Assoziationsgeschichtenwettbewerb 2
Sirius hat folgenden Oberbegriff / Thema gewählt: Lust

bereth sagt dazu: Käsesahnetorte, Penisring
Hylia sagt dazu: Pflichten, Hunger
CAMIR sagt dazu: Vibration, Schokolade
Crowbar sagt dazu: Slaanesh, Leidenschaft
HeyDay sagt dazu: Essen, Langeweile
Senfsamen sagt dazu: Kleptomanie, unersättlich
pondo sagt dazu: Kommune 1, Verrohen

Geronimo

Ich habe in letzter Zeit eine unglaubliche Lust an der Lust. Ich könnte ständig irgendeiner Sache leidenschaftlich verfallen. Dieses ständige mentale Käsesahnetortenessenmüssen. Diese aufdringliche Lebe den Moment!-Neonreklame vor meinem inneren Auge. Die good vibrations an Körperstellen, von denen man vorher noch nicht einmal wusste.
Warum nicht mal in Jogginghose drei Bier einkaufen gehen, einfach weil man Bock hat, auf andere wie ein verlotterter Penner zu wirken?
Und warum nicht zwei Stunden später noch mal bei derselben Kassiererin in Krawatte und Anzug bezahlen?
Warum nicht einfach mal bei schönem Wetter vor die Tür gehen und einen Spaziergang durch seine Wohngegend unternehmen?
Warum nicht heute einfach die ganze Tafel Schokolade auf einmal verputzen?
Warum nicht einfach mal auf Anfragen wie „Heute Abend ist XYZ, kommst du mit?“ unreflektiert mit „Klar!“ antworten, ohne Rücksicht darauf, was morgen sein könnte.
Warum nicht einfach auf Plan B umsteigen, wenn man merkt, dass man mit Plan A auch auf Dauer keine Sonne sieht.

Warum nicht einfach leben?

Ich saß einmal in meiner abgefuckten Lieblingskneipe und diskutierte an der Bar, nach fünf Astra, zwei Whiskey-Cola und drei Bloody Mary, etwas lautstärker mit meiner Freundin darüber, dass Veganismus oft missverstanden wird. Für irgendwas gehalten wird, das in seinem Kern mit dezent realitätsfernen Esoterik-Bionade-Tofukultistinnen zu tun hat. Oder mit misanthropischen skandinavischen Subkulturen, was noch weitaus alberner ist. Nein, nein und nochmals nein! Die Maxime war von Anfang an: Nimm’ so viel Rücksicht auf deine Umwelt, wie es dir möglich ist!
Ich betone: Wie es dir möglich ist!
In Deutschland, dem Land der regelversessenen Wohlfühlbürokratiker, wurde daraus so etwas wie: MIT KÄSEBROT ERWISCHT WERDEN BEDEUTET EINZELHAFT UND LEBENSLANGE ÄCHTUNG. KENNET EURE PFLICHTEN. REGELBRUCH IST TOD.
Dogmatiker aller Länder, vereidigt euch!

Diese ganzen verbiesterten Ernährungsspinner. Alle erschießen. Alle. Kein Wunder, dass es die Leute abschreckt.
Warum nicht einfach: Jeder tut, was er kann.
Es könnte so simpel sein.

Ich sähe ja auch eh nicht so aus, hieß es mal. Dürre Männer mit Glatze leben fleischlos. Sonst niemand. Mangelerscheinung, Mangelerscheinung, Mangelerscheinung! Der isst doch heimlich Schnitzel! Der ist doch gar ni—

Ich will mich nicht aufregen.
Bahnfahren wird auch immer teurer.
MANN ICH HAB’ FIXKOSTEN. ICH MUSS PENDELN.

…jedenfalls, ich sprach also in dieser Kneipe mit ihr darüber. Laut und zum Teil vulgär. Das tue ich manchmal. So bin ich halt drauf. Da rief mir vom Tisch an der Eingangstür ein Trunkenbold zu: „Fang an zu leben, du Öko!“
Ich überlegte, ob ich mich eher degradiert fühlen soll oder nicht vielleicht doch eher missverstanden Ich entschied mich mit großer Mehrheit für letzteres und verkniff mir ein Alleine saufen hat nix mit Leben zu tun! in seine Richtung, während mein kritisches Inneres hart mit mir ins Gericht ging und mich fragte: Hast du das Gefühl, im Leben etwas verpasst zu haben?
Ich antworte: Nein. Ich nehm’ doch alles mit, was geht. Partys, Konzerte, versoffene Abende mit Freunden, durchgemachte Nächte mit guten Gesprächen und zu viel Kaffee, generell: Instinktives, unüberlegtes, spontanes Ja!-Sagen, absoluter Heißhunger auf das volle Leben mit all seinen Ecken und Kanten. Nein, ich habe nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Ich habe eher das Gefühl, dass andere etwas verpassen.
Mein kritisches Inneres schweigt. Schachmatt.

