Etwas großes erwartet uns - Fanfictions
Die Vier Apocalyptischen Reiter
"Steh auf", bittete eine verängstliche Stimme, die einem jungen Mann gehörte, ein am Boden liegendes Mädchen.
"Mach keinen Mist Adokenái", sagte er in einem gleichgültigen aber zugleich nervösen Tonfall.
Als würde er nicht so recht wissen, wie er mit dieser Situation umgehen sollte, als wäre alles nur ein schlechter Schertz.
Doch nichts geschah...ein Schweigen durchdrang die kleine Seitengasse, die fernab vom regen Treiben der Straße und den gierigen Blicken der Menschenmengen lag.
"Hör auf mit dem Scheiss und steh auf" begann er zu winseln, als er unter Tränen zu Boden sackte.
Der Junge packte ihren ledernen Kragen, der von dem Sturz zerknittert wurde und zog ihren Regungslosen Körper ein Stück näher an sein Gesicht heran.
"STEH AUF!", schrie er sie hysterisch an, während seine zitternden Hände, wie besessen, den leeren Leib schüttelten, als würde sie dadurch von ihrem endlosen Traum erwachen.
Sein aufgeregter Tonfall wich einem verzweifelten Flehen.
"...bitte...steh auf..."
Sein Kopf presste sich an ihre Brust und flüsterte ihr unter Tränen ein leises, "...bitte...", zu.
Doch auch ihr Herz konnte seinen Wunsch nicht mehr erhören, es schwieg für immer.
Schwer nach Luft ringend, blickte er ihr ein letztes Mal in die Augen, tief in ihm ruhte noch ein letztes Fünkchen Hoffnung, doch es erlosch, als er ihre kalten Pupillen bemerkte, die wie aus Ekel und Abgestoßenheit versuchten, sich in den Himmel zu richten.
Die entkräfteten Hände ließen von dem Mädchen ab und glitten zögerlich an ihrem Körper hinab.
An ihrem Bauch hielten sie jedoch inne. Sie schlungen sich um ein altes, verrostetes Messer, das tief in ihr steckte, ihre reine Haut entstellte und langsam erblassen ließ.
Blut durchtränkte ihr weißes Top, wie ein tiefer See der Trauer und des Schmerzes erstreckte es sich über ihren Bauch.
Ein großes Unwohlsein gepaart mit dem Drang zu erbrechen, beherrschten seinen Magen.
Tränen träufelten auf ihre ausgemerzte Haut, wo sie in tausend kleine Splitter zersprangen.
Warum tat er das? Tief in seinem Inneren spürte er sich immer noch von ihr angezogen...von ihrem Lächeln, ihren großes, traurigen Augen und ihrem engelsgleichen Erscheinen. Auch wenn dieses Gefühl längst nicht mehr so stark war, wie die einst, sie war für ihn doch trotzdem noch, dass einzige Mädchen in der Welt. Ihr gehörten seine Gedanken, sein Leben, seine Seele, seine Liebe.
"Was habe ich getan?
Gerade noch standest du vor mir, hast mich angsehen, mit mir geredet, mit mir gelacht und jetzt liegt dein Körper leblos auf dem Boden. Der Blick so stumpf und nichtssagend in die Leere gerichtet.
Verzeih mir...bitte verzeih mir...Ich...ich wollte das nicht...ich...habe die Kontrolle über mich verloren.
Als hätte eine unsichtbare Hand mein Tun geleitet, ohne dass ich mich dagegen wehren konnte.
Warum nur? Warum habe ich das getan? Ich liebe dich doch immernoch...War es die Verzweiflung...die Blindheit, die mich daran hinderte einen anderen Weg zu erkennen...oder einfach nur die Ignoranz gegenüber dem Leben...deinem Leben?
Ich verachte mich...mich und mein ganzes Dasein, wäre ich nur niemals geboren wurden...
Meine gesamte Seele ertrinkt in Komplexen und Selbstmitleid, doch verdiene ich keine Hilfe...
Die die mir helfen wollen, werden von mir zurück gewiesen und die die mein Leiden teilen wollen, verletze ich nur...wie meine Eltern, meine Schwester...und dich.
Ich bin krank...doch für meine Krankheit gibt es keine Linderung...Ich hasse mich so sehr, für das was ich bin. Es tut mir leid...so unendlich leid...Adokenái-chan."
Akogaré befreite seinen Geist von jeglichen Gedanken, die ihn noch quälten und löste sich von seiner ehemaligen Freundin.
Krähen umkreisten den abendlich roten Himmel, als sein sie Vorboten des grausamen Geschehens gewesen, das sich nur wenige Augenblicke zuvor, unter ihnen ereignete. Ihr rauhes Krächzen, das nicht verstummen wollte, schien dem Totenreich von einem neuen Knecht berichten zu wollen. Sie verspotteten ihn, prangerten ihn an, wie in seinen schlimmsten Alpträumen, nur gab es dieses Mal kein Erwachen.
Nervös tastete Akogaré seinen langen, hellbraunen Mantel ab. Aus einer Innentasche zogen seine Hände eine angerissene Packung Zigaretten heraus.
Verstört nahm er sich eine, die er sich in den Mund steckte. Seine rechte Hand hielt das Feuerzeug, ein Geschenk seiner verstorbenen Freundin, während die linke ihm Schutz vor dem kühlen Luftzug gab, der durch die Gasse pfiff.
Er inhalierte einen tiefen Zug und sah ein letztes Mal verängstlicht auf den leblosen Körper herab.
Langsam ließ er den Qualm wieder aus seiner Lunge entweichen.
Das Nikotin beruhigte seinen wilden Herzschlag ein wenig, der zuvor noch unablässig gegen seine Brust hämmerte.
Ein Geruch von Blut und Elend lag in der Luft, er war es leid ihn zu riechen und wandte sich von Adokenái ab.
Mit schwankendem Schritt verließ er die Gasse. Alles um ihn herum schien so unwirklich und gekünselt, als wäre er nicht ganz bei Sinnen, als sei das alles nur ein schrecklicher Traum.
Seine Kräfte verließen ihn, sein Körper stüzte sich gegen die Hauswand.
Fast schon unbeholfen fühlten seine Hände den kalten Stein, der langsam abbröckelte, entlang und suchten einen Weg aus dieser düsteren Gasse.
