Kind der Rache

Autor: Kim


Kapitel 1


Das Schloss stürzte ein. Die Türme fielen ineinander, die dunklen Mauern gaben unter lautem Getose nach, die Holzbalken ächzten als sie zersplitterten. Steine rieselten wie pechschwarze Sterne in den Lavasee, der an der frischen Nahrung leckte. Die schwebende Burg des Großmeisters des Bösen war gefallen. Wurde zerissen von seiner eigenen Macht, von seiner Wut und seinem Hass. Die herabfallenden Trümmer zerstörten Wände und Tore. Und erschlugen die Kreaturen, die noch immer durch die Burg irrten, auf der Suche nach ihrem Herrn, auf der Suche nach dem Ausgang, auf der Suche nach Rettung. Nur die, für die das Schloss einstürzte, deren Köpfe die Trümmer hätten einschlagen sollen, die waren entkommen. Zelda, Prinzessin und rechtmäßige Thronfolgerin von Hyrule und die letzte der sieben heiligen Weisen, und Link, der Held der Zeit, der Bezwinger des Bösen, waren der einstürzenden Hölle entkommen. Sie standen am Rande der einstürzenden schwarzen Burg und sahen dem Schauspiel zu. Sie konnten von der schwebenden Insel nicht fliehen, denn die Regenbogenbrücke der Weisen, über die Link über den Lavasee gelangt war, war erloschen. Sie waren alle geschwächt, der Kampf hatte ihnen so viel Kraft geraubt. Die Burg zerbarst und lies nichts zurück als ein Trümmerfeld, eingehüllt von schwarzem Staub. Link brach erschöpft zusammen. Zelda tupfte ihm mit dem Saum ihres Kleides den Schweiß und das Blut vom Gesicht. Er ließ es sich gut tun sie neben sich zu haben, sie zu spüren, nachdem sie so lange getrennt gewesen waren. Sein Herz raste noch immer. Navi flog wild um ihre beiden Köpfe. „Wir haben es geschafft!“, piepste sie. „Endlich haben wir wieder Frieden!“ Link und Zelda sahen zu ihr auf und lächelten sich zu. Navi hatte Recht, nun war alles gut. Das Schloss Hyrule stand nicht mehr, doch sie würden ein Neues bauen. Größer und prächtiger als zuvor. Zelda ergriff seine Hand. Ihre Haarspitzen waren versenkt, ihr Kleid schmutzig und blutig und ihr Gesicht und ihre Arme zählten Unmengen an Schrammen. Doch nie schien sie Link schöner gewesen zu sein als jetzt. „Link.“, flüsterte sie mit ihrer schönen Stimme. „Es tut mir so leid! Ich habe dich in alles mit hinein…“ Er legte ihr den Zeigefinger an die Lippen und sie verstummte. „Sag jetzt nichts!“, forderte er sie auf und seine Lippen kamen den ihren immer näher. Wie ein junges Mädchen errötete sie und schloss die Augen. Es würde ihr erster Kuss sein, nach so vielen Jahren der Sehnsucht – Jäh gab es ein lautes Geräusch. Sie erschraken sich beide und blickten in das Trümmerfeld hinein.

Nichts. Es lag noch immer unbewegt da, der Staub der Zerstörung schwängerte noch immer die Luft. „W…was war das?“, stotterte Navi und zitterte am ganzen kleinen Leib. Schwerfällig erhob sich Link. Seine Augen suchten die Insel voller Überreste einer gewaltigen Macht ab. Es war wieder still, vollkommen still. Doch durch Link fuhr ein Schauder, der sich in seinem Magen festsetzte. Er hatte kein gutes Gefühl und seinem Gespür konnte er vertrauen, es hatte ihn noch nie im Stich gelassen. Entschlossen zog er sein Masterschwert vom Rücken und trat einen Schritt nach vorn. „Nein, Link!“ Zelda packte ihm am Arm. „Geh nicht! Es ist vorbei! Das war bestimmt nur ein Wandrest, der zusammengefallen ist. Mehr nicht!“ Sanft aber bestimmt löste er die schneeweißen Finger von seinem Oberarm. „Bitte, Link! Bitte!“ Die Prinzessin hatte Tränen in den Augen. Link drehte sich zu ihr um und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, was sie verstummen ließ. „Wenn es nur eine einstürzende Wand ist, dann bin ich gleich wieder da, Zelda!“, sagte er zu ihr und lächelte ihr entgegen, mit einem Lächeln, das nur der Held der Zeit beherrschte. Ein kindliches und doch so mutiges Lächeln. „Komm, Navi!“ Zusammen mit seiner treuen Gefährtin zog der grüne Ritter auf das Trümmerfeld. Die Prinzessin blieb alleine zurück, eine Hand auf die Stelle gelegt, auf der sie noch immer meinte die Lippen ihres Geliebten zu spüren. Link trat in die Mitte des Trümmerfeldes. Es war still. Nichts rührte sich mehr. Aufmerksam schritt er über den Platz, die linke Hand fest um den Griff des heiligen Schwertes geklammert. Navi flog unsicher über seinem Kopf.

Hatten sie wirklich etwas gehört? Hatten sie sich das Geräusch nicht bloß eingebildet? War es nur ein letztes klägliches Stöhnen der zerstörten Burg gewesen? Link schritt auf einen Schutthaufen zu. Von dort war der Lärm gekommen. Er blieb davor stehen und atmete tief ein. Er war angespannt. Still war es noch immer. Es war nichts. Nur Trümmer. Sie hatten sich geirrt. Erleichtert atmete er aus. „Es ist alles in Ordnung.“, entgegnete er der nervösen Fee. „Lass uns endlich gehen.“ Navi stimmte ihm zu. Sie wandten sich ab. Ab vom Trümmerhaufen, dessen Wände nicht eingestürzt waren. Dessen klagende Worte nicht Worte sterbender Wände waren. Ein Gebrüll zerschnitt die Luft. Kreidebleich blieb Link stehen. Hinter ihm bebte die Erde. Entsetzt wandte er sich um und musste zusehen, wie sich die Wände krächzend erhoben. Ein Keuchen, so dunkel wie das eines riesigen Bären, kam aus dem Inneren. Er packte sein Schwert noch fester und spürte doch, wie ihm die Hand zitterte. Dann wurden die Trümmer von einer gewaltigen Kraft in alle Richtungen hinweggeschleudert und eine schwarze Gestalt erhob sich in die Lüfte. Es war Ganondorf. Er hatte überlebt… Aus seinem Rachen kam das Keuchen. Er war nicht mehr zu Worten im Stande, denn er war nicht mehr er selbst. Kein Mensch mit schwarzer Macht, sondern purer wilder Zorn. Seine Augen leuchteten rot und seine Brust hob und senkte sich in einem unmenschlichen Tempo. Link sah zu seinem Erzfeind hinauf. Er wusste, dass er fliehen musste, dass er der enormen Macht seines Feindes nicht gewachsen war, und doch wollten seine Füße dem Kopf nicht Folge leisten. Sie blieben wie an den Boden gewurzelt. Nein! Das konnte nicht sein! Ganondorfs hob die rechte Faust. Noch immer glänzte das Triforcefragment der Kraft auf dessen Rücken. Der Quell seiner Macht. Verunreinigt durch seinen Hass. Link hielt ihm die Spitze des Masterschwertes entgegen, gefasst auf einen Angriff, auf einen weiteren Kampf. Doch was danach geschah, damit hatte Link niemals rechnen können. Ganondorfs Körper zog sich zusammen und er schrie vor Zorn, vor Demütigung und vor Schmerz auf. Sein Körper leuchtete. Weißes Licht durchsetzte alle seine Glieder und ließ sie brennen. Seine Macht konzentrierte sich nicht wie sonst außerhalb seines Körpers, sondern direkt in ihm. Der Schmerz zerriss ihn. Zerriss seine Seele, zerriss seinen Leib. Nur darauf aus ihm die Stärke zu verleihen, nach der es ihn verlangte. Dann stieß er die Macht frei und sein Körper löste sich. Es war kein Menschenkörper mehr, sondern eine schwarze Masse, die wuchs und wuchs. Link starrte voller Furcht auf diese Macht. Er war außerstande zu fliehen, geschweige denn sich zu verteidigen. Die Masse formte sich. Aus ihr wurde ein riesiger Bestienleib. Ein Schwanz spross aus dem hinteren Teil, ein gepanzerter Rücken, gewaltige Beine und Arme, ein Rumpf wie ihn nur die Riesen hatten, die längst ausgestorben waren, und der Kopf einer Höllenkreatur. Eines Bullen und eines Schweins. Mit den Hörnern eines Elefanten. Die Kreatur schrie ihm entgegen mit ihrem heißen und fauligen Atem. Dann wuchsen sie mitten in ihren Händen. Die Zwillingsäxte, so gewaltig wie ein ganzer Baum. Erst als die Bestie eine Axt hob und auf ihn herniederstieß, da schrie Navi vor Angst auf und Link erwachte aus dem Grauen. Er sprang zurück. Die Axt selbst hatte ihn verfehlt, doch die Wucht, mit der die Bestie schlug, riss ihn von den Füßen. Aber Link hatte keine Zeit sich vor dieser bestialischen Macht zu fürchten. Denn die zweite Axt sauste auf ihn hernieder. Dieses Mal war er vorbereitet. Er wehrte sie mit der heiligen Klinge ab. Das Masterschwert in seiner Hand begann zu leuchten. Die helle Macht wehrte die dunkle Macht ab und schützte ihn davor in tausend Stücke gerissen zu werden. Er hielt der Bestie stand, die einmal ein Mensch gewesen war. Doch Ganondorfs Zorn und Hass waren unermesslich. Die Kreatur schrie und schwang die andere Axt herum. Erschrocken wich Link zurück – er konnte der Kraft nicht standhalten. Die Bestie bekam, was sie wollte. Das Masterschwert wurde Link aus der Hand gerissen wie die Samen aus der Pusteblume. In hohem Bogen wirbelte die heilige Klinge durch die Luft.

Sie stieß vor Zelda in den Boden. Die Prinzessin schrie vor Furcht um ihn. Denn nun war Link dem Monster wehrlos ausgeliefert. Link wich den Zwillingsäxten aus, die die Luft zerschnitten. Der Wind riss ihn davon und die Erde zerplatzte unter der gewaltigen Brutalität wie eine eitrige Wunde. „Link! Link!“, schrie Navi. Aber Link hatte nur Augen für sein Schwert. Die Kreatur hatte einen schweren Leib, sie war zu langsam. Das war sein Vorteil. „Zelda!“, schrie er mit ganzer Kraft. „Wirf mir das Masterschwert her!“ Das war sein Fehler gewesen. Er hatte nicht gewusst, dass noch immer so viel Menschliches in dem Monstrum steckte, dass es seine Worte verstand. Denn als Zelda mühevoll das Schwert aus der Erde riss und es ihm zuwerfen wollte, da schossen hohe Flammen aus dem Boden und bildeten einen undurchdringlichen Kreis um sie. „LIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIINK!“ Er rollte sich weg, als die Axt genau an der Stelle in die Erde drang, wo er gerade noch gelegen hatte. Das Monster war einfach zu stark. Es war übermächtig. Er hatte keine Chance! Nicht ohne das Masterschwert! „Link sieh doch!“, kreischte Navi. Und erst da lauschte er den Worten seiner Gefährtin. „Der Schwanz! Sieh doch! Er ist aus Glas!“ Link blickte auf den hin und her schleifenden Schwanz der Kreatur. Und tatsächlich! Er leuchtete gläsern. Das ist sein Schwachpunkt!, dachte Link. Das muss er sein! Das ist meine einzige Chance! Er sprang auf die Beine und holte das schwere Relikt der Goronen hervor. Den Feuerhammer. Damit hatte er schon einmal eine gewaltige Bestie getötet! Es musste ihm einfach wieder gelingen! Mit einem Schrei stürzte er sich auf die Bestie. Die Bestie grunzte vor Freude, dass ihre Beute sich ihr so freiwillig auslieferte. Die Zwillingsäxte hob sie in die Höhe um sie auf ihren Feind zu schmettern, doch Link war schneller! Er rollte sich zwischen den Beinen des Monstrum hindurch zum Schwanz. Die Spitze leuchtete in den prächtigsten Farben. Wäre sie nicht ein Teil dieser Bestie, Link hätte dieses Farbenspiel als schön empfunden. Doch die Abscheu vor der Kreatur war stärker als jegliches ästhetisches Empfinden vor der Kristallspitze. Darum schmetterte Link ohne jede Gnade seinen Hammer auf den Kristall. Mit einem lauten Klirren zerbarst er in winzige Scherben. Die Kreatur schrie vor Schmerz auf. Die Magie war gebrochen. Das Feuer erlosch. „Link!“, schrie Zelda. Sie schwang das Schwert herum um genügend Schwung zu erzeugen, dann schleuderte sie es Link entgegen. Mit einer Leichtigkeit gelangte das Schwert in die Hand seines Meisters. Die Kreatur fuhr ihre Zwillingsäxte herum, doch Link war wieder der Held der Zeit. Seine strahlende Macht traf auf die dunkle des Monstrums. Die Bestie schrie. Link fuhr herum und schlug mit dem Masterschwert zu. Er trennte der Bestie mit einem Schlag die rechte Hand ab. Blut ergoss sich auf dem Boden. Der Schmerz ließ die Höllenkreatur erzittern. Mit voller Wut hob sie den anderen Arm. Doch sie konnte nicht mehr zuschlagen. Denn in diesem Moment traf ein gleißendes Licht das Monster in den Rücken. Es fiel auf die Knie. Es war Zeldas Macht. „Link!“, schrie Zelda. „Ich kann ihn nicht mehr lange halten! Gib ihm den letzten Stoß!“ Link war bereit. Er hob das leuchtende Masterschwert, durchdrungen von seinem Mut. Mit einem Schrei stieß er der Bestie das Schwert in den Leib. Es schrie nicht. Es war leise. Wie die Zeit selbst… Mit letzter Kraft erhob sich Zelda. In ihren Händen bündelte sie ihre Macht. „Oh, ihr Weisen, hört mich an! Lasst uns das Tor zur Unterwelt öffnen und unseren Feind entgültig dorthin verbannen! Auf dass er Hyrule niemals wieder ins Verderben schicken kann!“ Das letzte Wort schrie sie, ehe sie vor Erschöpfung zusammenbrach und auf die Erde fiel… Doch die Weisen hatten sie erhört. Rauru, der Weise des Lichts, Salia, die Weise des Waldes, Darunia, der Weise des Feuers, Ruto, die Weise des Wassers, Impa, die Weise der Schatten und Naboru, die Weise der Geister. Sie erhoben sich aus der Halle der Weisen im Lichttempel und bündelten ihre letzten Kräfte. Ihre Lichter stiegen in die Höhe, um miteinander zu verschmelzen, eins zu werden um eine Macht zu erwecken, die die Welt niemals gesehen hatte. Die bunten Lichter explodierten und wurden zu einem strahlend weißen Licht, so voller Macht, dass es fähig war den Großmeister des Bösen entgültig zu vernichten. Es war das Tor zur Unterwelt. Strahlendweiß erhellte es den Himmel über dem Lavasee. Link und Zelda und auch Navi mussten sich die Augen zuhalten um nicht geblendet zu werden. Das Licht aber schoss seine Hände auf die Teufelskreatur hernieder, die unfähig war sich zu wehren, weil die heilige Klinge ihm im Herzen steckte.

Das Herz war geläutert, das schwarze Blut verschwunden, die Bestie hatte sich davon gelöst. Es war Ganondorf, der aus dem Leib, den er vor Zorn geschaffen hatte, gerissen wurde. „Nein!“, schrie er ins Nichts. Immer und immer wieder: „Nein! Nein! Nein!“ So durfte es nicht enden! Seine Macht durfte nicht gebrochen sein! Er war der Großmeister des Bösen, der Mächtigste auf Erden! Ihm gebührte die Macht! Ihm gebührte Unsterblichkeit! Ihm allein! So durfte er nicht enden! Niemals! Darum wandte er einen uralten und längst vergessenen Zauber an, der von seinem Volk entwickelt worden war und niedergeschrieben, als die Zeit noch so jung war wie gerade geboren. Dieser Zauber war längst vergessen, weil er nie vervollkommnt werden konnte, doch heute war es so weit. Er hatte ihn vervollkommnt. Er allein! Weil er der Mächtigste war! Er riss sich ein Stück von sich selbst heraus, aus seiner Seele ein winziges Stück, jenes Stück mit dem Triforcefragment der Kraft, um es zurück zu lassen, um es wachsen und gedeihen zu lassen. Um einen Weg zurück in diese Welt zu finden und sich letzten Endes das zu nehmen was ihm als Herrscher der Welt zustand! Dann wurde sein Inneres von dem weißen Licht verschlungen, gesogen in die Unterwelt, wo es kein Entrinnen gab. Wo sich das Tor niemals zweimal für ein und dieselbe Person öffnete. Niemals zuvor – bis zu dem Tag an dem ihm sein Gefäß zurückholen würde… Das Licht erlosch. Es war vorbei. Entgültig. Zelda rutschte auf die Knie. Sie hatte Tränen in den Augen. „Ist es vorbei? Ist es endlich vorbei?“ Sie hatte so viel Leid durchgestanden! Auch Link war erschöpft. Er war nicht ganz glimpflich davon gekommen. Sein rechtes Bein hatte etwas abbekommen. Dennoch quälte er sich auf die Beine. Das Masterschwert steckte noch immer in dem Monstrum. Von dem Monstrum war nichts zurückgeblieben, bis auf die Haut. Das dicke Fell, die eingefallene Fratze, die leeren Augenhöhlen. Denn der Körper hatte nicht zum Menschen gehört, der gerade in den Hades verband worden war. Er humpelte zu seiner Prinzessin hinüber und nahm sie in den Arm. Dass sie schmutzig und schweißgebadet war störte ihn nicht, denn er war noch schmutziger und noch schweißgebadeter. Sie war so erleichtert, dass sie sich in seiner Schulter vergrub und sich ausweinte. Sie hatte so viel durchgemacht. Sie hatte aus dem Schloss fliehen müssen, während Ganondorf die Stadt hatte niederbrennen lassen. Während er den König von Hyrule, ihren Vater, ermordet hatte. Sie hatte sieben Jahre auf ihn warten müssen, während er im Dunkel der Zeit geschlafen hatte. Um sich nicht zu verraten hatte sie sieben lange Jahre Ganondorfs Diener spielen müssen. Und jetzt war sie von ihm entführt und benutzt worden. Bis jetzt hatte sie die pure Todesangst ständig an ihrer Seite gehabt. Sieben Jahre lang. Link küsste ihr Haar. „Jetzt ist es vorbei! Entgültig, Zelda! Glaub mir!“ Sie krallte sich in sein Hemd. „Versprich es mir, Link! Versprich es mir!“ Er drückte sie an sich. Er wollte es ihr versprechen, er wollte ihr sagen wie sehr er sie liebte, er wollte ihr sagen, dass er mit ihr den Rest seines Lebens verbringen wollte, egal wie lang oder kurz dieser sein würde. Er wollte, aber er konnte nicht… Denn wieder zerschnitt ein Geräusch die Stille. Sie fuhren auf. Es war ein Schreien. Das Schreien eines Kindes. „Da bewegt sich was!“, kreischte Navi. „Da bewegt sich was!“ Sie blickten zu dem Überrest der Höllenkreatur hinüber. Es war nur noch ein Haufen Haut mit Fell. Doch im Bereich des Bauches bewegte sich etwas! Daraus drang die Kinderstimme. „Was ist das?“, flüsterte Link. Doch Zelda war noch immer an ihn geklammert und zitterte vor Furcht. „Der Bann hat nicht funktioniert! Er hat nicht funktioniert! Ganondorf ist noch immer da!“ Link erhob sich. „Nein, Link! Bitte! Er wird dich töten!“ Doch Link hörte ihr nicht zu. Er riss sich von ihr los und trat zu dem bebenden Überrest. Etwas strampelte darin. „Was ist das nur?“, fragte Link. Zelda und Navi hielten den Atem an, als er nach dem Masterschwert griff. Es saß noch immer locker und gehorsam in seiner Hand, als hätten sie eine weitere Mission, für die sie sich gemeinsam rüsten müssten. Damit schnitt er die Haut auf. In ihr war nichts mehr, es war als hätte man der Kreatur einfach die Haut abgezogen. Nichts lag mehr darin? Nicht ganz. Denn darin lag das schreiende Etwas. Link warf den Hautfetzen beiseite. Das fade Licht des herannahenden Morgens fiel darauf. Es war ein Säugling. Ein winziger blut- und schleimüberzogener Körper, der brüllte und weinte in seinem eigenen Elend. „Was ist das?“, hauchte Zelda und trat heran. Doch als sie den Jungen sah, den schmutzigen Körper, die dunkle braune Haut und die leuchtendroten Haare am Kopf, da wurde ihr übel. Auf dem Bauch! Dieses Kind hatte keinen Bauchnabel! „Er ist es!“ Es schüttelte sie am ganzen Leib vor Ekel und Angst. „Er ist dem Jenseits entkommen!“ Sie stützte sich an Link. „Bitte, Link! Töte es! Ich flehe dich an!“ Link riss sich los. „Nein!“

Er beugte sich hinunter und hob es hoch, trotz des vielen Blutes und des Schleimes. Es war, als wäre es wirklich gerade erst geboren worden. Hätte die Nabelschnur nur nicht gefehlt. „Link!“, schrie Zelda und brachte das Junges nur noch mehr zum Weinen. „Das ist er! Das ist Ganondorf!“ Link zog sein Hemd aus und wickelte den Jungen darin ein. „Woher willst du das wissen? Ganondorf ist tot! Er ist ins Jenseits verbannt worden! Er kann nicht zurückkehren!“ „Und wenn er es doch geschafft hat? Ist dieser Junge, der genauso aussieht wie er, nicht der beste Beweis dafür?“ Sie versuchte ihm den Säugling aus den Händen zu schlagen. Ihr Hass war so groß, dass sie nicht klar denken konnte. Link drehte sich von ihr weg und drückte den Jungen an sich. „Hör auf damit, Zelda! Er ist ein Kind! Er ist nur ein kleines neugeborenes Kind! Er kann unmöglich Ganondorf sein!“ „Ja, jetzt noch! Aber was ist in zwanzig Jahren? Dann wird alles wieder von vorne anfangen!“, schrie Zelda ihn an. „Nein, Zelda! Das wird es nicht!“ Link sprach mit leiser, versöhnlicher Stimme. „Er ist nicht Ganondorf, glaub mir!“ Zelda rang nach Atem. Sie war verstummt, doch ihre Augen blickten hasserfüllt auf das grüne Bündel an Links Brust, das noch immer brüllte.

Kapitel 2

Naboru musterte den Säugling, der brav schlafend in seiner Krippe lag, lange und sorgfältig. Er wirkte so unschuldig und friedlich in seinen Windeln und den Tüchern, in denen er eingewickelt war. Doch sah man ihn nackt, sah man seinen Bauch so ohne Bauchnabel, da jagte es einem einen Schauder durch den Leib. Und besah man sich die rechte Hand, mit dem winzigen goldenen Dreieck, kaum zu erkennen, glaubte man kleine Nadelstiche durchbohrten einem die Haut. Der Junge war jetzt elf Tage alt. Seine Haut war bleich geworden, weil er seit elf Tagen hier in dieser Kammer in Impas altem Haus in Kakariko lag, verborgen vor aller Augen. Erst gerade eben hatte er die Gelbsucht hinter sich gebracht, die fast alle Neugeborenen befiehl und viele von ihnen dahinraffte. Doch dieser kleine Kerl hatte sie überstanden. Er war etwas mager, aber sein Gesicht war hübsch und voll.

