hand zur Faust ballen, um die aufsteigende Wut in ihm zu unterdrücken.
Plötzlich meldete Skaa sich wieder zu Wort, indem er seinen Kopf energisch hin und her warf. Toki sah auf und kniff die etwas Augen zusammen, da die eintretende Dunkelheit das Sehen nicht gerade erleichterte.
"Das muss die Südküste sein", meinte sie mit unsicherer Stimme und legte den Kopf schief, "aber so schnell?"
Derweil stützte Sayan seine Freundin, damit sie wieder aufrecht stehen konnte, wenn dies auch nicht ohne Probleme von statten ging. Arinas Schwindel wollte einfach nicht vorbeigehen, als wolle der Fluch sie auslachen und ihr Leid genießen.
"Skaa, ist das die Südküste?", fragte Sayan nach, um auch völlig sicherzugehen. Als Antwort erhielt er ein Nicken des Drachen, also musste es wohl stimmen.
"Dort drüben ist die Festung der Berserker!", rief Toki, die aufgeregt hin und her sprang. Langsam und geschmeidig sank der Meeresdrache immer tiefer, wobei seine Mähne und seine Schwingen immer schneller flatterten. Als er knapp über dem Boden flog, schlug er mit den Flügeln, um die Geschwindkeit zu verlangsamen und schließlich sanft auf dem trockenen Wüstensand zu landen. Zuerst rutschte Sayan an der Seite des Tieres hinunter, um Arina mit offenen Armen Sicherheit beim Absprung zu bieten. Als die junge Elderan sich ebenfalls dazu durchgerungen hatte, hinunterzurutschen, fing ihr Freund sie behutsam auf und setzte sie dann am Boden ab. Doch kaum, dass alle drei sicher unten angekommen, hörten sie von Weitem schon das dumpfe Getrampel von Hufen.
"Nicht schon wieder", Toki klatschte mit einer Hand gegen ihre Wange. Beschützend stellte Sayan sich vor Arina und sein ernster Gesichtsausdruck sprach für sich. Diesmal würde er es garnicht erst zulassen, das der Fluch erwacht. Doch als die schattenhaften Reiter näherkamen, erkannten die drei, dass es sich nicht um Dämonen handelte, sondern um Soldaten der berserkischen Elitetruppe.
"Skaa! Flieg zurück, wir kommen jetzt alleine zurecht!", rief Toki dem jungen Meeresdrachen zu und wendete sich wieder den Reitern zu. Sofort begannen diese damit, die drei Reisenden einzukreisen, während Skaa gerade noch genug Schwung fand, um in die Luft zu steigen und, mit einem letzten Blick zurück, davonzufliegen.
Die Soldaten waren allesamt in dutzende, weiße Tücher gehüllt, die sie anscheinend vor der Hitze des Tages schützen sollten. Allein ihre schmalen, stechenden Augen und ihre Hände und Füße waren darunter zu erkennen. Ihre Pferde waren ohne Ausnahme weiß und mit berserkischen Zeichen verziert.
"Wer seid ihr, Fremde? Was habt ihr hier zu suchen?", erkundigte sich einer der Männer, der vermutlich einen höheren Status besaß, da sehr viele Orden an seiner Kleidung hingen. Sein Blick schweifte zuerst an Toki und Sayan vorbei und blieb schließlich an Arina hängen.
"Wir sind in friedlicher Absicht hier und möchten Euch in Eure Stadt begleiten", antwortete Sayan. Höflich, wie er es gewohnt war, wenn Fremde vor ihm standen. Der Soldat ließ nicht von Arina ab, sein Blick wurde immer interessierter. Schließlich meinte er mit ruhiger Stimme: "Nun, unter diesen Umständen lasse ich euch gerne mit uns kommen. Steigt auf"
Toki war über diese Freundlichkeit doch mehr als verwundert. Berserker verhielten sich Fremden gegenüber immer misstrauisch und arrogant und jetzt boten sie den dreien sogar an, auf ihre Pferde zu steigen. Sie beschloss, diese Soldaten zu beobachten, möglicherweise war es ja ein Hinterhalt.
Der Berserker, der Arina schon die ganze Zeit über angesehen hatte, bot ihr nun einen Platz auf seinem Pferd an. Zögernd nahm die Elderan das Angebot an, noch immer begleitet vom Schwindel des letzten Angriffes. Sie durfte auf keinen Fall ihre Gastfreundlichkeit ablehnen, da diese sich dann ganz schnell in Empörung wandeln konnte. Noch einmal sah sie mit verunsichertem Blick in Sayans Gesicht, bevor sie auf den Rücken des Pferdes stieg und sich an dem Soldaten festhielt. Auch Sayan und Toki taten es ihr gleich. Beide stiegen sie jeweils auf das Pferd eines anderen Berserkers.
"Es wird nicht lange dauern, die Festung liegt in der Nähe", erklärte der Soldat. Nachts war die einzige Zeit, in der man die Temperaturen der Wüste ertragen konnte, da sie tagsüber die Grenze des Erträglichen weit überschreiten konnten. Das Geheimnis, warum die Berserker der unglaublichen Hitze trotzen konnten, war bis heute unbekannt. Ihre sehr dunkle Haut und das silber glänzende Haar schienen ein Anzeichen darauf zu sein. Gemächlich ritten die Soldaten weiter, bis die schwarzen, adamantenen Tore der Stadt zu sehen waren. Erst, als diese nah genug waren, erkannten sie die gewaltige Größe dieser Bauten. Adamant war eines der härstesten Materialien und dazu noch äußerst glatt, was ein Erstürmen der Mauern beinahe unmöglich machte, wenn man keine Flügel besaß. Gemächlich ritten die Soldaten durch die Tore, doch innerhalb der Mauern war es ruhig und die Bewohner hatten sich bereits zur Nachtruhe gebettet. Nur einzelne Laternen, in denen halb abgebrannte Kerzen standen, boten genügend Licht, um die Straßen zu erleuchten. Toki dachte noch immer über das merkwürdige Verhalten dieser Soldaten nach. Normalerweise würde man Fremde überhaupt nicht erst in die Stadt hinein lassen, doch die Männer ließen sie sogar auf ihren Pferden reiten.
Nach wenigen Minuten kamen die Männer an den Treppen des königlichen Palastes an und stiegen von ihren Pferden ab.
"Kommt, ihr seit herzlich eingeladen", der Soldat hielt Arina kavaliersmäßig eine Hand hin und sie konnte an seinen Augen erkennen, dass er lächelte. Ihre Hand zitterte etwas, als sie diese in seine legte.
"Du brauchst keine Angst zu haben. Die Gerüchte, wir seien ein kriegerisches Volk, sind falsch. Unsere Vorfahren mochten sich so verhalten haben, aber die Zeiten ändern sich nunmal", seine Stimme klang ungewöhnlich höflich für einen Soldaten, die normalerweise eine primitive Sprechweise besaßen.
Sayan sah währenddessen immer wieder eifersüchtig zu den Beiden hinüber. Er wollte diesen Kerl auf jedenfall im Auge behalten, da er kein sehr gutes Gefühl bei ihm hatte.
Gemeinsam schritten sie die lange Treppe bis zum Palasthof hinauf. Die Stufen waren sehr breit und lang, bestanden aus purem Marmor und die vielen Götter- und Heldenstatuen an ihren Enden wirkten majestätisch und sagten viel über die alten Legenden und Sagen aus.
Der Soldat verbeugte sich und zog die Tücher um seinen Kopf herunter. Erst jetzt erkannte man die langen, silber glänzenden Haare und die vielen roten Zeichen in seinem Gesicht.
"Diese Zeichen... ", flüsterte Toki, während sie hinauf zu Sayan sah, "Nur Angehörige der königlichen Familie dürfen sie tragen"
"Dann heißt das, er muss der berühmte Prinz Rohn sein", nachdenklich legte der Elderan eine Hand an sein Kinn. Viele Geschichten handelten von diesem tapferen Prinzen, der schon viele Schlachten geschlagen und Gegner bezwungen hatte.
"Ich wäre euch dankbar, wenn ihr mir eure Namen sagt", meinte Rohn und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Höflich, wie sie es Fremden gegenüber gewohnt waren, stellten sich die drei vor. Freundlich sah Rohn in Arinas Richtung und lächelte sie an. "Du hast einen sehr schönen Namen"
Als sie das hörte, begann ihr Herz schneller zu schlagen und sie musste ununterbrochen in seine roten Augen sehen, die sie wie magisch anzogen. Er sah wirklich stattlich und vornehm aus, wie ein wahrer Kavalier, und benahm sich auch so. Sayan grummelte derweil irgendwelche Beleidigungen vor sich her und verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte es nicht mitansehen, wenn ein Anderer Arinas Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte. Toki musste ihn wieder schelmisch angrinsen, woraufhin er seinen Kopf nur schnell wegdrehte.
"Darf ich bitten?", Rohn verbeugte sich vor Arina und legte einen Arm um ihre Hüfte. Sayans Blick verriet, dass er den Prinzen jetzt am liebsten in Flammen aufgehen lassen würde.
"W-Was? Ich... ", sie errötete, als sie seine Berührung spürte und ihr Atem stockte für einen Moment. Mit unsicherem Blick sah sie nach hinten zu Sayan, bevor sie dem Bitten des Prinzen nachgab und mit ihm weiter über den Palasthof ging.
"Morgen Abend geben mein Vater und ich ein Bankett zu Ehren der Götter und ich wäre sehr geehrt, wenn du und deine Freunde uns Gesellschaft leisten würden", erklärte Rohn, während er Arina etwas näher an sich heranzog.
"Nun, ich... aber sicher werden wir das... ", sie lachte verlegen und drehte ihren Kopf zur Seite.
"Nun, ich... aber sicher werden wir das... ", sie lachte verlegen und drehte ihren Kopf zur Seite, um die Röte in ihrem Gesicht zu verbergen, die ihr mittlerweile bis unter die Haarspitzen gestiegen war. Am Liebsten würde sie sich einfach gegen seine Annäherungsversuche wehren, doch immerhin war er ein Prinz und wahrscheinlich auch sehr eitel. Eine Absage und er könnte sie in irgendeine Gaststätte stecken und dann hätten sie auch keine Möglichkeit, ein angemessenes Training zu erhalten. Andererseits war die Nähe des Prinzen auf eine gewisse Art und Weise angenehm, da er sehr vorsichtig und liebevoll mit ihr umsprang. Aber das womöglich nur, weil er ihren Fluch noch nicht entdeckt hatte. Sie musste ihn lange genug vor ihm verbergen. Es gab nur eine Sache, die sie wunderte. Noch kein Wort hatte sie darüber verloren, dass sie eine Auserwählte war und doch nahm der Prinz sie ohne zu zögern auf und führte sie sogar in den Palast. Auch zeigte er reges Interesse an ihr, obwohl er sie noch überhaupt nicht kannte. Vielleicht war er ja ein stadtbekannter Frauenheld oder einfach ein Schmeichler, der Frauen imponieren wollte. Bei diesem Gedanken musste sie sich ein Schmunzeln verkneifen. Plötzlich kam unerwartet ein kühler Wind auf und Arina schlang reflexartig die Arme um ihren Körper.
"Es ist kalt, nicht wahr? Ich werde euch zu einem warmen Zimmer bringen", Rohn strich ihr mit einer Hand über den Rücken. Sayan stapfte hinter den Beiden her und schnaubte wütend, als er die Geste des Prinzen sah. Toki hielt sich die Hand vor den Mund und musste leise lachen, als sie Sayans Empörung bemerkte. Sogar die restlichen Soldaten konnten sich ein Lachen nicht mehr verkneifen, doch es schien ihn garnicht zu kümmern. Wäre dieser Kerl kein Prinz, hätte er ihm schon längst die Meinung gegeigt. Die Palastwachen grüßten Rohn, indem sie mit der linken Hand an ihre rechte Schulter schlugen und ließen ihn in das Innere des Palastes eintreten.
Bereits der Eingangssaal war so wunderschön aufgebaut, dass er aus einem Märchen hätte stammen können. Mehr als zwanzig Säulen waren entlang eines roten Teppichs aufgestellt, der mit goldenen Stickmustern verziert war und geradeaus in die Empfangshalle führte. In den glatten Marmorböden konnte man sein eigenes Spiegeldbild deutlich erkennen und die gigantischen Fenster waren von silbernen Vorhängen verhangen. Unzählige Diener eilten durch die Räume und grüßten den Prinzen vorbildlich. Zwei lange Treppen an den Seiten des Saales führten in den ersten Stock und Rohn entschied sich dafür, hinauf zu gehen. Arina blickte sich noch immer erstaunt im Palast um.
"Gefällt es dir? Ich könnte dich morgen etwas herumführen, wenn du möchtest", schlug Rohn vor und zog sie noch etwas mehr an sich heran, so dass sie jetzt eng an ihn gedrückt wurde.
"Äh... gerne... ", stammelte sie unschlüssig vor sich hin und unterdrückte den Drang, in seine feurigen Augen zu sehen, die sie noch immer faszinierten. Schließlich kamen sie im ersten Stock an und der Prinz geleitete die beiden Elderan und Toki in ein riesiges Zimmer, dass ebenso wunderschön eingerichtet und verziert war, wie der Rest des Palastes.
"Gebt mir eure Umhänge. Ich werde sie einem Diener überlassen", Rohn klatschte zweimal in die Hände, woraufhin nach wenigen Sekunden ein großgewachsener Mann erschien. Dieser war anstatt in weiße Tücher, in schwarze gehüllt.
Auf die Worte des Prinzen hin, zogen die drei ihre Umhänge aus und gaben sie dem Diener in die Hand, der sie sorgfältig zusammenlegte. Während er das tat, musterte der Prinz Arinas Körper von oben bis unten und ein interessierter Blick legte sich darüber. Nachdem die Elderan eines der drei großen Betten in diesem Raum entdeckt hatte, warf sie sich ungeachtete aller Höflichkeiten mit Schwung darauf und legte sich der Länge nach hin. Arina kam sich vor wie in einem Paradies, als sie mit ihren Händen über den seidigen Stoff glitt und ihr Kopf im weichen Kissen versank. Sie atmete erleichtert auf. Einerseits, weil sie sich endlich von Rohn losreißen konnte und andererseits, weil sie sich einfach wieder erholen durfte. Auch Toki freute sich über ein weiches Bett und hüpfte aufgeregt darauf herum. Nur Sayan konnte es nicht wirklich genießen, da er immer noch wütend zu Rohn hinübersah, der seine Blicke nicht von Arina ablenken konnte.
"Ich wünsche eine gute Nacht", mit diesen Worten warf der Prinz ihr noch einen Luftkuss zu, bevor er den Raum gemeinsam mit dem Diener wieder verließ.
"Das darf doch nicht wahr sein... ", grollte Sayan und sah hinüber zu Arina, die in ihrem Bett lag und ungläubig an die geschlossene Tür starrte.
"Der lässt nichts unversucht", kicherte Toki, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und warf sich auf ihr Kissen.
"Du glaubst doch nicht, dass ich mich von ihm beeindrucken lasse, oder Sayan? Ich muss mitspielen, sonst können wir das Training vergessen", meinte Arina und lächelte ihn an. Sayan starrte einen Moment hinaus aus dem Fenster.
"Du hast Recht", murmelte er und lächelte ebenfalls zurück. Immerhin hatten sie sich gegenseitig ihre Liebe geschworen und kein Prinz der Welt könnte dieses Band brechen.
"Hier gibt es sogar Nachtmäntel. Wird das schön sein, endlich wieder die Sachen wechseln zu können", Arina hielt den Mantel, der zuvor auf ihrem Bett lag, mit beiden Händen in die Höhe und sah ihn sich genau an. Er bestand aus feinster, rot gefärbter Seide und war an den Seiten mit goldenen Fäden verziert. Sie schmiegte ihre Wange noch einmal daran, bevor sie ihn wieder auf das Bett legte. Sie drehte sich kurz nach hinten und zwinkerte Toki zu.
"Toki, pass auf, dass er nicht zusieht", mit diesen Worten zog sie das Tuch um ihre Schultern herunter.
"Jawohl!", Toki grinste Sayan frech an und behielt ihn ständig im Auge. Als dieser aber die Geräusche hörte, wie Arina ihr Oberteil und den Rock auszog, wurde ihm doch etwas unwohl. Der Gedanke, dass sie sich direkt hinter ihm umzog und er keinen Blick riskieren durfte, machte ihm innerlich zu schaffen. Er schüttelte den Kopf, als er kurz davor war, sich das Ganze im Geiste vorzustellen. Doch dann war es einen Moment lang ruhig.
"Sayan... ?", Arinas Stimme klang mit einem Mal besorgt.
"Ja?"
"Marahn hat doch kein Wort darüber verloren, dass er den Fluch brechen wird... ", fest hielt sie das Amulett umklammert, das immernoch um ihren Hals hing und starrte immerzu auf den goldenen Meeresdrachen, der es hielt.
"Was meinst du?", fragte Sayan nach und drehte den Kopf etwas zur Seite, ohne sie jedoch anzusehen. Wie kam sie in diesem Moment nur auf solch ein Thema zu sprechen?
"Nur meine Mutter hat das gesagt, nicht Marahn. Was ist, wenn er den Fluch garnicht brechen kann? Silbermond ist bald vorbei... "
Warum nur? Warum musste sie ihn gerade jetzt daran erinnern? Er wollte kein Wort von dem Fluch oder ihrem Tod hören.
"Hör auf... ", murmelte er gerade laut genug, dass sie es hören konnte. Toki saß schweigend und mit traurigem Blick auf ihrem Bett. Sie wusste nicht, wie sie sich in dieser Situation verhalten sollte. Dass die Stimmung so schnell umschlagen würde, konnte sie ja nicht ahnen. Die Elderan drehte sich zu ihrem Freund um. Langsam zog sie den Mantel an und band ihn vorne mit einem Band zusammen.
"Ich spüre deine Aura. Sie ist angsterfüllt... hast du Angst? Angst vor dem Tag, an dem ich sterben werde?", sie legte eine Hand auf den Fluch, "Am Liebsten würde ich ihn einfach herausreißen, glaub mir"
Ihr Blick verfinsterte sich, sie packte eine der Adern und zerrte an ihr herum, bis sie schließlich vom Rest der schwarzen Masse abriss und nurnoch für einen Augenblick in Arinas Hand zappelte. Die Elderan verbarg ihren Schmerz dabei, denn der Fluch war ein Teil ihres Körpers und wenn ihm ein Leid zugefügt wurde, dann spürte sie es umso stärker. "Ich will nicht sterben, Sayan"
"Ich werde nicht aufgeben. Es gibt einen Weg, dich zu retten... ", unauffällig wischte er sich eine Träne aus dem Gesicht, "Und jetzt schlaf, du brauchst Ruhe" Mit einer Hand musste er sich schon am Bettpfosten abstützen, weil er es nicht ertragen konnte, über dieses Thema zu sprechen. Er konnte sich ein Leben ohne Arina überhaupt nicht vorstellen. Für ihn war sie selbstverständlich, mit oder ohne Fluch.
Arina küsste ihn noch einmal auf den Hals, bevor sie ihm eine gute Nacht wünschte und sich in ihr Bett legte. Die Decke zog sie bis zu ihrem Kopf hinauf und schloss gedankenversunken die Augen. Der Elderan fuhr sich noch einmal durch die kurzen Haare und seufzte erleichtert auf. Es freute ihn innerlich, dass sie wieder in einem richtigen Bett schlafen konnten und nicht auf Steinen oder Gras. Nachdem Sayan und Toki sich umgezogen hatten, gingen sie ebenfalls zu Bett und Toki grübelte noch lange darüber nach, wie sie die Beiden aufmuntern konnte, damit sie sich nicht an eine schlechte Zukunft klammerten...
Das Krähen eines Hahnes holte Arina früh morgens aus ihrem Schlaf, der für sie nicht gerade erholsam gewesen war. Verschlafen richtete sie sich in ihrem Bett auf und stützte sich mit ihren Armen ab. Mit einem Gähnen rieb sie sich die halb geschlossenen Augen und sah sich im Zimmer um. Die Strahlen der Morgensonne verliehen dem Zimmer eine angenehme Wärme und Schönheit. Ein Schmunzeln schlich über ihre Lippen, als sie Toki, eingewickelt in ihre Decke, am Boden liegen sah. Plötzlich klopfte es ein paar Mal an der Tür.
"Herein", mit einem weiteren Gähnen lehnte sie sich an das Bettgestell.
"Guten Morgen", mit einem freundlichen Lächeln trat Rohn in das Zimmer, doch das Lächeln wandelte sich schnell in ein verwundertes Gesicht. Zuerst verstand Arina nicht, doch dann bemerkte sie, dass ihr Mantel den Fluch nicht mehr völlig verdeckte und zog hastig die Decke über ihren Oberkörper.
"Nun... ich werde einen Diener vorbeischicken, der euch das Essen bringt. Geduldet euch doch noch einen Moment", mit diesen Worten verließ er den Raum wieder und Arina blieb mit nachdenklichem Blick zurück. Hoffentlich war er jetzt nicht angewidert und würde sie hinauswerfen lassen. Nein, das konnte nicht sein. Er würde ihnen sonst ja kein Essen bringen lassen.
"War das gerade der Prinz?", fragte Sayan, ebenfalls noch im Halbschlaf, nach. Arina antwortete mit einem zaghaften Nicken.
"Seit wann kommt er höchstpersönlich hier rein, um uns 'Guten Morgen' zu sagen?", grollte er und ließ sich wieder rücklings auf das Bett fallen.
Auch Toki wurde durch das Gerede wach und setzte sich aufrecht auf den Boden.
"Endlich wieder gut geschlafen", meinte sie und streckte sich gehörig.
"Das freut mich", gab Arina zurück und stand auf. Gemächlich schritt sie hinüber zum Fenster und zog die Vorhänge beiseite, um einen Blick hinaus zu erhaschen. Sie staunte, als sie den gigantischen Marktplatz vor sich entdeckte, der auf dem gesamten Palasthof aufgebaut war. Dutzende von stadtfremden Händlern priesen hier lautstark ihre Waren an, die sie auf einem Tuch oder einem kleinen Tisch ausgebreitet hatten. Die Berserker schienen noch eifriger bei der Arbeit zu sein. Sie rannten den Leuten sogar hinterher, um sie zurück zu ihrem Stand zu zerren und sie dazu zu bringen, doch noch einen Blick auf ihre Waren zu werfen. An mehreren Plätzen des Marktes führten Tänzer oder Schauspieler kleinere Stücke auf. Diese sahen sich die Berserker mit Wohlgefallen an und lachten und klatschten, wenn etwas Lustiges geschah.