Akogaré hörte Schritte, wild durcheinander laufend, wirres Gerede aus dem er keinen Sinn machen konnte, Menschen die ihrem Alltag nachgingen, die Wirklichkeit übersehend nur für sich.
Endlich hatte er es wieder auf die Straße geschafft, nur ein paar Meter, doch schienen sie wie eine Ewigkeit. Als sei er ziellos durch ein Labyrint geirrt und hatte dennoch den Ausgang gefunden.
Weinend brach er an einer Litfaßsäule zusammen.
Die Arme verschränkt auf den Knien, sein Kopf versank unter ihnen, den gläsernen Blick auf den Boden gerichtet.
Alles was er nur noch wollte, war, allein zu sein...von niemanden beachtet, von niemanden bemitleidet, von niemanden verachtet...einfach nur unsichtbar.
Er wusste nicht mehr wie lange er nun schon da saß, er wollte es auch gar nicht wissen, er wollte nicht wieder aufstehen, er wünschte sich, alles wäre vorbei.
Seine Seele war schwer mit Schuld, Angst, Ungewissheit und nicht zuletzt mit Furch belastet.
Akogaré musste sein Gewissen erleichtern, sich seinen Schmerz von der Seele reden, es gab nur einen Ort, an dem er dies tun konnte, ohne mit Verachtung angesehen zu werden.
Schon sehr lange hatte die Kirche, ihn nicht mehr in Empfang nehmen können, der Zweifel an seinem Glauben zu Gott zwang Akogaré der Religion den Rücken zu kehren. Wie hätte er auch ahnen können, dass er dafür einst die Konsequenzen zu tragen hätte.
Es war zu spüren, wie die gaffenden Blicke, der vorbeiziehenden Passanten, sein Fleisch durchbohrten, immer mit dem Gedanken im Kopf, was diesen armen Narren bloß wiederfahren sei.
Die Glieder waren schwer, sein ganzer Körper träge, mit dem einzigen Wunsch nach Schlaf gequält.
Er rappelte sich auf, mit den Händen stieß er sich von dem verdreckten Gehsteig ab und machte sich auf den Weg.
Die Bürgersteige waren überfüllt. Dicht an dicht drängten sich die Leute aneinander.
Akogaré verachtete sie, sein Dasein als Mensch war er selbst überdrüssig geworden, für ihn waren es hässliche Geschöpfe.
Egoistisch, machtgierig, habsüchtig, selbstherrlich...er verabscheute sie.
Starrköpfig drang er durch die Massen, seine feuchten Augen auf den Boden gerichtet und die Zigarette in den rechten Mundwinkel gepresst.
Einige rempelten ihn an, wieder Andere beschrieben einen großen Bogen um ihn.
Vor seinem Blick zuckten Figuren, wirres Zeug ohne Sinn, wild umher. Alles um ihn herum verdunkelte sich, als würde er jeden Moment erneut zu Boden sacken.
Unaufhörlich tänzelten diese Bilder vor ihm umher, als ob sie ihn in den Wahnsinn treiben wollten.
Langsam begann er, ins Wanken zu geraten. Die Straßen, die Häuser und sogar die Menschen schienen sich zu verformen, zu bewegen. Aus den bunten Mengen wurden graue, trübe Massen, aus den Gesichtern teuflische Grimassen, die ihn bis aufs Mark verspotteten, verpöhnten, sie kannten sein schreckliches Geheimnis.
Schweiß begann über sein Gesicht zu laufen, die verwirrten Augen wurden immer schwerer und schwerer.
Akogaré hatte große Mühe, sie offen zu halten. Die ruhige Stadt wurde zu einem kranken Hirngespinnst, entsprungen aus einem ebenso kranken Geist.
Hecktisch irrte sein Blick wirr umher, von einer perversen Gestallt zur nächsten.
War dass was er sah, das wahre Wesen des Menschen?
Waren sie so, wie er es sich immer und immer wieder eingeredet hatte?
Abstoßend, furchteinflößend, überheblich...Geschöpfe so von Gott gegeben wie die Sünde selbst, abgewandte Christen die ihren eigenen Weg verloren hatten?
Mit dem Hass auf diese Bilder, wuchs der Hass in ihm gegen sich selbst.
Akogaré konnte sich einmal mehr nicht damit abfinden, dass er genauso sein sollte wie sie, er redete sich ein, dass er etwas Besseres sei, der Segen über der göttlichen Schöpfung oder der dunkle Schatten darunter alles nur anders.
Hände, die niemanden gehörten, schienen ihn greifen zu wollen, ihn in dem Sumpf aus Blindheit zu ziehen und zu ertränken.
Doch waren seine Kräfte zu sehr erschöpft, um sich dagegen wehren zu können.
Alles was er noch konnte, war verdrängen...
"Mörder..."
"Seht ihn euch an...zeigt auf ihn, lacht über ihn...über diesen kaltblütigen Psychopaten!"
"Lasst mich in Ruhe...seid still...warum quält ihr mich so?"
"Umbringen...Gleiches mit Gleichem vergelten, mehr nicht."
"Dieser Abschaum wagt sich noch auf die Straße..."
"An seinen Händen klebt Blut, riecht ihr es?"
"Ich höre euch nicht mehr zu...Ihr kennt mich doch gar nicht, wie könnt ihr über mich richten?
"Widerwärtig!"
"Krank einfach nur krank..."
"bitte...lasst mich in Ruhe...es ist schon so schwer genug für mich..."
"Du armer Teufel..."
"Er ist sich der Grausamkeit seiner Tat nichteinmal bewusst..."
"Ohne mit der Wimper zu zucken, hat er sie niedergestreckt..."
"Liebe? Von wegen...wie kannst du ein Gefühl wie Liebe empfinden?"
"Seid still...seid doch endlich still..."
"HÖRT AUF!!!"
Als Akogaré erwachte lag er schweißgetränkt vor dem Fuße einer alten Kirche. Sein entsetzter Blick war auf das Tor gerichtet.
Er kannte dieses alte Gebäude von früher. Um ihn herum war keine menschen Seele.
Den Kopf plagte ein höllisches Hämmern, das unaufhörlich an an seinen Gedanken nagte.