Sie fand ihn trotz allem niedlich. Trotz der Sorgen, die die Weisen äußerten, trotz des Hasses, der aus Zelda sprach, trotz der Tatsache, dass sein feuerrotes Haar sie an Ganondorf erinnerte. Ganz leicht stecke sie ihm ihren kleinen Finger in den Mund. Sofort begann er daran zu saugen. Er verhielt sich ganz normal, wie jedes Kind in seinem Alter. „Wenn du einen Sohn hättest haben wollen, warum hast du dann nicht Ganondorf gebeten dir einen einzupflanzen?“, lachte Darunia, der neben sie getreten war. Sein Lachen schreckte den Kleinen auf und brachte ihn zum Weinen. Sogleich hob die Amme das Kind aus der Krippe und wiegte es leicht. Es war schwer gewesen sie aufzutreiben. Wem hatten sie auch trauen können? Bis Naboru eine ältere Frau aus ihrem Stamm, dem Stamm der Gerudos, von dem auch Ganondorf abstammte, aufgetrieben hatte, die gerade erst aufgehört ihr eigenes kleines Kind zu stillen und sich bereit erklärt hatte ohne Fragen zu stellen dieses anzunehmen, bis es nicht mehr gestillt werden musste. Gerudofrauen stillten ihre Kinder eigentlich bis zum vierten Lebensjahr, doch diese hatte extra für Naboru schon jetzt (ihr Kind war gerade zweieinhalb Jahre) aufgehört es zu stillen um sich um dieses Fremde zu kümmern. „Was fällt dir ein so etwas zu sagen!“, faucht Naboru ihren Freund an. „Ich bin nicht aus Liebe oder Hingabe oder Treue Ganondorfs Frau geworden! Er hat mich erwählt, weil er wusste wie sehr ich mich dagegen sträuben würde! Er hat mich zur Frau genommen um mich zu demütigen. Auf alle mögliche Art, wie ein Mann eine Frau demütigen kann, hat er mich gedemütigt! Zur Frau gemacht hat er mich und sich dann mit Huren vergnügt! Weißt du wie sehr ich in meinem eigenen Volk in Schande geraten war?“ Darunia hob verteidigend die Arme. „Hohoho, so war das doch nicht gemeint. Das weißt du doch, Naboru.“ „Dann rede, verdammt noch mal, nicht solchen Mist!“ Das Gesicht wurde Darunia ganz lang und mit jedem Wort wurde er kleiner und kleiner. Bis er nur noch verschüchtert von sich gab: „Der Rat der Weisen ist jetzt vollständig, wir sollten…“ Naboru sah ihn noch immer scharf an. „äh, sollten uns jetzt zu ihnen gesellen.“ Die Nase hoch erhoben lief sie an ihm vorbei und stieg die schmale Treppe ins Erdgeschoss hinunter, dort wo die Weisen sich bereits um den großen runden Tisch versammelt hatten. Auch sie und der Weise des Feuers setzten sich dazu. Link räusperte sich. „Lasst uns mit dem Rat beginnen. Ihr wisst natürlich, dass es um den kleinen Jungen geht, den ich und Zelda in der Haut der Höllenbestie gefunden haben. Also, weiß irgendjemand was hier vor sich geht?“ Alle schwiegen.

Link legte die Fingerspitzen aneinander. „Das habe ich mir gedacht. Ihr seid so ratlos wie ich.“ Er rieb sich die müden Augen. Er hatte seit vielen Tagen schon nicht mehr richtig geschlafen. Und jetzt, da Ganondorf für immer verschwunden war, hatte er gedacht er würde tagelang schlafen um die versäumte Ruhe nachzuholen. Doch wie denn, mit diesem seltsamen Kind? Er hatte fortfahren wollen, doch bevor er das konnte, erhob sich Zelda. Sie erhob sich so schnell und entschlossen, dass der Hocker, auf dem sie gesessen hatte, krachend umfiel. „Ich bin immer noch dafür, dass wir ihn töten! Er ist Ganondorf und je früher er stirbt desto besser!“ Niemand stimmte ihr zu. Doch auch niemand widersprach ihr. „Warum sagt ihr nichts?“, keuchte sie verzweifelt. „Warum sagt ihr nichts dazu, dass Ganondorf noch immer unter uns weilt?“ „Zelda, es ist ein kleines Kind!“, versuchte Link sie zu beruhigen und auch das Kind zu verteidigen. Nun war es Zelda, die sich von seinem versöhnlichen Arm losriss. „Hör auf! Hör auf ihn zu schützen! Er ist kein Kind, er ist ein Monster!“ „Zelda, bitte!“, mischte sich nun auch Impa ein. Sie war Zeldas Kindermädchen gewesen und sie hatte Zelda vor sieben Jahren aus dem Schloss gerettet, als es damals in schwarzen Flammen untergegangen war. Auf sie hörte Zelda. Die Prinzessin stellte den Hocker wieder auf und setzte sich darauf. Grazil, wie es von einer Prinzessin erwartet wurde. Obwohl es in ihrem Inneren schrie und bebte. Eine ganze Weile herrschte Stille. Dann wagte endlich Salia das auszusprechen, was allen brennend auf der Zunge lag. „Und wie sollen wir nun wegen dem Jungen verfahren?“ Niemand wusste Rat. Zumindest taten sie alle so. Was sollten sie auch anderes tun? Was sollten sie mit einem mickrigen rothaarigen Knaben ohne Bauchnabel anfangen? Dann aber ergriff Rauru das Wort. „Ich stimme Zelda zu. Wir dürfen kein Risiko eingehen! Der Junge muss sterben!“ Es war nur eine kurze Ansprache, doch sein Standpunkt war nun allen klar. Alles schwieg wieder. Link wollte etwas sagen, doch er unterließ es. Er hatte alleine ohnehin keine Chance sich durchzusetzen. Er gab den Jungen auf. Doch dann regte sich Darunia. „Also ich finde du übertreibst, Rauru. Vergesst nicht, wir reden von einem Baby, das…“ Bei seinen Worten fing Ruto das Lachen an. „Darunia hat Recht! Wir reden von einem Winzling. Einem kleinen Hosenscheißer, der weder ein Wort sagen noch auf seinen Beinchen stehen kann! Wie können wir nur so tun, als sei er der neue Großmeister des Bösen?“ „Ich weiß nicht so recht.“, äußerte Salia ihre Zweifel. „Er steckte immerhin in Ganondorfs Überresten. Und die Tatsache, dass er keinen Bauchnabel hat beunruhigt mich erst recht.“ Ruto winkte abfällig ab. „Was hat denn hier ein Kind mitzubestimmen!“ „He!“, fuhr Salia sie an. „Ich bin älter als du! Ich bin zweihundertvier Jahre alt!“ „Und hast sie allesamt im heiligen Wald verbracht, wo ihr nie altert. Wo nie einer von euch ein Kind bekommen hat!“ „Wir hatten Link, falls du es vergessen haben solltest! Er kam zu uns als er gerade einmal ein Jahr zählte! Und bei Link war mir nie so unwohl wie bei diesem Jungen!“

Die beiden Frauen musterten sich aus zusammengekniffenen Augen. „Hört auf ihr Beiden!“, wies Impa sie zurecht. „Ruto, du scheinst mir mehr Kind als Salia. Denn du scheinst die Gefahr noch immer nicht erkannt zu haben, die von diesem Knaben ausgeht!“ Nun sahen die beiden sie an. Ruto wandte schnaufend ihr Gesicht ab. Naboru war die Einzige, die sich noch nicht geäußert hatte. „Was sagst du dazu, Naboru?“, wandte Link sich nun an sie. Er hatte sie nicht angesprochen, weil er das Bedürfnis hatte jeden am Gespräch zu beteiligen. Nein, er tat es, weil er irgendwie das Gefühl hatte, dass sie die Antwort auf ihren Streit wusste. Naboru lehnte sich auf den Tisch und sah Link herausfordernd an. „Was ich dazu zu sagen habe? Zu eurem Streit um dieses Kind?“ Die Anwesenden hatten aufgehört sich böse Blicke zuzuwerfen. Sie waren jetzt ganz Ohr. Naboru donnerte ihre flachen Hände auf den Tisch. „Gar nichts habe ich dazu zu sagen! Ich kann weder bestätigen noch ausschließen, dass dieses Kind Ganondorf ist. Ich kann weder bestätigen noch ausschließen, dass es gefährlich ist. Ich kann weder vermuten noch wissen was er ist! Wie kommst du also darauf, dass ich dazu etwas zu sagen habe?“ Naborus Rede hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Jeder war verstummt. Nur Link lächelte. Denn instinktiv wusste er, dass er in der Weisen der Geister eine Verbündete hatte. „Was schlägst du also vor um das herauszufinden, Naboru?“ Naboru lehnte sich wieder zurück und tat als müsse sie sich ihre Antwort ganz genau überlegen. Und das musste sie auch. „Wir müssen mit der Priesterin der Wüste sprechen!“ „Mit der Priesterin der Wüste? Mit der Götterpriesterin Shjra?“, riefen alle wie aus einem Munde. Shjra, die Götterpriesterin, hauste im versteckten Keller des Geistertempels. Sie war das heilige Orakel von Hyrule. Doch niemand hatte sie jemals zu Gesicht bekommen. Denn nur als Weise der Geister hatte man als Einziger Zugang zu der Botin der Götter. Nur ein einziges Mal im Leben. Naboru hatte dieses Mal noch nicht genutzt. Daran hatte keiner gedacht. Denn jeder verehrte diese Unsterbliche nicht nur, jeder fürchtete sie auch. Seit hunderten von Jahren hatte niemand mehr das heilige Tor durchschritten. Link sah die Weise der Geister lange an. „Bist du wirklich sicher, dass du das willst? Du weißt, dass jeder Weise der Geister nur einmal im Leben die Götterpriesterin besuchen und um Rat bitten darf.“ Fesch klatschte Naboru in die Hände. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“



Kapitel 3


Kaum zwei Tage später standen die Weisen und der Held von Hyrule in der großen Halle des Geistertempels. Sie sahen zu wie die Decke an vier Ketten herniederfuhr. Eigentlich führte dieses Stück Decke zum höchsten Raum des Tempels, doch für die Weise der Geister würde sie dieses Mal tief in die Erde hinabsinken.
Es war still, niemand sagte etwas. Sie alle spürten ihre Herzen klopfen.
Sie hatten Angst um Naboru, denn niemand von ihnen wusste was sie erwartete.
Doch Naboru blickte nur kühl auf das Stück Decke, das vor ihr zum Stillstand kam.
„Willst du das wirklich tun?“, fragte Impa. „Du weißt, dass du vielleicht nie mehr zurückkehrst. Wenn du die Göttinnen verärgerst bist du des Todes!“
Fuchsig winkte Naboru ab. „Ich weiß! Ich bin kein dummes Kleinkind!“
Mit festem Schritt, als wolle sie dies Impa gleich beweisen, schritt sie auf den Fahrstuhl und drehte sich herum. „Ich bin gleich wieder da.“
Dann hob sie die Hände und klatschte drei Mal. „Ich bitte dich, Götterbotin Shjra, erhöre mich!“
Die Weisen atmeten tief ein. Niemand wusste ob Naboru auch wirklich eine Audienz gewehrt wurde. Auch Naboru nicht.
Auch Naboru atmete tief ein. Jetzt war der entscheidende Moment. Fuhr der Aufzug nach oben, so war sie abgelehnt worden, fuhr er nach unten…
Sie klatschte wieder drei Mal in die Hände.
Dann war es still.
Link hasste diese Augenblicke, in denen nichts geschah und er gezwungen war abzuwarten. Diese Augenblicke waren so oft länger als sein restliches Leben, manchmal glaubte er das. Er sah ihr an, dass Naboru solche Momente des Nichtstunkönnens auch nicht bekam. Schon gar nicht, wenn es um sie selbst ging.
Sie sahen sich an, Link und Naboru. Es war ein stummes Versprechen alles Mögliche für den kleinen Jungen zu tun ehe sie nichts mehr tun konnten.
Dann leuchtete der Boden unter dem Fahrstuhl auf, in einem reinen Licht. Langsam fuhr er hinab, tief ins Innere der Erde. Link und Naboru sahen einander an bis sie verschwunden war und das Licht den Boden des Raumes wieder verschloss. Nur die Ketten, die für einen Außenstehenden wirkten, als wären sie einfach so in die Erde eingegeben worden, erinnerten noch an den Fleck, in dem Naboru verschwunden war.
„Viel Glück, Naboru.“, murmelte Link.

Der Fahrboden kam ganz sanft auf dem Boden der heiligen Hallen an. Nicht so wie sonst, er landete wie auf Federn. Er gab noch nicht mal ein Geräusch von sich.
Naboru hatte Angst. Ja, die berühmteste Wüstenkriegerin, Stellvertreterin des Gerudokönigs (als Ehefrau war sie das zwangsläufig gewesen, auch wenn dies wiederum Ganondorf nicht ganz gepasst hatte) und Weise der Wüste fürchtete sich. Es war selten und noch seltener, dass sie es sich anmerken ließ. Aber jetzt, bei dieser Macht, die sie am ganzen Leib spürte, diesem erdrückenden Gefühl, konnte sie keine ruhige Maske aufsetzen.
Der kleine Raum war vollkommen dunkel. Erhellt wurde er nur von dem riesigen goldenen Tor, das direkt vor ihr lag. Hinter diesem befand sich der Sitz der heiligen Göttinnen auf Erden. Das heilige Reich war das Reich der Göttinnen, doch diese Gemächer waren der erdische Sitz der Göttinnen Din, Nayru und Farore, der Schöpferinnen der Erde und des Lebens.
Naboru schluckte schwer und streckte die Hand aus um das Tor zu öffnen. Doch bevor sie es überhaupt berührte, hörte sie ein dumpfes Geräusch. Sie sprang zurück.
Die Flügeltüren gaben einen kleinen leuchtenden Spalt frei. Gerade genug für sie um hindurchzuschlüpfen. Natürlich war sie erwartet worden.
Das Herz blieb Naboru stehen. Jetzt würde sie etwas sehen, was vor ihr nur eine handvoll anderer Menschen gesehen hatten.
Sie schlüpfte durch den Spalt ins Licht. Es war ein Gefühl wie wenn man im Wasser tauchte und dann an die Luft schwamm um zu atmen. Der Augenblick wenn man durch die Oberfläche brach.
Hinter ihr schloss sich das gewaltige Tor und es war wieder dunkel. Naboru brauchte Zeit um ihre Augen daran zu gewöhnen.
„Tretet näher, Weise der Geister.“, erklang eine Stimme.
Augenblicklich fuhr Naboru zusammen. Von einem Moment auf den anderen leuchteten Lichter an den Wänden auf. Kleine runde Lichter an den marmorschwarzen Wänden.
Ein Schleier aus buntem Leuchten ließ die Silhouette dahinter erzittern.
„Habt keine Furcht, niemand wird Euch ein Leid antun.“
Es war eine weibliche Stimme, doch so jung. So unendlich jung.
Naboru trat näher.
Der Vorhang wehte auf und ließ sie passieren. Naboru stieg die wenigen Stufen hinauf. Auf ein Plateau vor dem erhobenen Thron – auf dem ein kleines Mädchen saß. Sie sah nicht älter aus als dreizehn.
Es war ein Mädchen mit langen silbernen Haaren und silbernen Augen. Ganz in weiß war sie gekleidet, doch ihre kleinen Füße waren nackt. Auf dem Kopf trug sie ein Diadem mit dem heiligen Zeichen des Triforce.
Naboru hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Sicher, sie hatte gewusst, dass die Götterbotin unsterblich war, doch nachdem sie so alt war wie die Zeit selbst, hatte Naboru doch eine alte Frau erwartet, eine von den Jahrhunderten gezeichnet, die sie selbst zählte.
„Wundert Euch nicht, Weise der Geister, weshalb sollte ich wie eine alte Frau aussehen, wenn ich wie ein junges Mädchen aussehen kann?“, sprach das Mädchen.
Naboru schämte sich sofort. Es stand ihr nicht zu die Götterpriesterin in Frage zu stellen. Noch nicht mal sich ein Bild von ihr zu machen.
Naboru verbeugte sich. „Verzeiht, heilige Shjra, dass ich zu Euch komme, doch ich erbitte Euren Rat.“
Das Mädchen nickte. „Sprecht, doch bedenkt, nur eine einzige Frage werde ich Euch beantworten. Was interessiert Euch also am meisten an diesem Jungen ohne Bauchnabel?“
Die Weise der Geister schreckte auf. Immer mehr beschlich sie die Sicherheit, dass die Götterpriesterin ihre Gedanken lesen konnte.
Was sie am meisten interessierte?
Naboru setzte sich auf. „Ich möchte wissen was dieser Junge ist. Ist er Ganondorf oder ein Monster oder was ist er? Wie und wozu wurde er geboren?“
Das Mädchen lächelte. Ihr Haar wehte im seichten Wind. „Sind das nicht schon mehr als eine Frage?“
Naboru verbeugte sich erneut. „Verzeiht Shjra, aber es geht nicht anders. Wir wissen nicht weiter, wir sind verzweifelt und in unseren eigenen Reihen geht eine so starke Angst um, dass das Leben dieses Jungen jetzt schon gefährdet ist. Wir müssen unbedingt wissen was hier geschehen ist!“
„Ich weiß.“, versicherte das Mädchen. „Und ich habe den Befehl ausnahmsweise nicht nur eine Antwort zu geben. Diesen Jungen hätte es niemals geben dürfen, deshalb sind die Göttinnen in Aufruhr.“
Verwundert und auch verängstigt sah Naboru auf.
Das Mädchen erhob sich. Ihre weißen Füße setzte sie auf den kalten Marmor ab. „Ihr wollt wissen was dieser Junge ist? Er ist das gleiche wie ich.“ Das Mädchen hob ihr Kleid und gab einen Blick auf ihren Bauch frei.
Naboru erschrak. Shjra hatte keinen Bauchnabel.
Das Mädchen lies das Kleid wieder sinken und glättete es. Die silbrigen Augen unablässig auf Naboru gerichtet. „Er ist dazu da um zu dienen. Er ist ein Gefäß seines Schöpfers. Er wurde nicht geboren, er wurde erschaffen. Deshalb fehlt ihm der Bauchnabel. Lasst mich Euch eine Geschichte über Eure Vorfahren erzählen, Weise der Geister.“, sagte das Mädchen. Ein eiskalter Wind wehte durch die Halle.
„Es war zur Zeit der ersten, wenigen Menschen. Zu dieser Zeit wurde ich von den Göttinnen erschaffen und lebte als Sprachrohr zu den Göttinnen hier im Tempel und um ihn herum lebten die Menschen. Täglich kamen sie hierher um den Göttinnen zu huldigen und um ihre Antworten zu empfangen. Ich bin nur eine Botin der Göttinnen, ich bin kein Mensch, deshalb altere ich nicht, deshalb werde ich nie sterben. Natürlich sahen die Menschen das.“ Das Gesicht des Mädchens veränderte sich. Es war nun nicht mehr völlig gleichgültig, es war böse. „Und die Menschen besaßen die Frechheit nach der Unsterblichkeit zu gieren. Sie entwickelten einen Zauber um Leben zu erschaffen. Nicht um Leben zu gebären, wie es die Göttinnen ihnen in die Natur gelegt hatten, sondern um Leben zu erschaffen, um sich Körper – leere frische Hüllen – zu erschaffen, in die sie schlüpfen konnten, damit auch sie unsterblich und ewig jung bleiben konnten. Wie sehr zogen sie den Zorn der Göttinnen auf sich, denn nur den Göttinnen stand die Kunst des Lebenseinhauch zu. Deshalb vernichteten die Göttinnen diese leeren Körper und schickten einen Wüstensturm, der all ihre Hütten und Tiere und viele von den Menschen tötete. Wenige überlebten und wurden von diesem heiligen Ort verbannt. Nur einige Auserwählte durften sich am Rande der Wüste ansiedeln, um über diesen Ort zu wachen und sich immer an das Verbot zu erinnern, dass kein Körper mehr erschaffen werden durfte.“
Das Mädchen verstummte.
„Das Volk der Gerudos!“, kam es Naboru aus dem Mund.
Das Mädchen nickte. „Ja, so ist es. Euer Volk ist der Hüter der alten Künste. Ihr hütet die verboteten Schriften um sie vor aller Menschenaugen zu schützen, auch vor Euren! Doch Ganondorf brach dieses Verbot, er las die alten Schriften und eignete sich deren Künste an. Und jetzt, im Augenblick seines Todes hatte er den Frevel besessen sie anzuwenden. Er hat einen Jungen erschaffen, als Verbindung zu dieser Welt der Lebenden und als Körper, in den er zu gegebener Zeit schlüpfen kann um wieder in dieser Welt verweilen zu können.“


Naboru schlug sich die Hand auf den Mund. „Aber das bedeutet...dann ist es das Klügste den Jungen zu töten!“
Nun lächelte das Mädchen. Es war ein freundliches und verständnisvolles Lächeln. „Nein, es ist euch nicht gestattet. Hätten die Göttinnen dies mit dem Jungen vorgehabt, hätten sie ihn selbst vernichtet.“
„Aber was dann? Was sollen wir dann tun, sagt es mir, Priesterin! Wie sollen wir zulassen, dass Ganondorfs Körper unter uns wandelt?“
„Ich habe nicht gesagt, dass er Ganondorfs Körper ist.“, widersprach ihr das Mädchen. „Ich sagte aus diesem Grund wurde er erschaffen, aber glaubt Ihr nicht, die Göttinnen hätten sich für Ganondorfs Dreistigkeit nicht schon gerächt?“
Naboru war vollkommen verwirrt. Die Macht, die hier am Werke war, war ihr einfach unbegreiflich. „Wie?“
Eine Weile verging, in der das Mädchen sich zurück auf den steinernen Thron setzte und Naboru ansah. Naboru war kalt, es war nie warm in diesem Saal gewesen, doch nun war es eiskalt.
„Die Göttinnen haben ihm eine Seele gegeben, in ihm ist keine Leere, in ihm schlägt ein eigenes Herz, eine eigene Persönlichkeit.“
„Be…bedeutet das, dass Ganondorf nie mehr zurückkehren kann?“
Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Nein. Es besteht noch immer eine Verbindung zwischen ihm und Ganondorf. Ganondorf könnte sich natürlich in seinem Körper einnisten, doch so leicht ist es ihm nicht gegeben. Der Junge muss Ganondorf erst in seinem Körper akzeptieren, bevor Ganondorf die Kontrolle über ihn hat.“
Naboru sah zu dem jungen Kind auf. „Ich verstehe.“
„Dann sind Eure Fragen nun beantwortet.“, entgegnete das Mädchen. „Jetzt müsst Ihr diese Hallen verlassen und dürft sie nie wieder betreten.“
Ein letztes Mal verbeugte sich Naboru. „Ich danke Euch.“
„Geht und dreht Euch nicht mehr um.“, sprach die Götterbotin Shjra ein letztes Mal.
Naboru tat wie ihr geheißen. Sie wandte sich um, durchschritt den leuchtenden Vorhang. Die Verlockung sich noch einmal umzudrehen war groß, denn sie hätte sich das Antlitz dieses einsamen Kindes gerne noch einmal angesehen, denn ihre Erinnerung verblasste bereits. Sie hielt es aus bis das goldene Tor sich entgültig hinter ihr schloss. Niemals mehr öffnete es sich für sie. Armes Mädchen, wie schlimm musste es sein. So einsam, so lieblos zurückgelassen, so versklavt zu sein. Unsterblichkeit für den Preis wünschte sich niemand.
Der Fahrboden fuhr nach oben, ins Leuchten. Sie verließ das Heiligtum.
Link und die anderen standen noch immer da wo sie sie verlassen hatte.
Der Held der Zeit trat sofort auf sie zu. „Und? Wie sieht es dort aus? Wie sieht die Götterpriesterin aus? Was hat sie gesagt?“
Sie schob ihn von sich weg. „Lass mich erst einmal zu Atem kommen!“
Als sie sich erholt hatte erzählte sie was Shjra ihr gesagt hatte. Dabei versuchte sie die Götterpriesterin wortwörtlich wiederzugeben so gut sie konnte.
Es herrschte lange Stille nachdem Naboru geendet hatte.
„Und jetzt?“, fragte Darunia. „Jetzt, da wir wissen, warum es ihn gibt und dass wir ihn nicht töten können. Was sollen wir tun?“
Zelda schnaufte. „Er ist die Marionette Ganondorfs! Wir müssen ihn einsperren! Am besten in den Wüstentempel, fernab aller anderen!“
Link ergriff ihre Hand. „Er ist keine Marionette, er wird sie nur, wenn wir ihn im Stich lassen!“
„Und was meinst du damit?“, fragte Ruto.