Viele Kinder spielten zusammen zwischen den Buden Fangen oder Verstecken und die Frauen unterhielten sich an den Ständen über den neuesten Schmuck oder das schönste Kleid. Arina hielt ihren Arm hinaus aus dem Fenster, doch schon nach wenigen Sekunden musste sie ihn wieder zurückziehen, da er durch die Hitze schon unangenehm heiß geworden war.
"Wie halten die das bloß aus?", sie kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf.
"Rogan hat mir einmal erzählt, die Berserker hätten einen Zauber über ihr Volk ausgesprochen, der es ihnen erlaubt, selbst bei sehr großer Hitze zu überleben. Deswegen werden sie auch so gut wie nie angegriffen, da ihre Feinde dieser Temperatur niemals die Stirn bieten könnten", erklärte Toki, die mittlerweile auch aufgestanden war.
"Und warum ist es hier im Palast so kühl?", erkundigte Arina sich weiter.
"Wahrscheinlich liegt auch auf dem Palast ein Zauber, weil viele Botschafter und Adelige anderer Völker hier unterwegs sind. Vermutlich die einzigen Fremden, die man hier herein lässt... ", meinte sie, während sie wieder ihre Alltagskleidung anzog. Erstaunt war die Elderan schon über das Wissen dieses Mädchens, obwohl es noch so jung war. Auch sie beschloss sich umzuziehen und so ließ sie wieder vom Fenster ab. Sayan rollte derweil unruhig in seinem Bett hin und her, was Arina natürlich sofort bemerkte und nach einem Kissen griff. Dieses warf sie dann mit Schwung mitten in sein Gesicht, woraufhin er erschrocken hochfuhr.
"Ist ja gut... ", murmelte er und musste sich schon selber aus der Decke zwingen, um überhaupt aufstehen zu können. Verschlafen zog er seine Sachen an, während Arina und Toki schon wieder am Fenster standen.
In diesem Moment klopfte es wieder und einer der Diener betrat den Raum. Vor sich her schob er einen kleinen Wagen aus Metall, auf dem verschiedene Tabletts und ein kleines Blumengesteck Platz gefunden hatten.
"Der Prinz schickt mich, euch das Essen zu bringen. Ich wünsche einen guten Appetit", ohne sich umzudrehen und mit einer leichten Verbeugung schritt er langsam wieder hinaus und schloss die Tür hinter sich.
"Was ist das denn für ein Gebilde?", fragte Arina neugierig nach und klopfte mit dem Finger auf den Metalltisch. Erwartungsvoll sah sie zu Toki, die für sowas ja immer sofort eine Antwort parat hatte. Doch diesmal schien auch sie verwundert zu sein.
"Sowas habe ich auch noch nie gesehen. Aber die Berserker sind sehr fortschrittlich und wissbegierig. Vielleicht ist das auch eine ihrer Erfindungen, scheint jedenfalls sehr praktisch zu sein", sie musterte den Tisch aufs Gründlichste, bevor ihre Blicke auf das Tablett schweiften.
"Lecker! Endlich etwas Richtiges zu essen!", rief sie begeistert, als sie ein liebevoll zusammengestelltes Menü vor sich erblickte. Verschiedenste Fleisch-, Käse- und Obstsorten, sorgfältig zerschnitten und aneinandergereiht, waren vertreten und jeder der drei kostete ein Stück. Dabei achteten sie nicht darauf, Messer und Gabel zu benutzen, sondern griffen ohne lange nachzufragen mit den Händen zu.
"Ich glaube es ja nicht. Sowas gutes habe ich ja noch nie gegessen", völlig entzückt ließ Arina sich das Essen auf der Zunge zergehen, um den Geschmack auch wirklich auszukosten.
Während die drei ihr Frühstück genossen, schritt der Prinz außerhalb des Zimmers zielstrebig in einen kleinen Raum, der sich von der Einrichtung her deutlich von den anderen unterschied. Mehrere große Schränke waren entlang einer Wand aufgestellt und mit unzähligen rundlichen Fläschchen zugestellt. Ein schwacher, roter Dunst lag in dem kleinen Zimmer und ein großgewachsener, junger Mann beschäftigte sich intensiv mit einer rötlichen, wohl riechenden Flüssigkeit, die in einem großen Bottich vor sich hin blubberte. Als er den Prinzen bemerkte, sah er kurz auf.
"Seid Ihr fertig, werter Zadai?", interessiert warf Rohn einen Blick auf die Arbeit seines Hofmagiers. Dieser lächelte ihn nur flüchtig an und widmete sich dann wieder dem Gebräu.
"Es ist fast fertig, eure Hoheit. Sagt, wer sind die Fremden, die Ihr hierher gebracht habt? Sie sehen mir nicht wie Adelige aus", der Magier schmiss noch ein zerkleinertes Kraut in den Bottich und rührte konzentriert mit einem langen Holzlöffel darin herum.
"Ihr mögt durchaus Recht haben. Ich hätte sie auch nicht hierher gebracht, doch dieses Mädchen hat mein Interesse geweckt", mit einem selbstsicheren Lächeln strich er eine Haarsträhne aus seinem Gesicht.
"Aber sie hat doch bereits einen Begleiter und mir scheint, die Beiden verstehen sich sehr gut", erwiderte Zadai und holte ein kleines Fläschchen aus einem der Schränke.
"Gegen meinen Charme wird er nicht ankommen. Aber sicherheitshalber werde ich Euren Trank benutzen, um sie mir gefügig zu machen. Ich hoffe, Ihr habt mir nicht zuviel damit versprochen, dass dieses Gebräu auch das hässliche Etwas auf ihrer Brust beseitigen wird", er lachte hinterhältig, während Zadai die Flasche in die zähe Brühe tunkte und eine geringe Menge herausschöpfte. Nachdem er damit fertig war, stopfte er einen kleinen Korken in den Flaschenhals und reichte das Gebräu dem Prinzen.
"Aber ist es nicht falsch, Frauen auf diese Weise für sich zu gewinnen?"
"Seid still! Ihr sollt nur meinen Befehl befolgen und mehr nicht!", rief Rohn empört und griff gierig nach der Flasche.
"Ihr werdet schon sehen... Heute Abend wird sie mich um eine gemeinsame Nacht anflehen", mit diesen Worten verließ er den Raum wieder und eilte zurück in das Zimmer seiner Gäste. Das Fläschchen hängte er an seinen Gürtel und betrat den Raum wieder einmal mit seinem einschmeichelndem Lächeln.
Die drei hatten das Essen restlos verputzt, saßen nun in der Mitte des Raumes und unterhielten sich vergnügt.
"Ich hoffe, es hat gemundet", meinte Rohn und sah wieder zu Arina. Mit einer leichten Verbeugung hielt er ihr erwartend eine Hand hin. Verwundert starrte Arina ihm in seine Augen und mit einem Mal hatte sie den Drang, mit ihm zu gehen.
"Ich habe dir doch versprochen, dich etwas herumzuführen", er kam einen Schritt näher und die Elderan wollte zurückweichen, doch sie konnte es nicht.
"J-Ja... ", stammelte sie und nahm sein Angebot zögernd an. Sayan konnte es nicht glauben. Er hatte gehofft, dieser Angeber hätte endlich begriffen, dass er Arina nicht für sich gewinnen konnte. Die Beiden verließen gemeinsam den Raum und schritten die äußerst langen Gänge entlang, die Treppen hinunter, bis sie außerhalb des Palastes ankamen. Hier unten kam Arina der Markt noch viel größer und bunter vor, als von ihrem Fenster aus. Kaum waren sie auf dem Platz angelangt, eilten Händler und Bürger herbei, um den Prinzen zu grüßen und sich untertzänig zu verbeugen. Unter ihnen war das Gerücht umgegangen, dass es Glück brächte, dem Prinzen seine Treue mit deutlichen Gesten zu zeigen. Ein kleines Mädchen zupfte an Rohns Umhang herum, woraufhin dieser sich zu ihr hinunterbeugte.
"Was möchtest du denn, meine Kleine?"
Arina fand diese liebevolle Art mit Kindern umzugehen, äußerst vorbildlich und lächelte dem Mädchen freundlich zu.
"Wollen wir spielen, Rohn? Guck mal, meine Mama hat mir einen kleinen Bären aus Wolle geschenkt. Ist er nicht niedlich? Komm, lass uns spielen", während das Mädchen das sagte, trippelte es erwartungsvoll auf seinem Platz herum und präsentierte mit Stolz den kleinen Bären mit den schwarzen Knopfaugen. Vergnügt lachte der Prinz auf und strich ihr über die kurzen, braunen Haare.
"Jetzt nicht, ich habe Gäste. Ein ander Mal bestimmt, ja?", schlug er vor und ließ von dem Mädchen ab.
"Ist gut!", es drehte sich um und lief, mit einem letzten Blick zurück, zu einer kleinen Gruppe von Kindern, die miteinander spielten.
"Ihr versteht es sehr, mit Kindern umzugehen, nicht wahr?", erkundigte sich Arina.
"Nun, als zukünftiger König muss ich das wohl", antwortete er und ging gemächlich, aber zielstrebig einem kleinen Stand entgegen, der die verschiedensten Blumen anbot.
"Ah, eure Hoheit! Welche Freude! Möchtet Ihr eine Blume für eure Begleiterin kaufen?", der dickliche, bärtige Mann holte ein paar sehr beliebte Blumen hervor und hielt sie Rohn unter die Nase. Dieser zog eine wunderschöne, weiß-bläuliche Rose aus ihnen hervor und reichte dem Händler dafür ein paar Goldmünzen.
"Hier, eine Rose für das einsame Herz vor mir, auf das es wieder erblühe", mit diesen poetischen Worten hielt er Arina die Rose hin und warf ihr einen verführerischen Blick zu.
"Nun... danke. Ich meine... das kann ich doch nicht... ", Arina stotterte unförmige Sätze vor sich her und erneut stieg ihr die Röte ins Gesicht. Sie durfte ihm nicht nachgeben, das würde Sayan ihr niemals verzeihen.
Schließlich nahm sie die Rose, um den Prinzen nicht zu beleidigen und sah sie einen Augenblick lang etwas verwirrt an. Sie fand es keineswegs in Ordnung, dass er auf diese Weise ihr Herz gewinnen wollte, obwohl er doch genau wusste, dass sie einen Freund hatte, den sie über alles liebte. Es schmerzte sie innerlich seinen Versuchen Erfolg zu geben und alles mitspielen zu müssen. Sie wäre, und hätten sie das Training auch noch so sehr gebraucht, niemals hierher gekommen, wenn sie gewusst hätte, dass solch ein Weiberheld sein Unwesen treibt. Und dazu war es noch der Prinz, dem sie ja nichts abschlagen durfte, aus Angst, er würde sie dann ignorieren.
"Wollen wir uns setzen?", Rohn unterbrach ihre Gedanken und deutete mit beiden Armen auf eine unscheinbare Holzbank im Schatten des Marktplatzes.
"Gerne", gab Arina zur Antwort und wollte schon losgehen, als ein Händler sie beim Vorbeirennen anrempelte und sie zum Prinzen gestoßen wurde, der seine Hände reflexartig auf ihre Schultern legte und sie näher an sich heranzog, bis sie mit hochrotem Kopf an ihm lehnte.
"Hast du dir etwas getan?", behutsam strich er ihr über den Rücken. Als er dabei aber die Auswüchse des Fluches spürte, legte sich ein etwas angewiderter Blick über sein Gesicht, doch zum Glück konnte Arina ihn nicht sehen. Er würde diesen Fluch schon beseitigen, auch wenn es nur für ein paar Stunden sein sollte.
"Nein, es geht schon... ", das Herz der jungen Elderan schlug ihr bis zum Hals, ihr Atem stockte für einen Moment und sie wusste nicht, wie sie sich gegen seine Annäherungsversuche wehren sollte, ohne seinen Stolz zu beleidigen. Sie beschloss das Thema zu wechseln, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Beide setzten sich auf die Holzbank und Rohn war Arina bereits jetzt schon sehr nahe.
"Prinz Rohn?", die Elderan starrte auf den Boden.
"Ja?"
"Ich möchte keineswegs aufdringlich erscheinen, doch ich hätte eine kleine Bitte an Euch", kaum hörbar murmelte sie vor sich hin, da sie sehr nervös und angespannt war. Rohn war überrascht. Eine Bitte? Hatte er es etwa so schnell geschafft, sie für sich zu gewinnen? Siegessicher lächelte er und meinte nur: "Ich werde dir jeden Wunsch erfüllen. Was ist dein Begehr?"
"Nun... ich und meine Freunde brauchen dringend Kampferfahrung und das bekommen wir nur durch Training. Und die Berserker sollen angeblich die stärksten Kämpfer im Lande sein. Ich wäre euch wirklich dankbar, wenn ihr eine Art Training veranlassen könntet"
Das Lächeln des Prinzen verging wieder. Jetzt hatte er sich derart angestrengt und sie wollte nur irgendein Kampftraining von ihm. Solchen Hohn würde er normalerweise nicht über sich ergehen lassen, doch er musste wohl oder übel eine Ausnahme machen, um sie doch noch zu überzeugen. Sichergehen wollte er aber dennoch.
"Wofür braucht ihr es denn?", erkundigte er sich. Arina konnte ihm doch niemals erzählen, dass sie eine Auserwählte war. Er würde es ihr sicher nicht glauben und das Amulett könnte er genausogut für eine Fälschung halten, aber natürlich war ihr seine aufdringliche Art schon längst aufgefallen und vielleicht konnte sie es zu ihrem Vorteil nutzen. Wenn sie ihrer Stimme nur genügend Traurigkeit verliehe, würde es mit Sicherheit klappen.
"Ich möchte darüber nicht reden, aber... ", sie sah ihn mit erwartungsvollem Blick in seine blutroten Augen, "Ich würde alles dafür tun"
"Soso, alles?", jetzt stand Rohn nichts mehr im Wege. Er wusste genau, wie er Frauen von sich überzeugen konnte und seine einschmeichelnde Art trug nur dazu bei, Erfolg zu haben. Vorsichtig legte er zwei Finger an ihr Kinn und hob ihren Kopf etwas an.
"Ich wüsste da schon etwas... ", flüsterte er ihr zu und beugte sich etwas nach vorne. Arina wusste nicht, was sie jetzt tun sollte. Genau das hatte sie erwartet, aber sie konnte nicht aufhören an Sayan zu denken. Wenn er davon erfahren würde... andererseits brauchten sie dieses Training. Immerhin hing davon auch das Schicksal der gesamten Welt ab. Sie könnte es ihm schon auf irgendeine Art und Weise begreiflich machen. Aber was, wenn ihre Liebe daran zerbrechen würde? Diesen Gedanken könnte sie nie im Leben aushalten. Immer wieder überlegte sie hin und her und sie musste sich jetzt entscheiden. Sie schluckte nervös.
"Prinz Rohn, ich... "
"Scht"
Langsam schlossen beide ihre Augen und Arina konnte noch immer nicht glauben, was sie dort tat. Sie könnte es noch abwenden, aber alles hing jetzt an ihr. Wenn sie den Prinzen nicht dazu bringen könnte, wen dann? Der König hatte wahrscheinlich viel zu viel zu tun und Rohn kannte sie ja bereits. Vielleicht auch etwas zu gut...
Jetzt spürte sie seinen warmen Atem an ihrer Haut und ihre Finger verkrampften sich schon instinktiv um die Bretter der Holzbank.
'Hör doch auf! Es ist falsch!' Immer wieder schossen ihr die selben Gedanken durch den Kopf. Sie kniff die Augen fest zusammen und erwartete das, was sie am Liebsten vermieden hätte. Jetzt spürte sie seine Lippen an ihren eigenen und alles war zu spät. Doch dieser Kuss fühlte sich entegegen ihrer Erwartungen sehr angenehm an. Rohn küsste sie vorsichtig und zärtlich, als würde er sie schon seit Ewigkeiten kennen. Es war ihr alles so fremd... immerzu hatte sie das Gefühl, Sayan könnte das alles sehen. Sie begann zu zittern, doch Rohns Hände legten sich auf ihre Schultern und beruhigten sie wieder. Dieser Moment schien ewig zu dauern, obwohl Arina sich doch wünschte, dass er so schnell wie möglich wieder vorbei wäre. Langsam ließ Rohn wieder von ihr ab und öffnete seine Augen. Er bemerkte, dass sie ihre fest zusammen gekniffen hatte und meinte nur: "Hast du etwa Angst vor mir?"
"Nein, ich... ", Arina konnte kein weiteres Wort hervorbringen, es kam ihr so vor, als steckte etwas in ihrem Hals, das sie nicht sprechen ließ. Sie strich mit den Fingenr über ihre Lippen, es war so ein angenehmes Gefühl. Rohn wusste, er hatte sie jetzt soweit gebracht, dass sie diesen anderen Kerl vergessen würde, der mit ihr hier angekommen war.
"Keine Sorge. Ich werde mit den Soldaten reden, damit sie euch trainieren. Eine Gegenleistung hast du ja schon erbracht", er zwinkerte ihr auffällig zu und stand auf. Wie auch schon einige Male zuvor hielt er ihr eine Hand hin, doch dieses Mal nahm Arina sein Angebot nicht an. Verwundert hob er eine Augenbraue.
"Prinz Rohn... ich danke Euch, aber... "
Nein, nach diesem Kuss konnte sie sich nicht für Sayan entscheiden, schoss es ihm durch den Kopf, das konnte unmöglich sein. Ohne mit der Wimper zu zucken würde er sie hinauswerfen lassen, entschied sie sich für diesen Tölpel.
"Seid Ihr sicher, dass es Euch keine Umstände macht?", erkundigte sich Arina mit weggedrehtem Kopf. Eigentlich wollte sie etwas ganz Anderes sagen, doch aus irgendeinem Grund kam nur das aus ihrem Mund. Erleichtert atmete Rohn auf und lächelte wieder.
"Aber nein. Mein General ist sehr zuverlässig und mit Leib und Seele Kämpfer. Ein bisschen Übung würde auch ihm nicht schaden", gab er als Antwort zurück und nun legte die Elderan ihre Hand auch in die seine. Gemeinsam gingen sie zurück zum Palast und Rohn wusste, dass er Arina schon für sich begeistert hatte. Diese dachte ununterbrochen an Sayan und an seine Gefühle, wenn er davon erfahren würde. Sie überlegte, ob sie sich wohl gewehrt hätte, wenn er kein Prinz gewesen wäre. Nicht einmal seine Aura konnte sie richtig deuten... wusste er etwa, wie sie zu verbergen war? Konnte sie ihm vertrauen oder war er ein hinterhältiger Betrüger?
"Ich lasse deine Freunde zu uns auf den Übungsplatz rufen und werde euch Markan, den General der Truppe vorstellen", erklärte er und klatschte zweimal in die Hände, als sie am Hof angekommen waren. Sofort eilte ein Diener heran und kniete sich vor dem Prinzen auf den Boden.
"Was kann ich für Euch tun?", war der einzige Satz, den er aussprach. Einen kurzen Augenblick sah er erst Arina und dann Rohn verwundert an, schwieg jedoch.
"Hole doch bitte unsere Gäste nach hinten auf den Übungsplatz", bat Rohn höflich und warf dem Diener zwei Goldmünzen in die Hände.
"Vielen Dank, eure Hoheit. Ich werde mich beeilen", er stand wieder auf und betrat mit schnellen Schritten den Palast. Arina wunderte sich darüber, dass die Diener hier direkt bezahlt wurden und dazu noch bevor sie einen Befehl befolgt haben. Aber es ging sie ja nichts an und so dachte sie auch nicht weiter darüber nach. Die Beiden gingen weiter über den Hof, bis sie an einem Platz ankamen, der etwas abseits des Palastes lag. Arina entdeckte an der Seite dieses Platzes mehrere Holzgestelle, auf denen Schwerter, Lanzen, Harnische, Helme und diverse andere Rüstungsgegenstände ruhten. Ein paar Soldaten saßen an einem Holztisch und unterhielten sich lautstark über ihre letzten Kämpfe. Dabei lachten sie herzhaft und schlugen mit den Fäusten auf den Tisch, wenn sie etwas besonders deutlich zum Ausdruck bringen wollten. Arina zuckte verängstigt zusammen. Mit diesen überstarken Männern sollte sie kämpfen? Ein wenig alleine gelassen kam sie sich bei diesem Gedanken doch vor und wünschte sich gleichzeitig, dass Sayan doch bei ihr wäre. Auch, damit der Prinz sie endlich einmal in Ruhe lassen würde.
"Arina!"
Kaum hatte sie diesen Wunsch im Geiste ausgesprochen, wurde er auch sofort erfüllt. Sayan kam zusammen mit Toki auf den Platz geeilt und legte seine Arme um die Elderan, die diese Geste natürlich sofort erwiderte.
"War es sehr schlimm mit diesem Kerl?", flüsterte er ihr ins Ohr und sah sie mit fragendem Blick an. Arina wusste nicht, was sie jetzt sagen sollte. Doch es wäre vermutlich das Beste, die ganze Sache vorerst geheim zu halten.
"Nein, alles in Ordnung", erfreut lächelte sie ihn an und drückte sich fest an ihn. Sein Körper fühlte sich so sicher und wunderbar warm an, ganz anders als der des Prinzen, der ja unter dutzenden von Tüchern verborgen blieb. Plötzlich trat ein bärtiger Mann mittleren Alters zu ihnen, der eine leichte Lederrüstung und ein Tuch um seinen Kopf trug und gröhlte: "Hey Rohn, alter Junge! Hast du uns etwa Freunde mitgebracht? Die habe ich hier ja noch nie gesehen"
Der Prinz musste verlegen lachen und tauschte einen Handschlag mit dem Mann aus. Danach sah er zu Arina und stellte ihn vor: "Das ist Markan, mein Freund und bester Kämpfer der Garde"
Die beiden Elderan und Toki verbeugten sich höflich und Arinas Hand wurde sofort gepackt und heftig auf und ab geschüttelt.