Akogaré hiefte sich mühsam auf. Fast schon einschüchternd erstreckte sich der prächtige Kirchturm in den Himmel.
Als wollte man Gott auf diesen Ort aufmerksam machen, indem er sich über alles Andere empor hob und heraus ragte.
Der Zahn der Zeit hatte den alten Wänden schon schwer zugesetzt. Der einst in herrlichem weiß erstrahlte Putz, bröckelte langsam von den Mauern ab, Spinnweben bedeckten die verschmutzten Ecken und die prunkvollen Fenster waren unlängst verblasst.
Zögerlich fasste seine Hand den alten Türklopfer.
Soviele Gedanken schossen ihm in diesem Moment durch den Geist.
War das was er da tat richtig?
Konnte er auf den christlichen Beistand hoffen, nachdem er ihnen den Rücken gekehrt hatte?
Würde er sich nicht selbst verraten, indem er gegen seine Ideale verstieß?
Wie würde man auf ihn reagieren?
Fragen über Fragen...jedoch war keine von einer Antwort begleitet.
Schweren Herzens und mit Zweifeln geplagt, entschloss er sich dennoch dazu, einzutreten
Der traurige Eindruck, den die Kirche von aussenhin machte, wurde von dem verwahrlosten Inneren noch einmal übertrumpft.
Das war kein Haus Gottes, dieser Ort hatte nichts Heiliges mehr.
Der Altar erstickte unter tiefem Schmutz, das Taufbecken war spröde und ausgetrocknet, die Kanzel schon lange nicht mehr betreten, malerische Fresken unlängst nicht mehr auszumachen.
Der traurige Blick, des am Kreuze hängenden Jesus', schien hier noch viel mehr an Gewicht zu tragen.
Auf den Bänken, saß schon lange niemand mehr und auch die Gänge hatten bereits bessere Tage gesehen.
Es würde ihn überhaupt wundern, wenn er hier jemanden antreffen würde.
Seine Augen streiften durch den Raum. Die Beichtkammern hatten sein Interesse geweckt.
Zielstrebig lief Akogaré auf sie zu. Ein Tuch aus einfachem Stoff verdeckte den Eingang der Kammer, es fügte sich perfekt in die heruntergekommene Kirch ein. Eine dicke Staubschicht überzog den einstigen Glanz und ließ die frühere Pracht, die es einst ausstrahlte, nur noch grob erahnen.
Die hallenden Schritte waren das einzige Geräusch in dem großen, leeren Saal, keine betenden Menschen, keine Vögel die mit ihren Gesängen von draussen einluden...niemand war zu sehen, als wäre die Kirche ganz für Akogaré reserviert. Wie ironisch, dass so ein ausladendes Gebäude, einen Platz für eine arme Seele reserviert haben sollte.
Seine Hand griff nach dem Tuch und schob es bei Seite.
Er setze sich, die Hände verschränkte er vor seinem Gesicht ineinander, seinen Blick richtete er wieder nichtssagend in die Leere.
Das tiefe aber zugleich verstörte Atmen einer anderen Person verriet ihm, dass sich noch jemand auf der anderen Seite befinden musste.
"Ich habe gesündigt...", drang eine Stimme von der anderen Seite.
Akogaré sah verwundert gegen die dünne Holzwand.
Nach einer langen Pause fuhr die Stimme dann fort.
"Ich habe...getötet. Dabei habe sie geliebt...nein...was sage ich da? Ich liebe sie immer noch, so sehr wie am ersten Tag...an jenem schicksalhaftem Tage als wir uns im Regen begegneten."
Im Regen...Akogaré traf Adokenai das erste Mal im Regen. All die schönen Erinnerung kamen wieder in ihm hoch.
"Was...Was soll das? Woher wissen sie das alles?", fuhr er ihr ins Wort.
"Ein Messer...Ich weiß nicht was mich geritten hat, aber zu unserem letzten Treffen trug ich ein Messer bei mir...immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, es ihr ins Herz zu stoßen...dabei hatte ich keinen Grund dazu. Ich liebte sie...ich betete sie an und trotzdem habe ich sie getötet..."
Der Zweifel an seinen gesunden Verstand wuchs stetig, als er das mit anhören musste.
Bildete er es sich etwa nur ein oder war da wirklich eine Stimme, in der anderen Kammer die alles genau so schilderte, wie er es erlebt hatte...
Schweigend hörte er sich die Beichte weiter an.
"Ich hatte ein Blackout...als ich wieder bei klarem Verstand war, lag sie bereits blutüberströmt am Boden und meine Hände waren bereits besudelt...Ich wollte das nicht...Ich wollte sie nicht töten..."
Begleitet von einem tiefen Seufzen sprach sie weiter.
"Ohne eine Träne zu vergießen, stieß ich es ihr in dem Bauch, ein Schnitt so warm und zart...von kalter Hand gegeben.
Und obwohl sie noch bei Bewusstsein war, unternahm sie nichts...Sie...sie lächelte mich an, mit ihrem traurigen Mund.
Bis zum Schluss glaubte sie an unsere Liebe...bis zum Schluss konnte sie mich nicht hassen...und bis zum Schluss war es mir egal gewesen...erst als sie zu Boden fiel, war mir der Ausmaß meiner grausamen Tat bewusst.
"Was soll das? Wem gehört diese Stimme? Woher weiß sie das alles?"
"Ich bin ratlos...was soll ich jetzt tun?", flehte die Stimme Akogaré unter Tränen an.
"Bin ich krank? Komme ich in die Hölle? Werden sie mir verzeihen? Muss meine Seele auf Ewig einen rastlosen Traum fristen? Bitte sag es mir!", befahl sie ihm mit lauterem, aber immernoch von Tränen bedrücktem Ton.
"Verzeihen...Ich kann mir niemals verzeihen, wie könnte ich es einem Fremden..."
"Sagen sie es mir, ich bin verzweifelt", drang die Stimme.
"Was soll ich tun...meine Gedanken sind träge, belastet von meinen eigenen Problemen..."
"Nun sagen sie es mir schon!"
"Was erwartet diese Person von mir? Ich bin kein Pastor, ich bin der Falsche um darüber zu entscheiden."
Ein verzweifeltes Wimmern zog durch die Kirche.