Noch immer sah Link seine Geliebte an als er antwortete: „Wir werden ihn bei uns aufnehmen und uns um ihn kümmern.“
Sofort riss sich Zelda los und schrie ihn an. „Nein! Niemals! Ich will ihn nicht in meiner Nähe!“
„Aber Zelda! Gib ihm eine Chance! Lass ihn dir beweisen, dass er nicht das ist wofür du ihn hältst!“
Zelda sah ihn eiskalt an.
„Ich werde die Verantwortung für ihn übernehmen! Schließlich ist er in gewisser Weise ein Mitglied unseres Volkes!“, sagte Naboru.
Link nickte ihr zu, doch Zelda wandte sich von beiden ab.




Kapitel 4


Zehn Jahre später…

Lucias gähnte. Er hatte die Nacht schlecht geschlafen, darum war er ziemlich müde.
Ein Zeigestab donnerte auf seinen Tisch und ließ ihn aufschrecken.
„Hier wird nicht geschlafen, hier wird gelernt!“, fuhr Naboru ihn an. Mit gespieltem Ernst. Er rieb sich die Augen. „Ich schlafe doch nicht, ich bin ganz aufmerksam, Naboru!“, versicherte er ihr trotzig.
Mit – weiterhin gespielt – skeptisch gekräuselten Lippen musterte sie ihn. „Dann sag mir doch ganz aufmerksam: Ein Wildjäger schießt auf einen Ast, auf dem vier Vögel sitzen, er trifft einen, der herunterfällt. Wie viele Vögel sitzen noch auf dem Ast?“
Lucias schnaufte abfällig, als wären diese Worte seiner nicht würdig. „Keiner! Sie fliegen weg sobald sie das Geräusch von Pfeilen vernehmen. Das weiß doch jedes Kind!“
Naboru packte ihn am Hals und zerwuselte sein rotes Haar. „Pass auf mit wem du so abfällig sprichst, du kleiner Teufel!“ Lucias lachte.
Dann gab sie ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. „Für heute reicht es, aber wehe du bist morgen wieder so unkonzentriert!“
Lucias sprang auf. „Bin ich bestimmt nicht, Tantchen.“ Und rannte aus dem Unterrichtsraum. Er hörte Naboru ihm hinterher fluchen. Er wusste, dass Naboru es nicht gerne hörte, wenn er sie so nannte, aber genau darum tat er es ja auch.
Lucias lief den hellen Gang entlang. Alle zehn Schritte war ein Fenster eingegeben. Das ganze Schloss war hell. Es war ein wunderschönes Schloss mit weißen Steinwänden.
Gut, es war nicht ganz fertig. Der Ostflügel stand noch halbfrei. Den ganzen Tag über waren Arbeiter damit beschäftigt ihn fertigzustellen. Höchstens noch zwei Jahre, dann stand das Schloss von Hyrule in ganzer Pracht.
Das Schloss, in dem er wohnte seit er denken konnte.
Er hatte sein Zimmer im Westturm, mit dem Fenster nach Westen. Es war herrlich an schönen Sommertagen sich auf den Sims zu setzen und der Sonne dabei zuzusehen wie sie hinter dem Horizont verschwand. Manchmal streichelte er sich dabei die Wange und stellte sich vor jemand anders tat es. Er sehnte sich oft nach Berührungen. Darum ärgerte er auch Naboru so gern, weil sie ihn dann in den Arm nahm. Auch wenn nur um ihm die Ohren lang zu ziehen oder derlei Bestrafungen.
Er kam durch den unteren halboffenen Gang in den Innenhof hinaus. Es war ein warmer und sonniger Tag. Da der Unterricht für heute beendet war und ihn noch niemand aufgehalten hatte, wollte er sich hinaus in den Garten stehlen um die Sonne eine Weile zu genießen. Bevor ihn vielleicht der Haushofmeister erwischte und ihn in seine Gemächer oder die Bibliothek schickte. Lucias war selten außerhalb des Schlosses. Nicht, dass er der Außenwelt sonderlich viel nachtrauerte, er kannte sie ja kaum. Er war es zeit seines Lebens gewohnt die meiste Zeit des Tages innerhalb der Mauern zu verbringen.
Aber der schönste Platz war der Innengarten. Er war so schön bunt.
Es gab viele heimische Blumen aber auch Exotische, sogar aus Termina, vom anderen Ende der Welt. Und es gab einen kleinen Gemüse- und Kräutergarten. Von allen Pflanzen kannte er die Namen. Zahlreiche Pflanzenbücher hatte er aus der Bibliothek geschmuggelt um auch alle Pflanzen im Garten zuordnen zu können. Irgendwann dann – und das recht schnell – waren sie in seinem Kopf drinnen gewesen.
Als er in den Garten trat sah er zum Kirschbaum hinüber. Auch er war ein Geschenk des Fürsten aus Termina gewesen.
Ein kleiner Junge, fünf Jahre jünger als er, saß auf der Schaukel, angeschupst von seinem Kindermädchen. Auf einer Bank ganz in der Nähe saß ein Paar. Sie unterhielten sich und sahen immer wieder zu dem kleinen Jungen hinüber.
Es waren Link und Zelda!
Lucias wusste wie klug es war sie nicht in ihrer vertrauten Zweisamkeit zu stören, aber er stürzte trotzdem auf die Bank zu, auf der sie saßen.
Sie sahen ihn herannahen, und in dem Augenblick, in dem sie ihn erkannten, erhellte sich Links Gesicht.
„Lucias! Hast du heute wieder fleißig gelernt?“
„Oh ja, Link!“, strahlte Lucias. „Ich habe heute die Einteilung der Welt durch Längen- und Breitengrade gelernt. Ich kann jetzt mit dem Kompass umgehen und meine Position bestimmen!“
„Lucias!“ Erklang es von der Seite. Lucias, und auch Link, fuhren zusammen. Zelda musterte ihn aus eiskalten Augen. Genau wie ihre Stimme. „Spricht man einen König so unförmlich an?“


Lucias ließ bei dieser scharfen Ermahnung den Kopf sinken. „Nein, Hoheit. Verzeiht meine Dreistigkeit.“
Manchmal vergas er tatsächlich wer Link war und wer er. Dass Link feinen Brokat und Seide am Leib trug und eine goldene Krone auf dem Kopf und er nur die Kleider eines Dienstboten. Er war ja nur der Sohn einer Zofe, die bei einem Unfall im Schloss ums Leben gekommen war. Als er noch nicht einmal ein Jahr alt gewesen war. Daran erinnerte ihn Zelda immer wieder.
Dass er nur deswegen im Schloss bleiben durfte, weil es ihre Lieblingszofe gewesen war.
Aber gerade obwohl seine Mutter ihre Lieblingszofe war zeigte sie ihm sehr deutlich, dass sie ihn nicht leiden konnte.
Dabei bemühte sich Lucias am allermeisten um ihre Gunst.
Aufmunternd klopfte Link ihm auf die Schulter. „Das ist schön. Du könntest dieses Wissen irgendwann einmal gebrauchen, wenn du vielleicht einmal auf eine Reise geschickt wirst.“
Lucias machte große Augen. „Eine Reise? Ihr meint ganz außerhalb Hyrules?“
„Vielleicht. Schließlich wirst du in sieben Jahren erwachsen. Wer weiß schon wie deine Zukunft aussieht.“
Zelda kräuselte darüber nur die Lippen und sah zu ihrem Sohn hinüber, der des Schaukelns noch immer nicht überdrüssig war. Sie erhob sich und löste die Amme beim Anstupsen ab.
Lucias beobachtete sie eine Weile. Die Königin von Hyrule hatte ihn schon immer gehasst, obwohl ihm so viel daran lag von ihr gemocht zu werden. Er hätte so gerne eine Mutter.
Oft stellte er sich Zelda als böse Stiefmutter vor, wie aus den vielen Märchen, die er gelesen hatte. Immer dann, wenn sie ihn demütigte oder auf ihn hinab sah. Das kam ziemlich häufig vor.
Dabei war sie eine gute und gerechte Königin und eine liebende Mutter. Sie liebte ihren Sohn über alles, das sah sogar ein Blinder.
Lucias war ihre Mutterliebe auch einmal zuteil gewesen. Das war vor fast sechs Jahren gewesen, als ihr erster Sohn am Fieber gestorben war. Sie war schrecklich traurig gewesen und hatte sich mit ihm getröstet. Sie war so lieb zu ihm gewesen, hatte ihn in den Arm genommen und liebkost, ihm vorgesungen, mit ihm geredet. Alles was eine Mutter so machte.
Ja, das war Lucias schönste Zeit im Leben gewesen. Sie hatte leider nur ein paar Mondrunden gehalten, so lange, bis Zelda gemerkt hatte, dass sie erneut schwanger war. Ab da war er wieder das gewesen, was er schon immer für sie gewesen war. Ein Dorn im Auge.
Lucias war eifersüchtig auf Davin, dem zweiten Sohn des Königpaares von Hyrule. Bei dessen Geburt hatte Lucias gebetet er möge am plötzlichen Kindestod sterben und jedes Mal, wenn sich Davin eine Erkältung einfing und tagelang im Bett lag, hoffte Lucias er möge versterben. Lucias schämte sich für diese Gedanken und eigentlich mochte er den kleinen Thronfolger auch, er war nur ihm ein Dorn im Auge. Der Stein, der ihm unüberwindbar im Weg zu Zeldas Zuneigung lag.
„Lucias?“ Lucias sah auf. Link hatte sich erhoben und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Warum gehst du nicht zum Teich? Ruto hat uns ein paar neue Fische gebracht. Die Rotflossen sind besonders hübsch.“
Lucias nickte nur, sah ein letztes Mal zu der Mutter mit ihrem Kind hinüber und lief in die entgegen gesetzte Richtung zum Teich. Er sah ins Wasser um die neuen Fische ausfindig zu machen. Auch von den Fischen kannte er alle Namen. Doch er mochte Fische nicht besonders. Wegen dem Wasser. Er mochte Wasser nicht. Jedenfalls nicht viel auf einem Fleck.
Einmal hatte Ruto ihn mitgenommen ins Reich der Zoras. Damit er schwimmen lernte. Es war die Hölle gewesen. Er wusste nicht warum, aber er hatte Angst vor tiefem Wasser. Letzten Endes hatte er schon Schwimmen gelernt. Weil er immer alles lernte. Damit die Weisen stolz auf ihn sein konnten. Seine Vormunde.
Link stand mit verschränkten Armen vor der Bank und sah dem Jungen zu wie er sich die Schuhe auszog und die Füße ins Wasser tauchte.
„Und, was sagst du? Macht er Fortschritte?“
Die Weise der Geister war ganz plötzlich auf der Bank erschienen. Sie lag quer auf ihr und hatte ihren Kopf auf die Arme gebettet. „Sein Körper entwickelt sich normal. Aber er ist viel zu klug für sein Alter. Er beschäftigt sich schon mit den Thesen der Lichtbrechung und er versteht die komplizierten Formeln der Planetenkonstellationsrechnung.“
„Und was ist mit seiner…Magie?“
Nun stützte Naboru ihren Kopf auf den Händen ab. „Es ist eindeutig die Magie unseres Volkes. Sie ist sehr stark bei ihm ausgeprägt, genauso wie sie es bei Ganondorf war.“


„Ist es zu kontrollieren?“
„Er hat schnell gelernt sie zu versiegeln. Mit ihm lässt sich gut arbeiten.“
Link grinste ihr zu. „Da bin ich aber froh. Du scheinst die perfekte Lehrerin zu sein.“
Nun setzte Naboru sich vollends auf. „Sag mal, was hältst du davon, wenn ich ihn in die alten Künste der Gerudos einführe?“
„Wie meinst du das?“, fragte Link verwundert.
„Ich nehme ihn mit in die Gerudofestung. Dort wird er mit den Mädchen seines Alters verschiede Kampftechniken und mit Waffen umzugehen lernen. Und ich führe ihn in die wahre Magie der Gerudos ein. Ich bin ohnehin auf der Suche nach einem Schüler.“ Und mit einem verstohlenen Blick auf Zelda, die ihren Sohn von der Schaukel geholt hatte und nun mit ihm die Blumen betrachtete und ihm durchs goldblonde Haar fuhr, fügte sie hinzu. „Zelda wird sicher zustimmen. Sie hat ihn ohnehin ungern in seiner Nähe.“ Sie sah zum König von Hyrule auf. „Was sagst du dazu?“
Link aber runzelte nachdenklich die Stirn. Ihm sprach der Vorschlag nicht so ganz zu. „Ich weiß nicht so recht, ob das eine gute Lösung ist. Hier im Schloss ist er viel sicherer.“
Naboru lächelte ihm wissend zu.
„Was ist?“, fragte Link.
Sie zwickte ihn in den Oberarm. „Du magst ihn sehr, nicht wahr?“
„Das hat damit nichts zu tun!“, redete sich Link heraus. „Es geht einzig und allein darum, dass er bei mir sicher ist!“
„Sicher, soso.“, mit einem Schwung erhob sich Naboru. „Du meinst davor, dass ihn alle wie Aussatz behandeln?“
Der König von Hyrule schluckte schwer und sah zum Teich wo der rothaarige Junge versuchte einen der kleinen Fische in der Handhöhle zu fangen.
„Wir müssen es ihm sagen, Link. Wir müssen ihm sagen wer er ist!“
Leicht schüttelte Link den Kopf. „Nein, jetzt noch nicht. Ich will, dass er so lange wie möglich eine normale Kindheit hat.“
„Er hat keine normale Kindheit, Link! Die Dienerschaft macht einen Bogen um ihn. Die Leute ignorieren ihn und wenn er in die Stadt geht, dann ziehen sie ihre Kinder von ihm weg. Ganz zu schweigen, dass Zelda nicht gerade nett zu ihm ist. Diese Tatsachen stimmen einfach nicht mit der Lebensgeschichte überein, die wir ihm aufgetischt haben. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass er uns fragt warum er als einfacher Sohn einer Zofe so von den anderen gefürchtet wird. Sieh das doch ein!“
Lucias hatte einen der Goldfische in seiner Hand gefangen. Freudig hielt er ihn in die Höhe und schwenkte den Arm. Wie ein Kind. Er war ja ein Kind. Als er sich möglichst auffällig benahm, damit sie ja mitbekamen, dass er einen Fisch mit bloßen Händen gefangen hatte, flutschte ihm der Fisch aus der Hand. Er versuchte noch ihn in der Luft zu fangen, aber Fische hatten es nun mal an sich glitschig zu sein.
Sie lachten.
„Und? Was ist jetzt?“, hackte Naboru nach ohne den Blick abzuwenden.
„Ich…lass uns den Rat der Weisen einberufen um darüber zu entscheiden.“
Naboru sah ihn mit einem Blick an, der ihm sagte: „Ich durchschaue dich, Link. Ich kann in deine Seele blicken.“
Dann zuckte sie die Achseln. „Mach was du für richtig hältst, du bist schließlich der König. Aber Link! Vergiss eines nicht – er ist kein Monster, so wie es Zelda gerne hätte, doch ein einfaches Kind ist er auch nicht.“
Er funkelte die Weise der Geister böse an. „Ich vergesse es schon nicht!“
„Ich kenne dich, Link. Du hast ein zu gutes Herz.“
Der König von Hyrule wandte sich ab. Er schritt zu seiner Frau und seinem Sohn hinüber. Davin sprang ihm sofort entgegen und wollte hochgehoben werden. Link nahm ihn in die Arme und begann ihn zu kitzeln. Er lachte freudig und klammerte sich fest an seinen Vater.
Zelda stand daneben und lachte ebenfalls.


Naboru wandte den Blick von der adeligen Familie ab, hin zu dem Jungen im Teich. Und sie sah wie Lucias die kleine Familie beobachtete. Sein Gesicht nur so vor Eifersucht strotzend. Als Lucias sah, dass er dabei ertappt worden war, drehte er sich um und wandte sich wieder den Fischen im Teich zu. Mit hochrotem Kopf.
Grinsend ging Naboru auf ihn zu.
„Was machst du da, Lucias?“, fragte sie und konnte die Belustigung in ihrer Stimme nicht verbergen.
„G…gar nichts.“, redete der Junge sich heraus.
Um ihn nicht weiter zu beschämen wechselte sie das Thema. „Und? Hast du den Fisch noch einmal gefangen, der dir durch die Finger geflutscht ist?“
Lucias wandte sich zu ihr um. „Nein. Aber schau mal! Was ich kann!“
Er hob den Arm, öffnete die blanke Hand und ließ sie ganz langsam sinken. Auf die Wasseroberfläche. Und je näher er dem Wasser kam, desto mehr geriet das Wasser in Bewegung, genau unter seiner Hand. Es schlug kleine Wellen und unterhalb seiner Handfläche bildete sich ein Loch, als würde er die Luft durch seine Hand ins Wasser pressen wie einen festen Gegenstand.
Dann tauchte er die Hand ins Wasser und holte eine runde blaue Kugel ganz aus Wasser heraus und hielt sie in der Hand.
Naboru war überaus erstaunt.
„Schau!“ Lucias hielt ihr die Kugel aus Wasser entgegen. „Ist es nicht wunderschön?“
Sie traute ihren Augen kaum als sie die Kugel betrachtete. Flüchtig sah Naboru zu dem Königspaar hinüber, aber sie hatten nichts mitbekommen.
„Seit wann kannst du deine Magie benutzen?“, fragte sie, der Schreck stand ihr im Gesicht geschrieben. Das beunruhigte Lucias, wenn er auch nicht verstand warum.
„Nur einen kleinen Bruchteil.“, verteidigte er sich. „An die Ganze traue ich mich noch nicht heran.“
Noch nicht?“
Lucias errötete. „Naja, ich dachte du bringst mir bei mit ihr umzugehen. So wie du und die anderen Weisen das können.“
Naboru seufzte. „Verstehe. Vielleicht irgendwann.“
„Vielleicheicht?“, plusterte Lucias sich auf.
Naboru sah ihn scharf an. „Wirst du da gerade frech?“
Lucias schreckte zurück und antwortete sofort unterwürfig. „Tut mir leid.“
Naboru fuhr ihm durchs Haar. „Schon gut. Aber mach das nur noch im Unterricht mit mir! Du weißt doch, dass die Leute Angst vor Magie haben.“
Schuldbewusst löste Lucias die Magie in seiner Hand und die Kugel zerfiel augenblicklich zu Wasser, das aus seiner Hand floss. Er sah sie an mit seinen klaren honigfarbenen Augen.
Er sah Ganondorf so ähnlich, als dieser in seinem Alter gewesen war. Und hätte der Junge seine Bräune der Haut nicht verloren, dann hätte sie wirklich gedacht Ganondorf vor sich zu haben.
Ganondorf war ein schöner Junge gewesen und später ein schöner Mann. Durch seinen klaren Blick und sein Lächeln hatte er alle manipulieren können. Darum war es ihm so leicht gefallen sich das Vertrauen des damaligen hyrulianischen Königs zu erschleichen. Und ihn letztendlich zu verraten.
Hässlich und alt hatte Ganondorf erst seine Macht gemacht, die er durch das Triforcefragment bekommen hatte. Jenes Triforcefragment, das jetzt Lucias in seinem Körper trug.
Natürlich hatte Lucias nach dem seltsamen goldenen Dreieck auf seiner Hand gefragt. Wie erstaunlich leicht war es gewesen ihn davon zu überzeugen, dass es sich einfach nur um eine seltene Art von Muttermal handelte. Wie gut, dass Link und Zelda ihres ebenfalls noch hatten.
Sie ließ von ihm ab. „Sei nicht gierig, Lucias. Gier macht aus guten Menschen Schlechte. Verstehst du?“
„Aber warum? Wen ich etwas kann was andere nicht können, warum darf ich das nicht zeigen?“ Trotzig verschränkte er die Arme. „Sie hassen mich doch sowieso alle, egal was ich mache und was nicht!“


„Das stimmt doch nicht! Sie haben einfach nur Angst. Du weißt doch, dass wir viele Jahre der Tyrannei gerade erst hinter uns gebracht haben.“
„Das ist zehn Jahre her! Du kannst mir doch nicht weismachen, dass das der Grund ist, warum die Leute mich hassen!“
Naboru zog ihn sanft aber nachdrücklich aus dem Wasser. „Die Leute hassen dich nicht, das habe ich schon gesagt. Und jetzt geh ein bisschen spielen. Wir reden heute Abend noch ein wenig, ja?“
Lucias zuckte die Achseln und schlüpfte in seine unbequemen Schuhe.
Aus dem Spielen wurde nichts, weil Zelda einen Bediensteten schickte – mit der Anweisung sich sofort in sein Zimmer zu begeben. Dort verbrachte er dann den Rest des Tages. Allein.
Weder wurde er zum gemeinsamen Abendessen eingeladen, wie so manches Mal, noch kam Naboru an diesem Abend um noch ein wenig zu reden.
An solchen Tagen hasste er sein Zimmer. Hasste er das Schloss. Hasste er einfach alles.