"Angenehm, Angenehm! Ich hoffe, es gefällt dir hier in Berserk! Hätte ich gewusst, dass uns eine junge Dame besucht, hätte ich dem Barbier noch einen Besuch abgestattet, aber nun musst du mich leider so ertragen!", er überschüttete sie förmlich mit Sätzen, dass sie kaum Zeit fand, etwas zu sagen. Markans Lachen dröhnte nur so über den Hof und Arina hoffte, dass sie das alles schnell hinter sich bringen würden. Andererseits war der General viel offener als der Prinz und scheinbar ein sehr fröhlicher Berserker.
Selten hatte sie jemanden gesehen, der in ihrer Nähe aus Freude gelacht hatte, doch Markan war ein berserker und kein Mensch. Er ging weiter zu Sayan und schlug ihm kameradschaftlich auf den Rücken, woraufhin der Elderan fast nach vorne umgekippt wäre. Dieser General besaß eine Kraft, von der viele Krieger nur träumen konnten.
"Na Junge, scheinst mir ja nicht sehr stark zu sein!", lachte er und beugte sich etwas hinunter zu Toki.
"Und noch eine Dame, ich glaube, ich bin im siebten Himmel", er strich ihr mit seiner Hand über die Haare, doch durch den rauhen Lederhandschuh wurden diese völlig zerzaust und durcheinander. Tokis verärgerter Gesichtsausdruck sprach schon für sich.
"Mein guter Markan, ich habe eine Bitte an dich", begann der Prinz, um seinen General endlich auf das entscheidende Thema zu bringen.
"Für dich tue ich doch alles", grinste dieser zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Könntest du meine Gäste wohl etwas in der Kampfkunst ausbilden? Es ist ihnen sehr wichtig und ich konnte ihnen einfach keinen Wunsch abschlagen", erklärte er und Markan reagierte darauf wieder genauso fröhlich.
"Ich habe zwar noch nie weibliche Kämpfer ausgebildet, aber das wird sich machen lassen"
Sayan sah Rohn währenddessen wieder verärgert an. Er konnte 'ihnen' also keinen Wunsch abschlagen. Er meinte wohl, dass er Arina keinen Wunsch abschlagen konnte. Nun denn, er musste sich jetzt auf das Training konzentrieren, das war das einzig Wichtige. Trotzdem fragte er sich, wie Arina den Prinzen so leicht überreden konnte...
"Na, dann lasst uns mal keine Zeit verschwenden und mit dem Training beginnen. Vorher werde ich euch aber noch in richtige Krieger verwandeln. Kommt, ich zeige euch unsere leichten Rüstungen", schlug Markan vor und ging ein paar Schritte voraus, woraufhin ihm die drei, zusammen mit dem Prinzen, lautlos folgten. Sayan wunderte sich über Arinas Verhalten. Die ganze Zeit hielt sie ihre Arme nervös vor ihren Körper und blickte sich auch genauso um, als hätte sie etwas vor ihm zu verbergen. Immerhin kannte er sie gut genug, um zu wissen, wann etwas nicht in Ordnung war. Aber sie jetzt danach zu fragen, wäre wohl nicht richtig, da es der falsche Zeitpunkt war.
Sie kamen in einer kleinen, stickigen Hütte aus Holz an, in der die verschiedensten Kleidungsstücke ausgebreitet auf Tischen lagen.
"Für Frauen haben wir zwar nur wenige Rüstungen, doch diese hier wird dir sicher gefallen", er deutete auf ein knappes Bustier und einen beinahe bodenlangen Rock, die beide ebenfalls aus dünnem Leder angefertigt waren. Arina sah den General ungläubig an.
"Wenn es noch weniger wäre, hätte ich ja garnichts mehr an", ihre Stimme klang vorwurfsvoll. Wie konnte man solch eine knappe Rüstung nur anfertigen? Ein ernsthafter Kampf damit würde tödlich enden, da man keinen Schutz gegen Angriffe hätte.
"Außerdem", fügte sie kleinlaut hinzu, "will ich das nicht anziehen... "
Ihre Hand legte sich wieder auf den Fluch und sie stellte sich in Gedanken vor, wie schrecklich sie wohl mit diesen Sachen aussehen würde.
"Mach dir keine Sorgen. Ich fände es wunderschön und wir sind hier nicht unter Menschen", meinte Sayan und legte seine Hand auf ihre Schulter, um sie zumindest etwas zu beruhigen. Rohn konnte für diese Geste nur ein müdes Lächeln entbehren. Lächerlich. Nach ihrem Kuss konnte sie sich nicht mehr für Sayan entscheiden.
Arina zitterte stark, doch schluckte sie ihre Angst hinunter und nahm die Kleidung schließlich in die Hände. Sie fühlte sich weich und trotzdem stabil an, doch ihr halber Körper bliebe unbedeckt und ein sicheres Gefühl hatte sie bei dieser Sache nun wirklich nicht. Sayan schnappte sich ein ledernes Hemd und eine einfache Hose, die beide durch diverse Gürtel und Schnallen zusammengehalten wurden. Toki dagegen wollte keine neue Rüstung, ihr war ihre jetzige Kleidung viel lieber. Selbst das Bitten des Generals, es sei doch zu gefährlich und sie sollte doch etwas Sicheres anziehen, beeindruckten sie nicht.
"Und wo soll ich mich umziehen?", erkundigte sich die Elderan und blickte einen Moment durch die Männergruppe um sie herum.
"Du und Toki, ihr könnt euch gerne hier umziehen. Wir bleiben draußen", meinte der Prinz und ging mit den Anderen wieder hinaus. Ein Zwinkern seinerseits war das Einzige, was er zurückließ, bevor er die klapprige Tür hinter sich schloss. Arina zuckte einen Augenblick zusammen, fasste sich dann aber wieder und begann damit, ihre Sachen auszuziehen.
"Arina?"
"Ja?"
Toki setzte sich auf einen der Tische und sah Arina traurig in die Augen.
"Liebst du Sayan noch?"
Erschrocken ließ Arina die Lederkleidung fallen und sah Toki ungläubig an.
"W-Was meinst du damit? Natürlich liebe ich ihn", gab sie mit zitternder Stimme zurück.
"Du kannst es nicht vor mir verstecken... Ich habe gesehen, dass du die ganze Zeit deine Arme vor deinem Körper gehalten hast, du hast also Angst vor einer Auseinandersetzung mit Sayan und baust mit deinen Armen eine Barriere vor dir auf. Auch hast du dich die ganze Zeit nervös umgesehen, als hättest du hinter jedem Stein jemanden erwartet, der dich verrät", erklärte Toki geduldig und ihr trauriger Blick wandelte sich in einen ernsten.
"Mich verrät?"
"Ja. Ich habe gesehen, wie du deine Finger ein paar Mal an deine Lippen gelegt hast und ich weiß, was du damit zeigen willst. Arina, sage es mir ruhig. Hast du Rohn geküsst?"
Beunruhigende Stille kehrte in der kleinen Hütte ein. Woher wusste sie nur davon? Woher wusste sie, dass sie Rohn geküsst hatte? Hat sie es etwa mitangesehen oder ihnen nachspioniert? Oder waren die Zeichen wirklich so eindeutig? Es zu leugnen wäre völlig sinnlos, dadurch würde sie nur noch mehr Ärger verursachen.
"Hör zu... ", sie hob die Kleidung wieder auf, die sie zuvor fallen gelassen hatte,
"Ich musste es tun, damit Rohn uns das Training nicht abschlägt... ", sie brachte die Worte kaum über die Lippen und sie verursachten einen bitteren Nachgeschmack in ihrem Mund.
"Wie meinst du das?", hakte Toki weiter nach.
"Ich... ich wollte das nicht. Sayan wird mir nie wieder in die Augen sehen wollen, wenn er davon erfährt", nun konnte Arina die Tränen nicht mehr unterdrücken und sie musste sich am Tisch abstützen.
"Was ist dir denn lieber? Training oder Liebe? Du musst Rohn sagen, dass du Sayan liebst und nicht ihn. Auch wenn er uns rauswerfen lässt oder ähnliches... es ist besser, als wenn ihr beide euer Glück verliert, zusammen zu sein", ein Lächeln legte sich über ihr Gesicht.
"Rohn wird sowieso nichts mehr mit mir zu tun haben wollen, wenn er den Fluch sieht", Arina zog Sayans Hemd aus, dass sie schon seit gut einer Woche trug und strich mit ihren Fingern darüber. Dann sah sie an sich herunter.
"Der Fluch ist gewachsen... ", sie wischte eine Träne aus ihrem Gesicht. Silbermond würde bald vorübergehen und dann hätte sie Sayan zum letzten Mal gesehen. Diesen Gedanken konnte sie kaum ertragen, doch sie musste ihn verstecken, um den Anderen noch mehr Sorgen zu ersparen. Sie zog zuerst das Bustier, dann den Rock an und sah noch einmal an sich herunter. Vielleicht sollte sie die letzten Tage in ihrem Leben an etwas Anderes denken, als an irgendeinen Fluch, auch wenn gerade dieser ihr Todesurteil war. Wortlos öffnete sie die Tür und trat zusammen mit Toki hinaus in die Mittagshitze. Den Göttern sei Dank, dass Rohn einen Zauber über sie gelegt hatte, der sie vor diesem grausamen Klima schützte. Etwas schüchtern und mit verschränkten Armen ging sie zu Sayan, der ihr als Einziger wirklich beistehen würde.
Einen Moment lang starrten sie die Soldaten lautlos an, bevor sie anfingen zu pfeifen und herumzugröhlen. Erstaunt war die Elderan schon über diese Reaktion. Anscheinend achteten Berserker nicht auf äußere Makel und konzentrierten sich mehr auf die inneren Werte, was Arina doch sehr zu schätzen wusste. Doch waren ihr die lüsternen Blicke des Prinzen keineswegs entfallen, der ihren spärlich bekleideten Körper bis auf das kleinste Detail genau musterte.
"Hier, meine Schöne, suche dir eine Waffe aus", Markan führte sie zu den Holzgestellen, auf denen die Waffen gelagert waren. Aufmerksam beäugte die Elderan jede Klinge und jeden Schlagstock, jede Lanze und jede Pike und entschied sich schließlich für zwei Ellebogenklingen, die sie hastig in die Hand nahm. Das Gewicht dieser Waffen war erstaunlich gering und das polierte Metall glänzte unter den Strahlen der Sonne. Schnell legte sie die Waffen an und sie fühlte sich wie eine wahre Kriegerin, die gegen die bösen Mächte in den Kampf ziehen sollte. Ein gutes Gefühl...
Auch Sayan entschied sich für eine Waffe, den Krummsäbel, der ebenfalls bis aufs Gründlichste aufpoliert war. Toki dagegen entschied sich für mehrere Wurfmesser und einen Dolch, die wesentlich unauffälliger waren und auch besser in der Hand lagen.
"Also, jetzt müsst ihr euch nurnoch für einen Kampfpartner entscheiden und dann kann es auch schon losgehen", erklärte Markan mit einem Grinsen im Gesicht und deutete auf Toki.
"Ich trainiere die junge Dame", meinte er und strich ihr noch einmal durch die Haare, wodurch sie wieder einmal völlig zerzaust wurden. Sayan wollte schon den Mund aufmachen und sich für Arina entscheiden, als der Prinz sich wieder einmischte und ihre Hand ergriff. "Es wäre mir eine Ehre, mit dir zu kämpfen"
Sofort verfinsterte sich der Blick des Elderan und er musste schon die Zähne zusammenbeißen, um Rohn nicht sofort eine runterzuhauen oder ihm den Säbel durch den Körper zu rammen. Arina wusste nicht so recht, was sie jetzt tun sollte.
"Nun... wisst Ihr, eigentlich würde ich lieber... ", doch Rohn wusste schon, was sie sagen wollte und unterbrach sie jäh: "Keine Sorge. Ich werde sanft mit dir umspringen"
Noch mehr Mut konnte Arina sich nicht zugestehen und so blieb sie lieber still, als noch etwas zu entgegnen. Sayan musste sich wohl oder übel einen Soldaten als Kampfpartner auswählen, doch er wollte Rohn nicht aus den Augen lassen. Wenn er Arina auch nur einmal unsittlich berühren sollte, konnte er nicht versprechen, sich im Zaum zu halten.
Arina wollte es einmal von der positiven Seite sehen. Jetzt könnte sie es dem Prinzen endlich heimzahlen. Seine endlosen Versuche, sie zu beeindrucken, wenn nicht gar zu verführen, waren ihr doch zuwider geworden und ihm einen Schlag mitten ins Gesicht zu verpassen, wäre auf eine gewisse Art schon eine Wohltat.
"Ellebogenklingen werden meistens vor dem Körper in Abwehrhaltung gehalten und nur eingesetzt, wenn der Gegner angreift. Wenn man sehr geübt ist, kann man sie allerdings auch zu einem Frontalangriff nutzen", erklärte Rohn ohne weitere Umschweife und ging auf eine kleine Holzbank zu. Während er gemächlich seine Umhänge ablegte, fuchtelte Arina mit den Klingen in der Luft herum. Es war ihr nicht wirklich geheuer zu kämpfen, doch es musste sein und sie würde es auch lernen. Als sich Rohn auch das letzte Hemd abgelegt hatte und nun mit nacktem Oberkörper vor ihr stand, wurde ihr doch etwas schwindlig. Er war wirklich durchtrainiert und seine von der Sonne braungebrannten Muskeln waren schön anzusehen, doch Arina drehte schnell den Kopf zurseite. Sie durfte ihm einfach nicht nachgeben. Doch ihr Herz raste wie wild und sie musste ununterbrochen an den Prinzen denken. Was war nur aus ihr geworden? Ließ sie sich jetzt etwa schon alleine von schönen Körpern beeindrucken? Hatte sie die inneren Werte völlig vergessen? Sie schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Waffen an ihren Armen und das bevorstehende Training. Rohn nahm sich ein Kurzschwert in der dazugehörigen Scheide und band sich diese sachkundig um den Rücken. Danach stellte er sich keine zwei Schritte entfernt von Arina auf. Als er ihr so nah war, begann die Elderan doch etwas zu zittern.
"Ich werde all ihre Sinne auf mich lenken. Meinen Körper kann sie nicht verschmähen", dachte er im Geiste und lächelte wieder sein typisches Lächeln.
"Zuerst musst du deine Waffe kennenlernen, bevor du auch wirklich damit kämpfen kannst. Schlage doch einfach mal nach vorne in die Luft und versuche deine Schläge möglichst gerade zu halten", nach diesen Worten, tat Arina wie ihr geheißen und begann mit den Schlägen. Immer wieder kam es ihr so vor, als machte sie etwas falsch, doch Rohn sprach ihr neuen Mut zu und gab ihr nützliche Ratschläge.
"Warte... ich helfe dir", er stellte sich hinter sie und legte seine Hände behutsam um ihre Arme. Arina fühlte, wie ihre Knie immer weicher wurden und sie gleich zusammenbrechen würde, wenn er sie nicht losließe. Seine Nähe kam ihr so merkwürdig vor, vor allem weil sie seine Aura noch immer nicht richtig deuten konnte. Er half ihr, die Schläge präziser zu setzen und kräftiger auszuholen und nach einer Weile half es Arina tatsächlich.
Toki beeindruckte Markan währenddessen mit ihrer scheinbar sehr geübten Kampfart. Sie schien keineswegs eine Anfängerin zu sein. Zwar hatte sie nur einen Dolch, doch mit diesem stach sie so gezielt und schnell zu, dass der General Mühe hatte, auszuweichen. Zudem war sie äußerst flink und sehr kräftig. Schlug Markan mit seinem Schwert zu, konnte sie es sogar mit ihrem einfachen Dolch abwehren, dann lenkte sie seinen Schlag ab und konterte mit einer Attacke ihrerseits.
"Du brauchst ja garkein Training", lachte der General und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
"Wenn Ihr meint", gab Toki mit einem Grinsen zurück und wendete sich Sayan zu, der auch mit der neuen Waffe buchstäblich zu kämpfen hatte. Er, wie sein Gegner, schienen verbissen miteinander zu kämpfen und der Elderan lernte immer neue Techniken. Doch als Toki zu Arina und Rohn hinübersah, konnte sie nur leise seufzen. Das nannte der Prinz also Training. So nah wie möglich an Arina heranzukommen und ihr mit seinem Körper zu imponieren.
"Gut so, jetzt kämpfen wir einmal richtig. Ich werde es auch vorsichtig angehen, immerhin bist du eine Anfängerin", meinte Rohn und griff nach dem Schwert, welches er mit einem schnellen Ruck aus der Scheide zog und sich einige Meter vor Arina aufstellte.
"Anfänger?"
Arina erschrak. Sie kannte diese Stimme und sie kam aus ihrem Oberkörper. Gerade jetzt hatte sie sich dazu entschlossen, den Fluch vorübergehend zu vergessen und jetzt meldete er sich doch wieder zu Wort. Die Adern zuckten nur für einen kurzen Augenblick zusammen, bevor wieder die geisterhafte Stimme erklang, die jetzt nur in ihrem Kopf zu existieren schien.
"Arina... du bist doch keine Anfängerin... zeige ihm, was du kannst. Räche dich an ihm für den Kuss, den er dir nicht hätte stehlen dürfen. Auch wenn du diese Klingen noch nie in der Hand hattest, kannst du doch mit ihnen umgehen. Es sind schlichte Waffen und er glaubt, dass er dich mit Samthandschuhen anfassen muss. Beweise ihm das Gegenteil"
Ohne eine Reaktion verharrte Arina auf ihrem Platz und lauschte den Worten des Fluches. Sie besaßen ja auch eine gewisse Logik, die sich nicht abstreiten konnte. Doch warum machte er ihr Mut, anstatt sie zu quälen, wie er es unzählige Male zuvor tat? Doch vielleicht hatte sie ja wirklich diese Kraft in sich, die sie dazu verleiten konnte, neue Dinge im Handumdrehen zu lernen. Sie hatte diese Ellebogenklingen und allein die Art, wie sie angefertigt waren, ließ nur eine bestimmte Kampfart zu. Ja, sie konnte es.
"Ihr müsst mich nicht mit Samthandschuhen anfassen, Rohn. Ich bin durchaus in der Lage, richtig zu kämpfen", rief sie ihm zu und rannte mit einem plötzlich Aufschrei los, so dass alle Soldaten, die hier trainierten, zu ihr hinübersahen.
"Denke an deine Kindheit... du musstest oft Dinge von den Menschen stehlen, um überleben zu können. Dafür musstest du allerdings auch gut ausweichen und zugreifen können. Hier ist es genauso... "
Ja. Als sie den Fluch sprechen hörte, erinnerte sie sich wieder an die damalige Zeit in Fendor, die schreckliche Zeit... doch die Taktiken, die sie damals anwand, um Beute zu erlangen, konnte sie jetzt auch im Kampf einsetzen. Immer näher kam sie dem Prinzen und immer mehr musste sie sich auf ihn konzentrieren.
"Zahle es ihm heim!", schrie die Stimme aus ihrem Inneren.
"Ja!", lange schrie sie dieses Wort, bevor sie mit ihren Klingen ausholte und dem Prinzen mit flammendem Blick in die Augen sah, die eine ungeheure Verwunderung ausdrückten.
Rohn war mehr als überrascht über dieses plötzliche Manöver und konnte gerade noch rechtzeitig das Kurzschwert vor seinen Körper heben, bevor Arinas Ellebogenklingen gegen eben dieses schlugen und der Prinz Mühe hatte, den Angriff abzuwehren.
"Ein schlaue Strategie... mir erst vorspielen, du seiest ein Anfänger und dann einen solchen Angriff starten" , meinte Rohn mit viel Anstrengung in seiner Stimme, doch Arina wusste etwas zu entgegen: "Ihr irrt euch. Ich hatte noch nie zuvor solch eine Waffe in Händen"
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, verstärkte sie den Druck auf das Schwert des Prinzen und erschwerte ihm dadurch die Verteidigung. Rohn wusste sich nicht mehr zu helfen. Er war ein erstklassiger Krieger und jetzt sollte er gegen eine dahergelaufene Frau verlieren, noch dazu gegen eine Anfängerin? Obwohl sich hierbei die Frage stellte, ob sie das überhaupt war. Er blockte ihre Klingen ab, wich ein paar Schritte zur Seite und dachte einen Moment nach. Ja, er erinnerte sich an einen Kampf gegen einen Dämon, der ebenfalls solche Waffen wie Arina benutzte, doch diese Kreaturen hatten ihren eigenen Kampfstil und die Elderan schien genau diesen perfekt zu beherrschen. Diese Tatsache wollte ihm einfach nicht logisch erscheinen. Doch dann fiel ihm diese schwarze Masse auf ihrer Brust ein, möglicherweise hatte es damit zu tun.
Arina spürte, wie der Fluch wieder von ihr Besitz ergreifen wollte und ein stechender Schmerz erfüllte ihren Körper. Sie war wütend, mehr als nur das, sie hatte ihren eigenen Freund mit diesem Kerl betrogen und wollte das nicht einmal. Was hatte Rohn nur an sich, dass sie sich so zu ihm hingezogen fühlte? Warum konnte er sie auch nicht in Ruhe lassen? Mit einem Schrei stürzte sie auf den noch immer völlig verdutzten Prinzen und schaffte es, seiner Gegenattacke mit einer schnellen Schrittfolge auszuweichen und ihm von hinten die Klinge an den Hals zu halten.
"Los... tue es! Du musst keine Angst haben. Ich gebe dir genügend Kraft, es mit einer ganzen berserkischen Armee aufzunehmen!"
Wieder meldete sich der Fluch zu Wort und wollte sie dazu bringen, den Prinzen kaltherzig zu töten, doch Arina zögerte. Sie wollte kein Leben ohne ersichtlichen Grund auslöschen, dazu brauchte es mehr als ein paar Annäherungsversuche und einen Kuss.