"Bitte..."
Akogaré schwieg einen Moment, bis er sich endlich dazu durch gerungen hatte, Antwort zu geben.
"Das kann ich nicht...Es ist nicht fair von ihnen eine Antwort auf diese Frage zu erwarten..."
"Also nicht...Sie verzeihen mir also nicht...", entgegnete die Stimme ihrem Gegenüber in großer Sorge.
"Das habe ich nicht gesagt...", versuchte er zu besänftigen.
"Dann bleibt mir nurnoch ein Weg...der des Feiglings..."
"WAS?", Akogaré erschrak.
Langsam verhallte die Stimme, doch bevor sie entgültig verstummte sagte sie noch zwei Worte.
"Der Tod..."
Akogaré konnte nicht fassen, was er da eben hörte.
Ein lauter Schuss hallte durch die müden Gemäuer.
Nicht noch ein Leben, nicht noch ein Leben sollte seinem Verschulden zum Opfer fallen.
Er holte aus und schlug, mit voller Wucht, die Wand des Beichtstuhls mit seinem Ellbogen ein.
Entsetzt starrte er in die Kammer, bereit dem scheußlichen Bilde bei zu wohnen, jedoch...der Beichtstuhl war leer.
Kein Leichnam, kein Blut, nichts nur dröge Einsamkeit.
Schweigend, stierten seine entsetzten Augen in den leeren Raum, Tränen flossen aus ihnen wie kleine Wasserfälle.
Tränen die über den Verlust seines letzten Restes Verstandes trauerten.
Akogaré versank unter seinen zusammen geschränkten Armen...und mit ihm sein Wille am Leben.
Er steckte sich eine Zigarette an und sah schweigend auf den Boden hinab.
Langsam manifestierte sich vor ihm ein Bild seines letzten Ausweges...wie die Stimme bereits sagte:
"Der des Feiglings."
Die Welt um ihn herum schien auf einmal zu verschwimmen.
Alles wirkte so unwirklich, weder wie in einem Traum noch wie in der Realität.
Aus den Wänden flossen rote Tränen, dem Blut ähnlich auf den Boden hinab.
Die Kirche begann zu pulsieren, als hätte sie ein Eigenleben entwickelt, ein dumpfer Herzschlag dröhnte durch das Innere.
Akogaré war es egal, ihm war alles egal. Das Einzige für das er sich in diesem Moment interessierte, war er selbst.
Seine Probleme überschatteten das kranke Geschehen.
Ein starker Sog schien seine Füße zu erfassen und nach unten ziehen zu wollen, in einen tiefen Schlund der Ungewissheit und ihn nie wieder hinaus zu lassen.
Doch Akogaré wehrte sich nicht, seine Kraft sowie seine Lust waren unlängst versiegt. Er wollte den Tod, dieser Schlund konnte ihn diesen beschaffen.
Kaltes Ächzen gequälter Stimmen hallte aus der Ungewissheit, ohne klaren Inhalt aber schienen sie ihn zu rufen.
Er war bereit für seinen letzten Atemzug, sein Kapitel im Buch der Geschichte war abgeschlossen...
Langsam versank sein geschundener Körper in Finsternis.
Immer tiefer versank er, immer mächtiger wuchs die Dunkelheit.
Doch plötzlich hallte wie aus dem nichts eine Stimme.
"Ist dort jemand?", fragte sie.
Seine Augen richteten sich zögerlich zur Seite und sein Blick erfasste eine Person.
Das Blut versiegte im Boden, der Schlund schloss sich und die Rufe verhallten.
Die Kirche wurde wieder zu dem selben sterilen und kalten Gebäude wie vorher.
Anscheinend war sein Kapitel doch noch nicht abgeschlossen, oder wollte das Leben ihn nur noch weiter quälen?
Das Bild vor seinen Augen wurde langsam klarer, die Stimme die ihn vor der Dunkelheit bewahrte, gehörte dem Vater der Kirche.
Ein alter Mann dessen graues Haar langsam immer seichter wurde. Seine Augen waren schon sehr müde und wurden beinahe von der schlaffen und fahlen Haut seines Äußeren begraben. Seine alten Hände zitterten stark und sahen nur ein bischen unter seiner schwarzen Kutte hervor, die mitsamt dem weißen Kragen langsam verblasste, ein würdiger Vater für diesen Ort.
"Ich habe garnicht gehört, dass jemand dieses Gebäude betrat. Sind sie hier wegen einer Beichte?", fragte er freundlich, wahrscheinlich war er nur froh, dass ihn endlich einmal jemand besuchen kam.
"Nein...", antwortete Akogaré verstört, "Nicht mehr..."
"Das ist schön", entgegnete ihm der Vater beruhigt, "Denken sie immer daran, wenn ihnen etwas auf dem Herzen liegt, diese Pforten sind immer geöffnet. Leider gibt es nur noch wenige, die hier her kommen. Es ist sehr schade, in unserer heutigen Zeit in der Hektig, Stress und Machtkämpfe die Gesellschaft beherrschen, finden nur noch wenige Menschen Zeit um in die Kirche zu gehen.
Der Glaube weicht dem Massenkonsum und den Medien. Solange ich noch lebe, werde ich diesen Ort Gottes hüten, doch graut es mich daran zu denken, was danach sein wird."
"Ja ja sicher", versuchte Akogaré ihm aus dem Weg zu gehen, "Ich muss jetzt los, leben sie wohl."
"Sie auch."
Er stand auf und stieß den Vater leicht bei Seite um an ihm vorbei zu gehen.
Sein Gang war dabei sehr verstört und Akogaré fiel es schwer den Ausgang zu erreichen.
Am liebsten wäre er sofort auf den Boden gefallen und nie wieder aufgewacht.
Voller Fragen blickte der Vater ihm noch hinterher, als er langsam durch das schwere Tor wankte und verschwand.
Die kühle Brise der abendlichen Luft war eine Wohltat für Akogarés höllische Kopfschmerzen.
Es war erstaunlich wie ruhig und friedlich die ansonsten so belebte Stadt doch wirkte, wenn sie schlief.
Wie ein Trugbild oder eine Fassade, als wäre es nicht die gleiche, wie jene, in der man Tag ein Tag aus sein Leben fristete.