Kapitel 5



Am nächsten Morgen schlich er sich schon früh aus dem Schloss. So früh, dass Link und Zelda noch schliefen. Die letzte Nachtschicht stand noch an den Toren. Die Sonne war kaum aufgegangen, nur der östliche Himmel war leicht orangerot durchzogen. Es war ja nicht so, dass Lucias ungehorsam sein wollte. Nein, deshalb hatte er schließlich auch eine Nachricht auf seinem Bett hinterlassen. Er wollte nur sein zugesagtes „bisschen Spielen“ von gestern nachholen. Einfach war es sich aus dem Schloss zu schleichen und noch leichter sich aus dem Vorgarten zu schleichen, in dem eigentlich alle zehn Schritte eine Wache stand. Trotzdem war es einfach für ihn. Lucias stolzierte in die Stadt. Der Marktplatz war noch leer. Die Händler waren gerade dabei ihre Stände für den heutigen Tag aufzubauen. Die Fensterläden der Fenster waren fest geschlossen. Die letzten Spielhallen machten Feierabend. Die Verkäuferin der Bombenbowlingspielhalle schloss gerade den Laden zu. Die Tiere waren noch ruhig. Die Luft noch frisch. Die Leute sahen ihn die Anhöhe vom Schloss hinunter schreiten. Sie erkannten ihn sofort, es war schwer sich unter die Leute zu mischen, wenn man so feuerrotes Haar hatte wie er. Als er auf den Markt lief wandten die Leute sich von ihm ab. Vor seinem Gesicht taten sie als existiere er für sie nicht, doch sobald er ihnen den Rücken kehrte hörte er gleich wieder das Getuschel einsetzen. Wenn er etwas von ihren Wortfetzen über ihn verstand, dann verstand er leider nie den Sinn. Er wusste ja nicht, dass Link im ganzen Land verboten hatte über seine Herkunft zu sprechen. Zumal es ohnehin niemand genau wusste außer dem König und seinem Rat. Es gab die wildesten Spekulationen. Aber davon bekam er nichts mit, in seiner Welt gab es noch immer die verunglückte Zofe als Mutter. Er hatte ein konkretes Ziel. Am Brunnen, der das Zentrum des Marktes bildete, wandte er sich nach links, in die Straße der Handwerker. Es war furchtbar belebt dort. Denn es wurde bereits hart gearbeitet. Die Weber strickten, Schneider nähten und besserten die bestellten Kleider aus, die Schreiner sägten und feilten an den halbfertigen Möbeln. Die Goldschmiede betrachteten den zu verarbeitenden Grundstoff genau. Die Glasbläser hielten ihre Blasrohren spielerisch in den Händen und bliesen und formten ihre Werke. Von ihnen hatte die Stadt Hyrule mehr als genug. Doch nur einen Waffenschmied. Herm, der Schmied von Hyrule, hatte seine Schmiede am Rande der Straße, gleich bei der Stadtmauer. So weit weg wie möglich von den Häusern. Denn von dort kam der größte Lärm. Es wurde erhitzt, gehämmert, geschrieen. Der Schmied hatte viele Gesellen. Schließlich stellte er als einziges Waffen für die Soldaten des Königs her. Und nicht nur das, er war neben Biggoron, dem berühmten Goronenschmied auf dem Feuerberg, der beste Schmied in Hyrule. Jeder, der eine halbwegs tüchtige Waffe brauchte – und sich diese auch leisten konnte – kaufte bei ihm ein. Dementsprechend war es auch eine große Werkstatt. Und bei so viel Gesellen und bei so viel Platz gab es auch so viel Lärm. Das große Tor der Schmiede war geöffnet. Die Hitze schlug einem entgegen. Lucias schlüpfte in die Schmiede. Die meisten Gesellen waren bereits seit Sonnenaufgang dabei ihr Stahl zu schlagen. Es stand eine neue Lieferung von Steinhackern für die Goronen an, die in den Dogondogshöhlen ihre Nahrung holen mussten. Sie fraßen bestimmte Steinsorten, die es nur tief im Feuerberg gab. Die Schmiedgesellen hatten ihre Lederschürzen an um sich vor den sprühenden Funken zu schützen. Die Hämmer donnerten gnadenlos auf den Stahl, die kräftigen Arme zwangen sie. Der Schweiß rann die Schläfen entlang. Die Anzulernenden waren noch nicht soweit, sie hatten gerade erst ihre Glutbecken angerichtet. Denn das Hauptfeuer brannte bereits. Es wurde in Schach gehalten von einem Blasebalken. Und diesen trat ein Mädchen. Sie hielt sich an einer Kette fest, die von der Decke herabhing, und trat mit ganzer Kraft. Sie war so alt wie er und doch tat sie die Arbeit eines erwachsenen und kräftigen Mannes. Sie war ungeheuer stark. Sie war schließlich auch die Tochter des Schmiedes. „Rajah!“, rief er in die Schmiede. Die Gesellen sahen kurz auf, erkannten ihn und wandten sich wieder der Arbeit zu. Er war ein häufiger Besucher. Und das Beste, er wollte zur Tochter des Meisters, nicht zu ihnen. Das Mädchen drehte verblüfft den Kopf zum Tor. Als sie ihn sah erstrahlte ihr Gesicht. Sie winkte ihn zu sich. „Wie schön, dass du dich endlich mal wieder blicken lässt!“, waren ihre ersten Worte als er neben ihr stand. „Du bist ein richtig zuverlässiger Freund, Lucias!“ „Aber das ist doch nicht meine Schuld!“, verteidigte er sich. „Sie lassen mich nur so selten aus dem Schloss, das weißt du doch!“ Sie streckte ihm die Zunge heraus und er ihr. Dann lachten sie. Rajah war stark verschwitzt. Ihre pechschwarzen Haare hatte sie in einem Netz zurückgebunden, damit es nicht schmutzig wurde oder Feuer fing. Sie trug Jungenkleider, weil ein Kleid zu unhandlich für ihre Arbeit war. Ihr Gesicht war schmutzig und voller Schweißtropfen. Aber ihre dunklen grünen Augen schienen zu leuchten. „Komm, ich lös dich ab.“ Sie wechselten die Plätze. Er sah ihr an, dass sie erleichtert war sich für einen Moment entspannen zu können. Es war ja auch schwer, er konnte den Blasebalken nicht ganz durchdrücken, dazu fehlte ihm die Kraft. Rajah lachte ihn aus. „Hör auf zu Lachen!“ Das brachte sie nur noch mehr dazu. „Du hast ja die Kraft eines Mädchens!“ Mit grimmiger Miene entgegnete er ihr: „Und du hast die Kraft eines Mannes, was ist wohl schlimmer!“ Verhöhnend lachend schupste sie ihn vom Blasebalken und trat ihn wieder selbst. „Naja, solange du nicht täglich den Blasebalken treten musst kann es dir ja egal sein so schwach wie ein Mädchen zu sein!“ Er sah sie böse an, doch dann rümpfte er die Nase. „Und du brauchst das auch nicht mehr, sobald wir volljährig sind und heiraten!“ „Heiraten? Dich?“, stieß sie verwundert aus. „Wieso sollte ich dich heiraten?“ „Weil ich das Beste bin, das du bekommen wirst.

Wer will schon eine Frau, die so stark ist wie ein Goron?“ „Das sagt der Sohn einer Kammerdienerin.“ Lucias stemmte arrogant die Arme in die Hüften. „Immerhin wohne ich im Schloss und mache mich nicht jeden Tag schmutzig!“ Sie zwickte ihm in die Nase. „Sind alle Dienstboten im Schloss so hochnäsig?“ Er rieb sich die schmerzende Nase. „Eigentlich komme ich mir gar nicht vor wie ein Dienstbote.“, sagte er ernst. „Eher wie ein Gefangener…“ Lucias senkte den Blick auf den Boden. Er hatte das eigentlich nicht sagen wollen. Aber es war die Wahrheit. Rajah konnte er immer sagen was er fühlte und was er dachte. Sie war seine beste Freundin. Seine Einzige, aber dafür die Beste, die man haben konnte. Rajah legte ihm die Hand auf die Schulter. Als er aufsah lächelte sie. „Ich bin froh, dass du ein Gefangener bist! Dann kannst du mir nämlich nicht davonlaufen.“ Sie grinsten. Ja, wenn er sagen müsste was er an seinem Leben nicht ändern wollte, dann war es die Freundschaft zu Rajah. Er wollte ihr danken, aber er kam nicht dazu. Denn ein Karren fuhr in die Schmiede ein. Er wurde nicht von einem Pferd oder einem Esel gezogen, nein, Herm zog ihn persönlich. Das Hemd hatte er ausgezogen und man sah seine prallen Muskeln, die seinen Oberkörper schmückten. Sofort unterbrachen sich die Lehrlinge in ihrer Tätigkeit um das neue Material auszuladen. Der Schmied ergriff das Handtuch, das ihm gereicht wurde und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Gleich darauf ließ auch Rajah ihre Arbeit liegen. Der erstbeste Lehrling, der das sah, war beim Balken und trat ihn um das Feuer zu nähren. Wenn es erlosch, würde es Stunden dauern es wieder zu entfachen. Stillschweigend verfluchte er erneut die Tatsache, dass hier, wo nur Männer etwas zu suchen hatten, eine heranwachsende Frau arbeitete. Wäre doch das Weib des Meisters nicht bei deren Geburt gestorben, dann würde sie wenigstens das tun was sie eigentlich tun sollte. Kochen und putzen und nähen! Wahrlich, von Frauenarbeit verstand Rajah nichts, sie trug noch nicht einmal Frauenkleider. Sie lief ihrem Vater in die Arme. Er drückte sie fest an sich. „Rajah, meine Kleine! Seit wann bist du auf den Beinen?“ „Seit zwei Stunden vor Sonnenaufgang. Ich hab dich zur Tür hinausgehen hören und konnte nicht mehr schlafen.“ Aufgeregt hopste sie von einem Fuß zum andern. „Hast du mir etwas mitgebracht?“ Der Schmied lachte. „Ja, vier Klumpen Stahl, jeder so schwer wie ein ganzer Mann.“ Rajah stieß ihren Vater am Arm und dessen Lachen hallte durch die ganze Schmiede. Da erst sah Herm den Jungen in der Nähe stehen, der nicht in seine Schmiede gehörte. Er winkte ihn zu sich heran. „Lucias! Dass du dich einmal wieder hier blicken lässt!“ Rajah war wirklich seine Tochter und er ihr Vater. „Ja, ich durfte heute das Schloss verlassen.“, entgegnete Lucias höflich. Vor dem Schmied hatte er großen Respekt. „Ach wirklich?“, stieß Herm aus. „Wer hat dir denn so früh am Morgen die Erlaubnis gegeben? Sag mir nicht die Adeligsten der Adeligsten sind schon wach!“ Luicas biss sich auf die Zunge. Seit wann log er so schlecht? „Der König ist heute früher aufgestanden als gewöhnlich…wegen einer Ratssitzung.“ Der Schmied nahm seine schlechte Ausrede mit Humor. Er klopfte ihm auf den Rücken. „Na, wie wäre es jetzt mit einem schönen Frühstück?“ Rajah klatschte freudig in die Hände. „Das war mir klar.“, lachte der Schmied. „Lucias? Was ist mit dir? Du hast doch bestimmt auch nicht gefrühstückt, nachdem du dich so früh aus dem Schloss geschlichen hast.“ Der Mann zwinkerte ihm zu, als der sah wie Lucias errötete. „Ach, ich meinte nachdem du so früh die Erlaubnis zu Freigang bekommen hast.“ „Lasst uns gehen! Ich habe richtig Hunger!“, funkte Rajah dazwischen und zog am Arm ihres Vaters. „Dann lasst uns gehen bevor du verhungerst.“ Herm wies seinen stellvertretenden Gesellen an den Lehrlingen zu zeigen wo und wie sie die Rohstoffe einlagerten. Während er selbst mit den beiden Kindern die Schmiede verlies und sich zur Straße nach links wandten. Am Ende der Straße schloss ein kleiner Garten an. Mit einem kleinen aber gemütlichen Häuschen. Das Haus des Schmieds. Er öffnete die Tür und ließ die Kinder vor ihm eintreten, ehe er sich umsah und die Tür hinter sich schloss. Die Stube war eng. Der Hauptraum war sowohl der Wohnraum als auch die Küche. In der Ecke befand sich die Kochstelle, die so früh am Morgen allerdings kalt und dunkel war. In der Mitte stand der grobe runde Holztisch mit den vier Schemeln. Ganz hinten, durch einen Vorhang verborgen, waren die Schlafnischen. Überall lagen Stahl- und Holzproben, halbfertige Waffen und Werke der Lehrlinge herum, der Schmied hatte so viele Aufträge, dass er es sich nicht erlauben konnte nur in der Schmiede zu arbeiten. „So!“, Herm donnerte seine Faust auf den Tisch. „Und jetzt trägst du auf, Rajah!“ „Ich? Warum?“ „Als Tochter und als Frau hast du das zu tun!“ Doch Rajah verschränkte nur mit zusammengekniffenen Augen die Arme vor der Brust. „Ich denke gar nicht daran. Königin Zelda muss auch nicht das Essen auftragen, oder?“ „Du bist aber im Gegensatz zu unserer verehrten Königin nicht vom adligen Blut!“ Rajah machte noch immer keine Anstalten zu gehorchen. Seufzend begann der Schmied mit dem Aufdecken des Tisches und murmelte dabei unentwegt: „Was mache ich nur mit diesem Kind?“ Rajah und Lucias setzten sich an den Tisch und versuchten ihr Grinsen zu verbergen. Herm schnitt den frischen Brotleib und stellte ihn auf den Tisch, zusammen mit reichlich Schinken und Käse. Und einer ganzen Kanne voll frischer Milch. Sie war noch warm. Gierig langten die beiden Kinder zu. Sie hatten wirklich Hunger. Der Schmied schmunzelte und schenkte ihnen die warme Milch in ihre Becher, die sie hastig tranken. „Na ihr seid ja wirklich hungrig. Lucias! Gibt man dir im Schloss nichts zu Essen?“, lachte er. Lucias sah vom Brotleib auf, von dem er gerade hatte abbeißen wollen. Oberhalb seiner Lippe saß ein Milchbart. Er leckte ihn weg, doch in den Mundwinkeln blieb etwas Milch zurück. Beschämt kräuselte er die Lippen. „Doch. A…aber hier schmeckt es viel besser!“ „So?“ Herm zog eine Augenbraue hoch. „Du verzichtest also lieber auf Marmelade, Schockoladenmilch, Honigkuchen, Feigenmoos und Milchbrot für ein kleines Frühstück bei uns?“ Lucias schluckte. „Lieber hier, als allein in meinem Zimmer.“, murmelte er. Der Schmied musterte ihn kurz und mitleidig. Wie alle Erwachsenen wusste auch er um das dubiose Auftauchen Lucias. Und er hatte Ganondorf schon einmal gesehen und wusste um die Ähnlichkeiten. Darum hatte er reagiert wie jeder Erwachsene, der unter der Schreckensherrschaft des Gerudokönigs gelitten hatte. Er hatte Lucias ignoriert. Und er hatte reagiert wie jeder Vater. Er hatte Rajah verboten mit ihm zu reden sobald er Wind von ihrer Freundschaft bekommen hatte. Aber als er ihnen jeglichen Kontakt verbot, hatten sie sich einfach heimlich getroffen. Deshalb hatte er entschieden sich Lucias näher anzusehen. Und ihnen letzten Endes erlaubt miteinander zu spielen. Wenn ihm auch nicht sehr wohl dabei war. Die Kinder aßen ordentlich. Das ganze Brot verschwand in ihren Bäuchen. Dann sprang Rajah auf und stürzte zu ihrer Schlafnische. Sie krallte sich ihre Tasche. Eine hübsche Tasche aus echtem Leder, die sie von ihrem Vater zu ihrem siebten Lebensjahr bekommen hatte. „Wir gehen spielen.“, verkündete sie, packte Lucias und zog ihn zur Tür. „Ihr geht? Warum spielt ihr nicht hier drin? Spielt doch Radmühle oder Siebenzahl!“, rief ihnen Herm hinterher. Rajah verzog nur das Gesicht. „Wir sind beim Brunnen!“ Und sie verschwanden aus der Tür. Sie liefen die Straße entlang, doch nicht die zur Hauptstraße. „Sag mal, solltest du nicht aufhören deinen Vater anzulügen?“, fragte Lucias ernsthaft besorgt. „Du kriegst Ärger, wenn er irgendwann herausfindet, dass wir uns immer hinter der Zitatelle verstecken.“ Doch Rajah winkte nur ab. „Das wird er schon nicht. Er hat viel zu viel zu tun.“ Seite an Seite schlichen sie sich die Stufen zur Zitadelle hinauf. In dieser Gegend der Stadt war nichts los.

Nur ab und zu kamen ein paar Leute aus der Stadt oder Wanderer hierher um in der Zitadelle der Zeit zu beten und den Göttinnen zu huldigen. Hier waren sie ungestört. Deshalb war es ihr Lieblingsort. Sie verkrochen sich an die Rückwand der heiligen Stätte und setzten sich ins Gras. Rajah öffnete umgehend ihre Tasche und zog den Inhalt heraus. Es war ein Buch mit schwarzem Einband. Eifrig hielt sie es Lucias unter die Nase. „Wann kannst du mir das nächste bringen?“ Erstaunt nahm es Lucias an sich. „Du hast es schon gelesen?“ Er sah seine Freundin ihn erwartungsvoll anblicken. „Ehrlich, Rajah. Ich weiß nicht ob ich dir noch ein Buch bringen kann. Der Haushofmeister sieht mich immer so misstrauisch an, wenn er mich auch nur in der Nähe der Bibliothek erwischt.“ „Was soll das heißen?“, fragte sie und verzog das Gesicht. „Du bringst mir keine Bücher mehr?“ Er grinste. „Was stört es dich denn? Du bist eine Frau!“ Sie nahm ihn in den Schwitzkasten und drückte zu. Er versuchte sich zu befreien, aber gegen seine Freundin hatte er keine Chance. Sie war zu stark. „Nimm das sofort zurück, du Großmaul!“ Er keuchte und würgte. „Ja…ja!“ Sie ließ los und er rieb sich seinen geschundenen Hals. Stolz klopfte sie die Hände. „Wenn du genauso wie alle anderen glaubst, dass Frauen zu dumm zum Lernen sind, warum hast du mir dann lesen und schreiben beigebracht?“ „Weil du mich dazu gedrängt hast! Hast du das schon vergessen?“ Sie schupste ihn und er lachte. Sie stimmte ein. Dann aber wurde sie ernst. „Das meinst du doch nicht wirklich, oder? Ich will das Lesen nicht verlernen!“ Er schüttelte den Kopf. „Keine Sorge, so was verlernt man nicht! Ich werde es versuchen, aber ich kann dir nichts mehr versprechen.“ Traurig ließ sie den Kopf sinken. Rajah wusste wie viel er schon für sie getan hatte. Frauen war das Erlernen der Buchstabenkunst nur erlaubt, wenn sie adligen Blutes waren – und auch dann nur mit Zustimmung ihrer Väter oder Ehemänner. Außer natürlich sie waren Gerudos, das Volk der Gerudos bestand schließlich ausschließlich aus Frauen und wo es keine Männer gab, dort konnten Frauen nicht unterdrückt werden. Sie hatten ja keine Ahnung, dass die Gerudofrauen zwar nicht unter einer Vielzahl von kleinen Männern dafür aber unter dem schlimmsten König, den es je gegeben hatte, hatten leiden müssen. Ihnen war der Name Ganondorf kein Begriff. Weil kein Erwachsener diesen Namen aussprach und kaum etwas von den schlimmen Jahren an die nächste Generation weitergegeben wurde. Um sie aufzumuntern öffnete Lucias das Buch auf einer zufälligen Seite. Verwundert sah sie zu ihm auf, in sein geheimnisvolles Grinsen. Er tat als sähe er sich ganz genau um, als passiere gleich etwas, was niemand außer ihr sehen durfte und hob die Hand. Mit einer mystischen Geste strich er über die Seite. Aber es geschah nichts. Mit gerunzelter Stirn blickte sie von der Seite zu ihm auf und wieder auf das Buch. Gerade wollte sie ihn fragen was das gewesen war – da geschah es! Ein paar der Buchstaben auf der Seite lösten sich vom Pergament. Rajah wären beinahe die Augen ausgefallen. Lucias begann leise eine Melodie zu summen und die gelösten Buchstaben begannen wild auf den Seiten zu tanzen. Wie gebannt sah Rajah dabei zu. Sie hatte so große und erfreute Augen, dass man sie fast für die Lederbälle hielt, die Link und Zelda bei ihrem Schlägerspiel benutzten, wenn sie einmal wieder etwas Zeit für sich gefunden hatten. Euphorisch klatschte sie in die Hände. Es war so atemberaubend! Nach einer Weile stoppte Lucias seinen Gesang und die Buchstaben hüpften augenblicklich auf ihre Plätze. Er blies leicht über die Seite und sie klappten nach hinten um, als hätte sie ein gewaltiger Wind von den Füßen gerissen. Sie waren wieder Teil ihrer Wörter. Noch immer konnte es Rajah nicht glauben. Sie riss ihm das Buch aus der Hand und drehte es um. Doch es fielen keine Buchstaben daraus herunter. Sie strich mit dem Finger über sie, doch sie rührten sich nicht von der Stelle. „Unglaublich!“, japste sie. „Seit wann kannst du das? Bis letztes Mal hast du nur kleine Dinge schweben lassen können!“ Verschwörerisch zuckte Lucias die Achseln. „Ich übe eben jeden Tag. Gestern habe ich es sogar geschafft Wasser zu einer Kugel in meiner Hand zu formen!“ „Echt?“, staunte Rajah.

„Zeig es mir!“ Sie sprang auf die Beine. „Komm, gehen wir zum Brunnen!“ Sie wollte losstürmen, doch Lucias hielt sie am Knöchel zurück. „Nein, warte Rajah!“ Sie drehte sich wieder herum. „Ich kann es dir nicht zeigen. Ich darf es nicht. Naboru hat gesagt ich darf es niemandem zeigen, wie ich Magie gebrauche.“ „Naboru? Die Weise der Geister?“ Lucias nickte. Seufzend ließ sie sich wieder neben ihm nieder. „Warum nicht?“ „Keine Ahnung. Sie hat gemeint die Leute haben Angst vor Magie.“ Argwöhnisch sah sie ihn an. „So ein Quatsch! Die Weisen haben unsere Eltern mit Magie gerettet und beschützen Hyrule immer noch mit Magie! Warum sollten die Leute also Angst vor Magie haben? Und warum solltest du nicht zeigen dürfen, dass du magische Kraft hast?“ Er zuckte die Achseln, sah aber lachend wieder zu ihr auf. „Vielleicht, weil die Leute darauf genauso reagieren würden, wie dein Vater, wenn du ihm was vorläsest.“ Erneut brachen sie in Gelächter aus. Sie lachten so lange bis ihnen die Tränen kamen. Plötzlich fiel Rajah ihm um den Hals und sie kippten nach hinten ins Gras. „Weißt du was, vielleicht sollte ich ja vor den König treten und ihn bitten, dass mein Vater dich adoptieren darf.“, schlug sie mit begeisterter Stimme vor. „Dann könnten wir uns jeden Tag sehen, nicht nur ab und zu!“ Abfällig wischte er diesen Vorschlag weg. „Gib doch nicht so dummes Zeug von dir. Der Rat der Weisen würde niemals zulassen, dass mich jemand adoptiert. Außerdem will mich dein Vater sowieso nicht in seinem Haus! Nicht für immer!“ „Aber wir könnten es doch versuchen!“ Sie setzten sich auf. „Und wenn du es trotzdem versuchst? Frag den König doch einfach.“ Lucias seufzte. „Du wirst sehen, ich werde meinen Platz immer im Schloss haben. Ob es mir passt oder nicht.“ Sie erhoben sich und das Buch verschwand wieder in der Tasche. Gemeinsam schlichen sie die Wand der Zitadelle entlang. Sie wollten zum Markt, doch möglichst unbemerkt um ihr Versteck nicht zu verraten. Dass sie durchaus entdeckt worden waren, das merkten sie nicht. Genauso wie die stetige Observierung seitdem Lucias das Schloss verlassen hatte. Ein Schatten blinzelte hinter einem Baum hervor. Es war Impa. Lucias blieb recht lange weg. Er bekam sowieso Ärger, deshalb hatte er den Tag so lange wie möglich genossen. Er sah Rajah ohnehin so selten und wenn er jetzt für seinen Ungehorsam Arrest bekam – mit dem kannte er sich zur Genüge aus – dann eine ganze Weile gar nicht mehr. Das Buch trug er unter seinem Arm. Wie immer hatte er sich an den Wachen vorbei geschlichen. Er wollte das Buch zurück in die Bibliothek schmuggeln, bevor er seine Anwesenheit offenbarte. Die langen Gänge war er entlang geschlichen. Jedem Wachmann war er ausgewichen, sogar dem Haushofmeister, der hektisch von einem Ort zum andern stampfte und die Dienerschaft herumscheuchte. Aber, wie er von seinen grandiosen Fähigkeiten bereits erwartet hatte, war er nicht entdeckt worden. Lucias war eigentlich bescheiden und vorsichtig. Seltsamerweise nur dieses Mal nicht. Denn als er die schwere Tür zur Bibliothek öffnete, sah er viel zu spät die Zofe, die an einem der Regale stand und ein dickes Buch herauszog. Um es auf den niedrigen Tisch vor dem Kamin zu legen. Auf dem Diwan daneben saß Zelda. Sie hatte ihren kleinen Sohn auf dem Schoß. Er sprang sofort von dem geöffneten Spalt zurück, doch ehe er davonlaufen konnte, hatte Zelda ihn nicht nur gesehen sondern auch erkannt. „Lucias?“ Lucias erstarrte zu Stein, so fühlte es sich für ihn an. „Lucias, komm her!“ Ihr Tonfall war kühl und ließ kein Widerwort zu. Lucias atmete tief durch. Schon gut, das schaffte er schon, egal was sie sagte. Er begegnete Zelda allein äußerst ungern. Aber er überstand es schon. Sie war schließlich kein tollwütiges Pferd! Er schob sich in die Bibliothek.