"Nein... ", murmelte sie und zog die Klinge zurück. Sofort reagierte der Prinz und holte mit dem Schwert aus. Er glaubte, dass Arina seinem Angriff ausweichen würde, doch sie war zusehr in Gedanken versunken, als das sie auch nur ansatzweise daran gedacht hätte. Er schlug mit dem Schwert nach hinten aus und streifte den Körper des Fluches, der ein verzweifeltes Kreischen von sich ließ, bevor eine violette Flüssigkeit aus den zuckenden Adern lief und auf den erhitzten Steinboden tropfte. Erschrocken ließ Rohn das Schwert fallen und Arina begann orientierungslos hin und her zu taumeln. Nach wenigen Sekunden floss diese Flüssigkeit auch aus ihrem Mund und sie kippte ungehalten nach vorne und nur Sayan, der das Unglück rechtzeitig bemerkt hatte, fing sie auf und bremste somit den Sturz.
"Arina! Was ist mir dir?", rief er ihr mitten ins Gesicht, das jetzt allerdings völlig ausdruckslos war. Noch mehrere Male schrie er ihren Namen, bevor er den Prinzen mit einem erbosten Blick zu durchbohren schien.
"Was hast du ihr angetan?", brüllte er ihn an und drückte Arina fest an sich.
"Es war ein Unfall", meinte Rohn mitleidlos und steckte das Schwert zurück. Ohne ein weiteres Wort an Sayan zu verlieren, drehte er sich um und rief einen Diener zu sich.
"Hole einen Arzt, ich bin in meinen Gemächern", nach diesen Worten flüsterte er ihm noch etwas ins Ohr, bevor er den Platz endgültig verließ.
"Verdammter Mistkerl... ", Tränen tropften von Sayans Wangen auf Arinas Gesicht und vermischten sich mit der violetten Flüssigkeit. Eilig kam eine junge Frau angerannt, die ebenfalls in dutzende Tücher gehüllt war und kniete sich herunter zu Arina.
"Leg sie auf den Boden", befahl sie Sayan und dieser tat, wie ihm geheißen. Die Elderan keuchte und ihre Hände verkrampften sich auf den Steinplatten. Sie sah die Ärztin einen Augenblick lang an, doch dann schoben sich ihre Pupillen nach oben und ihre Lider zitterten.
"Schnell! Bringt mir eine Trage!"
"Arina!"
"Hoffentlich übersteht sie es"
Das waren die letzten Stimmen, die sie hörte, bevor sie ihre Augen schloss und in einen tiefen Schlaf fiel.
Nur langsam öffneten sich die müden Lider der Elderan und das Erste, was sie spürte, war ein bitterer Geschmack in ihrem Mund und ein stechender Schmerz in ihrer Brust.
"Arina... ?"
Sie drehte den Kopf etwas zur Seite und erkannte die verschwommenen Konturen ihres Freundes neben sich. Mit besorgtem Blick sah Sayan zu ihr herunter und strich mit seiner Hand durch ihr Haar. Sie wollte etwas sagen, doch aus irgendeinem Grund gelang es ihr nicht.
"Die Hofärztin hat dir einen Trank verabreicht, der deine Schmerzen lindern soll, doch deinen Oberkörper konnte sie nicht bandagieren. Die Wunde scheint sich aber selbst zu heilen", erklärte Sayan und nahm ein kleines, feuchtes Tuch von einer Kommode. Er wischte behutsam den Schweiß von ihrer Stirn und lächelte sie an, um sie etwas aufzumuntern. Arinas Hand glitt langsam auf die schwarze Masse an ihrem Oberkörper und über die immer kleiner werdende Wunde darauf. Danach nahm sie das Amulett in die Hand, das immernoch um ihren Hals hing und schloss die Augen.
"Sayan... ich... will nicht... sterben", stammelte sie kraftlos und holte einmal tief Luft.
"Das wirst du auch nicht, wir schaffen das", beruhigte er sie und beugte sich zu ihr hinunter. Vorsichtig küsste er sie auf die Lippen, woraufhin Arina erschrocken zusammenzuckte. Die Erinnerungen an Rohn kamen wieder hoch.
"Was ist?", fragte der Elderan verwundert nach, doch sie schwieg betroffen. Wäre es richtig, es ihm jetzt zu sagen oder sollte sie es doch verheimlichen? Sie musste es ihm einfach erzählen oder das schlechte Gewissen würde sie für immer heimsuchen.
"Ich muss dir... etwas sagen", es schmerzte in ihrem Hals, wenn sie die Worte aussprach, doch sie überwand sich. Sayans verwunderter Gesichtsaudruck hatte sich nicht verändert. Arina wollte es so direkt wie möglich sagen.
"Ich... ich habe Rohn geküsst"
Regungslos blieb der Elderan neben ihr auf dem Bett sitzen, sah sie noch einen Moment lang an, bevor er seinen Kopf zur Seite drehte und nervös schluckte.
"Du hast... ? Aber warum?", fragte er nach und wendete sich wieder seiner Freundin zu.
"Ich... wollte das nicht. Er hätte uns... das Training nicht gegeben, wenn... ", sie hustete erbärmlich auf und ihre Hand packte den Fluch so fest, dass wieder die violette Flüssigkeit daran hinablief.
"Es tut mir so Leid... ich habe dich sicher... enttäuscht", keuchte sie, während Sayan darüber nachdachte, wie er sich jetzt verhalten sollte. Natürlich war er enttäuscht, doch andererseits hatte sie wohl Recht. Hätte sie ihn nicht geküsst, hätten sie das Training nicht erhalten. Wahrscheinlich hat sie es nur getan, um ihnen zu helfen.
"Ja, doch ich weiß, dass du es nicht noch einmal tun wirst. Deswegen vergessen wir das Ganze jetzt, einverstanden?"
Ein Lächeln seinerseits ließ Arina erleichtert aufatmen. Die schlimmen Erwartungen, die sie die ganze Zeit über hatte, erfüllten sich nicht. Plötzlich öffnete sich die Tür des Zimmers und Toki betrat den Raum, in der Hand ein kleines Fläschchen mit einer roten Flüssigkeit darin.
"Rohn hat mir diesen Trank gegeben, Sayan. Er meinte, Arina würde sich dadurch bald wieder besser fühlen", sie schüttelte prüfend das kleine Gefäß und gab es dem Elderan schließlich in die Hand.
"Will er es etwa wieder gut machen, dass er Arina vorhin alleine gelassen hat?", spottete Sayan und zog den Korken aus dem Flaschenhals.
"Nun denn, wir haben ja keine Wahl", vorsichtig half er Arina, sich aufrecht hinzusetzen und hielt ihr den Trank an die Lippen.
"Trink das, dann wird es dir besser gehen", meinte er und goss den Inhalt des Fläschchens langsam in ihren Mund. Toki setzte sich derweil auch auf das Bett und sah den Fluch auf Arinas Brust an. Es kam ihr merkwürdig vor, dass er nichts gegen den Angriff unternommen hatte. Oder war er etwa zu langsam und hatte die Attacke nicht kommen sehen? Allerdings kannte wohl niemand wirklich alle Geheimniss eines solchen Wesens und diese würden wohl auch für immer in den Sternen liegen.
Der Trank war sehr wohlschmeckend und roch auch sehr gut, was Arina automatisch dazu veranlasste, das ganze Fläschchen auszutrinken. Nachdem sie dies getan hatte, legte sie sich wieder mit Sayans Hilfe auf ihr Bett.
"Ach ja, der Prinz hat mit gesagt, wir sollen heute auf dem Fest erscheinen", erinnerte Toki die Beiden. Es war für Arina ein nicht gerade angenehmer Gedanke, wieder in der Nähe des Prinzen sein zu müssen. Vor allem nicht, wenn sie daran dachte, dass er sie kaltherzig alleine gelassen hatte. Sie beschloss, ihm nicht mehr nachzugeben, strengte er sich auch noch so sehr an. Eigentlich wollte sie garnicht auf dieses Fest, doch es wäre auch gegenüber dem König nicht angemessen, eine freundliche Einladung einfach abzuschlagen.
Als die Dämmerung langsam aber sicher in der Wüstenstadt einkehrte, fühlte Arina sich schon um einiges besser. Die Wunde am Fluch war vollständig verheilt und sie konnte sich wieder bewegen, ohne Schmerzen zu verspüren. Zusammen mit Sayan und Toki ging sie in die Empfangshalle, in der das Fest bereits in vollem Gange war. Die vielen Gäste, gekleidet nur in allerfeinsten Stoffen, saßen um einen beinahe gigantischen Tisch, der mit goldenen Tellern und Trinkbechern, mit Pflanzen, blühenden Blumen und gestickten Decken verziert war. Den beiden Elderan und Toki kam es so vor, als würden sie nicht in diese feine Gesellschaft hineingehören. Immerhin hatten sie ja nur gewöhnliche Kleidung an und waren nicht herausgeputzt.
"Willkommen auf unserem Fest", Rohn kam freudig auf die drei zugelaufen und deutete eine Verbeugung an. Er trug eine berserkische Hofuniform, die nur Angehörtige der Königsfamilie tragen durften. Als er Arina gerade die Hand reichen wollte, stellte sich Sayan dazwischen und wehrte ab.
"Es tut mir ja Leid, eure Hoheit, doch diesmal bleibe ich an ihrer Seite", ein gehässiger Unterton lag in seiner Stimme, doch der Prinz blieb ruhig und reichte Arina seine Hand.
"Möchtest du nicht mit mir kommen?", er zwinkerte ihr verführerisch zu und mit einem Mal spürte die Elderan, wie sie von einem ihr völlig unbekannten Gefühl eingenommen wurde. Es war weder Vertrauen noch Zuneigung, doch sie fühlte sich wieder zu Rohn hingezogen.
"Sayan, ich... ich fühle mich so seltsam... ", murmelte sie, bevor sie wie ferngelenkt auf den Prinzen zuging. Der Elderan sah sie ungläubig an und konnte nicht fassen, was sie dort gerade tat. Heute Mittag erst hatte er sie ohne jegliches Mitgefühl ihren Wunden überlassen und jetzt ging sie trotz dieser Tatsache zu ihm? Doch was meinte sie damit, als sie sagte, sie fühle sich seltsam? Toki schenkte diesem Satz schon mehr Beachtung und begann zu überlegen. Möglicherweise war es ein Zauber, den irgendjemand heimlich über sie verhängt hatte, als sie nicht auf ihre Umgebung achtete. Doch dann fiel ihr der Trank ein und alles schien einen Sinn zu ergeben. Er war rot und wohlriechend, ein typisches Anzeichen auf einen Liebestrank, die hierzulande normalerweise verboten waren. Schnell drehte sie sich um und rannte den Weg zurück zu ihrem Zimmer, in dem noch immer das Fläschchen stand.
Sayan trottete währenddessen verärgert hinter Arina und Rohn her. Er konnte das alles einfach nicht begreifen. Als die Beiden sich an den Tisch setzten, nahm auch er ein paar Stühle weiter Platz, ohne sie jedoch aus den Augen zu lassen. Und schon musste er sich die Annäherungsversuche des Prinzen zu Gemüte ziehen. Kaum hatten sich die Beiden hingesetzt, legte er einen Arm um ihre Schultern und beugte sich so weit zu ihr nach vorne, dass er sie schon fast küsste.
"Na warte... ", grollte Sayan, nahm eine eine der Gabeln neben seinem Teller und spießte damit ein kleines Stück Fleisch auf, das er dann gekonnt auf den Prinzen schleuderte. Dieser blickte sich verwirrt um, bevor er sich wieder Arina widmete. Anscheinend hatte ihm der Angriff nichts ausgemacht, was Sayan natürlich noch rasender machte. Sogar Arina schien Gefallen an Rohn zu haben und lachte leise, als er ihr etwas zuflüsterte. Dieser Anblick fügte dem Elderan einen schmerzhaften Stich im Herzen zu und er stützte seinen Kopf in die Handflächen. Er wollte sich das nicht mehr mitansehen. Er war den Tränen nahe, konnte sie aber noch unterdrücken. Vor einer derartigen Menschenmasse zu weinen wäre nicht gerade heldenhaft.
"Ich möchte dich gerne einmal unter vier Augen sprechen", flüsterte Rohn Arinas ins Ohr und strich ihr über die Wange.
"Ja... ", was sagte sie da nur? Das wollte sie nicht. Sie wollte nicht mit dem Prinzen alleine sein. Warum nur antwortete sie mit einem 'Ja'? Scheinbar gegen ihren eigenen Willen stand sie mit Rohn zusammen auf und verließ die Empfangshalle wieder. Sayan kümmerte es nicht mehr. Sollten die Beiden doch tun und lassen was sie wollten. Er kam sich betrogen und verraten vor, und das von jemandem, dem er jahrelang vertraute. Anscheinend hatte er sich selbst die ganze Zeit über belogen...
Arina tat einen Schritt nach dem nächsten ohne, dass sie es wollte. Warum nur konnte sie nicht einfach anhalten und umkehren? Rohn führte sie in ein kleines Gästezimmer, das jedoch nicht ihr eigenes war. Kaum waren sie in dem Raum verschwunden, rannte Toki keuchend den Gang entlang, den die Beiden gerade verlassen hatten.
Das Gästezimmer sah haargenau so aus, wie alle anderen Zimmer, die sie bis jetzt gesehen hatte. Dieser Palast war sehr monoton aufgebaut, wenn auch äußerst eindrucksvoll. Rohn stellte sich mit dem Rücken zur Tür und sperrte sie unbemerkt zu. Danach steckte er den Schlüssel in eine Tasche seiner Uniform und ging ein paar Schritte auf Arina zu. Diese drehte sich um und bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmen konnte. Mit einem breiten Lächeln fasste Rohn sie am Arm und zog sie näher zu sich. Von einer ungeahnten Angst überfallen entwand sich Arina aus seinem Griff und ging instinktiv ein paar Schritte zurück. Ihre Augen verengten sich und starrten den Prinzen erbost an.
"Was wollt Ihr von mir?", zischte sie und schluckte leise.
"Was ich will? Ich will... dich... ", Rohns Stimme wurde mit einem Mal verräterisch leise und er legte eine Hand auf Arinas Hals. Die Elderan wollte etwas erwidern, doch ihre Stimme glich einem ängstlichen Krächzen. Ein Zauber...
"Sei schön brav... oder ich lasse euch hier herauswerfen", drohte er, bevor er sie an den Schultern packte und auf eines der beiden Betten stieß, die in diesem Raum standen. Arinas Furcht wuchs und wuchs mit jeder Sekunde, die sie dem Prinzen in die Augen sah. Sein lüsterner Blick und das hinterhältige Lächeln auf seinen Lippen. Warum blieb der Fluch ausgerechnet jetzt still? Warum unternahm er nichts? Sie wollte schreien, doch der Zauber des Prinzen verbot es ihr. Sie spürte seinen festen Griff um ihre Schultern, der sich immer schmerzhafter hineinbohrte und sie fast um den Verstand brachte. Woher nahm Rohn nur diese unglaubliche Kraft? Ihre Hände klammerten sich um seine Oberarme, wollten seinen Körper abwehren, doch sie konnten nichts ausrichten. Mit purer Gewalt drückte Rohn sie auf das Bett und lachte ihr auch noch amüsiert ins Gesicht.
"Du hast Angst, nicht wahr? Ich mag es, wenn Frauen Angst vor mir haben. Du wolltest dich ja nicht freiwillig von diesem Kerl trennen, also muss ich dich wohl zwingen... ", hauchte er ihr ins Ohr und griff mit einer Hand nach ihren Handgelenken, damit sie sich nicht gegen ihn wehren konnte. Die Andere glitt derweil unter ihren Lederrock, ihren Oberschenkel hinauf. Genau in diesem Augenblick wünschte sich Arina nichts mehr, als dass der Fluch doch erwachen und ihr helfen möge.
Toki kam währenddessen in der Empfangshalle an und sah sich nach Sayan um. Als sie ihn erblickte, eilte sie zu ihm und durchlöcherte ihn mit unvollständigen Sätzen. Erst nach wenigen Sekunden reagierte der Elderan auf ihr Einreden.
"Was ist denn los?", raunte er und bemerkte erst jetzt, dass Toki vollkommen aufgelöst war.
"Komm schnell, Sayan. Arina ist in Gefahr. Der Prinz hat ihr einen Liebestrank gegeben und will ihr jetzt sicher etwas antun", sie bemühte sich, nicht zu laut zu sprechen, damit die Hofgäste nichts von der Situation mitbekamen. Jetzt wusste Sayan auch, warum Arina zusammen mit Rohn hinausgegangen war.
"Was?", rief Sayan völlig entgeistert und stürmte zusammen mit Toki aus der Halle.
"Wenn ihr dieser Mistkerl etwas angetan hat... !", er hetzte durch die Gänge und versuchte sich derweil auf Arinas Aura zu konzentrieren. Doch seine Gedanken waren so wirr und durcheinander, dass er sich erst einmal beruhigen muste. Er hielt kurz an und atmete tief ein und aus.
"Komm schon... ", murmelte er, bevor er die schwache Präsenz einer Aura ortete und sofort in die Richtung rannte, aus der er sie vermutete.
Rohn hatte sich derweil auf Arina gesetzt, so dass ihn keiner ihrer Tritte erreichen konnte und beugte sich zu ihr herunter. Ohne zu Zögern presste er seine verlangenden Lippen auf die ihren. Die Elderan drehte angewidert den Kopf zur Seite. Dieser Kuss fühlte sich ganz anders an, als der auf dem Marktplatz. Geradezu widerlich.
"Sayan... ", hauchte sie und kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, traf sie ein Schlag mitten ins Gesicht. Ein bestialischer Schmerz durchflutete ihre Wange und sie sah erschrocken auf.
"Vergiss ihn endlich!", noch bevor Rohn diesen Satz zuende gesprochen hatte, vernahm er ein lautes Hämmern an der Tür.
"Rohn! Öffne die Tür! Sofort!", brüllte Sayan in das verschlossene Zimmer und schlug weiter gegen die Tür. Toki hielt sich lieber im Hintergrund und betete zu den Göttern, dass Arina noch wohlauf war. Rohn drückte seine Hand in das Gesicht der Elderan und seine Augen verengten sich immer mehr.
"Woher weiß er, dass wir hier sind?", zischte er wütend, doch Arina begann nur wie wahnsinnig zu kichern und mit einem Mal spürte der Prinz eine ungewöhnliche Wärme an ihrem Körper.
"Dein Zauber scheint wohl nicht sehr lange zu wirken... ", hallte die geisterhafte Stimme erneut aus Arinas Mund und die Adern des Fluches verzweigten sich weiter, bis sie in ihrem Gesicht ankamen. Erschrocken sprang Rohn auf und starrte die schwarze Masse an, die immer weiter anschwoll und jetzt sogar ihre Arme umhüllte.
"Was bist du?", rief der Prinz völlig entsetzt und tat ein paar Schritte zurück. Noch niemals in seinem Leben hatte er ein solch abscheuliches Wesen gesehen. Ein schriller Schrei entfuhr aus Arinas Kehle, bevor die Adern aus ihrem Körper schossen und sich mit ungeheurer Geschwindigkeit um Rohns Kopf wanden.
"Was ich bin? Ich bin ein Dämon erster Eilte! Und du wirst dich gefälligst von meinem Wirt fernhalten! Ich brauche ihn noch!", brüllte der Fluch und drückte mit den Adern noch fester zu. Als der Prinz hörte, was für eine Kreatur sich hinter dieser schwarzen Masse befand, konnte er nur selbstsicher lächeln. Mit einer lockeren Handbewegung erschuf er eine schwache, gelbe Aura um seine Finger und stieß mit diesen in die schwarze Masse, die daraufhin erschrocken zurückwich.
Sayan hatte die Geschehnisse währenddessen aus dem Gang mitgehört. Einerseits war er froh, dass der Fluch erwacht ist und Arina geholfen hat. Andererseits musste er dadurch wieder an ihren baldigen Tod denken, wodurch sich dieses unangenehme Gefühl in ihm ausbreitete. Plötzlich spürte er etwas. Eine Aura. Es fühlte sich an, als gehöre sie dem Prinzen, doch sicher war er sich nicht.
"Fordere niemals jemanden heraus, der an der Hohen Schule studiert hat", Rohn erschuf jetzt eine noch mächtigere Kraft um seine Hand und streckte sie nach vorne.
"Hört, hört. Die Hohe Schule also, die bedeutenste Schule, wenn es um eine spezielle, magische Ausbildung geht. Doch gegen einen Dämon erster Elite wird das nicht ausreichen", der Fluch ließ seine Adern gemächlich auf und ab wabern, jederzeit bereit, sein Gegenüber anzufallen, wie ein lauerndes Tier auf Beutezug. Rohn jedoch blieb erstaunlich ruhig und ließ noch mehr Energie in die Aura um seine Hand fließen. Mit einer plötzlichen Bewegung schoß er diese gewaltige Kraft auf den Körper des Dämonenfluches und schleuderte diesen gewaltvoll an die Wand. Immer fester wurde er dagegen gedrückt, die Luft schien ihn förmlich dort festzuhalten und Arina musste
auch noch unbewusst darunter leiden. Plötzlich platzten die Adern an mehreren Stellen auf und die violette Flüssigkeit spritzte daraus hervor. Das schmerzverzerrte Gesicht der jungen Elderan bereitete dem Prinzen ein gutes Gefühl und er wusste, er war ihr haushoch überlegen. Nicht umsonst hatte er über zehn Jahre an der Hohen Schule verbracht und dort studiert, bis er selbst das letzte Geheimnis der Magie kannte. Kein Dämon konnte sich seinem Wissen behaupten.
Sayan fühlte die Schmerzen, die Arina durchlitt und sammelte seine ganze Kraft. Er musste ihr einfach helfen, was wäre er sonst für ein Freund? Einer, der feige vor jedem Problem davonrennt, sicher nicht. Er ging ein paar Schritte zurück, fixierte die Tür mit seinen Augen und trat mit voller Wucht hinein. Krachend flog die schwere Tür aus den Angeln und das Holz zerbarst unter seinem heftigen Tritt. Rohn blickte erschrocken auf und der Fluch nutzte diesen Moment der Unachtsamkeit, um auf den Prinzen zuzurennen. Ungewollt riss Arina ihren Mund auf und biss mit voller Kraft in Rohns Schulter. Der Prinz zuckte zusammen und schlug die Elderan brutal beiseite. Als er seine Hand auf die verletzte Schulter legte, durchfluteten grauenvolle Schmerzen seinen gesamten Arm. Er vernahm das Lachen des Dämons und sah auf. Arina spuckte ein Stück Fleisch auf den Boden, dass sie ihm aus der Schulter herausgerissen hatte.