Und doch...so ruhig es auch schien, tief in Akogaré brodelten die verschiedensten Gedanken, die ihn alle auf einen Weg deuteten.
Genau diesen wollte er auch gehen. Der Schleier der Ungewissheit lichtete sich langsam über ihm, die einst groben Bilder seines Todes wichen immer klareren und deutlicheren, während er ziellos durch die Straßen lief.
Stunden später, in denen er lediglich ziellos um die Häuser striff, kam er wieder daheim an. Sein Zuhause war immer noch das gleiche, triste Gefängnis wie zuvor.
Ein kleines Appartment in einem verdreckten Mietshaus, in einer ebenso verdreckten Gegend.
Es war ein grauer Weg der unauffällig zu seiner Wohnung führte, zwischen Häuserschluchten und Straßen eng hindurch gezwängt.
Akogaré mochte ihn jedoch, es war für ihn, als würde dieser Weg sein Leben und sein Herz zugleich wieder spiegeln.
Einsam, trist, zwar da aber unbeachtet.
Wenn er die Wahl gehabt hätte, wäre er überall eingezogen, aber nicht hier. Doch mit dem Tod seiner Eltern wurde ihm diese Entscheidung abgenommen. Etwas Anderes konnte er sich nicht leisten, das bischen Geld das ihm noch blieb, reichte gerade so aus, um die monatliche Miete zu zahlen und nicht zu verhungern...Ein armseliges Leben, doch für Akogaré währe jedes andere Leben als Mensch nicht minder armselig gewesen.
Den Menschen macht nicht das aus, was er tut oder hat, sondern was er ist.
Langsam schob er den Schlüssel in die Tür und drehte ihn, das Schloss klemmte wie immer ein wenig, doch schließlich gab es erschöpft nach.
Das dumpfe Knarzen der Scharniere war ein gewohntes Zeichen für Akogaré, dass er wieder Zuhause war.
Es war dunkel, das einzige Licht war jenes, welches der bedrohlich wirkende Vollmond verächtlich vom Himmel herab warf.
Im ganzen Haus herrschte toten Stille, die Nachbarn schienen schon längst zu schlafen und auch der ansonsten ständig kläffende Köter, der immer im Hof herum streunte, war nicht mehr zu hören.
Träge wankte er durch den Flur in Richtung Küche, dabei hinterließen seine schmutzigen Schuhe tiefe Abdrücke auf dem trüb- weißen Teppichboden.
Doch was kümmerten ihn jetzt noch ein paar Fußspuren, die waren nun wirklich sein geringstes Problem.
In der Spüle lag immer noch benutztes Geschirr, das Akogaré irgendwann einmal sauber machen wollte und auch den klemmenden Fensterladen wollte er unlängst reparieren.
Quitschend öffnete er die alte Schublade neben dem Kühlschrank in der das Besteck lag.
Wie ironisch, genau aus der selben Schublade hatte er jenes Messer, das vor wenigen Stunden sein verkümmertes Leben den letzten Sinn raubte und nun sollte sie Erlösung von seinem Leiden bieten...Befreiung...
Ein großes Messer, wohl nur selten benutzt, mit einer langen Klinge und sauberem Schliff, fiel ihm sofort ins Auge.
Gierig griff seine zitternde Hand nach ihm.
Er ging ein letztes Mal durch seine Wohnung, aller Abschied fällt schwer, auch ein willkommener mitunter.
Soviele Erinnerungen ruhten zwischen diesen alten Wänden...wenig glückliche dafür umso mehr traurige doch waren es Erinnerungen.
Seine Hand streichte ein letztes Mal über das Bett in dem früher seine Eltern geschlafen haben und das seitdem nicht mehr benutzt wurde.
Akogaré hätte es auch nie jemanden gestattet, darin zu liegen.
Es war noch immer frisch bezogen und hergerichtet, wie an jenem Tag an dem seine Mutter es am Morgen noch schnell gemacht hatte.
Das schwere Ticken der alten Stehuhr im Wohnzimmer verfolgte ihn bei seinem letzten Rundgang durch die Wohnung und gab selbst jetzt keine Ruhe.
Bevor er das Schlafzimmer jedoch wieder verließ, blieb er noch kurz stehen, wollte noch ein letztes Mal in Erinnerungen vergehen.
Er sah still schweigend auf das Bett herab...Dann fiel er unter Tränen auf die Knie.
Mit seiner Faust schlug er auf die Matratze, als wollte er die Wut, die sich in ihm, im Laufe der Jahre angesammelt hatte, mit einem Hieb befreien.
Akogaré presste seinen Kopf fesst gegen das Kissen, auf dem einst seine Mutter lag und flüsterte ihm zu.
"...Ich wünschte du wärst jetzt bei mir...Mama...ich vermisse dich so sehr...dich und Papa...Am liebsten würde ich die Zeit noch einmal zurück drehen...doch das kann ich nicht...es tut mir leid, dich so entäuschen zu müssen...aber...bald bin ich bei euch...bald sind wir wieder zusammen..."
Minuten lag er so da...schweigend...lediglich ein kleines Wimmern war zu hören.
Schließlich stieß er sich von dem Bett ab und verließ das Zimmer.
Auf dem gleichen Weg den er gekommen war, verließ er seine Wohnung wieder.
Ein Weg der nicht nach Morgen führte, bedeckt von der Ungewissheit und der Unklarheit, geleitete ihn hinauf auf das Dach des Appartments.
Es war früh und langsam schien die Sonne aufgehen zu wollen...nicht für ihn...
Er setzte sich auf einen kleinen Mauersimms am Rande.
Noch eine letzte Zigarette angesteckt, noch ein letztes Mal den Sonnenaufgang angesehen, noch ein letztes Mal die Ruhe genossen...mehr wollte er nicht. Fragend blickte Akogaré in den Himmel.
Wieder schossen ihm unzählige Gedanken durch den Kopf.
Leise redete er ein wenig vor sich hin, versuchte Mitleid für sich selbst ab zu gewinnen.
"Ich weiß garnicht mehr wann es angefangen hat...Wann mein Geist angefangen hat zu fahlen...
Was mache ich mir eigentlich vor? Ich bin nichteinmal ehrlich zu mir selbst...Ich verstecke mich hinter Floskeln und einer Fassade die mir nicht gehört...Im Irrglauben dadurch nicht angreifbar zu sein.