Das Buch möglichst unauffällig halb versteckt hinterm Rücken. Elegant saß Zelda auf dem Diwan, gerade sitzend, die Beine aneinander gelegt und nur leicht zur Seite geneigt. Der Seidenstoff ihres rosafarbenen Kleides fiel darüber. Ihr langes blondes Haar war zu einem feinen Zopf gebunden, in den eine kleine goldene Krone gesteckt war. Sie trug weiße Handschuhe, die über eine Seite Pergament strichen und umblätterten. Es war ein Legendenbuch, mit wunderschön geschwungenen und verzierten Buchstaben und den herrlichsten Illustrationen, die man sich vorstellen konnte. Es war aus Holodrum geliefert worden, direkt aus der Werkstätte des berühmtesten Buchillustratoren der ganzen Welt. Extra für Davin. Dieses Legendenbuch erzählte von einem Helden, der schon jetzt eine Legende war – obwohl er noch munter auf dieser Welt verweilte. Zelda deutete mit ihrem Finger auf die Zeichnung, die einen Mann in grüner Kleidung und grüner Zipfelmütze zeigte, der einen schweren Hammer schwang um ihn auf das Drachenmonster zu schleudern, das ihm Feuer entgegenspuckte. „Siehst du, das ist Vulvagia, der Drache, der im Feuerberg gehaust hatte. Dein Vater hat ihm den Schädel eingeschlagen. Mit dem heiligen Relikt der Goronen.“ Freudig zappelte Davin auf dem Schoß seiner Mutter herum und sah zu ihr auf. „Ich weiß doch, Mama! Dafür haben er und Darunia Blutsbruderschaft geschlossen.“ Liebevoll gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn. „Du weißt ja so viel, mein Liebling.“ Er schmiegte sich an sie. Dann erst wandte sie sich an Lucias, der nervös zugesehen hatte. „Was hast du da hinter deinem Rücken?“ Lucias zuckte zusammen, von ihrer Liebe gerade eben war nichts mehr für ihn übrig. „Äh…“ Er zog das Buch hervor. „Nur ein Buch. Ich…ich habe gestern Abend darin gelesen.“ Sie streckte den Arm aus und er übergab es ihr sofort. „Die Schöpfungsgeschichte der heiligen Göttinnen.“, las Zelda den in goldenen Lettern gefassten Titel und musterte ihn durchdringend. Er hatte das Gefühl, ihr Blick würde sich gleich wie ein Schwert in seinen Leib bohren. Zelda hielt das Buch hoch. „Dieses Buch fehlt seit mehr als fünfzehn Tagen. Und in deinem Zimmer war es nicht zu finden. Wo hast du es gehabt?“ Durch Lucias fuhr ein Schauder. Was sagte er jetzt? Er war so nervös. Und wenn er ihr von Rajah erzählte? Davon, dass er der Tochter des Stadtschmiedes Lesen beigebracht hatte? Nein! Das würde ihn und Rajah in Schwierigkeiten bringen. Aber lügen? Konnte er sie anlügen? Das klappte vielleicht bei Darunia und Ruto und vielleicht auch bei Rauru, der war schon zu alt für einen klaren Kopf. Aber doch nicht bei Königin Zelda. „Hast du deine Zunge verschluckt?“ „Nein…nein, Majestät.“, japste Lucias, während der kleine Prinz das Buch ergriff und es neugierig durchblätterte. „Ich hatte es nur…ich meine ich hatte es unter der Schlafmatte.“ „Unter der Schlafmatte?“, wiederholte Zelda übertrieben erstaunt. „Und warum dort und nicht auf dem Schreibtisch?“ „Ich…äh…“ Lucias fiel keine Ausrede ein. Denk, verdammt noch mal, dachte er. Denk! „Naja…ich…“ Er tat als schäme er sich. „Ich wollte nicht, dass jemand sieht, dass ich Kinderbücher lese.“, antwortete er und sah verschüchtert zu Boden. „Ich…ich bin doch schon zu alt für Märchen.“ „Märchen? Du hast das Buch also versteckt, weil du findest das Buch ist zu kindisch um es in der Öffentlichkeit zu lesen?“ Er sah nicht auf. Erst als Zelda anfing herzhaft zu lachen. Er hatte sie noch nie so lachen hören. Noch nie ein solches Lachen, das ihm gegolten hatte. Sie klopfte neben sich auf den Diwan. „Setzt dich, du Großer! Und wenn du schon zu erwachsen für Märchen bist, dann ließ sie uns vor. Einer von uns ist noch klein genug dafür.“ „He!“ Sofort verschränkte Davin beleidigt die Arme vor der Brust. „Ich bin nicht klein! Ich bin auch schon groß!“ Zelda lachte noch immer. Sachte kniff sie ihrem Sohn in die Wange. „Natürlich nicht! Wie komme ich nur darauf?“ Davin kicherte. Lächelnd sah Lucias zu. An die Rolle des Zuschauers hatte er sich längst gewöhnt. „Na, was ist jetzt Lucias?“ Eilig nahm Lucias Platz und legte sich das Buch auf den Schoß. Das Buch über Links Geschichte. Es klang tatsächlich wie ein einziges Märchen! Wer sollte das auch alles glauben? Riesige Spinnenmonster, Phantome, Drachen. Dämonen, die aus Brunnen ausbrachen und Wesen, nur aus Wasser bestehend. Das klang so unglaublich. Wer sollte solche Wesen erschaffen haben? „Ließ das Kapitel über den Drachen im Feuerberg!“, forderte Davin. Den Befehlston seiner Mutter beherrschte er fast so perfekt wie sie. „Aber Davin! Das habe ich dir doch so oft vorgelesen.“, erklärte Zelda. Doch Davin bestand darauf. Es war sein Favorit unter den Gegnern seines Vaters. Währenddessen schlug Lucias das Buch wahllos auf und bewunderte die Illustrationen. Sie waren so schön! Er strich über die Farben. Sie waren rau auf dem Papier. Er wusste wie schwer es war Farben herzustellen.

Er hatte darüber gelesen. Über das zerreiben von angebranntem Elfenbein für Schwarz, das zerdrücken von Senfkörnern für die Farbe Gelb. Und wie schwer es war die Farbe Blau herzustellen. Ob er das Buch Rajah als nächstes zum Lesen geben sollte? Ob sie die Farbherstellung interessierte? Als Schmiedin wohl eher nicht. „Wie wäre es, wenn wir das letzte Kapitel lesen?“, fragte er scherzhaft. „Dann weiß ich schon wie es ausgeht.“ Doch er machte tatsächlich anstallten dafür. Er warf einen ganzen Bündel Blätter um und war auf den letzten Seiten. Unweigerlich musste Lucias daran denken, dass er gar nicht so genau wusste, wie es ausging. Sicher, Link hatte gewonnen. Aber was wusste er sonst? Es hatte einen Tyrannen gegeben, der Hyrule sieben Jahre lang unter seiner grausamen Herrschaft hielt. Aber sonst? Wie hatte Link ihn mit dem Masterschwert bezwungen? Wie hatte der Tyrann es überhaupt geschafft an die Macht zu kommen und sie sieben Jahre lang zu festigen? „Halt! Nein!“ Jäh klappte Zelda ihm mit einem Schwung das Buch im Schoß zu. Lucias und auch Davin erschraken sich über die heftige Reaktion. Er hatte nur ein Wort lesen können. Ganondorf… „Das letzte Kapitel wird nicht gelesen, von keinem von euch beiden!“, wies Zelda sie an, mit einem freundlichen Lächeln aber in bestimmendem Ton. „Ihr seid noch zu klein dafür.“ Davin öffnete den Mund um zu protestieren, doch Zelda sah ihn ernst an. „Beide!“ Davin klappte den Mund wieder zu. „Und jetzt wird aus dem anderen Buch vorgelesen!“ „Och, Mann!“, jammerte Davin. Doch er schwieg sofort, als er den Blick seiner Mutter sah. Lucias legte das Buch auf den Tisch und nahm die Schöpfungsgeschichte an sich. Er begann die erste Zeile laut vorzulesen. Er las bis Zelda die Lesestunde für heute beendete. Lucias übergab die beiden Bücher der Zofe, die sie zurück ins Regal stellte. Er verließ die Bibliothek hinter Zelda und Davin. Aber das Buch vergas er nicht. Er hatte noch Unterricht. Dafür, dass er den Unterricht heute Morgen geschwänzt hatte. Doch zu seinem Erstaunen war es nicht Naboru, die auf ihn gewartet hatte. Es war Rauru. Seltsam war es schon, Rauru hatte ihn noch nie unterrichtet. Rauru war der persönliche Lehrer des Prinzen. Außerdem hatte er den Eindruck als fühle sich Rauru noch nicht einmal wohl in seiner Nähe. Er hatte ihn danach fragen wollen, aber er wagte nicht Rauru Fragen zu stellen. Er saß nur artig da und machte seine Lektionen. Obwohl der Weise des Lichts ihn behandelte als sei er Davin. Er machte mit ihm Übungen mit einfachen zweistelligen Zahlen, obwohl sich Lucias bereits mit Flächenrechnungen und astronomischen Formeln auskannte. Und er ließ ihn Texte für Kinder lesen, die erst mit der Buchstabenkunst begannen, obwohl sich Lucias bereits mit zeitgenössischer Adelsliteratur und Lyrik beschäftigte. Lucias wäre beinahe an Langeweile gestorben. Darum sprang er gleich auf und stürmte aus dem Raum, sobald Rauru auch nur den Satz begann: „So, das reicht für heute. Du kannst…“ Noch während er den Gang entlang schritt spielte er mit dem Gedanken in die Bibliothek zurückzukehren und sich das Buch zu krallen. Um das verbotene letzte Kapitel zu lesen. Doch er wurde daran gehindert, denn der Haushofmeister übermittelte ihm die Nachricht, dass er zum Abendessen an den königlichen Tisch eingeladen war. Und dass er sich zuvor baden sollte, weil er fürchterlich nach Stadt stank. Also folgte er dem Haushofmeister in den Raum mit dem Badezuber für die Bediensteten. Er wurde von zwei Zofen gewaschen und bekam bessere Bekleidung als seine Alltagskleider. Schließlich war er zu Tisch geladen worden. Eigentlich freute er sich immer riesig darüber eine Einladung zum gemeinsamen Mahl zu erhalten, weil er sonst einsam sein Essen auf dem Zimmer genießen durfte, während die königliche Familie, und sogar die Schlossdiener in der Speisekammer, gemeinsam aßen. Heute aber nicht. Nicht nur wegen des Verbots, sondern auch weil er Angst vor Zelda hatte. Wenn Zelda mal nett zu ihm war – was sowieso selten vorkam – dann war sie nur Stunden später noch eisiger und böswilliger zu ihm. Wahrscheinlich weil ihr erst dann bewusst wurde, dass sie sich so vergessen hatte freundlich zu ihm zu sein und sie doppelt so gemein zu ihm sein musste um die vorherige Freundlichkeit wieder auszugleichen. Darum war er ganz verschämt als er vom Haushofmeister in den königlichen Speisesaal geführt wurde. Er wollte sich an seinen gewöhnlichen Platz, weit hinten am Tisch, setzen, doch der Haushofmeister wies ihm den Stuhl gleich rechts neben dem Ecksessel. Dem Stuhl des Königs. Lucias war verwundert. Doch er folgte, er stellte sich an den zugewiesenen Stuhl. Setzen tat er sich natürlich nicht, denn die Tafel war noch leer. Erst wenn die Königsfamilie eintraf und sich setzte, erst dann durfte sich gesetzt und mit dem Mahl begonnen werden. Es war schon aufgedeckt worden. Platten mit Käse und Wurst, Fleischpasteten, gefüllte Eier, gebratener Fisch, Weißbrot. Und zum Nachtisch Feigen und Kuchen. Aus einer Kanne dampfte warmer und mit Honig gesüßter Kamillentee. In der Kanne daneben war sicher leichter Wein.

Noch seltsamer wurde es als sich der Tisch nicht füllte. Der Rat der Weisen, die Hofdamen, der Adelsstaat, die obersten Ritter, sie alle blieben aus. Keiner, der für gewöhnlich am Abendmahl teilnahm, kam zu Tisch. Erst als er eine geschlagene Weile so dastand, dann kam die königliche Familie an den Tisch. Lucias war schon irritiert, mit ihnen allein hatte er noch nie gespeist. Er war schließlich weder ihr Sohn noch der eines Adeligen. Im Vorbeigehen klopfte ihm Link auf die Schulter. „Nimm ruhig Platz, Lucias.“ Lucias wartete bis die Familie saß. Link auf dem großen Stuhl am Ende, Davin auf seinem Knie und Zelda an die linke Seite, ihm selbst gegenüber. Dann setzte auch er sich. Der Haushofmeister ließ von zwei Dienerinnen die Becher füllen. Dann verschwanden sie alle. Was ebenfalls sehr merkwürdig war. Lucias stellte sofort alle seine Sinne auf Gefahr. Ob sie herausbekommen hatten, dass er regelmäßig Bücher aus der Bibliothek entfernte um sie einer Handwerkertochter zum Lesen zu geben. Was…wenn sie auch noch wussten, dass er selbst ihr das Lesen beigebracht hatte? Sie aßen stillschweigend. Link schnitt für seinen Sohn die Fleischpaste in kleine Happen, damit dieser sie sich leicht in den Mund schieben konnte. Davin blickte immer wieder zu seinem Vater und kicherte. Sie beachteten ihn gar nicht. Lucias fühlte sich überhaupt nicht gut. Zelda sah immer wieder zu ihm herüber, während sie, ordentlich wie es sich für sie gehörte, die kleine Menge, die sie sich auf den Teller gelegt hatte, aß. Sie musste sehen wie bleich er geworden war. Nach einem Schluck Wein legte Link endlich das Messer weg. „Sag mal, Lucias. Du warst heute in der Stadt?“ Lucias schluckte. „Äh, ja.“ „Ohne uns etwas zu sagen? Fandest du, das war uns gegenüber fair?“ Link sah ihn tadelnd an. „Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Du hättest wenigstens dem Haushofmeister bescheid sagen können!“ Er senkte den Kopf. „Tut…tut mir leid.“ „Ist schon gut.“, erwiderte Link. „Aber sag noch, wer war dieses Mädchen?“ Durch Lucias fuhr ein Zucken. „Und was habt ihr hinter der Zitadelle mit dem Buch gemacht?“ Woher wusste er es? Woher? Woher wussten sie bescheid? Hatte Rajah sie verraten? Nie im Leben! „Du hast doch wohl nicht…“ Sofort sprang Lucias auf die Beine. „Ich wollte es eigentlich nicht! Sie hat mich dazu gebracht! Sie hat mich angebettelt ihr das Lesen und Schreiben beizubringen. Wirklich, sie hat mich dazu gebracht. Ich hab ihr gesagt sie kann das doch nicht lernen, weil sie nur die Tochter des Schmieds ist, aber sie hat mich dazu…“ Lucias verstummte. Die verwunderten Gesichter von Link und Zelda passten nicht zu dem Wissen, dass er Rajah die Buchstabenkunst gelehrt hatte. Er schluckte. „Du hast einer Handwerkertochter das Lesen und Schreiben beigebracht?“, wiederholte Zelda in einem scharfen Ton und schüttelte fassungslos den Kopf. Doch Link fand es eher zum Lachen. Darum lachte er jetzt auch. „Selbst noch ein Schüler und spielst schon den Lehrer? Na so etwas, Lucias. Sehr interessant mit was du dir die Zeit vertreibst.“ Lucias errötete. Wie dumm war er gewesen. Davon hatten sie nichts gewusst und er hatte es ihnen an den Kopf geworfen. Ohne ihnen zuzuhören. Plötzlich hatte er Angst vor den Konsequenzen. Noch mehr vor Rajahs als vor seinen, denn sie trug in diesem Fall das schlechtere Los. „Bitte, es ist nicht Rajahs Schuld. Ich habe es ihr beigebracht. Ich…es ist wirklich nicht ihre Schuld. Sie hat mich zwar darum gebeten, aber schließlich habe ich mich überreden lassen. Es…es war meine Schuld nicht ihre. Bitte bestraft sie nicht.“ Zelda musterte ihn streng, doch sie sagte dazu nichts. Nur Link winkte ab. „Schon gut, wie könnte ich ein kleines neugieriges Mädchen bestrafen? Es ist zwar ungewöhnlich, dass die hiesige Schmiedtochter die Kunst der Buchstaben beherrscht, aber ebenso seltsam war ein kleiner wachsender Junge ohne Fee unter den Kokiris auch. Ich kenne mich also mit Ungewöhnlichkeiten aus.“ Nun warf ihm Zelda einen Blick zu, doch sie blickte nicht mehr verärgert. Sie hatte sogar ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Lucias war erleichtert. Rajah wurde nicht bestraft und, wenn er Glück hatte und das Thema jetzt gegessen war, er auch nicht. Er setzte sich wieder. Doch genau dann richtete sich Link auf und wurde Ernst. „Aber jetzt lass uns mal über das Eigentliche reden.“ Lucias wurde wieder bleich. „Als wir festgestellt haben, dass du das Schloss unerlaubt verlassen hast, habe ich Impa geschickt dich zu suchen.

Sie fand dich hinter der Zitadelle der Zeit und hat mir dann Bericht über etwas sehr Interessantes erstattet.“ Oh, nein! Jetzt dämmerte es Lucias. Er schluckte schwer. „Sie sagte sie habe gesehen wie du Buchstaben aus dem Buch hast tanzen lassen.“ Link musterte ihn lange. Die Pause wirkte, denn Lucias begann zu zittern. „Naboru hat mir gestern auch so etwas Ähnliches erzählt. Sie sagte du könntest Wasser in deiner Hand fangen. Stimmt das?“ Lucias blieb reglos sitzen. Den Blick auf die Tischplatte gerichtet. „Hast du deine Magie benutzt?“ Davin blickte verwirrt aber neugierig immer wieder zwischen den Dreien herum. Von Magie verstand er gar nichts, auch wenn er der Sohn einer der Weisen war. Er war genau wie sein Vater. Magiefrei. „Lucias!“, sprach Zelda in einem drohenden Ton. „Antworte, wenn du gefragt wirst.“ Lucias presste die Lippen aufeinander und sah auf. Er sah zuerst in Zeldas Gesicht und dann in Links. Schließlich nickte er. Links Gesichtszüge wurden weich. „Seit wann beherrscht du deine Magie?“ Er zuckte die Achseln. „Schon eine ganze Weile.“ „Und warum hast du uns nichts davon gesagt?“, hackte Zelda nach. Lucias verzog das Gesicht. „Weil ich dann wieder in mein Zimmer eingesperrt werde! Denkt ihr ich weiß das nicht?“ „Aber das stimmt doch nicht!“, entgegnete Link. „Es ist nur so, dass ungelernter Umgang mit Magie sehr gefährlich werden kann. Das solltest du doch wissen!“ Lucias schnaufte. Er glaubte ihm nicht. Link legte ihm seine Hand auf die Schulter. Freundschaftlich – aber mit Nachdruck. „Wir alle wollen dir helfen. Wir wollen, dass du ein gewissenhafter, starker und gutmütiger Mann wirst. Aber dazu musst du uns vertrauen, Lucias!“ Lucias presste die Lippen aufeinander. Er nickte, aber in seinem Inneren war er nicht überzeugt. Link mochte das so meinen wie er es gesagt hatte, aber er konnte nur für sich sprechen. Lucias musste nur zur Königin hinüber sehen, um zu wissen, wie unerwünscht für die meisten er war. Zelda legte die Ellbogen auf dem Tisch ab, was sie sonst nie tat. Sie musterte Lucias mit ihrem kalten und einschüchternden Blick, sodass er gleich wieder den Kopf senkte. Doch dann geschah etwas, was Lucias niemals für möglich gehalten hätte – sie war freundlich zu ihm. „Nun, ich bin mir sicher, Lucias, dass du nicht mehr ungehorsam bist, dazu bist du doch ein viel zu kluger und vorbildlicher Junge.“ Überrascht sah er auf und sah Zelda lächeln. „Und damit du auch keinen Grund mehr zur Ungehorsamkeit hast solltest du deine kleine Freundin einmal zu uns ins Schloss einladen.“ „Wirklich?“, stieß Lucias heraus, lauter als er beabsichtigt hatte. „Ich bin mir sicher, dass Herm nichts dagegen hat, wenn seine Tochter sich einmal das Schloss ansieht. Also? Willst du sie nicht einmal einladen? Damit wir sehen welches kleine Mädchen sich die Buchstabenkunst ergaunert hat?“ Lucias strahlte. Während Davin noch immer verwirrt um den Tisch blickte. Als er sehen konnte war alles weiß. Um ihn herum alles weiß. Es war strahlendweißes Licht, aber komischerweise blendete es ihn nicht. Vielleicht lag es daran, dass er selbst auch strahlendweiß war. Er hatte gar nichts an. Es gefiel ihm hier nichts. Es war hell, es war warm. Doch alles das trug nicht dazu bei, dass er sich wohl fühlte. Es war so einsam hier. Es war gar nichts hier, gar nichts! Nur er. Er war allein in dem weißen Nichts. Der Boden war bedeckt von warmem Sand, der ebenso weiß leuchtete. Mit dem Fuß fegte er ihn in die Höhe. Es glitzerte. Aber er blieb allein. Er schritt weiter. An der Leere änderte sich nichts, aber was er sonst tun sollte wusste er nicht. Bei jedem Schritt fegte er den Sand vor sich her. Aber treffen tat er niemanden. Von dem vielen Sand musste er niesen. Plötzlich war da dieses Flüstern. Er fuhr zusammen. Das Flüstern zog sich durch das ganze Licht. Er versuchte die Wörter zu verstehen. Aber es gelang ihm nicht. Die Worte waren ihm vertraut und doch konnte er sie nicht verstehen. Die Stimme riss Löcher in die Stille. Und Löcher in das Licht. Schwarze Flecken verunreinigten das Licht, wie Tintentropfen, die auf reines Pergament tropften. Die Flecken breiteten sich aus wie Feuer, das Papier versenkte. Das Licht wurde zurückgedrängt und er konnte nur irritiert und verängstigt zusehen. Wie sich eine gewaltige Wand undurchdringlicher Schwärze direkt vor ihm erhob. Er verstand das alles nicht. Diese Schwärze machte ihm Angst und zog ihn an zugleich. Er hatte das Gefühl sie gehöre zu ihm, aber er wollte sie auch nicht. Er wollte sie verdrängen. Aber er war zu neugierig. Er blickte sich um – als könne ihn jemand sehen. Er war unsicher. Dennoch tat er es. Er streckte die Hand aus. Er streckte ganz langsam den rechten Zeigefinger aus. Die Hand mit dem goldenen Mal. Das Flüstern redete antreibend auf ihn ein und doch mit beruhigender und verlockender Stimme.