"Na? Was willst du jetzt tun? Du bist viel zu geschwächt, um noch irgendeinen Zauber aussprechen zu können!", der Fluch genoss es sichtlich, den Prinzen zu verhöhnen.
"Wie... wie konnte sie das nur fertigbringen?", keuchte Rohn und sah in Arinas ausdrucksloses Gesicht. Als sie die Mundwinkel zu einem spottenden Lachen anhob, erkannte er die blutverschmierten Reißzähne, die zuvor noch nicht existierten. Sayan war starr vor Angst. Er begriff diese Situation nicht. Der Fluch konnte jetzt sogar Arinas Körper zu seinem Vorteil verformen. Es konnte einfach nicht wahr sein, dass er bereits so mächtig war.
"Arina! Wach auf!", platzte es aus ihm heraus, bevor er sie am Arm packte und in seine Richtung drehte. Immer wieder rief er ihren Namen, doch sie wollte scheinbar nicht aufwachen. Ihre Augenlider zuckten willkürlich und ihre Pupillen hatten sich erneut nach oben verschoben.
"Gib es auf", ihr Mund bewegte sich zwar, doch es war nicht ihre Stimme, die daraus sprach, es war der Fluch. Wie sehr hasste Sayan doch diesen Dämon, der sich unrechtmäßig Arinas Körper zu eigen gemacht hatte.
"Gib mir Arina zurück!", brüllte Sayan weiter und schüttelte den Körper seiner Freundin. Plötzlich wurde er von dem Fluch am Kragen gepackt und hochgehoben.
"Sie gehört mir!", schrie der Dämon und warf ihn brutal auf den Boden. Doch mit einem Mal zuckte er erschrocken zusammen und die Adern auf Arinas Armen zogen sich langsam wieder zurück.
"Was zum... nein... ", stammelte er und stieß einen markerschütternden Schrei aus, so dass sich alle Beteiligten die Ohren zuhalten mussten, um ihn ertragen zu können. Sayan verstand die Situation. Arina wehrte sich verbissen gegen den Eindringling, der ihre Gedanken gewaltsam unter seine Kontrolle bringen wollte. Wie froh war der Elderan doch, dass seine Freundin ihr Leben noch nicht aufgegeben hat.
Rohn schien derweil große Probleme zu haben. Die Bilder vor seinen Augen verschwammen immer mehr und wurden zu dunklen Farbflecken. Er sah seinen Arm an, an dem eine breite Blutspur ihren Weg hinunter fand und schließlich auf den Boden tropfte. Sein Ende hatte sich der noble Prinz allerdings anders vorgestellt. Kraftlos fiel er zu Boden und warf noch einen letzten Blick auf Arinas verfluchten Körper, der ihm sein Schicksal offenbart hatte. Mit einem stockenden Atemzug schloss er die Augen und hoffte, dass er nach seinem Tod Frieden in den himmlischen Gefilden finden würde.
Der Dämon konnte seine Form nicht mehr beibehalten, zu groß war Arinas Mühe, seine Kraft zu unterdrücken. Die Elderan sank ungehalten auf die Knie und keuchte erschöpft, konnte jedoch mit größter Mühe ein Lächeln für Sayan zustande bringen.
"Hat er... dir etwas angetan?", Schweißperlen rannen ihre Stirn herab und ihre Augen waren halb geschlossen.
"Was redest du da? Du warst doch in Gefahr... Arina... ", schnell kniete er sich zu ihr herunter und nahm sie liebevoll in den Arm. Warum nur kümmerte sie sich um ihn und nicht um sich selbst? Sie war es doch, die kurz vor dem Reich des Totengottes stand und dessen Klauen sie nur knapp entronnen war. Er verstand es einfach nicht. Vorsichtig hob er sie auf seine Arme und sah hinüber zu Toki.
"Wir müssen fliehen. Wenn die Wachen den Prinzen finden, werden wir als Fremde zuerst verdächtigt", erklärte sie und rannte zusammen mit Sayan hinaus aus dem Zimmer und die Gänge entlang, bis sie am Eingang des Tempels ankamen. Zu ihrem Glück war das Fest noch in vollem Gange und so waren nur vereinzelt Wachen postiert. Doch bald würde man Rohn vermissen und nach ihm suchen und bis dahin müssten sie von hier verschwunden sein. Als sie über den riesigen Palasthof rannten, erblickte Sayan die Holzgestelle mit den Waffen und verlangsamte seine Schritte.
"Schnell Toki, geh und hole unsere Waffen, mit denen wir heute Mittag gekämpft haben!", rief er ihr zu und sofort schlug das junge Mädchen eine andere Richtung ein und packte sich die Wurfmesser, den Dolch, den Krummsäbel und schließlich die Ellebogenklingen. Da diese Waffen ein unglaublich geringes Gewicht besaßen, konnte sie diese ohne größere Mühe tragen und zurückrennen. Die Beiden eilten weiter, bis sie auf dem Marktplatz und schließlich am Stadttor ankamen, an dem überraschenderweise keine Wachen standen. Berserker schienen keine Furcht vor einem Angriff zu haben, lag ihre Stadt ja auch mitten in einer der trockensten Wüsten überhaupt.
"Aber Sayan, wie wollen wir denn hier weg kommen?", Toki sah, wie der Elderan umherblickte und eine Fluchtmöglichkeit suchte, doch er schien keine zu finden.
"Verdammt... ", grollte er und trippelte nervös auf seinem Platz herum. Wie sollten sie jetzt nur hier weg kommen? Es gab keinen Ausweg aus dieser schier endlosen Wüste.
Plötzlich begann Arinas Körper heftig zu zucken und gequälte Laute drangen aus ihrem Mund.
"Arina?", vorsichtig setzte der Elderan seine Freundin auf dem Boden ab, stützte sie aber dennoch, um sicherzugehen. Da durchfuhr auch ihn ein merkwürdiges Gefühl.
"Sayan... diese Aura... ", keuchte Arina, während sie immer mehr schwankte und ihr Körper nicht mehr völlig unter ihrer Kontrolle zu seien schien. Der Elderan blickte sich verwirrt um und erspähte in der Ferne die Gardesoldaten Berserks. Waren sie es etwa, die diese unheimliche Aura besaßen? Nein, das konnte nicht sein. Dort war noch etwas Anderes...
Die Adern auf Arinas Körper schnellten in die Höhe und der widerwärtig gelbe Augapfel schob sich mit furchteinflößendem Blick hindurch. Erschrocken wich Sayan zurück und ließ seine Freundin damit los, doch der Fluch stützte sie und sah dem Elderan tief in die Augen.
"Euer Ende naht... "
Kapitel 4 Götterkampf
"Was... ?", Sayan überkam plötzlich eine ungeahnte Angst, als er einen eiskalten Luftzug an seinem Nacken spürte. Was war das nur? Mit einem Mal kam er sich so hilflos vor, sein Atem stockte und er begann am ganzen Leib zu zittern. Auch Toki ging es nicht besser. Völlig verwirrt blickte sie sich um, obwohl sie diese angsteinflößende Aura doch garnicht spüren konnte. Die Berserker verharrten ebenfalls bewegungsunfähig auf ihren Plätzen und ließen verängstigt ihre Waffen fallen. Nur Arina stand ohne jede Regung an ihrem Platz und starrte in den Himmel, hinauf zu den Wolken. Plötzlich begann das Amulett um ihren Hals zu glühen und die Elderan empfing die angenehme Wärme, die sie schon damals bei Marahn gespürt hatte. Die Adern des Fluches sanken wieder hinab, das Licht des Amulettes schwächte sie enorm. Die Elderan hatte wieder die Kontrolle über ihren Körper und schon fühlte sie ebenfalls diese unheimliche Aura, die ihr noch mehr Angst einflößte, als den anderen. Geschwächt sank sie auf die Knie und umgriff ihren Kopf mit den Händen, versuchte die Schmerzen darin auszuhalten.
"Arina... es ist soweit"
Sie schrak auf. Marahn? Die Stimme schien aus ihrem Amulett zu kommen und nur in ihrem Kopf zu existieren. Doch der Götterdrache gab ihr den Mut, wieder aufzustehen und auf das zu warten, was dort noch kommen möge. Ein Donnern drang durch den Himmel, während dieser sich immer weiter verdunkelte, bis die gesamte Umgebung in völliger Finsternis versank. Arina schluckte, ihr ganzer Körper begann zu beben und eine ungeahnte Angst durchflutete sie. Als auch noch zwei rotglühende Lichter urplötzlich vor ihrem Gesicht auftauchten, stieß sie einen spitzen Schrei aus und fiel rücklings auf den Boden. Sie war wie erstarrt und sah mit weit aufgerissenen Augen auf dieses bedrohliche Etwas in der Luft.
"Und das soll also die Auserwählte sein... ", hauchte eine tiefe, rauhe Stimme, die von allen Richtungen her zu kommen schien. Plötzlich wurde die Elderan von etwas am Hals gepackt und in die Luft gehoben. Es fühlte sich wie eine Dämonenklaue an, die sie nicht sehen konnte. Noch immer spürte sie nur die Aura des unbekannten Wesens.
"Lächerlich... dich zerquetsche ich mit einem Finger", lachte die unbekannte Stimme weiter und auf Worte folgten Taten. Er verstärkte seinen Griff um Arinas Hals, bis sie anfing nach Luft zu schnappen und zu röcheln. Doch plötzlich blitzte das Amulett hell auf und sofort ließ das Wesen wieder von seinem Opfer ab. Es knurrte verärgert und nun schälten sich auch die Umrisse einer großgewachsenen Kreatur durch die Dunkelheit. Als Arina genauer hinsah, erkannte sie schließlich Vandor, den Herrscher über Fendor und ihren größten Feind. Sie hätte niemals damit gerechnet, ihm so früh wiederzubegegnen. Woher wusste er überhaupt, dass sie hier waren und wie kam er hierher? Instinktiv kroch sie ein Stück zurück und umfasste beinahe krampfhaft das Amulett an ihrem Hals. Die vertraute Wärme darin wurde immer stärker und ließ Vandor ein paar Schritte zurückweichen.
"Dieses Relikt... woher hast du es?", raunte er, während sein Blick immer gieriger wurde, je länger er dieses Schmuckstück ansah. Arina schluckte erneut.
"Marahn gab es mir", antwortete sie kleinlaut und hielt es präsentierend in die Luft. Gleichzeitig wagte sie einen Blick hinüber zu Sayan und Toki, die genauso verängstigt wie sie dasaßen und Vandor anstarrten. Doch warum verspürten sie eine solch gewaltige Welle von Angst, warum nur konnten sie sich nicht aufrichten und sich ihm entgegenstellen? Am meisten enttäuscht war Arina über sich selbst. Sie war doch die Auserwählte der Götter und jetzt saß sie dort auf dem Boden, kroch vor ihrem Feind, wie ein wehrloses Tier und konnte sich nicht einmal dazu durchringen aufzustehen. Die enormen, magischen Kräfte von Kadin, der sich Vandors Körper zu eigen gemacht hatte, erstaunten sie umso mehr. Die Temperatur in dieser Wüste war schlagartig zurückgegangen und die gesamte Umgebung glich den vielen Bildern von Nomika, die sie in ihrem Leben bisher gesehen hatte. Dunkel und kalt, ohne wirkliches Leben darin. Ihr Herz begann immer schneller zu schlagen, als Vandor sich zu ihr hinunterbeugte.
"Du hast Angst vor mir? Warum nur?", er verlor ein leises Lachen, bevor er seine Finger an ihr Kinn legte und ihren Kopf ein Stück nach oben hob.
"Dieses Amulett ist nutzlos, solange du feige auf dem Boden herumkriechst", seine Stimme klang amüsiert bei dem Gedanken, dass er keine großen Probleme mit ihr haben würde. Ein einziger Zauber würde genügen, um sie, das Amulett und alle Hoffnungen mit einem Schlag zu zerschmettern. Wie wohl fühlte er sich doch bei diesem Gedanken.
"Warum bist du hier... ?", stammelte Arina weiter, sie musste es einfach wissen.
"Lass mich dir auch eine Frage stellen. Warum sollte ich es denn riskieren, dass du immer stärker wirst? Ich bin kein Narr, der abwartet, bis seine Gegener stark genug sind, um ihn schließlich besiegen zu können. Als ich erfahren habe, dass du hier in Berserk bist, habe ich mich sofort auf den Weg gemacht, um dich endgültig auszulöschen", erklärte er geduldig und streckte bereits einen Arm nach ihr aus. Zwar hatte er den Körper eines Menschen, doch seine Hände glichen eher widerwärtigen Dämonenklauen. Eine deutliche, violette Aura baute sich um seine Hand auf, die immer mehr Energie einsog, bis sie angestrengt zitterte.
"Lebe wohl... Auserwählte der Götter... ", raunte er und sandte die dämonische Aura mit einem Stoß in Arinas Richtung.
Reflexartig riss sich die Elderan die Kette mit einem Ruck vom Hals und hielt sie schützend in die Höhe. In ihren Gedanken rief sie immer wieder den Namen des Götterdrachen und betete, auf dass er sie doch retten möge. Sie schloss die Augen und erwartete ihr Ende, doch seltsamerweise geschah nichts. Es blieb ruhig...
Verwundert sah sie auf und ihr Blick fiel auf das immer heller leuchtende Amulett, aus dem ein gleißender Strahl weißen Lichts schoss und den Angriff des Weltendämon abwehrte. Arina musste sich anstrengen, um die enorme Kraft in ihrer Hand auch halten zu können.
"Marahn... ", hauchte sie und konnte ihre Augen nicht mehr von diesem göttlichen Licht abwenden. Der Götterdrache hatte sie also doch noch nicht vergessen.
"Arina, ich kann meine Kraft nur durch deinen Körper entfalten. Bitte, gebe nicht auf", erklang erneut die Stimme des Drachen und endlich fand die Elderan den Mut, aufzustehen und ihrem Feind in die Augen zu blicken. Und auch wenn diese dunkel, leer und kalt waren, so wollte sie in diesem Moment nichts mehr, als die Welt vor der Tyrannei dieses Wesens beschützen. Sayan und Toki konnten erleichtert aufatmen und beruhigten sich, als sie merkten, dass Marahn ihnen zur Seite stand.
"Tse... Marahn, du musst mir auch immer den Spaß verderben", grollte Vandor und seine Augen verengten sich bedrohlich.
"Wenn du es Spaß nennst, wehrlose Wesen zu töten", nun war die Stimme des Götterdrachen für alle zu hören und sie klang nicht gerade erfreut über das frühe Zusammentreffen mit Vandor. Dieser begann hähmisch zu lachen und sah hinüber zu Arina.
"Ihre Mutter ist auch feige vor meinen Dienern auf dem Boden gekrochen und hat um ihr Leben und um das ihrer Tochter gebettelt", ganz gezielt sprach er Arinas Vergangenheit und damit ihren Schwachpunkt an. Er musste sie so schnell wie möglich schwächen, damit er sie mit einem Schlag umbringen könnte. Und es schien zu funktionieren. Einen Augenblick verharrte die Elderan bewegungslos auf ihrem Platz, bevor sie ihren Kopf senkte und zu Boden starrte.
"Meine Mutter hat bis zum Ende gekämpft. Sie war nicht feige... ", murmelte sie gedankenversunken. Wie konnte er nur anfangen, von ihrer geliebten Mutter zu sprechen? Sie ballte die Hände zu Fäusten und biss sich auf die Lippe.
"War sie nicht? Warum hat sie es dann nur ein paar Sekunden gegen meine Diener ausgehalten?", er grinste spöttisch und legte eine Hand an sein Ohr.
"Hörst du ihre Schreie? Ihre verzweifelten und verängstigen Schreie?"
Eine Träne rann langsam an Arinas Wange hinab.
"Sieh sie dir an, wie sie dort auf dem Boden liegt... regungslos. Und du hast nur zugesehen, Arina. Du hast ihr nicht geholfen, sondern hast dich versteckt. Verhält sich so etwa eine Auserwählte?", die Hoffnungen des Weltendämon schienen sich zu erfüllen. Er bemerkte eine dünne Blutspur, die an Arinas Kinn herunterlief. Sie hatte sich so stark auf die Lippe gebissen, dass sie jetzt sogar blutete. Warum nur sprach er so über ihre Mutter. Sie hielt das nicht aus, es war zu grausam solche Worte zu hören und in Gedanken alles noch einmal mitzuerleben, als würde es gerade erst geschehen.
"Hör auf, so von ihr zu reden!", schrie sie plötzlich auf und rannte ohne zu Zögern auf den Weltendämon zu. Sie holte weit mit ihrer Faust aus und war bereit, zuzuschlagen. Doch Vandor hatte keine Probleme damit, ihren Angriff abzufangen und ihr, mit einem wuchtigen Tritt in den Magen, das Stehen zu erschweren. Speichel flog aus Arinas Mund und sie fiel wie ein plumper Stein zu Boden.
"Auserwählte... dass ich nicht lache... ", spottete er weiter, bevor ihn ein Wurfmesser am Arm striff und ihn verletzte. Verwundert sah er sich um und sein suchender Blick blieb schließlich auf Toki ruhen.
"Freches Gör", Vandor scherte sich nicht wirklich um die Wunde, ging stattdessen immer weiter auf das junge Mädchen zu, dass ihn angegriffen hatte. Für solch eine Unverschämtheit sollte sie büßen.
Zwar bohrte sich die Angst tief in Tokis Knochen, so dass sie sich kaum noch bewegen konnte, doch blieb sie tapfer an Ort und Stelle stehen.
"Mische dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen", Vandor wollte sie am Kragen packen, doch sie zückte blitzschnell den Dolch und schlug ihn in den Oberarm des verfluchten Königs. Dessen Gesicht zog sich für einen Moment zusammen, bevor er die Waffe wieder herauszog und Toki mit weit ausgerissenen Augen und einem wahnsinnigen Lachen auf den Lippen anstarrte.
"Du... wagst es?", platzte es aus ihm heraus. Er schlug Toki brutal ins Gesicht, packte sie am Kopf und warf sie auf den Boden.
"Ja! Kriecht alle vor mir, ihr Würmer!", lachte er und strich eine seiner blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Arina kroch währenddessen hilflos auf dem Boden herum, betrachtete das Amulett, dass sie immernoch mit ihrer Hand umklammert hielt und hiefte sich schwerfällig wieder auf. Schwankend versuchte sie auf den Beinen zu bleiben. Siegessicher drehte Vandor sich in ihre Richtung und lachte sie hämisch an.
"Was ist denn? Hast du etwa keine Kraft mehr?", spottete er und ging langam auf sie zu. Toki konnte sich derweil wieder aufrichten und rieb sich den schmerzenden Kopf.
"Weißt du... am Liebsten hätte ich dich schon damals umgebracht. Du warst ein kleines Kind und hättest ein perfektes Mahl für meine Diener abgeben können", begann Vandor zu erklären, "Doch du musstest ja die Götter auf deiner Seite haben. Sie haben dich schon damals beschützt. Immerhin hast du einen Fluch davongetragen, dadurch wird dein Tod um einiges leichter zu gestalten sein"
Arina horchte auf. Er wusste also schon damals, dass sie kein gewöhnliches Kind war. War es etwa alles geplant? Ihr ganzes Leben?
"Warum hast du mich nicht später umgebracht?", wollte Arina wissen.
"Ich wollte warten, bis der Fluch dein Leben wirklich zerstört hat, sonst hättest du vermutlich zu stark werden können. Jetzt bist du geschwächt genug, damit ich dich endlich beseitigen kann. Woher willst du jetzt noch die Energie nehmen, gegen mich zu bestehen?", er konnte ein überlegenes Lachen nicht mehr zurückhalten und trat sie noch einmal ohne große Mühe zu Boden. Arina fand noch die Kraft, sich abzustützen.
Plötzlich spürte sie etwas Nasses auf ihrem Gesicht und sah hoch in den Himmel. Regen. Lange hatte sie keinen Regen mehr gesehen. Vielleicht waren es ja die Tränen ihrer geliebten Mutter, die über ihr Leid und das ihrer Tochter weinte.
"Weine nicht, Mutter... ", flüsterte Arina mit halb geschlossenen Augen und ein Lächeln huschte über ihre Lippen, "Ich werde es schaffen... "
Sie ließ die Regentropfen auf ihren Körper prasseln und leckte sich dabei das Blut von ihrer Unterlippe. Von neuem Mut ergriffen sah sie hinunter auf den Fluch und lächelte friedlich. Sie wollte ihre Mutter, ihre Freunde, ihr Volk nicht enttäuschen.
"Ob du es willst oder nicht, du wirst mir helfen... ", murmelte sie weiter und drückte das Amulett fest gegen ihr Herz. Ein heftiger Schmerz durchfuhr ihren gesamten Körper und sie spürte, wie der Fluch sein Leben verteidigte. Das gelbe Auge hatte sich schon längst wieder zurückgezogen, doch die Adern schienen jetzt immer weiter anzuschwellen. Sie schlangen sich langsam um Arinas Hals und bohrten sich tief in ihre Haut, bis die violette Flüssigkeit, das Blut des Fluches, aus ihrem Mund quoll.
"Ja, hilf mir... ", geistig scheinbar völlig abwesend lächelte sie weiter und presste das Amulett noch fester an ihre Brust. Die Adern gruben sich immer schmerzhafter in ihr Gesicht, bis sie schließlich kurz vor ihren Augen angekommen waren.
"Arina, hast du den Verstand verloren? Dafür kannst du meine Macht doch nicht missbrauchen!", erklang Marahns ernste Stimme in ihrem Geist.
"Ich bin doch die Einzige, die diese Welt retten kann. Also kann ich auch selber entscheiden, wie ich es tue", entgegnete sie mit ebenso ernstem Ton.
Verwundert hob Vandor eine Augenbraue und ging ein paar Schritte zurück.
"Was tut sie da?", fragte er sich selbst, bevor er in ihr von Adern durchwuchertes Gesicht sah, in dem ihre nassen Haare klebten und es um einiges furchteinflößender erscheinen ließen.
"Hast du etwa... Angst?", vernahm er Arinas Stimme, die mit einem mal viel selbstsicherer klang.