Ich bin einsam...Einsamkeit ist das schlimmste Los das einen Menschen treffen kann...
Jedoch...Von all den Dingen die ich verloren habe, vermisse ich meinen Verstand am meißten, ich dachte dass wenigstens er mir nicht genommen werden kann, doch war auch dies nur ein weiterer Trugschluss..."
Langsam kam die morgige Sonne hinter den Wolken hervor und erstrahlte ihren neu gewonnenen Glanz prunkvoll über die Welt.
Der Wind wehte die glimmende Asche von seine Zigarette und trug sie hinfort.
Ernüchtert öffnete er seinen Mund, sodass seine Kippe herunter fiel und sagte ein leises, nicht einmal aufgewühltes:
"Hier endet mein Weg..."
Seine Finger umklammerten fest das Messer und führten es zur linken Pulsschlagader.
Ein kühler Schnitt durch die warme Haut so zart und ernüchternd wie die Erlösung selbst.
Er legte es an, nun brauchte er nur noch zu zudrücken um seinem Leben ein Ende zu bereiten...
Doch fiel es ihm schwerer, als er es sich vorgestellt hatte...
Regungslos saß er da.
Die ersten Autos fuhren über die Straßen, erste Menschen kamen aus ihren Häusern und auch die ersten Läden öffneten ihre Türen.
Der beginn eines ganz normalen Tages, in einer ganz normalen Stadt, ein Tag wie jeder andere auch...das Schicksal eines Einzelnen interessiert in einer konsumgerichteten Massengesellschaft nicht.
Jeder von den Leuten hat seine eigenen Probleme, mit denen sie tagtäglich kämpfen müssen.
Alles was Akogaré immer wollte war Anerkennung...Annerkennung und Beachtung, um die Einsamkeit nicht mehr spüren zu müssen.
Doch was er bekam war nichts dergleichen...Er wollte verstanden werden, hatte aber nie den Mut sich zu öffnen, er wollte Freunde, hatte aber nie den Mut Kontakte zu knüpfen...für all seine Missgunst machte er seine Mitmenschen verantwortlich...doch unbemerkt begann der Hass in ihm, auf sich selbst, zu gedeihen und zu wachsen...bis ins Unermessliche.
Er wusste nicht wie spät es war, vielleicht um sechs, vielleicht um sieben...Zeit war auch nur eine Erfindung der Menschen um effektiver zu Leben...effektiv...War der Mensch unter seiner Hülle nichts weiter als ein Nutztier, dass sich lediglich dadurch unterschied, eigene Gedanken zu hegen?
Gefangen an unsichtbaren Ketten...doch was unsichtbar ist, kann man nicht sehen und was man nicht sehen kann, kann man nicht brechen...
Ein Fluch, der den Menschen anhaftete...einer von vielen.
Akogaré hatte genug nachgedacht, genug gesehen, seine Gedanken waren so klar wie noch nie zuvor in seinem Leben.
Die kalte Klinge küsste behutsam seinen Unterarm, während seine Hand es nach oben zog. Lediglich ein taubes Stechen war zu spüren, bevor aus seinen Adern kochende Tränen glitten. Allmählich verschwammen die Bilder vor seinen Augen und ein Gefühl der Müdigkeit legte sich über ihn. Der Schmerz schoss durch seinen gesamten Körper, seine Kopf hämmerte wie besessen und das Atmen wurde Zug um Zug zu einer unlösbaren Hürde. Es waren Sekunden die wie Stunden schienen, in dem er spürte wie ihn langsam die Kräfte geraubt wurden, dann gaben seine Augen endlich dem unbeschreiblich großen Drang nach Erleichterung nach und schlossen sich.
"Endlich kann ich bei euch sein...Endlich bin ich frei..."
Vor Akogarés Augen erstreckte sich eine endlos scheinende schwarze Wand.
Langsam träufelte Blut an ihr herab. Allmählich benezte es die gesamte Fläche mit einem trüben rot.
"Wo bin ich...was sind das für Schmerzen in meinem Körper...?"
Seine müden Augen richteten sich zögerlich nach unten, angsterfüllt vor dem was dort sein möge. Tiefe, gähnende Dunkelheit erstreckte sich zu seinen Füßen, blutige Rinnsale liefen wie strömende Wasserfälle an der Mauer herab und flossen ins Ungewisse. Ihre helle Farbe war noch ein wenig zu erkennen, bis der gierige Schatten sie vollkommen verschlang.
Plötzlich stürzte Akogaré in die Tiefe. Ein lauter, vergeblich nach Hilfe rufender Schrei begleitete seinen Fall. Es schien als sei die unsichtbare Kraft, die seinen Körper in der Luft gehalten hatte, mit einmal verschwunden.
Um ihn herum ertönte krankhaftes Lachen, wild durcheinander, gefolgt von gepeinigten Schreien und verzweifelten Schluchzen. Seine Ohren vernahmen nurnoch das Zerbersten seiner Knochen im kalten Nichts, bevor er erneut das Bewusstsein verlor.
"................................................................"
Das klirrende Geräusch aufeinanderschlagender Ketten, drang wieder und wieder durch seinen Kopf. Langsam öffnete Akogaré seine Augen, noch war alles sehr verschwommen, vergebens versuchend die verwirrten Gedanken zu ordnen, konnte er jedoch bereits erkennen, dass er in einem dunklen, kellerähnlichen Raum erwacht war und obwohl der gesamte Raum stockfinster war und keine Türe und kein Fenster zu sehen war, wurde er ein wenig von einem rötlichen Nebel erhellt, der in ihm stand.
Dumpfes Stöhnen entfloh seinen Lippen, als sein Verstand langsam anfing, alles wieder zu realisieren.
Als Akogaré aufstehen wollte, bemerkte er, dass Arme und Beine an schweren, rostigen Eisenketten gefesselt waren, sein Blick richtete sich müde nach oben und erfasste, nur schemenhaft, eine Person, die weit entfernt, am anderen Ende des Kellers stand.