Ganz langsam tauchte sein Finger in die Schwärze. Es war wie Wasser. Eiskaltes Wasser. Kreisende Wellen ließen das Schwarze erzittern wie die Wasseroberfläche, wenn ein Stein sie durchdrang. Mehr traute er sich nicht, er wollte nicht mehr in die Schwärze tauchen. Sie war so kalt. Er zog den Finger wieder heraus. Ein klein wenig Schwärze blieb auf seinem Finger, wie schwarzes Wasser. Doch es blieb nicht. Das strahlende Licht, das ihn durchdrang, löste das Schwarze sofort auf. Wie seltsam. Er sah auf. Die Oberfläche der kalten Schwärze hatte sich beruhigt und war da wie am Anfang. Keine Wellen, keine Bewegung. Nur die Stelle, wo er den Finger hineingetaucht hatte. Dort blieb ein Loch in Größe und Länge seines Fingers. Er war schon verwundert. Mit zusammengekniffenen Augen beugte er sich vor um das mysteriöse Loch genau zu inspizieren. Das Loch passte nicht zum wasserartigen Verhalten des Restes. Aber was passte hier schon zu irgendetwas was er kannte? Das Loch bewegte sich. Genauer gesagt die Schwärze im Loch. Sofort sprang er zurück. Die Angst pochte in ihm. Jäh war sie da. Sie kam aus dem Loch. Sie war pechschwarz. Die Hand, die ihn am Hals packte. Er schrie, aber er konnte nur solange schreiben, bis die Hand zupackte. Er hatte so Angst. Er riss an den Fingern um sie von seinem Hals zu lösen. Doch er konnte nicht. Die Hand zog ihn immer näher an das Schwarze. Sie wollte ihn hineinziehen. Wieder versuchte er zu schreien. Er versuchte sich zu wehren. Doch die Hand war zu stark. Das Flüstern war in seinem Kopf. „Lucias!“ Lucias schreckte aus dem Schlaf hoch. Er war schweißgebadet und seine Wangen brannten. Sein Herz raste in seiner Brust. Er brachte kein einziges Wort heraus, sein Atem ging so schnell. „Lucias! Geht es dir gut?“, fragte Link besorgt, der ihn wachgerüttelt hatte. Erst nach einer Weile begriff Lucias, dass er gar nicht von der Schwärze verschlungen worden war. Er war in seinem Zimmer. Er lag in seinem Bett. Er war so erleichtert! „Ja…ja.“, japste er. Er hatte so wahnsinnige Kopfschmerzen. „Du hattest einen Albtraum, Lucias.“ Mit sanftem Druck forderte er den Jungen auf sich wieder hinzulegen. „Ich war auf dem Weg zum Abort als ich Geflüster aus deinem Zimmer kommen hören habe.“ Lucias konzentrierte sich auf seine Atmung, sie beruhigte sich allmählich. Er hatte so wahnsinnige Kopfschmerzen. Link raffte sich den Morgenmantel und setzte sich auf den Bettrand. „Was hast du gesagt?“ „Wie?“ Lucias war verwirrt. „Was meinst du?“ „Du hast im Schlaf gesprochen.“, wiederholte Link und schlang ihm die Decke enger um den Körper. Die kleine Kerze, die Link mit sich getragen hatte um den Weg zum Abtritt zu finden, warf schwaches Licht auf das verschwitzte und bleiche Gesicht Lucias’. „Du hast in einer Sprache geflüstert, die ich nicht verstehe. War es die Sprache der Gerudos?“ Lucias konnte sich daran natürlich nicht erinnern. Aber er erinnerte sich an das Flüstern in seinem Traum. „Ich…“, stotterte er. „Ich hatte einen Traum. Darin hat eine Stimme in einer komischen Sprache geflüstert. Ich…es war nicht die alte Sprache, ich habe sie selbst nicht verstanden. Aber sie klang der alten Sprache des Gerudovolkes sehr ähnlich. Viele Laute klingen gleich, aber sie ergeben keinen Sinn.“ „Du hattest also einen Traum. Einen Albtraum wie mir schien“, stellte Link klar. „Erzähl. Was hat dir solche Angst gemacht.“ Lucias war es peinlich. Wie stand er denn jetzt da? Er hatte bestimmt wie ein getretener Hund gewinselt und jetzt sollte er dem König seinen blödsinnigen Kinderalbtraum erzählen. Wie eine Memme! „Ich stand da irgendwo. Und alles um mich herum war weiß. So richtig strahlendweiß.“ „Aha. Und weiter?“ In Lucias unruhigen Augen schien das Licht der Flammen wieder. „Und dann war da plötzlich dieses Flüstern in der fremden Sprache. Und dann ist da plötzlich eine schwarze Wand gewesen, obwohl vorher alles weiß war.“ „Und was ist dann geschehen?“ Lucias zitterte. „Da ist plötzlich eine Hand herausgeschossen und hat mich am Hals gepackt.“ Um es Link zu demonstrieren packte er sich selbst an den Hals. „Und sie hat versucht mich in das Schwarze hineinzu…“ „Eine Hand?“, unterbrach ihn Link erschrocken. „Was für eine Hand? War es die Linke oder die Rechte? Hatte sie irgendetwas Auffälliges?“ Eingeschüchtert schluckte Lucias. Mit diesem regen Interesse an dem Albtraum hatte er gar nicht gerechnet. An der Hand schon gar nicht. „Ich…ich weiß nicht. Nein…nein sie war einfach nur schwarz. Ich weiß nicht.“ Er fing an zu weinen, er stand noch unter Schock. Er zitterte. Link merkte, dass der Knabe nicht auf den Traum anzusprechen war.

Nicht jetzt. Darum tätschelte er ihm beruhigend die Schulter. „Nicht mehr weinen, Lucias. Jetzt ist ja alles gut. Es war nur ein Albtraum.“ Lucias heulte auf und klammerte sich um seine Hüften. Um dort weiterzuweinen. Im ersten Moment war Link überfordert und wusste nicht ob er ihn in den Arm nehmen oder ihn von sich weg ziehen sollte. Er war nicht Lucias Vater so wie bei Davin und Zelda würde es sicher nicht gutheißen, wenn er sich Lucias gegenüber so verhielt. Andererseits hatte er den Jungen so sehr ins Herz geschlossen, schon als er ihn in den Überresten der Bestie entdeckt hatte, dass er sich manchmal als solcher fühlte. Darum entschied er sich für die erste Variante. Er streichelte Lucias über den Rücken bis dieser sich ausgeweint hatte und nicht mehr zitterte. Und auch danach noch ließ er ihn gewähren. Er strich ihm noch immer über den Rücken während Lucias sein Gesicht in den Morgenmantel gedrückt hatte. „Hast du so einen Albtraum zum ersten Mal gehabt?“ Durch den Jungen fuhr ein Schauder. Link spürte wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Er löste die Arme um seine Taille und packte den Jungen ernst an den Schultern. „Lucias!“ Lucias wich seinem Blick aus. Dann schüttelte er den Kopf. „Ist es genau dieser Traum?“ „Ja.“, murmelte Lucias, noch immer ohne ihn anzusehen. „Aber es war das erste Mal, dass aus dem Schwarzen eine Hand gekommen ist und mich gepackt hat.“ Erneut kamen Tränen aus seinen Augen. „Ich hab Angst.“ Link drückte ihn an sich. „Lucias, du weißt, dass ich dich gern habe und dich vor jedem beschützen werde, der dir etwas Böses will, nicht wahr?“ An seiner Schulter nickte Lucias. Es war vollkommen still. Es war schließlich niemand in dieser Nacht im Wüstentempel. Niemand? Oben, in der heiligen Halle hinter dem Gesicht der Statue einer alten Priesterin des Volkes, das seit vielen Jahrhunderten ausgestorben war, regte sich etwas. Die Halle lag da wie sie der Held der Zeit vor zehn Jahren verlassen hatte. Es hatte keinen Grund mehr gegeben sie zu betreten, denn die zwei, die in dieser Halle gehaust hatten, waren besiegt und vernichtet worden. So glaubte man es. So glaubten es der Held der Zeit und seine Verbündeten.

Doch das steinerne Schlangenmaul, das den Spiegel hielt, verriet ihre Anwesenheit. Denn die Gothama waren zwar besiegt aber nicht vernichtet worden. Der Spiegel verriet es. Seine glatte Oberfläche spiegelte den Schein ihrer Magie wieder. Ja, es waren zwei leuchtende Kugeln, die den Raum erfüllten. Eine rote und eine blaue. Die Magie von Feuer und Eis. „Hihihi, es ist soweit.“, lachte die rote Kugel. „Wohl wahr, wohl wahr, meine liebe Koume!“, stimmte die Blaue mit ein. Die Kugeln ruhten auf der Stelle. Und gaben ihr Inneres preis. Es waren die beiden Hexen Koume und Kotake, die Ziehmütter und treuesten Diener des Großmeisters des Bösen. Sie hatten nur auf diesen Moment gewartet. „Er hat es gefunden. Der Herr hat sein Gefäß gefunden.“, kicherte die Hexe des Eises, Kotake. „Ja, meine liebe Schwester.“, stimmte Koume zu. Die beiden Hexen sahen in den Spiegel. „Aber wie bringen wir das Gefäß zu ihm?“, fragte Kotake. Darauf lachte die Hexe des Feuers nur. „Wieso zu ihm bringen, Schwester?“ Ihr Lachen war schrill und irre. „Nicht der Herr muss zu dem Körper kommen, der Körper wird zum Herrn kommen. Zu gegebener Zeit wird der Körper wissen wem er gehört.“ Zufrieden sahen beide zu dem Spiegel hinab, der einen rothaarigen Jungen zeigte, wie er sich an einen erwachsenen Mann klammerte und weinte.


Kapitel 6

An den folgenden Tagen ging es Lucias nicht gut. Er hatte hohes Fieber und war kaum wach. Der Leibarzt aber konnte nichts feststellen. Woher das Fieber kam, dafür hatte er keine Erklärung. Und auch Rauru, der ihn mit Hilfe seiner Magie untersuchte, fand keine Ursache.
Darum verbot man ihm das Bett zu verlassen und er musste eklige Tees trinken und ebenso eklige Kräuter kauen. Aber das Fieber wollte nicht sinken.
Und den Traum träumte er jetzt fast nächtlich. Er sagte nichts davon, aber er war überzeugt Link wusste es. Sie wussten es, denn Link hatte seinen Traum im Rat sicher besprochen. Lucias hörte wie sie Posten vor seinem Zimmer bezogen, wenn sie glaubten er schlafe bereits.
Er wusste nicht ob er noch im Schlaf sprach, in dieser seltsamen Sprache. Wenn, dann sagten sie es ihm nicht. Sie sagten ihm ohnehin nichts, obwohl sie ihn kaum noch aus den Augen ließen. Lucias gefiel das nicht. Es machte ihm noch mehr Angst als er schon hatte.
Es war einfach furchtbar! Eine solche Hysterie um ihn hatte er noch nie erlebt. Nicht in diesem Ausmaß.
Deshalb verschloss er sich. Er redete nicht mehr über die Träume, er blieb im Bett. Er weigerte sich zu Essen.
Natürlich redeten sie wieder auf ihn ein, wie immer, wenn sie meinten etwas stimmte nicht mit ihm. Sie stellten ihm die merkwürdigsten Fragen, untersuchten ihn – aber ihm erzählten sie es sei nichts.
Irgendwann blockte Lucias völlig ab. Er sagte gar nichts mehr. Egal wie viel sie ihm erzählten. Der Rat der Weisen war ratlos.

Ja, der Rat der Weisen war ratlos.
Link hatte versucht Lucias Traum so exakt wie möglich wiederzugeben. Seine Schilderung hatte allen Weisen einen Schauder über den Rücken gejagt.
„Was meint ihr dazu? Was hat das zu bedeuten?“, fragte er.
Es war mitten in der Nacht. Normalerweise hielt einer von ihnen Wache vor Lucias Zimmer, doch diese Nacht standen zwei Wachleute dort.
Die Weisen zuckten die Achseln.
Schließlich war es Salia, die aussprach was sich alle fragten. „Meint ihr der Traum hat etwas mit Ganondorf zu tun?“
Die Runde schwieg. Jeder dachte an den Traum, machte sich seine Gedanken.
„Es ist schon seltsam.“, erwiderte Darunia und rieb sich das stählerne Kinn. „Erst eine schwarze Wand und dann schießt eine schwarze Hand daraus, packt ihn am Hals und will ihn in die Wand ziehen.“
„Meint ihr, das ist Ganondorf? War es seine Hand?“, fragte Ruto.
„Unsinn! Wie sollte Ganondorf aus dem Jenseits Kontakt zu ihm aufnehmen können?“, winkte Darunia ab. „Wir haben seine Seele gebannt!“
„Das heißt aber nicht, dass Ganondorf sich nicht in seine Träume schleichen kann!“, widersprach Impa. „Denkt daran was Shjra gesagt hat – zwischen Ganondorf und Lucias besteht eine Verbindung. Lucias ist sein Werk, ein Teil von ihm.“
Darauf erwiderte Darunia nichts. Shjras Worte hatte er nicht vergessen.
„Und was ist mit dem seltsamen Gefasel, das Lucias im Schlaf von sich gibt?“, fragte Zelda. „Was hat das zu bedeuten? Ist es eine Zauberformel oder so etwas?“
„Naboru. Du hast die letzten Wachen übernommen, konntest du es verstehen?“
Aller Augen wandten sich Naboru zu. Doch diese schüttelte nur trübe den Kopf. „Leider nicht. Diese Sprache ist unserer zwar sehr ähnlich, aber…seine Worte ergeben einfach keinen Sinn. Ich verstehe es nicht.“
Seufzend lehnte sich Link zurück und starrte an die Decke. „Und jetzt? Hat einer irgendeine Idee was wir machen sollen? Oder sollen wir es einfach ignorieren?“
Die Weisen murmelten ihre schwachen Ideen und Meinungen, alle gleichzeitig, sodass ein wirres Durcheinander aus Worten entstand. Doch keine Lösung war gut genug um sie laut auszusprechen.
Nur Naborus. Sie sprach aus was für sie die einzige Lösung war. „Wir müssen die verbotenen Schriften lesen!“
Erschrocken wandten sich alle zu ihr um. Als hätte sie ein Wort des Hochverrates an den König gesprochen.
„Das ist doch nicht dein Ernst! Shjra hat erzählt, dass fast die gesamte Menschheit ausgelöscht worden ist, weil sie sich durch eben diese alten Künste den Zorn der Göttinnen zugezogen haben.“, japste Zelda.
„Aber wenn wir wissen wollen was hier vor sich geht und was Lucias im Schlaf spricht, dann müssen wir das! Ganondorf hat die alten Schriften gelesen – wer weiß was für welche magischen Künste sie beinhalten. Er hat es geschafft einen Menschen nur durch Magie zu erschaffen. Wir wissen nicht zu was er noch alles fähig ist, wenn wir nicht wie er die Schriften lesen!“
„Aber das können wir doch nicht tun!“, stieß Rauru schockiert hervor. „Es ist ein Verbrechen gegen die Göttlichkeit! Wenn wir die Schriften stehlen und uns ihren Inhalt zu Eigen machen, dann wird uns noch mehr blühen als die Albträume eines kleinen Jungen!“
„Das tut es jetzt schon!“, fuhr Naboru ihn wütend an. „Glaubt ihr es wird bei Lucias Albträumen bleiben? Was ist wenn Ganondorf tatsächlich die Kontrolle über ihn erhält? Der Kleine ist zwar noch ein Kind aber ich und Impa haben seine Kräfte mit eigenen Augen gesehen. Stellt euch vor wie stark er sein wird, wenn er erwachsen ist! Wir müssten mit einem zweiten Ganondorf rechnen!“
„So weit wird es nicht kommen!“ Link beugte sich wieder nach vorn. „Wenn Ganondorf es tatsächlich geschafft hat sich in seine Träume zu schleichen, dann ist es unsere Pflicht Lucias vor ihm zu beschützen! Die Göttinnen haben Lucias uns anvertraut – wir dürfen sie nicht enttäuschen! Und wir dürfen Lucias nicht enttäuschen! Er verlässt sich auf uns.“


„Rede nicht alles so gut!“, forderte Zelda und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Das sind doch alles nur schöne Hirngespinste! Wir dürfen nicht vergessen was Lucias ist und wenn es so weit kommen sollte, dass er von Ganondorf besessen wird, dann müssen wir uns für Hyrule und gegen ihn entscheiden! Unsere Pflicht gilt unserem Volk und unserem Sohn! Nicht Ganondorfs Ersatzkörper!“
Ihre Worte waren so voller Wut, so schneidend – sie selbst erschreckte sich. Sie hatte es nicht sagen wollen, doch die Angst hatte es aus ihr herausgepresst. Alles was sie über Lucias dachte…
Die Weisen sahen sie fassungslos an. Besonders Link.
Dann aber wurde sein Gesicht starr und kalt. Er erhob sich und ging wortlos zur Tür.
„Link warte!“, bat Zelda, mit fast flehender Stimme.
Link blieb stehen, aber er drehte sich nicht herum.
„Bitte, Link! Es tut mir leid, so habe ich das nicht…“
„Das denkst du also über ihn!“, unterbrach Link sie schroff. „Er ist nur ein Ersatzkörper, es steht für dich also eigentlich schon fest, dass er Ganondorfs Marionette wird. Ist das der Grund warum du ihn so schlecht behandelst? Was hat er dir getan? Hat er jemals jemandem etwas Böses gewollt? Er wollte nur von dir geliebt werden, aber du behandelst ihn wie einen Verbrecher! Mach nur so weiter –macht alle so weiter! Dann hat er die besten Chancen Ganondorf direkt in die Arme zu laufen! Dann müssen wir uns nicht mehr um ihn bemühen, dann brauchen wir uns ja nur noch für einen Krieg gegen ihn zu rüsten!“
Link öffnete die Tür und knallte sie hinter sich zu. Er ließ die schweigende Runde zurück um die Wachposten an Lucias Tür abzulösen.

Am nächsten Tag hatte Lucias die Nase voll von der Bettlegerei. Er hatte den Drang aufzustehen und wieder etwas zu tun.
Natürlich sprachen sie nicht mit ihm. Bestimmt hatten sie Sitzungen wegen ihm und seinem Albtraum abgehalten. Aber mit ihm – um den es hier ging – redeten sie nicht darüber. Dabei war es doch gerade ihm so wichtig zu wissen was mit ihm los war. Was mit ihm nicht stimmte. Warum alle Angst vor ihm hatten.
Als sie aber noch immer keinerlei Anstalten machten ihn aufzuklären beschloss er es selbst in die Hand zu nehmen.
Das Problem war leider nur, dass er keinerlei Anhaltspunkte hatte. Nach was sollte er suchen? Wen sollte er aufsuchen? Was oder wer konnte ihm etwas über ihn sagen? Und vor allem – wer überhaupt war bereit ihm etwas zu sagen?
Da er keine Ahnung hatte wo er mit was seine Suche beginnen sollte, die Suche nach sich und Antworten, tat er was er sich vorgenommen hatte.
Er wollte das letzte Kapitel des Legendenbuches über den Helden der Zeit lesen.
Zelda hatte es ihm verboten, was lag da näher als sich über das Verbot hinwegzusetzen.
Deshalb schlich er sich in einem unbeobachteten Moment davon. Zwischen dem Unterricht, der improvisatorisch in seinem Zimmer hatte, und dem Mittagessen. Niemandem fiel es auf, denn sie waren alle mit sich selbst beschäftigt. Genauer gesagt stritten sie sich noch immer darum ob man nun die verbotenen Schriften aus dem Wüstentempel holen und lesen sollte oder nicht. Aber davon wusste Lucias natürlich nichts. Sie sagten es ihm ja nicht, denn sie dachten sie hätten noch Zeit.
Jedenfalls schlich er in die Bibliothek, niemand hatte ihn gesehen, er war Spezialist darin ungesehen herumzustreichen.
Er betrat ganz leise die Bibliothek. Sie war herrlich warm. Das Feuer brannte, wie immer, jeden Moment. Die Bücher lagen leise und verheißungsvoll in ihren Regalen.
„Guten Tag, Juna.“, sagte er höfflich.
Die Frau, die auf einer Leiter stand und gerade die obersten Bücher abstaubte, erschrak sich so sehr, dass sie beinahe von der Leiter gefallen wäre. „Ach Lucias!“, keuchte sie als sie nach unten sah und ihn erkannte. „Wie kannst du mich nur so erschrecken!“
„Es tut mir leid, das war nicht meine Absicht.“


Die Frau wedelte mit dem Lappen. „Ach schon gut, mach das aber nicht noch einmal, sonst werde ich mir noch alle Knochen brechen!“ Juna war die Bibliothekarin. Sie war schon alt, doch noch sehr flott auf den Beinen. Seit er denken konnte war sie schon die alte Bibliothekarin gewesen, sie hatte nie etwas anderes getan. Aus Liebe zu den Büchern. Wobei sie nicht schlecht bezahlt wurde, weil Zelda, im Gegensatz zu ihrem Vater, Bücher sehr schätzte. Deshalb war die Bibliothek so groß. Vorher war sie ein kleiner Raum im nächstunteren Geschoss gewesen, wo vor lauter Feuchtigkeit die Bücher allesamt dahingeschimmelt waren.
Doch Zelda hatte, als das Schloss wieder aufgebaut werden sollte, auf einen großzügigen Raum mit Kamin bestanden, den sie alsbald mit Büchern aus allen Teilen der Welt hatte stopfen lassen.
„Was willst du denn hier, Lucias? Hast du keinen Unterricht?“ Juna sah von der Arbeit nicht auf.
„Nein.“, antwortete er ihr. „Naboru hat früher aufgehört, sie muss noch etwas erledigen hat sie gesagt.“
„Na so etwas. Und dann verschlägt es dich zu mir in die Bibliothek?“, lachte sie. „Jungen in deinem Alter raufen doch für gewöhnlich und ärgern kleine Mädchen.“
Er lachte auch. Sie versuchte nett zu ihm zu sein, das versuchte sie ständig. Immerhin, denn die wenigsten versuchten das.
„Juna, du hast doch meine Mutter gekannt.“, sagte er und sah ihr zu wie sie die Buchrücken gerade schob, damit sie alle in einer Reihe standen.
„Ja, das habe ich. Sie hat mir oft geholfen die neuen Bücher in die Regale zu stellen, die Königin Zelda gekauft hat.“ Juna geriet in falsches Schwärmen. „Sie war so ein hübsches und fleißiges Mädchen gewesen. Sie hatte so feuerrotes Haar wie du und die schönsten Augen, die ich je gesehen habe! So schöne Augen wie du!“ Sie seufzte. „Ach ja, ein Jammer, dass sie so früh gestorben ist. Wäre sie doch nicht vom Balkon im Westflügel gefallen!“ Lucias schluckte. „So ein armes Mädchen!“
Die alte Frau wischte die nächste Reihe ab. Er sah ihr dabei zu. Sah wie der Lappen den Staub aufwirbelte, der Staub sich aber gleich wieder auf die Bücher legte.
„Mir hat der König erzählt, dass sie aus dem Fenster im Gemach der Königin gefallen ist als sie versucht hat ein Büschel Moos auszureißen, das aus dem Stein gewachsen ist.“, sagte er mit gleichgültiger Stimme.
Wieder schrak die alte Juna auf. Mit großen Augen sah sie zu ihm herab. „Ach…ach ja das war es gewesen. Aus dem Fenster der Königin…jaja, das arme Mädchen!“
Lucias wandte sich um.
„Wo willst du hin?“, japste die Bibliothekarin aufgeregt.
„Nirgends.“, erwiderte er. „Ich will nur ein Buch zu Ende lesen, das ich vor kurzem angefangen habe. Noch vor dem Mittagessen.“
Juna schien erleichtert. Sie hätte wohl sonst nicht gewusst wie sie dem König erklären sollte, dass sie sich in der Lügengeschichte um den Tod seiner Mutter vertan hatte, wenn er jetzt gleich zu Link gegangen wäre und ihm von diesem Widerspruch berichtet hätte.
Fragen konnte keiner leiden.