"Nein, ich wundere mich nur, dass du deinen Tod beschleunigen willst... ", gab Vandor als Antwort zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Wortlos rannte Arina mit erhobener Faust los, ungeachtet Vandors Stärke. Sie vertraute darauf, dass Marahn ihr zur Seite stehen würde.
"Das wird langsam langweilig", erneut machte er sich bereit, ihre Attacke abzufangen, doch dieses mal stoppte sie kurz vor ihm und starrte ihn wütend an.
"Rede noch einmal mit solchen Worten über meine Mutter und ich zerfleische dich in der Luft", drohte sie und schlug mit ihrer Faust zu, die Vandor jedoch mit seiner Hand abblockte.
"Versuche es doch... ", lachte er und wollte einen Gegenangriff starten, doch Arina duckte sich rechtzeitig darunter hinweg und biss ihm mit voller Härte in den Arm.
Vandor schrie auf und begann damit, auf sie einzuschlagen, doch sie dachte nicht einmal daran, jetzt loszulassen.
"Du Miststück! Lass los!", brüllte der Weltendämon und warf seinen Arm hin und her, um sie endlich loszuwerden. Als auch dieses Unterfangen nicht gelingen wollte, zog er einen der Dolche von seinem Hüftgürtel und holte drohend damit aus. Doch Arina hatte durch das Amulett endlich die Kraft gefunden, den Fluch auf ihre Seite zu bringen, auch wenn dieser es nicht wollte. Eine der Adern schoss blitzschnell aus der schwarzen Masse und wand sich um die Waffe, bis sie diese schließlich unter einem dünnen, metallenen Klang zerbrach. Vandor war mehr als verwirrt darüber.
"Woher nimmst du dir die Frechheit, deinen Herrn und Meister zu hintergehen?", sein Blick war starr auf den Fluch gerichtet und sein wutverzerrtes Gesicht verhieß nichts Gutes.
"Verzeiht... ich habe nicht die Kraft, gegen eine göttliche Macht anzukommen", gab dieser als kümmerliche Antwort zurück. Vandor erschuf eine weitere dämonische Aura in seiner Handfläche und wollte Arinas Kopf packen, doch sie stieß sich blitzschnell von ihm ab und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Sayan konnte nicht glauben, was er dort sah. Seine sonst so ängstliche und zurückhaltende Freundin schreckte jetzt nicht mal mehr vor einem direkten Kampf mit ihrem Erzfeind zurück. Dazu wollte sie sogar, das der Fluch ihr dabei half. Wie irritierend das alles doch für den Elderan war und doch wollte er sie nicht alleine kämpfen lassen.
"Wir müssen ihr helfen", meinte er und sah erwartungsvoll zu Toki hinüber. Diese nickte mit einem Lächeln auf den Lippen, zog ihre Wurfmesser und reichte ihm seinen Krummsäbel. Beide standen auf und gingen ein paar zögerliche Schritte auf Vandor zu. Dieser konzentrierte sich allein auf Arina und hob seinen Arm in die Luft. In Windeseile bildete sich eine Kugel aus reiner magischer Energie darin, die er mit voller Wucht auf den Boden warf. Daraufhin begann die Erde bedrohlich zu beben und ein unheimliches Knurren war unter dem Boden zu hören, bevor der Kopf eines schwarzen Schlangendrachen durch die Steinplatten brach und schließlich seinen ganzen Körper hinauszwängte. Diese Tiere hatten gegenüber anderen Drachenarten einen länglichen Körper und eine äußerst lange Mähne am Hinterkopf. Erschrocken wich Arina zurück und sah dieses dämonische Ungetüm an, dass sein längliches Maul aufriss und einen beunruhigenden Ruf ausstieß, der eher einem grellen Kreischen glich. Einen Moment starrte es Arina mit verengten, gelb glühenden Augen an, bevor es blitzschnell zuschnappte. Zwar konnte sie rechtzeitig zurückweichen, doch erwischte das Monstrum trotz allem ein paar der Adern und riss sie gewaltsam heraus. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ging die Elderan auf die Knie und drückte ihre Hand fest gegen den Fluch. Wieder schnappte der Drache zu, doch dieses Mal konnte sie schnell ausweichen und sich wegrollen. Das Tier warf seinen Kopf triumphierend in die Luft, bevor ihn ein Wurfmesser mitten ins Auge traf und es verwirrt und in heller Panik aufschrie.
"Was zum... ?", Vandor drehte sich nach hinten und erkannte Toki, die ihm mit einem frechen Grinsen in die dunklen Augen sah, als wolle sie ihn und seine Mächte verspotten.
"Los, greife dieses Gör an!", befahl er dem Drachen und dieser ließ seine beiden Schwingen emporschnellen und schwang sich elegant in die Luft. Er zog ein paar Kreise am verdunkelten Himmel, bevor er Toki mit seinen Augen anvisierte und mit einer ungeahnten Schnelligkeit auf sie zuflog. Diese rannte sofort in die entgegengesetzte Richtung und zwinkerte Sayan zu, der sich mit seinem Krummsäbel zum Angriff bereit machte, ihn jedoch hinter seinem Rücken versteckt hielt. Der Drache hatte Toki schon beinahe erreicht, riss sein Maul mit den rasiermesserscharfen Reißzähnen auf, bevor Sayan seine Waffe horizontal in den Kopf des Tieres stieß.
"Arina!", er hob einen Arm, um der Elderan eine deutliche Geste zum Angriff zu geben und sie verstand es auch sofort. Sie kreuzte die Arme vor der Brust und schien sich fest auf etwas zu konzentrieren. Die Adern pochten und erhoben sich langsam in die Luft. Nach wenigen Sekunden schossen sie nach vorne und schlangen sich erstaunlich schnell um den Kopf des Drachen, der wild aufschrie und sich so stark im Griff des Fluches wand, dass er mehrere Male verzweifelt mit seinem schlangenähnlichen Körper auf dem Boden aufschlug. Schließlich gab er kein einziges Lebenszeichen mehr von sich und blieb regungslos auf den Steinplatten liegen, allein eine Pfütze aus dunkelroten Blut quoll ihm von den Lippen und verlor sich zwischen den Rillen der Platten. Vandor war sichtlich verärgert und ließ keine Zeit verstreichen, um einen erneuten Angriff zu starten.
"Diese Mistviecher sind auch zu nichts zu gebrauchen! Ich werde euch mit jemandem konfrontieren, den ihr nicht so einfach umbringen könnt!", schrie er auf und tippte mit einem Finger leicht auf seine Stirn, woraufhin ein schwacher Nebel von seinem Körper ausging.
"Begrüßt meinen untergebenen Diener! Einen Dämonen erster Elite, Xandar!"
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, vergrößerte sich der Nebel und begann damit, Sayan, Toki und Arina in völlige Dunkelheit einzuschließen.
"Was geht hier vor?", rief die Elderan und drehte sich mehrere Male um sich selbst, um herauszufinden, was hier gerade vor sich ging. Doch ihre Stimme schien sich in der Finsternis zu verlieren. Auch ihre Freunde verschwanden vor ihren Augen, so dass sie völlig alleingelassen war.
"Das weißt du nicht?"
Erschrocken wirbelte sie herum und entdeckte vor sich ihr friedliches Dorf auf den fruchtbaren, grünen Hügeln am Rande der Asgarwälder.
"Was... soll das... ?", murmelte sie und rieb sich verwirrt die Augen, um sicherzugehen, dass sie nicht träumte. Mit langsamen Schritten ging sie durch das hölzerne Tor und sah sich die Elderan hier genau an. Dort waren all ihre Freunde, mit denen sie unbekümmert gespielt hatte. An einer Hauswand lehnte der dicke Händler, der ihr Dorf jeden Tag besuchte. Ihre Blicke schweiften über all die Leute, die sie aus ihrer Kindheit kannte. Plötzlich schluckte sie, als ihre eigene Mutter nur wenige Meter vor sich erblickte, die sorglos an einem Baum lehnte und das Licht der Sonne genoss.
"M-Mama... ?"
"Ja, gehe zu ihr"
Arina wusste nicht, woher die fremde Stimme kam, doch aus irgendeinem Grund schritt sie näher an ihre vermeintliche Mutter heran. Diese hob den Kopf und lächelte sie friedlich an, während ihre langen, zimtbraunen Haare im frischen Wind wehten.
"Mama... "
"Arina, warum siehst du mich so traurig an?", ihre Stimme klang so sanft und einfühlsam und der schimmernde Glanz in ihren Augen gab der jungen Elderan ein wohliges Gefühl. Schließlich stand sie auf und strich mit ihrer Hand zärtlich über Arinas Wange. Ihre Tochter warf sich überglücklich und mit Freudentränen in die Arme ihrer Mutter und spürte zum ersten Mal seit vielen Jahren diese Geborgenheit und die Wärme, die sie die ganze Zeit über vermisst hatte.
"Ich bin so froh, Mama... ", flüsterte sie und presste ihren Kopf fest gegen den Körper ihrer Mutter.
"Wie kannst du froh sein, nachdem du uns alle alleine gelassen hast?"
Plötzlich spürte Arina, wie die Finger ihrer Mutter sich tief in den Fluch um ihren Oberkörper bohrten.
"Mama, was tust du da?", sie schaffte es, sich aus der groben Umarmung ihrer Mutter zu lösen und sah ihr mit verstörtem Blick in die leuchtenden Augen, aus denen urplötzlich Blut zu fließen schien.
"Du hast dich versteckt... warum hast du uns nicht geholfen?", ihre Stimme klang mit einem Mal so vorwurfsvoll und verständnislos.
"Was? Aber... ich war doch noch ein Kind!", entgegnete Arina lautstark und wich ein paar Schritte von ihrer Mutter zurück. Doch diese folgte ihr mit trauerndem Gesichtsausdruck und ihre unbekümmerte Art schien wie fortgeweht. Jetzt floss das Blut auch von ihrem Kopf hinunter und tauchte ihr Gesicht in ein angsteinflößendes Äußeres.
"Alle sind sie ehrenvoll für unser Volk gestorben, nur du hast dich feige versteckt und überlebt! Du hast doch nur an dich gedacht!", schrie sie und als Arina sich umsah, erkannte sie, dass die Umgebung sich verändert hatte. Das Schlachtfeld... Es war das grausame Bild nach dem Angriff der Dämonen. Das blutdurchtränkte Gras, die brennenden Häuser, die eingestürzten Palisaden und schließlich auch die Leichen, dutzende von ihnen. Als sie sich wieder ihrer Mutter zuwandte, war diese mit einem Mal bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die Haut in ihrem Gesicht hing lose herunter, so dass das nackte Fleisch zu sehen war. Ihr Oberkörper wies riesige Kratz- und Stichwunden auf. Einer ihrer Arme war abgetrennt und sie humpelte mit blutüberströmtem Gesicht auf ihre Tochter zu, während sie ununterbrochen Wehklagen von sich ließ.
"Sieh sie dir an", flüsterte die fremde Stimme in Arinas Kopf. Die ersten Tränen liefen ihre Wangen hinab.
"Nein... Mama... ", verzweifelt schlug sie die Hände vor ihrem Mund zusammen.
"Sieh sie dir an", befahl sie um einiges lauter.
"Nein"
"Sieh sie dir an!"
"Nein! Mama!", sie schrie diese Worte nicht nur, sie brüllte sie regelrecht in die Stille hinaus, bis sie sich irgendwo im Wind verliefen...
"Sayan... "
Langsam schlug der Elderan die Augen auf und fand sich ebenfalls in seinem Dorf wieder. Er saß an der Seite des einzigen Baumes, der hier gepflanzt war. Einzelne Blätter lösten sich von den Zweigen und schwebten sanft zu Boden. Schwerfällig stand Sayan auf und blinzelte in die Sonne. Da vernahm er die fremde Stimme:
"Sieh zu deiner Rechten... "
Trotz seiner Verwunderung wandte sich sein Blick nach rechts und er erkannte einen kleinen Jungen, der traurig und alleine im Schatten einer Hauswand saß. Er wusste sofort, wer dieser kleine Elderan war. Er selbst. Einsam und vergessen. Die kurzen, franzigen Haare, die ihm über die Stirn hingen, waren ungepflegt und dreckig und seine teilweise eingerissene Kleidung ließ ihn wie einen Bettler aussehen. Sayan beobachtete, wie er seinen Kopf hob und der ausdruckslose Blick hinüber zu zwei Elderan wanderte. Es waren seine Eltern, die ihm herzlos den Rücken zukehrten. Ja, er erinnerte sich... sein ganzes Leben lang war er alleine, von niemandem geliebt, ausgeschlossen aus der Gesellschaft. Manchmal hatte es ihn sogar gewundert, wenn ihn die Leute überhaupt ansprachen. Warum man ihn so behandelt hatte, wusste er bis heute nicht. Keiner hat es ihm jemals gesagt.
Plötzlich stand der kleine Junge auf und trottete mit gesenktem Kopf hinaus aus dem Dorf. Sayan sah ihm noch ein paar Minuten lang nach, wie er dort die Wiese auf den Hügeln entlang ging. Sein Gang war schwerfällig und langsam und seine Arme hingen hinunter, als hätten sie keinen Nutzen.
"Sie haben dich immer alleine gelassen... "
Die unbekannte Stimme meldete sich wieder zu Wort und ließ Sayan aufschrecken.
"Was?"
"Du wurdest niemals von jemandem geliebt", sprach sie weiter und der Elderan senkte betrübt den Kopf.
"Nein, das stimmt nicht. Arina liebt mich... Auch wenn meine Eltern und das ganze Dorf mich niemals beachtet haben, sie wird mich nicht alleine lassen", erwiderte er mit sicherem Unterton in seiner Stimme.
"Sie liebt dich doch nur der Abstammung wegen, ist das etwa wahre Liebe?"
"Sie liebt mich, weil ihr Herz mit meinem verbunden ist und nicht, weil wir beide dem Volk der Elderan angehören", verteidigte Sayan sich weiter, doch die Wörter, die er vernahm, bekamen langsam aber sicher einen Sinn für ihn.
"Bist du dir sicher?", wollte die fremde Stimme wissen.
"Ja... "
"Wachsen in dir keine Zweifel bei meinen Worten?"
"Nein, sie liebt mich. Oder... ", jetzt war er sich doch nicht mehr so sicher.
"Oder... ?"
"Liebt sie mich wirklich nur wegen unserer Abstammung? Nein, das kann nicht sein. Ich... ich weiß es nicht. Gib mir eine Antwort", verlangte er klar und deutlich und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baum.
"Sie liebt dich nicht. Was ist mit dem Prinzen? Mit ihm hat sie sich vergnügt, nicht mit dir. Glaubst du immernoch, dass sie dich wirklich liebt?"
"Sie war mit Rohn auf dem Markt, mit ihm war sie auf dem Fest und hat ihn auch noch geküsst... ", langsam kamen alle Erinnerungen wieder hoch und seine Zweifel wuchsen mit jeder Sekunde.
"Sie liebt dich nicht"
"Sie... liebt mich nicht. Ich bin alleine... "
Ein greller, bizarrer Blitz zuckte durch den von dichten, schwarzen Wolken verhangenen Nachthimmel und erhellte die regengetränkten Straßen Fendors für den Bruchteil einer Sekunde. Toki fand sich an einer kalten Steinwand lehnend wieder und schüttelte verwirrt den Kopf.
"Wo bin ich?", fragte sie sich leise und blickte sich um. Auf der anderen Seite der Straße erkannte sie das Haus ihres Ziehvaters Rogan und zwei in unzählige Umhänge gehüllte Menschen, die beinahe regungslos davorstanden und nachzudenken schienen. Verwundert trat sie ein paar Schritte näher heran, um mehr erkennen zu können, doch blieb sie verborgen im Schatten. Angestrengt kniff sie die Augen zusammen, um die Gesichter der Beiden erkennen zu können, doch die Kapuzen der Umhänge verboten es ihr.
"Kennst du sie nicht?", ertönte die fremde Stimme und Toki schrak auf.
"Wer ist da? Was meinst du damit?", wollte das junge Mädchen wissen und ging noch näher an die Menschen heran, bevor diese anfingen miteinander zu sprechen und sie aprupt stehenblieb, um nicht aufzufallen.
"Aber wir können sie doch nicht einfach hierlassen... ", es war eine besorgte Frauenstimme, die Toki dort vernahm.
"Wir müssen... es bleibt uns keine andere Wahl", ein Mann stellte einen kleinen Korb vor Rogans Haustür und sah ihn noch einen Moment lang an. Ein kleines Kind, eingewickelt in ein kleines Wolltuch, schrie darin wie am Spieß und zappelte mit Armen und Beinen.
"Viel Glück, Toki", murmelte die Frau, bevor sie anklopfte und die Beiden wie vom Blitz getroffen die Straße in Richtung Stadttor entlangrannten.
"Was?", Toki ließ keine Zeit verstreichen und eilte ihnen hinterher, "Meine Eltern? Wie kann das sein?"
"Sie haben dich hier ausgesetzt... "
"Ausgesetzt?"
Die beiden Menschen schienen immer weiter von Toki entfernt zu sein und ihre eigenen Schritte wurden immer langsamer. Was ging hier nur vor? War das alles nur ein Traum?
"Sie wollten dich nicht. Du warst ihnen zuwider"
"Nein... "
"Weißt du es etwa besser? Hast du sie denn jemals gesehen?"
Verzweifelt streckte sie einen Arm nach ihnen aus. Noch nie in ihrem Leben hatte sie ihre Eltern gesehen. Allein Rogan war für sie da und kümmerte sich um sie. Aber warum wurde sie ausgesetzt? Warum hier?
"Wartet!", rief sie ihnen hinterher, doch sie hörten nicht, rannten einfach weiter. Plötzlich rutschte Toki auf den nassen Steinplatten aus und fiel der Länge nach auf den Boden. Ihre Arme und Beine wurden aufgeschürft und das vom Regen völlig durchnässte Haar ließ sie geradezu jämmerlich wirken.
"Mama, Papa... ", murmelte sie leise und kauerte sich auf der Straße zusammen. Sie verstand das alles nicht. Der einzige Wunsch, den sie jemals hatte, war, ihre Eltern endlich einmal zu sehen und zu erfahren, warum sie als kleines Kind ausgesetzt wurde.
"Armes Ding... ", lachte die Stimme leise.
Toki vergrub den Kopf hinter ihren Armen und schloss die Augen. Und zwischen all den Regentropfen, die auf ihrem Gesicht aufschlugen, rollte eine einzige Träne ihre Wange hinab und vermischte sich mit dem Wasser auf ihrer Haut...
"Du machst deine Arbeit ganz hervorragend, Xandar", triumphierend stand Vandor über der am Boden liegenden Arina und stemmte seinen Fuß auf ihren Kopf. Die Elderan zitterte und gab kümmerliche Laute von sich. Tränen flossen ihre Wangen hinab, ihre Pupillen blickten verwirrt umher, und die Hände hatte sie fest in ihre Haare gekrallt.
"Vielen Dank, Meister... ", hauchte eine kühle, hallende Stimme und langsam aber sicher schälten sich die Umrisse einer großgewachsenen Kreatur durch den Nebel. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein Krieger in schwarzroter Rüstung, doch er besaß keinen Kopf, nur ein riesiges Auge auf seiner Brust, das gierig auf seine Opfer starrte. Blutunterlaufen war es und die roten Pupillen ließen es noch angsteinflößender wirken.
Seine Hände bestanden einzig und allein aus Knochen und es prangten viele krumme und blutverschmierte Hörner auf seiner Rüstung, die wohl als Waffen dienten.
"Du verdienst Lob, immerhin kann ich durch dich endlich die Kraft dieses Amulettes für mich nutzen", nach diesen Worten beugte sich Vandor nach unten und wollte gerade das Amulett greifen, als es urplötzlich aufblitzte.
"Wehre dich nur Marahn, wer kann es dir verübeln?", lachte er und packte sich das heilige Relikt. Einen Moment lang sah er es ungläubig an, dann warf er es hoch in die Luft und streckte seinen Arm nach oben.
"Ohne dieses Amulett kann der Drache diese Welt nicht mehr beschützen", ein Grinsen legte sich über seine Lippen, als er eine violette Aura um seine Hand erschuf. Doch plötzlich schoss eine der Adern von Arinas Fluch in die Höhe und schlang sich um seinen Arm, um ihn vor dem Abschuss der magischen Energie zurückzuhalten. Verwundert sah Vandor zu der Elderan hinab und gab ein verärgertes Knurren von sich.
Mit einem hellen Klang kam das Amulett wieder auf dem Boden auf, doch kein Blick fiel darauf. Arina hob mühsam den Kopf und versuchte sich mit aller Kraft am Boden abzustützen.
"Xandar... warum ist sie wach?", grollte Vandor und drehte seinen Kopf nach hinten zu seinem Diener, der ebenfalls überrascht schien.
"Verzeiht, Meister. Das sollte nicht passieren. Ich werde mich um sie kümmern, macht euch keine Sorgen", antwortete er schließlich und stellte sich direkt neben die Elderan. Sein Auge starrte hinunter in das dreckige und nasse Gesicht vor ihm auf den Boden und musterte es genau.
"Worauf wartest du?", drängelte Vandor und verschränkte die Arme vor der Brust.
Xandar verbeugte sich kurz und hob eine seiner knöchrigen Hände in die Luft. Auch er sammelte eine gewaltige Energie darin, doch als Arina die Augen öffnete, brach er seinen Angriff aprupt ab.
"Warum zögerst du?", murmelte sie und stieß sich mit den Händen vom Boden ab, um schließlich auf ihren Knien zu sitzen. Der Dämon antwortete nicht, sondern tat ein paar Schritte zurück. Jetzt lachte Arina ihm mitten ins Gesicht und riss ihre Augen bedrohlich weit auf. Diese waren ebenfalls von Adern durchwuchert, die sich darin rot färbten und ihre Pupillen waren dünne, gelbe Streifen in dieser Masse. Schwerfällig richtete sie sich auf, ihre Arme vollkommen vom Fluch eingehüllt.
"Was bist du, dass du einen Dämon kontrollieren kannst?", wollte der verwirrte Xandar wissen und begab sich trotz Verwunderung in Kampfstellung. Arinas Lachen wurde nur immer hinterhältiger, bis sie schon wie eine Wahnsinnige kicherte.