"Wer...wer ist dort?", drang ein schwaches Flüstern aus seinen Lippen. Langsam begann die Gestalt, sich auf den gefesselten Akogaré, zu zubewegen. Er versuchte sich von den Ketten los zu reißen, doch weder in seinen Armen, noch in seinen Beinen, konnte er etwas spüren. Der Sturz musste ihm fast sämtliche Knochen gebrochen haben, ein Wunder dass er überhaupt noch die Augen öffnen konnte.
Das Atmen fiel immer schwerer, der Brustkorb drückte zu stark gegen seine Lunge, während die Gestalt immer näher kam.
Mit den Schultern versuchte Akogaré seinen Körper nach vorn zu schmeißen, um so irgendwie die Fesseln aus der steinernen Wand zu reißen, in der sie steckten. Die Bewegung die er dazu machte, wirkte unbeholfen, schon krankhaft gestört, aber auch verzweifelt. Doch die dicken Fesseln rührten sich kein noch so kleines Stück. Sein Herz schlug immer kräftiger und schneller, es war die pure Angst, die es dazu anspornte. Die hallenden Schritte auf dem harten Steinboden wurden lauter und lauter, je näher sie kamen.
Langsam verschwand der schwarze Schleier, der die Person umgab. Die Konturen wurden immer genauerer, die Schritte immer lauter und die Angst immer größer. Obwohl zwecklos, hörte Akogaré nicht auf, sich von seinen Fesseln losreißen zu wollen. Immer schneller und heftiger wurden seine Bewegungen, doch immernoch nicht stark genug.
"Wer ist dort?", schrie er verzweifelt, "Antworte endlich!"
Plötzlich verstummte sein lauter Hilferuf. Mit weit aufgerissenen Augen und offenstehenden Mund erblickte Akogaré die Gestalt die nun vor ihm stand.
Es war er selbst.
"Was passiert hier...was soll dass alles?"
Verachtend blickte Akogaré auf sich herab. Seine Augen waren kalt, sein Gesicht starr.
Akogeré versuchte sich aufzurichten, zu flüchten, sich zu verstecken, doch seine Fesseln hielten ihn gefangen.
Die Angst stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, als er seinen Henker vor sich wusste.
Akogaré wandte sich ab und richtete sich zur Wand. Erst jetzt bemerkte der gefesselte ein großes, hölzernes Kreuz, an dem eine junge Frau hing. Ihre Hände, ihre Füße und ihr Hals waren von großen Nägeln durchbohrt und von ihrem eigenem Blut besudelt.
In ihrer Brust steckte eine lange, schwarze Klinge an deren Griff sich bereits Spinnweben angesetzt hatten und auf der eine dicke Staubschicht lag, ihr kostbarer Lebenssaft darunter war bereits geronnen und kaum mehr als solcher zu erkennen.
Er konnte nicht genau erkennen, wer diese Frau war, ihr Gesicht verbarg sich im tiefen Schatten.
Akogaré blieb vor ihr stehen, griff mit seiner Hand nach dem Schwert und zog es mit einer kraftvollen Bewegung heraus.
Danach strich er mit der anderen Hand über ihre Wange.
"...ich vermisse dich..."
Sein Gesicht wirkte sehr traurig, als er dies sagte, der Blick war anders, als jener dem er sich selbst zu warf.
Mit der Klinge in der Hand lief er erneut auf sein Opfer zu, bereit über es zu richten.
"Asche zu Asche, Staub zu Staub, Blut zu Blut."
Akogaré holte aus bevor er weiter sprach.
"Mögen dir deine Sünden verzeiht werden, möge Gott mit deiner Seele gnädig sein."
Blitzschnell ließ er die Klinge nach unten gleiten, direkt in den gefesselten Leib seiner selbst.
Ein lauter, qualvoller Schrei drang durch den Keller. Der brennende Schnitt hinterließ eine tiefe Wunde in seiner Brust.
Rote Tränen regneten von dem beschmuzten Eisen auf den Boden hinab. Kraftlos hing Akogaré an der Wand herab, den brennenden Schmerz schweigend ertragen.
Sein Richter jedoch war unlängst bereit, ein weiteres Mal sein Urteil zu vollstrecken.
Akogaré stieß das Schwert erneut in seiner Selbst, dieses Mal durchstieß es seinen Rücken, direkt zwischen den Schulterblättern, gefolgt von einem langen, lauten Schrei welcher sich sehnlichst die Erlösung durch den Tod wünschte. Akogaré sackte in sich zusammen, und hing wie geschlachtet an der Wand herab. Seinem kratzenden Husten folgte ein langer Faden Blut, der an seinem Mund herab hing. Der Boden zu seinen Füßen war bereits in einem schmutzigen Rot getränkt, doch ließ er immer noch nicht von sich ab. Seine Augen waren leer, in ihnen steckte kein Willen mehr, kein Leben, nur Besessenheit. Die Besessenheit danach sich selbst zu kreuzigen.
"Wehre dich endlich!", konnte Akogaré eine rufende, aber dennoch leise, weibliche aber auch Wärme und Geborgenheit vermittelnde Stimme tief in seiner Seele hören.
"..."
"Diese Stimme...Ich habe sie schoneinmal gehört, doch das ist schon so lange her..."
"Warum tust du nichts? Warum sitzt du seelenruhig da, während du zu Grunde gehst?", redete die Stimme wieder auf ihn ein.
"Was...was soll ich denn...tun? Ich...bin angekettet und wehrlos..."
Akogarés Richter ignorierte das Gerede seines Opfers, seine Aufmerksamkeit galt ganz sich selbst.
"Zerschlage deine Ketten!", befahl die Stimme.
"Wie?", fragte er hilflos, "...Sie...sind...zu stark."
"Das sagst du nur, weil du es noch nie ernsthaft probiert hast. Sieh in dich! Diese Ketten hast du dir selbst angelegt und das weißt du auch!"
"Habe ich...das wirklich?"
"Ich war immer eine Geißel meiner Selbst, habe nie versucht mein Leben zu ändern. Doch wann begann sie eigentlich, diese Willenlosigkeit, wann begann ich mein Leben nicht mehr zu mögen...Ab wann war mein Leben nichts mehr wert...Ja...Es muss an jenem Tag vor 9 Jahren gewesen sein..."
"Wieso kannst du nicht gegen dein Innerstes gewinnen? Warum hälst du sehr an deiner Vergangenheit fest?"