Er aber ging die Buchrücken ab, in dem Regal, in dem er Zeldas Zofe das Buch hatte verstauen sehen. Er wagte es nicht Juna danach zu fragen. Nicht, dass Zelda auch ihr von dem Verbot erzählt hatte. Er wollte auf Nummer sicher gehen!
Er fand es schließlich.
Es war ein dickes Buch in weißem Ledereinband. Mit goldenen Lettern stand darauf geschrieben:
Die Legende von Zelda
Lucias sah sich um wie einer, der gerade dabei war das schlimmste Verbrechen von allen zu begehen und darum um sein Leben fürchtete. Juna interessierte sich nicht länger für ihn, sie hatte noch viel Arbeit vor sich. Gut.
Zum Diwan ging er hinüber, der frisch geklopft war, und setzte sich hin. Wahllos schlug er eine Seite auf. Sie war aus dem Kapitel, indem Link von Rauru gerade geweckt und aus dem siebenjährigen Schlaf im heiligen Reich geholt worden war. In dem Link nicht nur an Alter sondern auch an Stärke gewonnen hatte, durch den Aufenthalt an einem so heiligen Reich, in das man nur mit einem vollkommen reinen Herzen gelangen konnte.
Er blätterte weiter. Kurz sah er zu Juna hinüber, die war aber noch immer ganz davon eingenommen dem Staub den Kampf anzusagen.
Lucias hörte sein Herz schlagen. Und je weniger Blätter ihn vom letzten Kapitel trennten, desto schneller schlug sein Herz. Es schien fast zu zerspringen.
Drei Blätter noch, zwei, eins…
Der letzte Kampf war die Überschrift.
Eifrig begann Lucias zu lesen. Er wusste schließlich nicht wie viel Zeit ihm noch blieb, nur dass er unbedingt das Buch fertig haben musste bevor man ihn hier entdeckte. Mit diesem Buch.
„Die dunkle Burg des Großmeisters des Bösen thronte über den unüberwindbaren Lavasee, der tief unten im Abgrund lauerte wie ein hungriger Riese.“, las Lucias. „Es schien keinen Weg hinüber zum Tor des schwarzen Schlosses zu geben. Niemand, der es je erreichen konnte. Niemand, der dem Tyrannen entgegentreten konnte. So schien es. Doch der Held der Zeit hatte sich einen Weg gebaut. Er hatte die restlichen sechs Weisen aus ihrem Schlaf geholt und ihre vereinigten Kräfte erschufen eine Brücke für den Helden. Eine Brücke aus reinem Licht, die er beschreiten konnte um dem Bösen entgegenzutreten und das Land Hyrule von der Finsternis zu befreien.“
Seltsam. So hatte noch niemand ihm die Geschichte Links erzählt. Vom Tyrannen, der vor zehn Jahren das Land heimgesucht hatte.
Sicher hatte Lucias von Links Heldentaten gehört. Nicht, das in diesem Buch weiter vorne geschrieben stand, war Lucias neu.
Aber dieses Kapitel? Eine Burg über einem Lavasee und eine Brücke aus Licht hatte es nicht gegeben. Ebenso wenig die sieben Prüfungen, die Link hatte bestehen müssen um den magischen Schutzwall von einem so genannten Teufelsturm zu brechen. Und die Stufen erklimmen, bis in den höchsten Raum des Schlosses.
„Der Held der Zeit stieg die zahllosen Stufen hinauf, auf dem etliche Feinde warteten, die ihn davon abhalten wollten. Er bezwang sie alle. Es nagte an seinen Kräften, doch der Held der Zeit war entschlossen, sein Mut sollte das Licht nach Hyrule zurückbringen. Doch dazu musste er den Großmeister des Bösen bezwingen. Ganondorf.“


Lucias blätterte um – und sein Herz schlug nicht mehr.
Im Raum hörte man nur das Knistern des Feuers und das Streichen des Staublappens über die Bücher. Und ein gelegentliches schiebendes Geräusch. Und noch seltener ein leises Stöhnen aus dem Mund einer alten Frau.
Von Lucias war nichts mehr zu hören. Weder das Ändern der Sitzposition, noch das Blättern, noch nicht einmal das Atmen.
Die Illustration zeigte einen Mann, der ihm mit hässlichem, verzogenem Gesicht entgegengrinste. Ein schwarzer Mann mit schwarzem Blick. Mit Augen wie seine. Mit Haaren wie seine. Mit Ohren wie seine.
Lucias fasste sich an die Ohren. Er hatte keine länglichen Ohren, wie die Hyrulianer oder die Kokiri. Er hatte kleine und runde Ohren. Gewiss, unter den Gerudofrauen war es nichts ungewöhnliches, manche von ihnen hatten nun mal nicht die länglichen sondern diese runden Ohren. Aber dieser Mann hatte die gleichen runden Ohren wie er.
Und er hatte Haare so rot wie Feuer.
Und er hatte Augen, ebenso hell und leuchtendgelb wie seine.
Mit den Fingern strich Lucias über die Zeichnung. Sein Gesicht verzog sich. Einfach nur so, zum Test, ob er so hässlich grinsen konnte wie dieser Mann.
Er las weiter, so konzentriert, wie er niemals geglaubt hatte sich konzentrieren zu können. Nur das Buch und er. Niemand sonst existierte.
Er verschlang das letzte Kapitel als wäre es eine Mahlzeit. Eine eklige, faulige Mahlzeit, die er aß, weil er so furchtbar hungrig war.
Die Geschichte stoppte abrupt. Mitten im Satz.
„Die Seele des Großmeisters des Bösen war gebannt, aber“
Aber? Was aber?


Das Blatt war nur zum Viertel beschrieben und es folgten vier weitere Blätter. Leer.
Doch nicht vollkommen rein.
Das Ende der Geschichte war abgeschabt worden. Die Worte einfach bis zur Unlesbarkeit heruntergekratzt.
Jetzt war er sich sicher. Er war belogen worden! Sein ganzes Leben lang!
Noch ein letztes Mal sah er zu Juna hinüber. Sie war noch immer beschäftigt. Sie war die Leiter hinabgeklettert um sie nun zum nächsten Regal hinüberzutragen und dort ihre Arbeit fortzuführen.
Lucias blätterte zum Anfang des Kapitels zurück, zur Seite mit dem Bild. In dem Augenblick, als das dumpfe Geräusch unübertönbar durch den Raum dröhnte, als die Leiter gegen das Regal gelehnt wurde, da riss Lucias mit einem Ruck die Seite heraus.
Juna hörte es nicht. Sie war alt und für gewöhnlich ließ das Gehör im Alter nach. Sie war gewöhnlich.
Lucias stopfte sich die Seite in sein Hemd. Niemals hätte er mit Absicht ein Buch beschädigt, aber unter diesen Umständen war ihm das scheißegal.
Er sprang auf und stopfte das Buch unordentlich zurück zwischen seine Brüder. Dann rannte er davon. Hinter sich hörte er noch ein verwundertes „Lucias?“ ehe die Tür hinter ihm zufiel. Dann hörte er nur noch sein schlagendes Herz. Sein rasendes Herz.
Lucias war so durcheinander, von seinen wirren Gedanken so erfüllt, dass er eine von den Dienerinnen, die nach ihm suchten, fast umrannte. Erschrocken keuchend bat sie ihn zu Tisch. Er hörte ihr gar nicht zu, er war ohnehin auf dem Weg zum Speisesaal.
So furchtbar schnell rannte er, dass er einmal gegen die Wand stieß, als er noch die Kurve bekommen wollte und das misslungen war. Aber er ignorierte den Schmerz. Die Hand lag auf dem Papier unter seinem Hemd. Er sah die Illustration so deutlich als hätte er sie noch vor seinem Gesicht.
Er stürmte in den Speisesaal. Verwundert wandten sich die Anwesenden um.
Es war nicht nur die Königsfamilie, auch Zeldas Hofdamen und Davins Amme saßen am Tisch. Und die Weisen. Alle Weisen.
Keuchend stand er im Türrahmen.
„Was ist los, Lucias? Wo warst du? Wir haben dich vermisst.“, tadelte ihn Link.
Doch Lucias setzte sich nur wortlos auf seinen Platz am anderen Ende des Tisches. Neben Naboru. Sie musterte ihn besorgt.
Link und auch die Weisen sahen ihn so an wie Naboru. So als hätten sie niemals etwas anderes getan.
„Es ist nichts.“, sagte Lucias um sie zu beruhigen. Unter seinem Hemd spürte er noch immer das Pergament gegen seine Brust gedrückt. „Ich bin nur furchtbar hungrig. Ich habe heute Morgen mein Frühstück nicht gegessen.“


Das schien den Weisen als Erklärung zu genügen. Sie wandten sich erleichtert ab.
Nur Naboru musterte ihn weiter aus dem Augenwinkel. Sie kannte ihn zu gut als dass sie ihn nicht durchschauen konnte. Doch auf was er gestoßen war, das hatte sie ja nicht ahnen können. Es wurde aufgetragen. Die herrlichsten Schlemmereien.
Würste mit Soße, Rollbraten, ein ganzes Schwein, Fleischpastete mit Pute. Salate mit Erdnüssen, Weißbrote mit Schinken und Räucherkäse. Und auch Biskuitkuchen mit Feigen und Macadami. Vanillepudding mit heißen Himbeeren. Alles was einem eitlen Magen mundete.
Doch Lucias konnte nichts von alldem genießen. Ihn quälten Dämonen aus Zorn.
Von der andauernden Heimlichtuerei und den ganzen Lügen.
Die Vorspeise, eine leichte Tomatensuppe, ließ er schweigend über sich ergehen. Ebenso wie den Hauptgang an den verschiedenen Fleischvarianten. Während am Tisch getratscht und gelacht wurde. Fragte man ihn etwas antwortete er knapp und wandte sich wieder dem Essen zu. Aber er achtete darauf, dass er nicht schlecht gelaunt oder gar wütend klang. Obwohl er große Lust dazu gehabt hätte.
Doch als sie bei der Nachspeise noch immer so ausgelassen waren, so als wäre es ganz normal ihn zu belügen, ihm seine Herkunft vorzuenthalten, da wurde es ihm zu viel.
Naboru hatte sich mit Salia unterhalten, die auf der anderen Seite neben ihr saß. Kurz lauschte er ihrem Gespräch über die Zucht von Mohnblumen, die in beiden Regionen wuchsen und für viele verschiedene Medikamente genutzt wurden. Dann aber zupfte er seine Lehrerin am Ärmel.
Verwundert wandten sich beide Frauen zu ihm um.
„Naboru, darf ich dich etwas fragen?“
Sie runzelte die Stirn. „Seit wann fragst du mich um Erlaubnis mich etwas zu fragen?“ Doch er sah sie nur ernst an. Da verstand sie, dass es um etwas Bedeutendes ging. „Natürlich darfst du das, Lucias.“
Er stellte den Kopf schräg und sah ihr direkt in die Augen.
„Wer ist Ganondorf?“
Der Name hatte alle zum Schweigen gebracht. Ausnahmslos alle.
Sie sahen ihn an. Mit Angst in den Augen.
„Wie…wie meinst du das?“, sagte Link. Er versuchte seine Stimme so übertrieben überrascht und ahnungslos klingen zu lassen, Lucias war fast zum Lachen zumute.
Er zog das Blatt aus seinem Hemd hervor und knallte es auf den Tisch. Mit der Zeichnung nach oben.
Es verschlug allen die Sprache. Schlagartig war es so leise in diesem Raum wie er nur mitten in der Nacht war.
Link steckte ein dicker Kloß im Hals als er sprach: „Marzia!“ Marzia war Davins Kindermädchen. „Begleite bitte die Hofdamen hinaus und bringe Davin in den Garten. Ihm wird ein kleiner Spaziergang gut tun.“
Die Hofdamen erhoben sich sofort, sie wussten, dass sie ab jetzt nur noch stören würden. Davin dagegen war nicht so einsichtig. Er wehrte sich als Marzia ihn in die Arme nehmen wollte. Er jammerte und trotzte, er wollte hier bleiben. Bis sein Vater ihn scharf anfuhr: „Davin! Tu was ich dir sage!“
Wie mit einem Schlag verstummte er und verließ an Marzias Hand den Raum. Auch wenn er immer wieder zurück an den Tisch blickte. Auch der Haushofmeister und die Bediensteten verließen den Raum.
Link wartete bis die Tür zugegangen war.
„Lucias…“, begann er gleich, mit ruhiger Stimme.
„Nein!“, schrie Lucias und erhob sich. „Ich will keine Lügen mehr hören! Ich gehe jetzt in mein Zimmer und wenn ihr bereit seid mir die Wahrheit zu sagen, dann könnt ihr ja nachkommen!“
Er stürmte aus dem Speisesaal. Doch die Tür schloss sich ganz sanft hinter ihm.
Dieses Klack war wie ein Startsignal dafür, dass Naboru den alten Helden von Hyrule böse anstierte. „Jetzt ist es soweit! Jetzt fängt unser Netz aus Lügen an Löcher zu bekommen! Ich habe dich gewarnt!“
Wie ein kleiner Junge, der sich schämte nicht auf den Rat seiner Mutter gehört zu haben, senkte Link den Kopf.
„Gebt mir bitte das Blatt.“, bat Zelda. Die Weisen reichten es herum, bis zu ihr ans andere Ende. Sie erkannte es schon bevor sie es in der Hand hatte. „Er hat es gelesen. Er hat das letzte Kapitel gelesen, obwohl ich es ihm verboten hatte!“


„Wir hätten das Buch gleich entfernen sollen als er es aus der Hand gelegt hat!“, meinte Impa. „Wir waren zu unvorsichtig!“
„Aber immerhin haben wir die Stelle über ihn abschaben lassen. Davon kann er nicht wissen.“, warf Ruto ein. Sie schien erleichtert. Alle schienen erleichtert.
Das machte Naboru wütend. Sie erhob sich. „Mir reicht es langsam! Link, ich bitte dich! Wir müssen es ihm sagen!“
„Er ist zehn Jahre…“, mischte sich Darunia ein, doch Naboru brachte ihn mit einem scharfen Blick wieder zum Schweigen.
„Er ist klug genug. Er wird es verstehen. Vielleicht werden wir ihm Zeit lassen müssen, bis er sich damit abfindet, aber er wird es verstehen. Er wird uns verzeihen können. Aber wenn wir noch länger warten, dann wird es immer schwieriger werden. Er akzeptiert unsere Lügen nicht mehr.“
Link sah auf.
„Was ist jetzt, großer Held der Zeit?“, sprach sie spöttisch. Dann presste sie die Lippen aufeinander und im Saal war es wieder still.
Link seufzte. Er hatte gewusst, dass dieser Tag einmal kommen musste. Aber so früh? Es war so unglaublich früh!
Langsam erhob er sich. Die Zeit schien wieder völlig wirr zu sein. Sie war träge.
„Ich…ich werde mit ihm sprechen… Jetzt gleich.“ Ebenso langsam schritt er zur Tür. Die Weisen sahen ihm nach.
Nun war ihm übel. Als er den Saal verließ und die Gänge entlang schritt.
Die Dienstboten, die ihm begegneten blieben höfflich stehen und verbeugten sich. Damit sie weder ihm noch seinen Gedanken im Weg standen.
Er versuchte Buchstaben zu Wörtern in seinem Kopf zusammenzufügen, und Wörter zu Sätzen. Was sollte er denn sagen? Wie sollte er Lucias erklären wer Ganondorf war? Und was er selbst mit ihm zutun hatte. Warum er keinen Bauchnabel hatte wie alle anderen.
Jeder Schritt fiel ihm immer schwerer.
Bis er sich vor Lucias Zimmertür fand. Er horchte an der Tür. Doch im Zimmer dahinter war es leise. Er legte seine Hand auf die Klinge. Doch sie war nicht gewillt sie hinunter zu drücken.
Er lehnte die Stirn gegen das Holz. Link hatte ein übles Gefühl, das ihm schwer im Magen saß. Link musste es tun, er musste Lucias einweihen. Es ging schließlich um Lucias.
Entschlossen drückte seine Hand die Tür auf. „Lucias?“
Lucias saß auf seinem Bett, mit einem Buch im Schoß. Nur kurz sah er auf, dann schenkte er Link keinen Blick mehr. „Gib dir keine Mühe, ich habe das Kapitel gelesen.“
Der König von Hyrule schloss die Tür hinter sich. „Dazu bin ich nicht gekommen. Ich will dir keine Lügen mehr erzählen.“
Lucias stützte seinen Kopf auf die Arme und las noch immer in dem Buch über die alten Runen, die das Innere des berühmten Uhrenturmes in Termina schmückten.
Es verärgerte Link, so wenig Respekt dargeboten zu bekommen. Das war er von Lucias schon gar nicht gewöhnt.
Darum setzte er sich auf die Bettkante und zog Lucias das Buch vom Schoß. „Lucias! Seit wann bist du so frech?“
Mit bösem Blick sah Lucias auf. „Wer ist Ganondorf? Warum sieht er so aus wie ich?“
Link seufzte. Jetzt war der Augenblick gekommen. Er hatte keine Wahl mehr, er musste es Lucias sagen. „Ganondorf…du hast es doch gelesen. Ganondorf war dieser Tyrann, der Hyrule heimgesucht hat. Er hat das Fragment der Kraft gestohlen und war dadurch so mächtig, dass er das Land in Dunkelheit stürzte. Als Großmeister des Bösen. Es hat uns viel Kraft und viele Leben gekostet ihn zu stürzen und ins Jenseits zu verbannen.“
„Und warum sieht er so aus wie ich?“, bohrte Lucias nach. Das war die entscheidende Frage.
Link seufzte. „Er…“ Er sah in die kleinen honigfarbenen Augen, die in diesem Augenblick ganz groß waren. Sie saßen in einem kleinen Gesicht. Ein kleiner Körper, mit kleinen Fingern und kleinen Füßen. Es waren Augen eines Kindes. „Er ist ein Gerudo, so wie du. Darum ähnelt ihr euch.“
Lucias verzog misstrauisch das Gesicht. Link sah ihm an, dass er sich mit dieser Antwort nicht zufrieden gab.
„Was ist mit den Haaren?“
Link lachte. „Ihr seid Gerudos und alle Gerudos haben rote Haare. Oder hast du mal eine Gerudo mit blonden Haaren gesehen?“
„Aber ich dachte es gibt nur Frauen im Volk der Gerudo.“
„Hauptsächlich ja.“, bestätigte Link. „Aber es gibt Ausnahmen. Du siehst es an Ganondorf. Er war ein Wunder, aber es gab ihn. Genauso wie es dich gibt, auch wenn männliche Gerudo ungewöhnlich sind.“
„Dann stimmt die Legende nicht, dass im Volk der Gerudo nur alle hundert Jahre ein Mann geboren wird, der dann der König von ihnen ist?“, fragte Lucias überrascht.
Link schüttelte den Kopf. „Das ist eine Übertreibung. Es stimmt, dass Männer unter den Gerudos höchst selten sind, darum diese Legende von den hundert Jahren. Aber hundert Jahre müssen es nicht sein. Es können auch mehrere Männer gleichzeitig leben, auch wenn du Ganondorf knapp verpasst hast.“ Er versuchte es lustig klingen zu lassen, doch Lucias lachte nicht.
„Und was ist mit den Augen? Warum haben wir die gleichen Augen? Unter den Gerudofrauen gibt es nur dunkle Augenfarben. Also warum?“
Link seufzte. Er war schon so tief im Lügensumpf, da konnte er ruhig noch ein wenig tiefer hinein sinken. „Das liegt daran, dass ihr verwandt seid.“
Nun weiteten sich Lucias Augen bis zu blankem Erstaunen. „Verwandt?“
Link nickte. „Nun ja, entfernt verwandt, aber verwandt. Seine Großmutter und deine Urgroßmutter waren Schwestern. Und deren Mutter hatte diese außergewöhnliche Augenfarbe. Ihr habt sie zufällig beide geerbt.“
Lucias starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. „Ist das wahr?“
Link hob beide Hände. „Ich schwöre, ich sage die Wahrheit!“
„Und das konntet ihr mir nicht sagen?“, stieß Lucias beleidigt heraus. „Dafür die ganze Heimlichtuerei?“
Gespielt schuldbewusst kräuselte Link die Lippen. „Wir wollten es dir so lange wie möglich ersparen. Die Leute wussten es schon, dass du mit ihm verwandt bist, darum meiden sie dich. Und dir wollten wir so lange wie möglich diese Schmach ersparen.“
Lucias nickte verstehend.


„Sind deine Fragen jetzt beantwortet?“, fragte Link.
„Nur noch eine.“, entgegnete Lucias. „Was stand auf den Seiten, die geschabt worden sind?“
Im ersten Moment tat Link als sei er verwundert. „Ach so, du meinst die letzten Seiten aus dem Buch! Der Schreiber hat sich verschrieben. Er wollte es erneuern.“
Wieder nickte Lucias nur.
Da kein weiteres Wort aus Lucias Mund folgte, glaubte Link er hätte es endlich hinter sich. Er hatte Lucias ein weiteres Mal belogen, aber er hatte es einfach nicht übers Herz gebracht Lucias zu sagen, dass er kein Mensch war, dass er nur ein Körper war. Zwar mit eigener Seele aber letzten Endes nur geschaffen um als Werkzeug zu dienen.
Er streichelte Lucias über den Kopf. „Wollen wir eine Runde Schlagball spielen? Um uns ein wenig abzulenken von den Ungerechtigkeiten dieser Welt?“
Lucias sah ihn an. Mit seinen schönen klaren Honigaugen. „Ja. Ja, bitte.“
„Na gut, dann zieh dir bequemere Kleider an, ich erwarte dich gleich unten am Spielplatz.“ Zufrieden verließ er den Raum. Mit einem letzten Blick auf einen Jungen, der euphorisch aufsprang um wild in seiner Kleiderkiste zu wühlen. Er lächelte.
Link schloss die Tür und schritt den Gang entlang. Die Lüge war wirklich gut gewesen. Diese würde lange halten. Vielleicht bis Lucias volljährig war und wirklich begreifen konnte wer er war. Oder – vielleicht für immer? Vielleicht konnten sie Ganondorf endlich alle vergessen.
„Du hast es ihm nicht gesagt, nicht wahr?“
Als er um die Ecke bog, erblickte er die Weise der Geister, die sich gegen die Wand lehnte.
„Du hast ihn schon wieder belogen.“
Link schwieg. Seine Erleichterung und seine Freude waren wie weggewischt.
Naboru erhob sich. „Na schön, König von Hyrule. Du bist der Boss, du entscheidest.“ Sie kehrte ihm den Rücken zu und schritt davon.

Lucias war wieder in der Bibliothek. Es war früher Morgen und er wühlte eifrig in den Bücherregalen. Er konnte, denn Juna war noch nicht da. Sie schlief gerne lange.
Er suchte nach Büchern über Ganondorf, dem Gerudokönig und späteren Großmeister des Bösen. Aber er fand nichts. Das Einzige, das er neben zahlreichen Legenden wie es dazu kam, dass nur alle hundert Jahre ein Mann im Gerudovolk geboren wurde, gefunden hatte war eine Art Vasallenliste, eine alte Liste vor über zwanzig Jahren, die dem König von Hyrule schriftlich absolute Treue von den mächtigen Leuten aus ganz Hyrule zusicherte. Und zwischen Darunias Unterschrift und Siegel und der Unterschrift und dem Siegel des Zorakönigs, stand der Name. Er war durchgestrichen worden, aber noch sehr gut zu lesen.
Ganondorf, König der Gerudos, Reich der Wüste.
Das Siegel war dasselbe Symbol, das die Weise der Geister als Zeichen trug. Zwei kleine langgezogene Tränen, die zu einem Kreis geschwungen waren.
Aber Neues konnte ihm die Liste nicht verraten.
Darum suchte er eifrig weiter.
Ob er Link seine Geschichte über die ferne Verwandtschaft abgekauft hatte? Natürlich nicht! Er war doch nicht blöd! Das hatte er Link ebenso wenig geglaubt wie die Lüge das goldene Dreieck auf seinem rechten Handrücken sei ein Muttermal. Er hatte schon mit sieben aufgehört Link und den Weisen ihre Geschichten zu glauben.
Deshalb hatte er damals auf eigene Faust recherchiert was das goldene Dreieck zu bedeuten hatte. Eine heiße Spur war die Schöpfungsgeschichte gewesen. Von da an hatte er sich recht schnell über das heilige Reich, das Masterschwert und das Triforce schlau gelesen.
Er wusste, dass das Dreieck auf seinem Handrücken ein Triforcefragment war. Und da Link und Zelda die ihren, das des Mutes und das der Weisheit, noch besaßen, da war ihm klar, dass er das Fragment der Kraft in sich trug. Das erklärte auch die enorme Energie, die er seit er denken konnte in sich spürte.
Nun hatte er gestern das erste Mal gelesen, dass dieser Tyrann, der Hyrule bis vor zehn Jahren fest in seinem Griff gehabt hatte, das Fragment der Kraft besessen hatte, das ihn ja so unheimlich stärkte.
Jetzt hatte Lucias so seine eigenen Vermutungen woher er kam und was dieser frühere Gerudokönig mit ihm zutun hatte. Aber eine entfernte Verwandtschaft war es definitiv nicht.
Es war zum Haareraufen! Es fanden sich einfach keine weiteren Informationen. Was nun? Konnte er es riskieren jemanden nach diesem Ganondorf zu fragen? Wen? Wer würde es nicht sofort den Weisen erzählen?
Wild schüttelte er den Kopf. „Nein, nein, nein.“ Hier war nichts mehr zu finden.