"Ich bin die Auserwählte der Götter... ", hauchte sie und beugte sich nach unten. Mit einem besorgten Blick hob sie das angekratzte Amulett auf und hing es wieder um ihren Hals. Der Fluch konnte sich nicht mehr wehren, zu stark war die göttliche Macht und das Blatt hatte sich nun gewendet. Er war das Opfer von Arina, stand als willenlose Kreatur unter ihrer Kontrolle und musste das tun, was sie von ihm verlangte.
"Du bist wirklich dumm. Dieses Unterfangen wirst du nicht überleben!", rief Xandar und konnte ein Lachen nicht mehr zurückhalten.
"Mit der Kraft, die mir Marahn gab, werde ich alles überleben", meinte Arina ruhig und griff sich mit einer Hand an den Hals. Sie spürte, dass der Fluch beinahe ihren ganzen Körper einnahm, sogar das Innere. Es war ein schreckliches Gefühl, ein Schmerz, den sie noch nie zuvor hatte ertragen müssen. Doch tief in ihr schlummerte die Hoffnung auf Erlösung durch den Götterdrachen Marahn. Darauf vertraute sie und dieser Gedanke trieb sie voran. Nur nicht aufgeben...
"Arina... sobald Kadin bezwungen ist, kann ich dich auch befreien. Doch jetzt ist die dämonische Macht noch zu stark"
Es war Marahns Stimme. Jetzt gab es endlich Gewissheit auf ihr Überleben und ihre Finger verkrampften sich um ihren Hals.
"Lebe wohl... ", hauchte sie mit gehässiger Stimme und riss ihren Mund weit auf, aus dem urplötzlich die Adern schossen und sich mit ihrer noch immer unfassbaren Schnelligkeit in Xandars Auge bohrten. Dieser schrie unter Schmerzen auf und fuchtelte wild mit den Armen umher, bevor sein Körper plump zu Boden fiel.
"Und das soll ein Dämon erster Elite sein?", raunte Arina, während die Adern sich wieder zurückzogen, und sah hinüber zu Vandor, dessen verärgerte Miene nicht zu übersehen war.
"Er war ein Illusionist und mehr nicht. Es wundert mich, dass ihr durch seine Albträume nicht zu Grunde gegangen seid", meinte er und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Sollten diese Träume etwa real wirken? Natürlich hatte ich Angst, doch nachdem ich erkannte, dass alles falsch war, habe ich mich zusammengerissen und konnte erwachen", sie sah hinüber zu ihren Freunden, die auf dem nassen Boden saßen und sich die schmerzenden Köpfe rieben. Durch Xandars Tod waren auch sie erwacht.Verwirrt blickten sie umher, konnen wahrscheinlich noch immer nicht glauben, dass das alles nur ein Traum war. Als Sayan seine Freundin erblickte, stockte ihm der Atem.
"Was ist mit ihr los?", er sah ihr Gesicht, das von diesen widerwärtigen Adern durchwuchert war, wie ein junger Baum von Kletterpflanzen. Doch als er ihre Aura sah, überkam ihn der Kummer. Kaum noch wahrnehmbar war sie, schwächer als je zuvor und doch fand sie die Kraft, gegen dieses Monster anzutreten. Zwar war sie in der Lage, den Fluch zu ihrem Vorteil auszunutzen, doch der Elderan stellte sich die Frage, ob sie das denn überleben könnte.
"Glaubst du, sie wird es schaffen?", erkundigte sich Toki, die mit verschränkten Armen auf ihrem Platz saß und kein Anzeichen von Unruhe zeigte.
"Ich weiß nicht... ihre Aura ist so schwach", stammelte Sayan und schloss die Augen. Er wollte ihre Aura nicht sehen, wollte nicht spüren, dass sie viel zu wenig Kraft hatte, um einen Weltendämon zu bezwingen. Schwerfällig richteten er und Toki sich auf und hielten ihre Waffen bereit.
"Nun, ich hoffe euer Tod wird äußerst unangenehm", lachte Vandor kaltherzig und hob einen Arm gen Himmel. Mit einem Mal formte sich in seiner Hand eine Art dunkles Schwert, bestehend nur aus reiner, dämonischer Energie. Seine Klinge war ungewöhnlich lang und doch konnte Vandor sie mit nur einer Hand halten.
Sayan war es nicht entgangen, dass Arina kraftlos auf ihrem Platz hin und her schwankte. Eine dämonische Kraft in sich zu führen, bringt schon eine große Anstrengung mit sich, aber dazu noch die eines Götterdrachen? Noch nie in seinem Leben hatte er sich solche Sorgen um sie gemacht, wie jetzt. Jeden Moment könnte sie, verlassen von aller Kraft, zu Boden fallen und nicht wieder aufstehen. Doch andererseits glaubte er auch an sie und wollte sich solch eine ausweglose Situation garnicht erst vorstellen.
"Komm nur", meinte Arina gelassen und ihre lockere Haltung verwunderte Vandor. Warum nur hatte sie keine Angst? Was auch immer dieser plötzliche Mut sollte, niemals würde er sich austricksen lassen. Er drehte die gefährliche Klinge ein paar Mal gekonnt mit seinen Fingern, bevor er wortlos auf Arina zustürmte. Diese musste jetzt voll und ganz auf den Fluch vertrauen, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Noch immer blieb sie ruhig, ballte allein ihre Hände zu Fäusten und konzentrierte sich auf ihren herannahenden Gegner. Als Vandor das Schwert zum Schlag erhob, schossen die Adern wieder aus dem Körper der Elderan und schlangen sich um das dämonische Schwert. Doch so schnell, wie sie angegriffen hatten, zuckten sie auch wieder zurück, als sie die mächtige Aura Vandors spürten. Erschrocken sprang Arina zur Seite, bevor das Schwert sie treffen konnte.
"Verdammt... Marahn", krampfhaft umklammerten ihre Finger das heilige Relikt um ihren Hals, "Hilf mir doch"
Wo war nur ihr göttlicher Beschützer? Ließ er sie etwa im Stich? Als sie aufstehen wollte, schienen plötzlich ihre Beine zu versagen.
"Was... ?", es funktionierte nicht. Sie waren taub und erschienen ihr wie tot. Das waren also die Konsequenzen, wenn sie den Fluch zu lange einsetzte. Aber mit tauben Beinen könnte sie nicht laufen und wie sollte sie dann Kadin bezwingen, der sich noch immer im Körper Vandors versteckt hielt?
"Was denn? Kannst du nicht aufstehen?", lachte dieser, bevor Arina sich erschrocken nach hinten drehte. Dort stand er also, das Schwert hoch in die Luft gehoben, bereit ihr Leben damit auszulöschen. Doch noch bevor ihm dies gelingen sollte, stieß ihn Sayan in die Seite und brachte ihn dadurch zum Schwanken. Der Elderan beugte sich sofort hinunter zu seiner Freundin.
"Was ist mit dir? Warum weichst du nicht aus?", fragte er besorgt nach und zog sie an den Armen nach oben. Als er jedoch loslassen wollte, krallte sich Arina fest in seine Kleidung und versuchte, sich auf den Beinen zu halten.
"Ich... ich kann nicht mehr laufen... meine Beine sind völlig taub", murmelte sie, während Sayan sie wieder stützte.
"Das kann doch nicht sein... nun gut, dann kämpfen wir gemeinsam. Toki!", er winkte das junge Mädchen zu sich heran, dass auch sofort auf diese Geste reagierte und sah dann hinüber zu Vandor, der die drei argwöhnisch beäugte.
"Arina... die dämonische Macht wird zu stark. Es gibt nurnoch einen Ausweg"
Jetzt meldete Marahn sich also wieder zu Wort. Jedoch zu spät, um Arina noch zu helfen. Aber was blieb ihr schon anderes übrig?
"Und welchen?", wollte sie wissen.
"Du musst ihn mit seinem eigenen Schwert töten. Es beinhaltet seine gesamte Macht, mit der er dich jetzt umbringen will. Reiß es ihm aus seinen Klauen und ramme es durch sein schwarzes Herz, es ist die einzige Möglichkeit", erklärte der Drache geduldig und Arina verstand. Das Problem bestand einzig und allein darin, das Schwert in die Hände zu bekommen.
"Aber Marahn, meine Beine... "
"Keine Sorge, ich werde sie heilen. Aber lange wird meine Magie nicht anhalten, du musst dich beeilen", kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, floss eine nebelige Aura aus dem Amulett hinaus und legte sich über ihre Beine, in denen langsam wieder ein Gefühl entstand.
"Vielen Dank", Arina stand nun wieder fest auf dem Boden und starrte Vandor mit einem durchdringenden Blick an.
"Dieser verdammte Drache hat dir also wieder geholfen. Doch dein Leben retten kann er nicht", erneut rannte er auf Arina zu, ein grausames Lachen auf den Lippen.
"Wie soll ich es ihm nur entreißen?", murmelte die Elderan und sah hinauf zu Sayan, der ungewöhnlich gelassen schien.
"Wir schaffen das", er zwinkerte ihr zu und sie verstand sofort, was er vorhatte. Dafür kannte sie ihn ja auch lange genug.
Vandor attackierte mit zwei wuchtigen Schwerthieben, denen die beiden Elderan nur um Haaresbreite ausweichen konnten. Von der Wucht seines eigenen Angriffs mitgerissen, schoss der Dämon an ihnen vorbei, stoppte aprupt ab und wirbelte wieder herum. Toki blieb währenddessen im Hintergrund. Sie wartete einen geeigneten Moment ab, in dem sie diesem Kerl unbemerkt angreifen konnte.
"Ihr wäret schon lange tot, wenn euch dieser verdammte Marahn nicht beistehen würde! Verflucht soll er sein!", schrie der aufgebrachte Dämon und begann damit, die Beiden wie ein lauerndes Raubtier zu umkreisen. Sayan zog blitzschnell seinen Krummsäbel und hielt ihn drohend vor seinen Körper. Sein Plan würde schon aufgehen, dafür wollt er sorgen.
"Narr... ", hörte man Vandor knurren, bevor er den Säbel mit einem gekonnten Schlag zerbrach und ihn damit kampfuntauglich machte. Arina schrak auf. Dieses dämonische Schwert war mehr als nur eine gewöhnliche Waffe der Hölle, es schien wirklich die Macht Kadins in sich zu bergen. Völlig irritiert ließ Sayan seinen zerbrochenen Säbel fallen und starrte auf den Boden. Arina nahm derweil all ihren Mut zusammen und ging ein paar Schritte auf Vandor zu.
"Törichtes Gör, willst du etwa freiwillig sterben?", spottend hielt der Dämon das Schwert an ihre Kehle, doch Arina tat keinen Schritt zurück. Im Gegenteil. Mit beiden Händen packte sie die Klinge des unheiligen Schwertes und zog es von ihrem Hals weg. Plötzlich durchflutete eine dunkle und kalte Aura ihren gesamten Körper und drohte damit, sie gnadenlos zu zerreißen, wenn sie nicht losließe. Doch daran dachte sie noch nicht einmal und zerrte nun an dem Schwert herum, immer stärker und stärker, doch der feste Griff seines Trägers löste sich nicht. Arina sah auf ihre Arme, an denen dünne Rinnsale von Blut hinunterliefen und schließlich auf den kalten Steinboden tropften.
"Arina! Bist du verrückt? Lass das Schwert los!", schrie Sayan, dessen Gesicht vor Schreck leichenblass erschien. Sie riskierte unnütz ihr Leben und das musste er verhindern. Er packte sie an den Armen und versuchte verzweifelt, ihren Griff zu lockern, doch es gelang ihm einfach nicht.
"Hör auf, Sayan", murmelte sie nur und stieß ihn beiseite. Nun war der Elderan vollends verwirrt. Wieso nur riskierte sie unnütz ihr Leben? Es würde ja doch nicht klappen, ihm das Schwert zu entreißen. Vandor musste nur leise lachen, als er Arinas schmerzverzerrtes Gesicht sah, in dem sich ihre Qualen widerspiegelten. Die Aura der dämonischen Klinge wurde immer unerträglicher, brachte sie fast um den Verstand. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solch eine gewaltige Energie gespürt. Plötzlich vernahmen sie und Sayan einen spitzen Schrei. Es war Toki, doch Arina konnte sich nicht umdrehen. Dafür erkannte der Elderan umso besser, was gerade vor sich ging. Die Klauen eines Dämons hatten das junge Mädchen von hinten gepackt und hielten es nun fest umklammert, so dass es sich in keinster Weise wehren oder schreien konnte.
"Wenn du das Schwert loslässt, werde ich sie nicht umbringen lassen. Es ist deine Entscheidung", erklärte Vandor, doch Arina warf nur einen verzweifelten Blick zu Sayan, der ebenso ratlos schien, wie sie.
"Achja, sollte dein Freund sich einmischen wollen, wird er als erster das Zeitliche segnen", warnte er weiter und musste leise lachen. Arina überlegte nicht lange herum, das Leben einer guten Freundin war ihr wichtiger als irgendein Schwert, auch wenn es die Zukunft dieser Welt bedeutete. Also stieß sie sich schon beinahe von aller Kraft verlassen von dieser grässlichen Waffe ab und musste sich schon anstrengen, um nicht sofort umzukippen. Kaum hatte sie das getan, ließ der Dämon Toki widerwillig los. Seine Konturen verschwammen, bis sie nurnoch schemenhaft zu erkennen waren und er in einem schwachen Nebel verschwand. Arina schien verwundert darüber zu sein, dass ein Weltendämon ein Versprechen auch wirklich einlöste.
"Deiner Freundin gibt das auch nur eine gewisse Schonfrist, bis ich diese Welt nach meinen Vorstellungen aufbauen werde", lachte Vandor und wirbelte erneut mit dem Schwert herum, "Dafür muss ich nur dieses Amulett zerstören"
Ohne jegliche Vorwarnung stürmte der Dämon auf die junge Elderan zu und setzte nun zu schnelleren und härteren Schlägen an, denen sie nur mit Mühe und Not ausweichen konnte. Vor ihren Augen begann alles zu verschwimmen, ein Schwindelgefühl packte sie und drohte damit, ihr die letzten Kraftreserven zu rauben und irgendwann würde auch der Zauber Marahns ein Ende finden. Sie musste es jetzt schaffen, es war ihre einzige Chance. Zwar schaffte sie es, einigen von Vandors Schlägen auszuweichen, aber wieder und wieder traf sie die unheilige Klinge, schnitt die Adern entzwei und versetzte ihr schmerzhafte Wunden. Und je länger dieser ungleiche Kampf andauerte, desto öfter schaffte der Weltendämon es, sie zu treffen.
Inzwischen blutete sie aus mehr als einem Dutzend tiefer Wunden und konnte nicht mehr richtig stehen.
"Und jetzt verabschiede dich von dieser Welt!", schrie Vandor, bevor er zu einem tödlichen Schlag ausholte. Und wieder war es Sayan, der ihn in die Seite rammte und ihn so von einem Angriff abhielt. Doch diesmal ließ Vandor sich nicht beirren und wirbelte sofort herum, um auch dem Elderan zu zeigen, dass er unbesiegbar war.
Nach seinem Angriff zog sich eine lange, stark blutende Wunde über Sayans Oberkörper. Der Elderan legte beide Hände darauf und starrte sie mit glasigen Augen an.
"Nein... ", hauchte er und seine Blicke fielen auf die ebenfalls schwer verletzte Arina, die mittlerweile nach vorne umgekippt war und nurnoch Halt auf ihren Knien fand. Ein Lächeln zog sich über seine blutverschmierten Lippen, bevor er anfing zu taumeln und schließlich rücklings zu Boden fiel. Erschrocken drehte Arina ihren Kopf in seine Richtung und konnte nicht glauben, was sie dort sah. Wieso nur war er dazwischen gegangen, Marahn war doch auf ihrer Seite und hätte ihren Tod garnicht erst zugelassen.
"Sayan!", bei diesen Worten quoll auch ihr Blut von den Lippen, dass sie schnell auf die Steinplatten spuckte. Mit all ihrer Kraft kroch sie zu ihrem sterbenden Freund und neigte ihren Kopf zu ihm herab.
"Sayan... "
Er sah zu ihr herauf und lächelte erneut. Und genau dies versetzte Arina einen Stich im Herzen und die Adern zogen sich aus ihren Augen und ihrem Gesicht zurück. Sie hatte keine Energie mehr, um den Fluch zu kontrollieren. Dieser Anblick war einfach zu viel für sie. Doch aufgeben wollte sie deswegen noch lange nicht. Jetzt erst recht nicht. Vandor hatte etwas getan, das unverzeihlich war und dafür musste er bezahlen, komme was wolle. Die Elderan nahm das Amulett von ihrem Hals und drückte es nach kurzem Zögern fest auf Sayans Brust.
"Marahn, hilf ihm... ", murmelte sie, bevor ein gleißendes Licht von dem Relikt ausging und in die Wunde auf Sayans Oberkörper eindrang. Mehrere Male spuckte er Blut und wand sich in dieser gewaltigen Aura, war sie ihm auch noch so gut gesinnt.
Arina beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen leichten Kuss auf die Lippen, bevor sie sich schwerfällig aufrappelte und sich taumelnd zu Vandor drehte. Das Amulett musste sie wohl oder übel bei Sayan lassen, denn die Heilung beanspruchte Zeit. Das Einzige, worauf sie sich jetzt konzentrieren musste war, ihren Freund zu beschützen und dem Weltendämon gegebenenfalls das Schwert aus den Klauen zu reißen. Auch Toki wollte nicht länger sinnlos im Hintergund stehen und tat ein paar Schritte nach vorne, bis sie neben Arina stand.
"Ich helfe dir", sie reichte ihr einen Dolch und nahm selber die Wurfmesser zur Hand, von denen allerdings nurnoch zwei Stück übrig waren. Die Elderan nickte nur, zu mehr war sie nicht in der Lage und nahm die Waffe mit zitternden Fingern entgegen. Vandor stützte sich gelangweilt auf seinem Schwert ab und schien Löcher in die Luft zu starren. Erst jetzt bemerkte er, dass Arina das Amulett achtlos bei ihrem Freund gelassen hatte.
"Du machst es mir ja sehr einfach. Und du sollst eine Auserwählte sein?", lachte er und hob das Schwert wieder in die Luft. Sein amüsierter Blick wich einem ernsten. "Genug gespielt. Jetzt werdet ihr sterben"
Dadurch, dass Arina das Amulett aus den Händen gegeben hatte, machten ihr die Wunden nur noch mehr zu schaffen. Der starke Blutverlust allein könnte sie binnen weniger Minuten umbringen und das Relikt konnte sie jetzt nicht mehr beschützen. Sie verließ sich allein auf den Dolch in ihrer Hand und den Gedanken, dass sie doch eine Auserwählte war und nicht aufgeben durfte. Herausfordernd warf sie die Waffe immer wieder von einer Hand in die andere. Vandor jedoch schien sich fest auf etwas zu konzentrieren und erschuf abermals eine violett leuchtende Aura um seinen Körper. Besonders unter seinen Füßen wirkte diese Energie unglaublich stark und langsam aber sicher schwebte er in die Höhe. Schließlich stand er regelrecht in der Luft und lachte triumphierend auf die Gruppe herab.
"Glaubt ja nicht, dass ich den schwierigeren Weg wähle", murmelte er zu sich selber und holte mit dem Schwert nach hinten aus. Toki ließ keine Zeit verstreichen und nahm eines ihrer Wurfmesser zur Hand. Sie musste ein Auge zusammenkneifen, um Vandor auch wirklich genau anvisieren zu können. Schließlich warf sie eine der beiden Waffen mit Schwung hinauf, doch der Weltendämon dachte nicht einmal daran, auf irgendeine Weise auszuweichen, im Gegenteil. Er ließ sich unbeeindruckt treffen und reagierte nicht einmal, als sich die Klinge des Messers tief in seinen Arm bohrte.
"Mit solchen Manövern gefährdet ihr nur Vandor, aber mich nicht", lachte er mit fester Stimme und begann damit, seine Waffe mit seiner gesamten Energie aufzuladen, die er noch zur Verfügung stehen hatte.
"Es wird Zeit, euch alle auszulöschen! Zwar werde ich dadurch disen Körper verlieren, aber das ist es mir wert!", brüllte er hinunter und warf das Schwert mit voller Kraft in Sayans Richtung.
Dessen Wunde war mittlerweile vollständig verheilt, er erwachte langsam aus seinem Trancezustand und setzte sich auf. Vor seinen Augen erschien alles nur verschwommen, doch als er das Schwert bemerkte, riss er seine Augen erschrocken auf und alles schien in Zeitlupe abzulaufen. Arina blickte immer wieder zuerst auf die nahende Waffe, dann auf ihren Freund. Was sollte sie jetzt nur tun?
Vandor musste seinen Arm nach der Waffe ausstrecken, um die geballte Aura darin halten zu können. Unzählige Blitze schossen aus der Klinge hervor, die sich in Bruchteilen von Sekunden schwarz verfärbte.
"Sayan... ", Arina sah mit besorgtem Blick nach hinten und streckte dann ihre Arme zu beiden Seiten aus, "Es tut mir Leid... "
"Was?"
Erst jetzt erkannte er, dass sie sich genau in die Flugbahn des Schwertes stellte und somit einen Angriff auf ihn und das Amulett verhindern wollte.
"Nein! Arina! Geh zur Seite!", schrie er aus voller Kraft und versuchte aufzustehen, doch er war noch viel zu schwach, um dies zu schaffen. Ein wehmütiges Lächeln legte sich über ihre Lippen und eine einzelne Träne rann ihre blutverschmierte Wange hinab. Sie spürte die gewaltige Aura des Schwertes, die sie förmlich zu erdrücken schien. Sie rutschte im Stehen nach hinten, doch wich sie noch immer keinen Schritt zur Seite.
Ein Schrei...
"Arina!"
Blut tropfte zu Boden, vermischte sich mit der violetten Flüssigkeit aus dem Körper des Fluches. Die Augen der Elderan hatten schlagartig ihren Glanz verloren, weit aufgerissen spiegelten sie all das Leid und den Schmerz wider, den sie in ihrem gesamten Leben hatte ertragen müssen. Die Blitze um das Schwert verkümmerten zu schwachen Lichtscheinen, unter denen die Adern des Fluches pochend zurückwichen, bis nurnoch ein kleiner Fleck auf Arinas Brust zu erkennen war. Mehrere Male hintereinander spuckte sie Blut, tastete mit ihren Händen nach der Waffe in ihrer Brust, die sich direkt durch ihr Herz geschlagen hatte und seufzte erleichtert auf.