"Ich versuche es ja...aber ich bin nicht stark genug."
Akogarés Augen wurden glasig, es war nicht nur der körperliche Schmerz, der ihn quälte, als viel mehr der seelische.
"Für all die schlimmen Dinge, die mir widerfahren sind, habe ich immer mich selbst verantwortlich gemacht, mir immer wieder Vorwürfe gemacht...und mich letztendlich selbst zu hassen begonnen."
"Sei nicht so ungerecht zu dir. Du musst dir endlich verzeihen können. Lauf nicht immer davon, stell dich deinen Problemen, verstecke dich nicht vor ihnen! Und vor allem...Hör endlich auf dich selbst zu hassen!"
Akogaré belächelte sein Bemühen mit einem perversen Grinsen, sah es lediglich als weiteren kläglichen Versuch an, sich seiner Vergangenheit zu stellen. Er war bereit, den endgültigen Schlag zu vollführen. Die Hände, die Beine immer noch gefesselt, der Körper geschunden...Doch war es der Weg den er gewählt hatte. Wie die Stimme in der Beichtkammer bereits sagte, der Weg des Feiglings. Der der die Schmerzen nicht mehr ertragen kann, sie nicht mehr ertragen will und sich in die ewige Ruhe flüchtet.
"...Ich bin sicher, dass deine Familie nicht gewollt hätte, dass du diesen Weg wählst..."
Reflexartig blickte Akogaré auf.
"...Meine Familie? Mama...Papa...Daráku-chan..."
In seinen Gedanken kamen all die schönen Erinnerungen wieder zum Vorschein, die er mit ihnen teilte.
"Ihr hattet immer soviel Vertrauen zu mir...Egal was ich tat, ihr habt mir immer verziehen, mir Wärme und Geborgenheit entgegen gebracht..."
Akogaré zögerte damit sich nieder zu strecken, seine Hände begannen zu zittern, die Unsicherheit wuchs schlagartig.
"Was ist nur aus mir geworden...Mama, Papa, Daráku-chan es tut mir so leid..."
Seine Augen bekamen einen schwachen Glanz, wütend sah er sich an.
"Doch damit ist jetzt endgültig schluss!"
"ICH WERDE NICHT STERBEN!"
Die eisernen Ketten wurden von spröden Rissen durchzogen, ihre einstige Macht versiegte, sie zerfielen noch an seinen Armen zu Staub. Seine Wunden wuchsen zusammen, allmählich konnte er auch seine Arme und Beine wieder spüren. Träge hiefte er sich auf, die Hand elegant zur Seite gestreckt.
In ihr manifestierte sich ein langes, hellleuchtendes Schwert. Es war das genaue Pendant zu dem, was seine andere Hälfte führte.
Regungslos blickte sich Akogaré in die Augen. Als würde er auf den richtigen Moment warten, um endlich angreifen zu können.
Sein Körper wurde von der angenehmen Wärme des Schwertes erfüllt, die es verströmte. Dann, wie aus heiterem Himmel, stürmte der geleuterte Akogaré auf sich zu. Ein lauter Angriffsschrei läutete den Kampf ein.
Akogaré trat mit der schwarzen Klinge in eine abwehrende Position, wartend auf die Attacke seines Widersachers. Schnelle Schritte hallten auf dem kalten Boden, gefolgt von einem lauten, hellen Geräusch. Ein greller Blitz blendete für bruchteilen einer Sekunde den Raum. Nachdem er verschwand, lagen die beiden Klingen bereits ineinander, beide versuchten mit aller Kraft, den Anderen weg zu drücken. In ihren Augen spiegelte sich ihre Kampfeslust wider, die Anstrengung war ihnen deutlich in ihren angespannten Gesichtern abzulesen, keiner wollte nachgeben. Allmählich schien Akogaré aus der Verteidigung heraus sein anderes ich zurück zu drängen. Er machte einen kräftigen Satz nach vorn und warf Akogaré zu Boden. Das weiße Schwert fiel ihm aus der Hand und landete mit einem hellen Klang auf dem Stein. Siegessicher marschierte Akogaré auf seine Beute zu, mit den Händen sicher den Griff umklammert, als er es nach oben hob, um die schwarze Klinge direkt nach unten gleiten zu lassen und dem Kampf entgültig ein Ende zu setzen.
Ungewissheit und Verwirrung machte sich erneut in Akogaré breit. War es richtig was er tat? Konnte er wirklich so einfach von einem Moment auf den nächsten sein Leben verändern, auch wenn selbiges von eben jener Entscheidung abhing? War es wirklich so leicht gewesen und wenn ja, warum tat er dies nicht schon viel früher? Wollte er es wirklich oder waren es nichts als leere Floskeln welche er sich selbst eingeredet hatte?
"Endlich" sagte Akogaré erleichtert "nach so vielen Jahren...finde ich endlich Ruhe."
Seine Augen waren weit aufgerissen, auf seinen Lippen lag ein zufriedenes Lächeln, seiner Klinge dürstete es nach Blut.
Mit aller Kraft stieß er das Schwert gen Boden, jedoch rollte sich Akogaré schnell zur Seite, beförderte sich mit einem Satz auf die Füße und nahm sein Schwert sofort vom Boden auf. Das schwarze Schwert seines anderen Ichs steckte fest im Gestein des Bodens, zu stark hatte er es nach unten gestoßen, mit den Händen zog er so fest er nur konnte, doch Akogaré hielt seine weiße Klinge unlängst wieder in Händen und schlug ohne zu zögern seinem Gegner die Arme vom Leibe. Benommen torkelte Akogaré Schritt um Schritt zurück. Röchelnd fiel er zu Boden.
Akogaré stand vor sich, bereit mit der Klinge sein Herz zu durchstoßen, ein elender Anblick, eines schnellen Endes würdig.
"Die Ewigkeit kann warten!"
Der letzte Stich war wie eine Erlösung für ihn. Strömend floss das Blut aus seinem Körper heraus, der Körper war gepfählt durch die lange Klinge, auf seinem Gesicht lag ein vor Schmerz schreiender Ausdruck, doch die Schreie Toter bleiben stumm.
Erschöft ging Akogaré vor dem verstümmelten Leib auf die Knie.
"Es...Es ist vorbei."