Ich stehe unter der Dusche.
Der Anblick meines eigenen durchschnittlichen Körpers, an dem ich gerade hinabsehe, macht mich überdurchschnittlich geil. Etwas mehr Sport würde dir nicht schaden, sagt mein innerer Fitnessberater zu mir. Meine Freundin liebt mich auch so!, schnauze ich zurück. Da ist sie übrigens die erste. Ich habe ihr letztens eine Karte geschenkt, auf der so was steht wie „Die Liebe will, dass wir den Partner so akzeptieren, wie er ist. Und nicht so, wie er irgendwann später einmal vielleicht sein könnte, wenn ich ihm alles abgewöhnt habe, was mich an ihm stört.“

Ist euch das eigentlich schon einmal aufgefallen.
Dieser Teufelskreis.
Männer in meinem Alter, sofern man da schon von Alter sprechen kann, heucheln falsche Männlichkeit, über die sich nicht annährend verfügen, um knallhart oder anderweitig souverän zu wirken. Frauen fallen darauf rein und stellen am Ende fest, dass es sich dabei doch nur um ein emotional verkrüppeltes Riesenbaby handelt. Es folgt die Ballade vom Verlassenwerden. Das ist für Frauen übrigens eine doppelte Enttäuschung, da sie erfahrungsgemäß dazu tendieren, in Männern Traumprinzen auf weißen Pferden zu sehen. Gibt’s nicht. Ist ausverkauft. War schon immer ausverkauft. Nie im Handel erhältlich gewesen. Die meisten Frauen wollen ihre Männer erziehen. Ist zum Scheitern verurteilt. Ach, und wo ich schon beim Thema bin: Meine Exfreundin hat mich mal für „lebensunfähig und weltfremd“ (sic!) erklärt, weil ich blamabel daran gescheitert bin, einen Dosenöffner zu bedienen. Dazu im direkten Vergleich: Meine jetzige Freundin sagte zu mir „Natürlich hast du da Schwierigkeiten, als Linkshänder ist das kniffliger, du musst das spiegelverkehrt machen“, zeigte mir, wo mein ewiger Fehler lag und zack. Funktionierte.
War eine Sache von nicht einmal zwei Minuten.

Nicht einmal zwei Minuten.

Das Leben kann so einfach sein. Mit den richtigen Menschen an seiner Seite. Man fühlt sich wie auf Wolken oder frischer Butter oder so ähnlich. Alles ist erlaubt und irgendwie einfach. Gute Gespräche, guter Sex, gute Zeit. Irgendwo abseits der Großhirnrinde vögelt sich meine innere Kommune 1 voll freie-liebe-mäßig die ewig gleiche Alltagsödnis aus der Birne. Man kann um sich kratzen und beißen, wie man will. Irgendwann holt einen die Realität ja doch ein. Also wird man am besten direkt Kleptomane in Sachen Leben und nimmt alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Exzentrik bis zum Exzess! Da kann sich Langeweile erst gar nicht einstellen, wenn man an jeder Ecke etwas Faszinierendes für sich entdeckt.
Six billions souls and one urge to live.

Ist es nicht eine Lust, Menschen kennenzulernen? Es ist tatsächlich die größte, die ich kenne. Selbst dann, wenn der derjenige sich als Vollpfeife entpuppt. Es ist einfach dieser Adrenalinrausch, dieser Nervenkitzel, wenn man sich langsam an den Charakter, an die Persönlichkeit des Gegenübers herantastet. Ich liebe das. Und deshalb liebe ich irgendwie auch die Menschen. Selbst die, mit denen man nichts anfangen kann, die womöglich sogar verflucht unsympathisch erscheinen, verraten dir enorm viel. Über sich und über dich.

Wer unersättlich einatmet, was ihm jeder neue Tag vor die Füße wirft, hat einen großen Vorsprung gegenüber denen, die sich der Welt verschließen.
Wer das Leben genießt, lässt all jene hinter sich, die sich über ihn das Maul zerreißen. Mit meilenweitem Abstand.
Und das Lieben nicht vergessen.

In diesem Sinne verbleibe ich also mit einem Zitat des großen Berti Vogts, der da einst sagte:
"Wenn ich übers Wasser laufe, dann sagen meine Kritiker, nicht mal schwimmen kann er..."