"Endlich... ", hauchte sie nurnoch, bevor sie von all ihrer Kraft verlassen, rücklings zu Boden kippte und hart auf den Steinplatten aufkam. Das Schwert dagegen wurde wie von Geisterhand herausgezogen und flog wieder zurück in Vandors Klauen. Arina atmete schwer, doch sie spürte nichts mehr, keinen Schmerz, keine Leiden, alles erschien ihr wie ein langer Traum, der nun zu Ende war. Jetzt würde sie endlich in den Armen ihrer geliebten Mutter erwachen und fortan friedlich in den himmlischen Gefilden leben. Glücklich und zufrieden...
Durch den Schock der letzten Sekunden unfähig etwas zu sagen, kroch Sayan langsam und vorsichtig zu ihr hinüber. Er wollte und konnte einfach nicht glauben, was gerade geschehen war. Behutsam strich er mit seinen Fingern über ihr Gesicht, das nun blass wie ein Leinentuch wirkte.
"S-Sayan... verzeih... mir", stammelte sie heiser und hob mit Mühe und Not ihren rechten Arm zu ihm herauf. Sofort nahm er ihre Hand und legte sie auf seine Wange.
"Warum nur... ?", hauchte er und konnte die Tränen keinen Augenblick länger zurückhalten. Auch Toki, die von diesem grauenvollen Anblick auf die Knie gesunken war, schluchzte und wischte sich eine Träne nach der anderen aus dem Gesicht. Noch nie in ihrem Leben musste sie eine gute Freundin sterben sehen und das auch noch auf diese Art und Weise. Arina wollte Sayan doch nur beschützen, hatte sich dem Schwert freiwillig entgegengestellt. Warum nur musste sie sterben, wo doch alle Hoffnungen in ihr und ihren Taten lagen?
Immer fester drückte Sayan ihre Hand, wollte seine Freundin nicht dem Totengott Morrt überlassen. Doch sie lächelte noch immer und strich ihm über seine Wange.
"Warum weinst du... ? Ich mag dein Lachen... nicht deine Tränen... ", erneut floss ihr Blut von den Lippen und langsam schlossen sich auch ihre trüben Augen, "Lebe wohl"
"Arina... du kannst mich jetzt doch nicht alleine lassen. Bitte... bleib hier... ", jetzt hielt er es nicht mehr aus und brach über ihrem blutüberströmten Körper zusammen. Er stammelte unförmige Sätze vor sich her und seine Finger krallten sich tief in den restlichen Stoff ihrer Kleidung.
"Nein... Arina... bleib hier", mit zitternden Händen zog er das Amulett von seinem Hals und presste es fest auf Arinas Wunde, doch nichts geschah. Kein Licht, keine Aura, wie es bei ihm der Fall gewesen war. Er hielt das Relikt vor seinem Gesicht, starrte es mit vor Wut glühenden Augen an und raunte dann nurnoch:
"Warum rettest du mich, aber lässt sie im Stich? Antworte mir, Marahn"
Das Amulett glühte für einen Moment hell auf, bevor die Stimme des Götterdrachen daraus sprach.
"Verzeih, doch es ist selbst mir nicht gestattet in das Werk des Totengottes einzugreifen. Selbst wenn sie eine Auserwählte ist, Leben und Tod kontrolliert alleine Morrt", erklärte er mit ruhigem Unterton, doch Sayan drohte vor Wut zu zerbersten.
"Sie ist nicht tot! Nein! Sie lebt und du wirst sie retten! Du bist doch ein Götterdrache, also unternimm etwas!", brüllte er mit erhobenem Kopf in den Himmel, der noch immer von schwarzen Wolken bedeckt war. Doch der Regen wurde schwächer und schwächer, bis er schließlich völlig nachließ.
"Es tut mir sehr Leid... ", erklang noch einmal die Stimme des Drachen und der Elderan sank erneut auf dem Körper seiner Freundin zusammen.
"Nein... ", vorsichtig legte er das Amulett mit der silbernen Kette auf ihren leblosen Körper und beugte sich hinüber zu ihrem Kopf.
"Ich werde bald bei dir sein... ", er gab ihr einen letzten Kuss auf die toten Lippen, bevor er sich taumelnd wieder erhob und die Tränen aus seinem Gesicht fortwischte.
Währenddessen hatte Kadin nicht mehr die Energie, um noch im Körper des Königs von Fendor verweilen zu können und musste ihn wohl oder übel verlassen. Die enorme Anstrengung in seinem Gesicht war nicht zu übersehen. Es war angespannt, die Zähne hatte er zusammengebissen, die Augen waren verengt und einzelne Schweißperlen rannen an seiner Stirn hinunter.
"Die Auserwählte habe ich nun aus dem Weg geräumt... ich muss nurnoch... das Amulett zerstören", raunte er leise und plötzlich krümmte sich sein Wirtskörper unter dem gewaltigen Schub an Energie, den Vandors Körper nicht mehr halten konnte. Eine schwarze Aura strömte aus ihm heraus, gleich einer gigantischen Welle tief aus dem Ozean, formte unzählige widerwärtige Klauen und krallte sich an den Steinplatten fest.
Sayan und Toki kam es so vor, als bestände die Luft auf einmal nur aus Blei, so stark wurden sie von der enormen Energie zu Boden gedrückt.
"Verdammt!", schrie der Elderan mit fest zusammengekniffenen Augen. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment zerbersten unter dieser unbesiegbaren Macht. Als er genug Kraft fand, um seinen Kopf zu heben, erkannte er in der dunklen und schwarzen Aura zwei stechend gelbe Augen, die bedrohlich auf ihn herabsahen. Unter ihnen lag der leblose Körper Vandors.
"Jetzt werde ich diese Welt nach meinen Wünschen neu erschaffen!", schrie der Dämon siegessicher und langsam aber sicher schälten sich die Umrisse einer monströsen Kreatur durch die Aura. Deutlich konnte man erkennen, dass es ein schwarzer Drache war, ein Monstrum, das mit seiner langen, violetten Mähne umso furchterregender aussah. Doch die rasiermesserscharfen Reißzähne und die glühenden Augen verstärkten das Gefühl der Angst nur noch mehr. Die typischen, sichelförmigen Dämonenklauen schlugen hart auf die bereits eingerissenen Steinplatten auf und wirbelten eine riesige Wolke an Staub und Dreck auf, die den angsteinflößenden Anblick Kadins verdeckte.
"Es wird nicht lange dauern... ", lachte er spöttisch und warf seinen Kopf etwas nach hinten, um Sekunden später eine riesige Flamme auf die Beiden herabzuspucken. In Panik rannten Sayan und Toki zur Seite und hielten ihre Arme schützend vor ihr Gesicht, um keine Brandwunden davonzutragen.
"Was sollen wir jetzt tun?", fragte sich der Elderan und sah hinab zu seiner Freundin, deren Lächeln ihn, selbst nach ihrem Tod, noch immer erstaunte. Sie hatte niemals aufgegeben, warum sollte er es also tun? Doch plötzlich erschrak er. Er glaubte gesehen zu haben, wie einer von Arinas Fingern sich bewegte. Diesen Gedanken verwarf er jedoch wieder, immerhin konnte das nicht möglich sein. Kadin tat einen großen Schritt auf ihn und Toki zu und riss seine Augen weit auf.
"Sterbt, ihr kümmerlichen Kreaturen!", mit einem rauhen Aufbrüllen schoss er eine weitere Flamme herab, welche die ausweichende Toki am Bein traf und es versengte. Unter Schmerzen brach das junge Mädchen zusammen und hielt die Hände fest auf die Wunde, was jedoch nicht gerade vorteilhaft war. Wutentbrannt starrte Sayan die überlegene Bestie vor ihm an, dachte über einen Plan nach, doch andererseits verließ ihn der Mut und er bezweifelte, überhaupt noch etwas gegen den Weltendämon ausrichten zu können. Da vernahm er ein Scharren wenige Meter neben sich und blickte sich verwirrt um. Ein Schrei entfuhr seiner Kehle, als er vor sich Arina erblickte, die sich mit den Armen auf dem Boden vorwärts schleppte.
"Was zum... ? Das kann nicht sein", er rieb sich die Augen, schüttelte den Kopf, doch das irritierende Bild vor ihm blieb. Auch Kadin schien sichtlich verwundert und fletschte drohend die Zähne.
"Wer lenkt diesen toten Körper?", brüllte er aufgebracht und warf seinen Kopf hinunter zu Arina.
"Marahn... ", raunte er verärgert und wollte schon eine weitere Flamme auf das scheinbar hilflose Mädchen vor ihm spucken, doch eine merkwürdige Aura hielt ihn permanent davor zurück.
"Ich bedauere den unnützen Tod der Auserwähten, doch so steht es auch in der Legende geschrieben und ich kann daran nichts ändern. Doch ich benötige einzig und allein ihren Körper, um meine Energie dort hinein fließen zu lassen also glaube nicht, dass du frei in dieser Welt wandeln kannst", sprach die ruhige Stimme Marahns, die allerdings wie verloren wirkte, so oft hallte sie wieder.
"Die Götter aus alten Landen haben es mir schon untersagt, eine Welt nach meinen Vorlieben aufzubauen, doch ich werde mir mein Privileg nicht nehmen lassen! Diese Welt gehört mir!", schrie der aufgebrachte Kadin wie verrückt und ließ seine Schwingen empor schnellen, deren schwarzblaue, ledrige Haut die absolute Finsternis Nomikas widerspiegelten. Seine Augen glühten vor Kampfeslust und mit seinen Vorderklauen zerbrach er mehrere Steinplatten auf dem Boden in tausende kleine Brocken.
"Kämpfe, wenn dir deine Welt etwas bedeutet!", lachte er hämisch und erhob sich mit einigen schnellen Flügelschlägen in die Luft. Ungeduldig schwebte er an Ort und Stelle und verharrte dort, bis Marahn sein wahres Aussehen zeigen sollte.
"Zwar musst du beseitigt werden, doch dafür muss ich nicht kämpfen. Eine endgültige Verbannung nach Nomika wird völlig ausreichen", entgegnete der Götterdrache noch immer ruhig und entschlossen.
"Du warst schon immer feige. Schon damals konntest du mich nur mit Hilfe deiner ach so geliebten Götter bezwingen! Alleine bist du dazu niemals in der Lage, Schwächling!", Kadin war sichtlich darauf aus, Marahn zu provozieren, ihn zum Kampf zu zwingen, doch dieser bewegte sich keinen Millimeter weiter.
"Hier zählt nicht die Stärke des Einzelnen, wie du es glaubst. Die Hauptsache ist, dass du auf ewig verbannt wirst. Schon in den alten Landen hast du das Feuer der Zerstörung entfacht, hast die Kreaturen dazu gezwungen hierher zu siedeln und den alten Kontinent völlig vernichtet. Doch wiege dich nicht in sicheren Gedanken über deinen Sieg", der friedliebende Götterdrache erhob sich in seinem Wirtskörper, streckte die mit Verletzungen gezeichneten Arme nach oben in die Luft, so dass sie direkt auf Kadin deuteten und bildete mit den Händen blitzschnell ein uraltes Fingerzeichen. Gleichzeitig gab er murmelnde Laute von sich und warf den Kopf nach oben in Richtung Himmel. Schon nach wenigen Sekunden erschien ein sanftes Glühen um Arinas Körper, eine Aura, die auf Sayan und Toki unglaublich beruhigend wirkte. Ihre harte Körperhaltung wurde mit einem Mal völlig locker, es schien fast so, als würden sie jeden Moment zu Boden fallen. Das Glühen wandelte sich in ein mattes Leuchten, dass sich wie eine Art Nebel um Arinas Körper schlang und sich schließlich einen Weg hoch in die Luft bahnte. Es wurde kräftiger und immer heller, bis es in einem gleißend hellen Blitz zu einem weißen Lichtschein wurde, der dem der Sonne in nichts nachstand. Geblendet von dieser plötzlichen Aura mussten Sayan und Toki sich die Hände vor das Gesicht halten und konnten nur mit verengten Augen das Geschehen erkennen.
"Was geht hier vor? Lebt Arina etwa noch durch Marahn?", rief der Elderan verwirrt und sah fragend in Tokis Richtung.
"Nein, aber Marahn kann seine Energie nur in ihren Körper fließen lassen. Er wusste, dass sie sterben würde, denn eine lebende Kreatur, ob auserwählt oder nicht, kann er nicht beherrschen", erklärte das junge Mädchen und ihr Blick schien auf eine Art und Weise traurig, auf die andere voller Hoffnung zu sein. Sayan war erschüttert. Wieso nur hatte der Drache ihm nichts davon erzählt, dass sie sterben sollte? Dann hätte er sich wenigstens angemessen von ihr verabschieden können, ihr seine innersten Gefühle gestehen können und ihr ein letztes Mal in die glänzenden Augen sehen können. Als er sich an all das zurück erinnerte, kamen ihm erneut die Tränen, doch daran war jetzt kaum zu denken, denn Kadin ließ ein geradezu wahnsinniges Lachen von sich. Marahn wusste, dass der Weltendämon jeden Moment angreifen könnte und so verstärkte er die Aura nurnoch mehr, bis sie sich in eine hell aufleuchtende Drachengestalt verwandelte und in aller Ruhe die ledernen Schwingen ausbreitete. Es war Marahn, der dort oben schwebte, nur war es seine Hülle, der Körper, denn sein Geist steckte noch immer in Arina und konnte auch nicht sehr lange von dort heraus.
Mit ernstem Blick sah der heilige Götterdrache auf das dämonische Biest vor ihm und gab ein verärgertes Knurren von sich. Langsam hob er die Klauen gen Himmel und begann, in einer alten Sprache zu den Göttern zu sprechen. Allein das kostete ihn Kraft und Anstrengung, was man an dem geballten Lichtbündel um seinen Körper und an dem angespannten Gesichtsausdruck von Arina sah. Niemand außer Kadin schien die Worte auch wirklich zu verstehen, denn wieder fletschte er die Zähne und schrie empört: "Kämpfe allein, du Feigling!"
Und mit diesen Worten stürmte er auf den Götterdrachen zu und holte mit seinen Klauen weit aus, um Marahn endgültig an der Verbannung zu hindern.
Dieser realisierte zwar den kommenden Angriff, konnte sich jedoch nicht schnell genug von seinem Gebet lösen und so stieß der Weltendämon seine Klauen in den Körper Marahns und warf ihn damit gewaltvoll zu Boden. Verbissen wehrte dieser sich gegen die Hiebe und Schläge, gegen die Feuerstrahlen, die Kadin mit einem grausamen Lachen auf ihn spuckte und ihm damit Haut und Mähne versengte. Auch wenn er ein Götterdrache war, körperliche Verletzungen schmerzten ihn ebenso sehr wie es bei sterblichen Wesen der Fall war. Die schwarze und bösartige Aura Kadins vermischte sich in der Luft mit der heiligen des Götterdrachen, wodurch eine Art Strudel aus reiner Energie in der Luft entstand und Sayan und Toki von dieser neuen Energie regelrecht zu Boden gedrückt wurden.
"Lasse von mir ab, Dämon. Dein Werk wird niemals Früchte tragen!", schrie Marahn durch das grollende Donnern der aufeinander peitschenden Kräfte, doch Kadin biss ihm auf diese Aussage hin nur mit voller Härte in den Hals. Mit weit aufgerissenen Augen brüllte der Götterdrache auf und wand sich unter dem Gewicht des Weltendämons. Toki konnte am Boden liegend beobachten, wie aus Arinas Mund plötzlich Worte zu kommen schienen, während sie noch immer die Fingerzeichen formte. Marahn übte also wirklich die totale Kontrolle über sie aus. Doch dieses Wort war wohl nicht mehr angebracht, denn die Elderan war schon längst tot und nurnoch der Götterdrache bediente sich ihrer. Plötzlich hielt Kadin inne und schien aufzuhorchen. Sein Gesichtsausdruck war nicht nur mit Verwunderung gezeichnet, sondern ohne Zweifel auch mit Angst. Langsam hob er den Kopf gen Himmel und starrte ehrfürchtig in die Wolken, aus denen mit einem Mal ein helles Licht aufleuchtete und die zuvor verdunkelte Umgebung hell erstrahlen ließ.
"Nein... ", raunte Kadin und ließ so schnell es ihm möglich war wieder von Marahn ab, der erschöpft aufatmete, aber dennoch genügend Kraft fand, um seine Klauen in die Höhe zu strecken. Der Weltendämon sah, wie hinter dem heiligen Wesen urplötzlich unzählige engelshafte Gestalten auftauchten und er erkannte Götter, Halbgötter und Schutzgeister in diesem gleißend hellen Licht. Er wusste, dass es aus dieser Situation keinen Ausweg gab.
"Kreatur, die du in Licht geboren bist, doch in die Finsternis herabstiegst. Kreatur Nomikas, der Welt des Dunklen und der Leere, hiermit rufe ich die Götter dieser Welt, der heiligen Welt Alea, um dich für immer in die Finsternis zu verbannen, an den Ort, an dem du einst dein Leben führtest und an dem du nun verweilen sollst, bis an das Ende aller Tage. Für immer sollst du schweigen, für immer sollen deine Waffen darniederliegen, für immer soll deine schreckliche Gestalt in den Tiefen Nomikas schlafen! So sei es!"
Alle gemeinsam sprachen die Götter und Marahn diese Worte, denn es waren die Bannworte aus der Legende, die auch schon gesprochen wurden, als Kadin bei der Erschaffung der Welt verbannt wurde. Wie von Geisterhand schwebte Kadin ohne seine Schwingen in die Höhe und zappelte aufgebracht dort herum.
"Ich hätte dieses Gör töten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte! Dann wäret ihr niemals dazu in der Lage gewesen, mich zu bezwingen!", schrie er mit fester Stimme.
"Aber du hast es nicht getan... in dem Moment, als sie das Amulett in die Hände bekam, war dein Schicksal besiegelt!", entgegnete Marahn und lächelte den Dämon hinterhältig an.
Kadin spürte, wie seine ledrige Haut immer fester und härter wurde. Nach wenigen Sekunden schon konnte er sich nurnoch mit Mühe und Not bewegen, bis es ihm schließlich völlig unmöglich war. Es war Gestein, das ihn umschloss, ihm verbot, erneut auf dieser Welt Chaos zu stiften. Nun würde er auf ewig darin gefangen sein und in seiner Welt ruhen. Als sein ganzer Körper schließlich zu Stein erstarrt war, ließ Marahn ihn wie faules Obst zu Boden fallen, so dass die Figur aus Stein zerbrach, als bestände sie nur aus Erde. Kadins Körper war zerstört und sein Geist in Nomika eingesperrt, doch für Sayan ergab es keinen Sinn, dass Arina dafür sterben musste. Er konnte es noch immer nicht fassen... Niemals mehr würde er sie wiedersehen, alles war nun vorbei, auch der Sinn seines Lebens.
Die Gestalten der Götter, Halbgötter und Schutzgeister um Marahn und das gleißende Licht erloschen so schnell wie sie gekommen waren. Nur der Drache selbst verharrte mit ausdruckslosem Blick an Ort und Stelle. Der Elderan und Toki sprachen kein Wort, nicht einmal ein Wort des Dankes oder der Freude, nichts. Es gab einfach nichts dergleichen.
"Sayan... verzeih mir, ich hätte es dir sagen sollen. Doch verzage nicht, Morrt möchte dir ein Angebot machen", raunte Marahn friedlich und gab den Blick auf Arina frei, die lächelnd zu ihren Freunden herübersah.
"Arina?"
"Ja, ich möchte mich von dir verabschieden, Sayan... und auch von dir Toki", antwortete die junge Elderan, deren Gestalt nurnoch schemenhaft zu erkennen war. Mit gemächlichen Schritten ging sie auf ihren Freund zu, bis sie direkt vor ihm stand.
"Wir haben die Zeit nicht ausgeschöpft, die vielen Jahre hätten wir trotz des Hasses glücklich miteinander leben können, doch wir haben unser Glück nicht wahrgenommen. Nicht gesehen, dass wir nur einander brauchten, um zu leben, und keine Anerkennung, keine Toleranz der Menschen", erklärte Arina mit wehmütigem Lächeln. Sie strich ihm über seine Wange, auf der noch immer die getrockneten Tränen zu sehen waren.
Zwar fühlte er nur die Kälte in ihrer Hand, doch er war froh, sie noch ein letztes Mal sehen zu können. Nun wendete sich die Elderan Toki zu, die die Trauer verbergen wollte, es aber kaum noch aushielt. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht weinen zu müssen. Arina beugte sich zu ihr herunter.
"Wir kennen uns leider nicht sehr lange, Toki. Doch auch die Zeit mit dir war sehr erfahrungsreich und schön. Und auch du wirst ewig in meinem Herzen bleiben... ", sie umarmte das junge Mädchen vorsichtig und stand danach wieder auf.
"Ich werde euch nicht wiedersehen und doch... habe ich zumindest meine Mutter wieder. Sayan, ich danke dir für all die Jahre, die du mir geholfen hast und dir Toki, für deine Weisheiten, die mir oft halfen, mich selbst zu erkennen", erklärte sie abschließend und wollte sich schon abwenden, als Sayan eine Hand auf ihre Schulter legte.
"Warte... ich... ", flüsterte er und legte seine Hände zärtlich an ihre Wangen. Sie wusste, was er vorhatte und lächelte.
"Ich muss in das Totenreich... Morrt lässt mir keine Zeit mehr"
Wortlos beugte der Elderan sich zu ihr herunter und wollte ihr einen letzten Kuss auf die Lippen geben, als ihre Gestalt gänzlich zu verschwimmen schien, bis seine Hände ins Nichts griffen.
"Arina... nein, warte doch", murmelte er und seine Pupillen irrten verwirrt umher, wussten nicht, wohin sie jetzt blicken sollten.
"Nun hat sie endlich ihren Frieden gefunden", sprach Marahn mit beruhigender Stimme und schloss die Augen, um Arinas Taten mit einem stillen Gebet zu würdigen.
"Ja, nun wird sie endlich wieder lachen können"
Ende