Schnell räumte er auf, bevor Juna kam und ohnmächtig werden konnte über die Unordnung.
Während er die Bibliothek verließ und durch die Gänge huschte dachte er nach. Wenn er hier nichts über den Gerudokönig fand, dann gab es nur noch einen Ort wo er etwas finden konnte. Wo er etwas finden musste!
Bei den Gerudos.
Aber wie kam er da hin? Ob er Link um einen Ausflug bitten konnte, zu dem Ort, aus dem er angeblich stammte?
„Da bist du ja!“
Er blieb wie angewurzelt stehen. Sein Herz setzte aus. Er war ertappt!
Eine Hand legte sich auf seine Schulter. „Wir haben dich schon überall gesucht!“, sagte Naboru. „Warum bist du denn so bleich im Gesicht.“ Ihre Augen kniff sie zusammen. „Hast du wieder etwas angestellt?“
„Nein, ich bin nur immer noch etwas durcheinander.“, entgegnete er. Mit ganz ruhiger und kindlicher Stimme. Er war ein guter Lügner. Aber Naboru wusste, dass er ein guter Lügner war. Deshalb wusste er, dass sie wusste, dass er log. Er war froh, dass sie es trotzdem auf sich beruhen ließ. Vielleicht weil sie nicht nur seine Lüge sondern auch ihn durchschaut hatte und wusste, dass er bis gerade eben Informationen über Ganondorf gesucht hatte ebenso wie, dass es in diesem Schloss keine Informationen gab.
„Komm mit, da will dich jemand sehen.“, erwiderte sie, ließ ihm aber gar keine Wahl, denn sie packte ihn und zog ihn hinter sich her. Er bekam kaum Luft.
Lucias versuchte die Finger um seinen Kragen zu lockern um zu fragen wer ihn denn so dringend sehen wollte, doch in diesem Punkt war Naboru gnadenlos. Sie schleifte ihn zum Empfangssaal. Erst da ließ sie ihn los.
Er rieb sich seinen schmerzenden Hals. „Wer ist da? Was ist denn los Naboru?“
„Klappe zu!“, lachte Naboru. „Du neugieriger Bengel.“
Sie öffnete einen Flügel der Tür.
„Wer ist denn da?“, wollte Lucias wissen.
„Sieh doch selber nach!“
Lucias schob sich an ihr vorbei in den Türrahmen.
Auf dem erhöhten Thron saß Link, seine Krone war verrutscht, deshalb fummelten seine Finger an ihr herum. Während er sich weiter mit dem Besucher unterhielt.
Neben dem großen, muskulös gebauten Mann, stand ein kleines Mädchen in seinem Alter. Ihr langes schwarzes Haar trug sie frech offen.
„Rajah!“, entfuhr es ihm vor freudiger Überraschung.
Sie und ihr Vater wandten sich um.


Seine Freundin streckte ihm die Zunge entgegen. „Was sagst du dazu! Jetzt laufe ich auch mal auf königlichem Boden und nicht nur du!“
„Rajah!“, fuhr ihr Vater sie an.
Rajah zuckte zusammen als hätte sie mit einer Ohrfeige gerechnet.
Doch Link lachte. Er erhob sich und trat zu dem alten Schmiedmeister um ihm freundschaftlich auf die Schulter zu klopfen. „Herm, du hast ja eine ganz schön pfiffige Tochter!“ Sie lachten. Die beiden waren früher Geschäftspartner gewesen. Link war durch den Tipp eines Wachmanns am Fuße des Feuerberges zu Herm gestoßen, der ihm ganz billig sein erstes eisernes Schild verkauft hatte. Damals war Link dreizehn gewesen.
Seitdem hatte Link hauptsächlich von ihm seine Waffen gekauft. Bis heute.
Lucias rannte ihr entgegen und drückte sie so fest an sich, dass sie nach Luft schnappte. „Was ist denn mit dir los? Sonst kommst du mich doch fast nie besuchen und jetzt wo wir uns nur ein paar Tage nicht gesehen haben, da flippst du aus!“
„Ich bin einfach nur froh dich zu sehen.“, entgegnete er ihr glücklich.
„Gut, ihr könnt ja nach draußen spielen gehen.“, lachte Link und winkte sie zur Tür. „Aber seid artig, sonst zieht euch der Haushofmeister die Ohren lang!“
Mit übertriebener Geste legte sich Rajah die Hand auf die Brust. „Aber sicher doch, mein König!“
„Rajah!“, zischte ihr Vater noch einmal. „Willst du allen zeigen wie schlecht ich dich erzogen habe oder was?“
Doch nun streckte die Schmiedtochter ihrem Vater die Zunge heraus, ergriff Lucias Hand und stürmte lachend mit ihm aus dem Empfangssaal. Herm knurrte ihr hinterher.
„Ach lass sie doch.“, entgegnete Link beschwichtigend. „Sie ist noch ein Kind, sie darf sich kleine Frechheiten erlauben.“
Herm rollte die Augen. „Wenn es mal nur bei kleinen bleiben würde.“
„Aber dennoch bin ich froh“, sprach Link nun ernst. „dass Lucias wenigstens sie zur Freundin hat. Sonst würde ihn die Einsamkeit kaputt machen.“

Lucias und Rajah stürmten in den Garten hinaus. Es war nicht das schönste Wetter. Ein Gewitter kündigte sich für die heutige Nacht an. Doch noch hingen nur dicke Wolken am Himmel und ein leichter kalter Wind fegte zwischen den Bäumen und Beeten hindurch. Angenehm war es noch.
Auf der Schaukel saß wieder Davin, der kleine Prinz, von Marzia, seinem Kindermädchen angeschupst. Zelda war auch im Garten. Sie saß weiter weg in dem weißen Pavillon und hatte ihre Leselinse in der Hand. Sie las in einem Buch. Alles wirkte so friedlich.
Da kamen sie beide, zwei Raudies, die nur Unsinn im Sinne führten.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du wirklich kommst!“


Rajah stieß ihn an. „Natürlich! Ich habe es dir doch versprochen! Aber hast du Link schon gefragt ob mein Vater dich adoptieren darf?“
Lucias ließ den Kopf sinken. Er war in Versuchung zu lügen, weil er sich Links Antwort ohnehin schon sicher war. Aber er entschied sich dagegen. Er schüttelte den Kopf.
Wieder stieß sie ihn in die Seite. „Das dachte ich mir schon. Aber es ist sowieso egal.“ Verwundert sah Lucias auf, sah wie sie traurig zu dem kleinen Teich hinüberblickte. „Als ich meinen Vater darauf ansprach, da sagte er ein Balg würde ihm schon reichen. Aber ich weiß, dass das nicht der Grund ist. Er hat Angst vor dir. Wie alle anderen auch. Er zeigt es nur nicht so deutlich.“ Sie seufzte und blickte ihn an. „Die sind alle dumm! Warum sollte man vor dir Angst haben?“
Auch er sah zum Teich hinüber. Er schlug sogar die Richtung ein. Rajah schloss sich ihm an. „Ich weiß jetzt warum die Leute Angst vor mir haben.“, entgegnete er gelassen, fast sogar ein bisschen stolz. Nicht über den Grund, sondern weil er ihr ihn sagen konnte. „Link hat es mir gestern gesagt.“
„Echt?“ Rajah war erstaunt. Sie setzte sich zu ihm an den Teichrand. „Warum?“
Er steckte die Hand aus. „Sagt dir der Name Ganondorf etwas?“ Sie musterte ihn gespannt. „Er war der Tyrann, der Hyrule sieben Jahre lang in Angst und Schrecken versetzt hat. Vor knapp zehn Jahren ist er von Link besiegt und von den Weisen ins Jenseits verbannt worden.“
„Achso.“, entsann sich Rajah. „Ja, so etwas Ähnliches hat mir mein Vater mal erzählt. Und was hat das mit dir zu tun?“
Er streckte den Finger aus und ließ ihn ins kühle Wasser tauchen. Die Fische waren schon beim Schatten, den sie auf die Wasseroberfläche geworfen hatten, geflohen.
„Nun, ich bin mit ihm verwandt.“
„Verwandt?“ Rajah machte große Augen.
„Entfernt verwandt.“, fügte er rasch hinzu. „Seine Großmutter und meine Urgroßmutter waren Schwestern.“
„Echt?“ Rajah war schwer beeindruckt. „Das ist ja voll toll! Naja, mal abgesehen davon, dass die anderen dich deswegen jetzt nicht mögen.“
Er zuckte die Achseln.
Dann bewegte sich das Wasser um seinen Finger leicht. Langsam zog er ihn wieder heraus.
Ein dicker Tropfen hing an seiner Fingerspitze, wie eine dicke Träne.
Mit einem Schlag hatte Rajah ihre Unterhaltung vergessen. Sie sah nur den Tropfen an seinem Finger. Ihr entfuhr ein Staunen. Ihr Mund lachte breit. Sie war immer wieder aus Neue von ihm beeindruckt.
In dem kleinen Wassertropfen glänzte es, als würde Sonnenlicht darauf fallen. Es war die Magie, die ihn umgab, das Wasser in ihm festhielt.
„Es ist wunderschön!“, hauchte Rajah. Sie umfasste sein Handgelenk, zog es zu sich heran. Um den Wassertropf besser sehen zu können.
Da spürte Lucias es zum ersten Mal. Ein irres Gefühl im Bauch. Ein Herzklopfen vor Aufregung. Ein Kopf ganz leer.
„Was macht ihr da?“


Sie fuhren zusammen. Die Magie brach und der Tropf löste sich zu Wasser auf.
Es war Davin. Er hatte seine Kinderdame an der Schaukel stehen lassen. Sie beobachtete sie nicht besonders begeistert. Ihr gefiel es nicht, dass Davin sich zu ihnen gesellt hatte.
Wie ein kleines naives Kindchen kicherte er. Vielleicht weil er auch eines war. Und übertrieben leise flüsterte er: „Ihr habt mit Magie gespielt, stimmt’s? Lügt mich ja nicht an, ich weiß so was!“ Er drängte sie auseinander und setzte sich zwischen sie. „Ich will auch mitmachen!“ Er zupfte Lucias am Ärmel. „Zeig mir was!“ Lucias und Rajah sahen sich an.
„Da war nichts, Prinz Davin.“, versuchte Rajah ihn zu vertreiben. „Ihr könnt wieder schaukeln gehen. Ehrlich, wir haben nur geredet.“
Der kleine Junge musterte sie allwissend. „Du lügst! Ich will es auch sehen!“ Mit vorgezogener Unterlippe flehte er Lucias an. „Bitte! Bitte! Ich sag’s auch nicht Papa! Und Mama auch nicht! Versprochen!“
Gequält sah Lucias ihn an. Nur Rajah bedeckte ihren Mund. Sie war darum bemüht ihr Lachen hinunterzuschlucken bevor es aus ihrem Mund platzen konnte.
„Bitte, Lucias! Bitte! Ich will es auch sehen!“
Lucias musterte den kleinen adeligen Knaben. Den Knaben mit kurzen blonden Haaren und den hellen blauen Augen. So blond wie seine Mutter und so blauäugig wie sein Vater. Eingepackt in schicke und teure Seidenkleidung im dunklen Rot. Mit einem goldenen Königssiegelring am kleinen Finger.
„Na gut.“, gab Lucias schließlich nach. Hob aber drohend den Finger. „Aber du darfst wirklich niemandem davon erzählen!“
„Ich schwör!“, sprach Davin ihm zu. Seine Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. „Zeig jetzt!“
Den Finger, den er erhoben hatte, tauchte Lucias jetzt ins Wasser und holte einen weiteren magischen Tropfen aus Wasser heraus. Davin schielte den glitzernden Wassertropfen vor sich an. Er war enttäuscht.
„Das ist alles?“
Nun zogen Lucias und Rajah ein langes Gesicht.
„Natürlich ist das alles. Was habt Ihr denn erwartet?“, entgegnete Rajah.
Beleidigt, weil er glaubte sie verheimlichten ihm etwas, verschränkte Davin die Arme vor der Brust. „Ihr lügt! Ich will etwas Spannenderes sehen! Bitte!“
Wieder sah er zu Lucias auf.
Lucias stierte mit gerunzelter Stirn auf den Wassertropfen. Dann kam ihm die Idee. Auf eine neue Variante von Magie, die er noch nie ausprobiert hatte.
Winzigkleine Funken sprühten aus dem Wassertropf. Davin und Rajah sahen erstaunt auf. Dann warf Lucias den Tropfen in den Teich. Aber mit einem flachen Wurf, als wollte er einen Stein über die Oberfläche springen lassen. Der Wassertropf verhielt sich dementsprechend. Eilig sprang er über die Wasseroberfläche, jagte die Fische auseinander und versprühte seine Funken.
Er wurde immer größer, bis er die Größe einer Kerzenflamme hatte. Er war zu einem kleinen Blitz geworden, der übers Wasser schoss. Davin und Rajah fielen gleichzeitig die Kinnlade herunter als sie den Funken übers Wasser gleiten sahen als wäre er ein Wasserläufer.
Lucias grinste. Er war so stolz auf sich. Auf seine Kräfte. Auf sein Talent.
Plötzlich war sein Kopf voll.


Voll von dem Flüstern. Es war ein Flüstern aber es war so laut! Es erfüllte seinen ganzen Körper und ließ keinen Platz mehr. Für gar nichts.
In ihm riss alles.
Er verlor die Kontrolle über die Magie. Über den Funken.
Rajah merkte es zuerst. Als der Funke nicht mehr geschmeidig übers Wasser glitt. Sondern wild herumschoss, das Wasser aufwirbelte, die Graßhalmspitzen versenkte. Sie sah zu Lucias hinüber.
Er hatte die Augen fest geschlossen, seine Hände auf die Ohren gepresst. Er hatte Schmerzen. So furchtbare Schmerzen!
„Lucias!“ war das letzte Wort, das er hörte.
Bevor der Funke in seiner Bahn umschwenkte und nun direkt auf sie zukam.
„Weg da!“, brüllte Lucias. Er bekam Rajah zu fassen und schupste sie zur anderen Seite um. Er selbst warf sich auf die freie Seite für ihn. Doch an Davin hatte er nicht gedacht.
Der Funke flog zu weit nach links, er hätte Rajah getroffen, nicht Davin. Aber der Funke sprang im letzten Moment um – in die andere Richtung.
Davin war wie gelähmt. Er starrte dem Funken entgegen ohne sich zu rühren. Er konnte sich nicht bewegen, nicht ausweichen. Weil ihn die Angst und die Faszination fest umklammert hielten.
Der heiße Funke aus Magie traf ihn an der rechten Schläfe.
Er schrie nicht sofort, er schrie erst als er sich beide Hände auf die Stelle gelegt hatte. Er schrie vor Schmerz.
Davin warf sich zu Boden und presste seine Hände weiter auf die Stelle.
Lucias und Rajah waren sofort bei ihm.
„Was ist mit Euch, Prinz Davin?“, haspelte Rajah.
Marzia, das Kindermädchen war sofort bei ihnen. Und auch Zelda rannte auf sie zu.
Davin schrie noch immer. Er schrie so laut, dass es im ganzen Schloss zu vernehmen war.
„Davin?“ Zelda hatte sich über ihren Sohn gebeugt. Gewaltsam zog sie Davin die Hände von der Schläfe.
Es war alles voller Blut. Die Stelle, sein Kopf, seine Hände. Alles voller Blut!
Lucias saß nur daneben und konnte nichts tun. Er war nicht im Stande zu reden oder gar aufzustehen. Er stand unter Stock. Er sah nur das viele Blut.
Link, die Weisen, Herm und einige Wachen rannten aus dem Schloss zu ihnen.
„Oh meine Götter!“, sagte Marzia immer wieder. „Oh meine Götter!“
Herm hob seine Tochter auf und zog sie weg.
Während sich die Weisen um Davin scharten.
„Was ist passiert?“, kam es aus den Mündern. „Was ist geschehen? Was hat ihn verletzt?“ Das Blut tränkte auch ihre Hände und ihre Kleider mit denen sie versuchten die Blutung zu stoppen.
„Wir müssen ihn schnell in den Krankenflügel bringen.“, sprach Ruto.
„Aber erst müssen wir erfahren was geschehen ist!“, entgegnete Rauru. Ehe er sich Lucias zuwandte. „Lucias, was ist geschehen?“
Lucias war noch immer kaum ansprechbar. Es fiel ihm so schwer die Lippen auseinander zu bringen. „Ich…ich ha…habe…es war nur ein kleines bisschen Magie! A…aber dann war da pl…plötzlich dieses Flüstern und da…da habe ich die Kontrolle darüber verloren. E…es…ich wollte es nicht! Es tut mir so leid!“
„Es war Magie!“, wiederholte Impa. „Wir müssen die Magie löschen, dann können wir anfangen die Wunde zu schließen.“
Davin begann schrecklich zu weinen. Seine Mutter fuhr ihm immer wieder durch die Haare und redete ihm beruhigend zu. Link versuchte sie selbst zu beruhigen, denn Zelda war selbst kurz davor zu weinen. Er schob sie von Davin weg, damit die Wachen ihn vorsichtig auf eine Liege aus Licht legen konnten, die die Weisen kurzfristig erschaffen hatten.
Doch Zelda brach trotzdem in Tränen aus als sie zusah wie Davin ins Schloss gebracht wurde. Impa lief mit ihm.
Zelda hielt sich die Hand vor dem Mund und jammerte. Dicke Tränen liefen aus ihren Augen, sie zogen sich durch ihr Gesicht, ungeachtet der Schminke, die sie verwischten.
Link versuchte sie in den Arm zu nehmen. Doch sie wies ihn ab. Sie hatte nur Augen für die Trage. Bis diese verschwunden war.
Erst dann fiel ihr Blick auf Lucias und aus Angst wurde Zorn. Und Hass.


„Du!“ Lucias rührte sich noch immer nicht. Sie trat zu ihm heran. Ihre Augen leuchteten vor Hass. „Du bist schuld daran! Du hast meinen Sohn schwer verletzt!“ Sie hob die Hand.
Lucias presste die Augen zu und erwartete den Schlag. Doch er kam nicht.
Link hielt Zeldas Hand fest.
Lucias sah auf. In ihr weinendes Gesicht.
„Lass mich los!“, schrie sie Link an.
„Zelda, beruhig dich!“ Sie schlug ihm gegen die Brust, doch er ließ sie nicht los, drückte sie gegen sich.
Naboru packte ihn unter den Achseln und hob ihn auf die Beine. „Komm mit.“ Sie ergriff Lucias am Oberarm und schleifte ihn mit sich.
Immer wieder sah Lucias über die Schulter. Zu der verzweifelten Mutter.
Ihm selbst kamen nun die Tränen.
Als sie ihn durch die Gänge des Schlosses zu seinem Zimmer führte, da weinte er und sagte immer wieder: „Es tut mir leid, Naboru. Es tut mir leid. Es tut mir leid!“
Er wünschte sich so sehr ein beruhigendes Wort von ihr. Dass sie ihm sagte, dass es nicht seine Schuld war. Dass er nichts dafür konnte, dass es ein Unfall war. Aber sie sagte nichts, kein Wort. Sie sah ihn noch nicht einmal an.
Als sie vor seinem Zimmer angekommen waren öffnete sie die Tür und schob ihn hinein. Doch er drehte sich sofort wieder um und klammerte sich an sie. „Geh nicht, Naboru! Bitte lass mich nicht allein! Bitte! Lass mich nicht allein!“
Sie löste seine Arme von sich und knallte die Tür zu. Dann gab es ein Geräusch, das Lucias noch nie gehört hatte. Wie zu Stein erstarrt stand er da und lauschte, wie der Riegel vorgeschoben wurde.
An seiner Zimmertür hatte es schon immer diesen kleinen Riegel aus Eisen gegeben. Aber noch nie war er zugezogen worden. Bis heute. Bis jetzt.
Lucias brach am Boden zusammen. Es war die Hölle jetzt alleine zu sein.
Er kroch unter sein Bettgestell, in den hintersten und dunkelsten Winkel und legte sich die Hände aufs Gesicht. Er hatte solche Angst. Vor sich selbst.
Er hatte Davin verletzt! Davin hatte so viel geblutet! So viel!
Wie hatte das passieren können? Wie nur? Wie hatte sich dieses Flüstern nur in seine Gedanken schleichen können während er wach war?
Es lief alles so falsch!


„Es tut mir doch so leid!“, heulte er. „Ich wollte das nicht!“
Lucias schlug sich gegen seine Stirn, immer und immer wieder. Er wollte dieses Flüstern nie wieder hören. Dass diese Albträume aus seinem Leben verschwanden. Ebenso wie seine roten Haare und seine Augen und die Tatsache, dass dort am Bauch, wo Rajah und Davin eine Hautvertiefung hatten bei ihm nichts war! Er wollte nicht mehr, dass er Lucias war, der kluge, talentierte aber gefährliche Junge. Er wollte ein anderer sein, auch wenn er dafür in der Gosse oder sonst wo leben musste. Hauptsache nicht er, Hauptsache nicht Lucias!
Er lag Stunden dort unter dem Bett, in denen sein Kopf von den Schlägen schmerzte.
Der Riegel wurde zurückgezogen. Lucias sprang auf vor Schreck und stieß sich seinen Kopf noch am Bett.
„Lucias, was machst du unter dem Bett?“, fragte Naboru erstaunt.
Lucias kroch hervor und erhob sich. Er schwieg.
Aber Naboru wartete ohnehin nicht auf eine Antwort. Sie packte ihn gleich und zog ihn hinter sich her. Sie schien in Hektik. Natürlich wusste Lucias von nichts, doch Naboru hatte einen Reisemantel umgelegt und die Reisestiefel an den Füßen.
„Wohin gehst du?“, wollte er fragen, aber er entschied sich für die Wichtigere: „Was ist mit Davin?“
Doch Naboru antwortete ihm nicht. Sie zog ihn einfach weiter. Sie war so in Eile, dass er kaum hinterherkam. Einmal wäre er beinahe gestolpert. Aber Naboru beachtete es gar nicht. Stattdessen sah sie sich immer wieder um und beschleunigte ihren Schritt noch mehr. Ihre Nervosität machte ihn nervös.
„Was ist denn? Naboru?“ Wieder kam keine Antwort.
Stattdessen sah sich die Weise der Geister noch einmal um. Niemand begegnete ihnen. Das Schloss schien wie ausgestorben. Als wäre Davin gestorben.
Ihm war erneut zum Heulen zumute. Wenn Davin wirklich etwas Schlimmes geschehen war? Daran wollte er nicht denken, aber die Vorstellung drängte sich ihm immer wieder auf.
Am Tor zum Schloss erwartete sie eine Dienstbotin.
Die junge Frau hielt den Kopf gesenkt. In ihren Händen ein Paar Reisestiefel und ein dunkler Regenmantel.
Naboru nahm ihr die Sachen ab und hielt sie Lucias hin. „Schnell, zieh an!“
Lucias starrte die Sachen an. Er war total perplex. Zu keinem Gedanken und keiner sinnvollen Bewegung mehr im Stande. Stöhnend beugte sich Naboru selbst herunter um ihm die Stiefel anzuziehen. Den Mantel warf sie ihm über.
Da erst begriff Lucias, dass er kurz davor war das Schloss zu verlassen. Als er fertig war versuchten Naboru und die Dienstmagd das Tor einen Spalt breit zu öffnen.
Lucias spürte das schwere Leder und den dicken Stoff an sich. „Wohin gehen wir?“, fragte er. Mit einem Schwung drehte sich Naboru zu ihm herum, auf ihrem Gesicht das Kälteste was er je an ihr gesehen hatte. „Keine Fragen, Lucias! Bis wir dort sind!“
Noch einmal sah sie sich um, dann schob sie ihn durch das Tor.
Draußen, vor der kleinen Zugbrücke des Schlosses, wartete ein Stallbursche mit einem Fuchs. Das Pferd war unruhig, aber das war nicht verwunderlich. Das Unwetter war herangezogen. Die Wolken waren nun dunkel und erfüllten den gesamten Himmel. Es nieselte. In der Ferne hörte man bereits den Donner.
Naboru schleifte ihn zu dem Tier hinüber. Der Stalljunge verbeugte sich respektvoll.
Sie wies Lucias an aufzusatteln. Lucias hatte noch nie auf einem Pferd gesessen, deshalb gelang es nicht beim ersten Mal, aber sie half ihm, sodass er sein Bein herumschwingen und aufsitzen konnte. Sie dagegen hatte viel Übung im Reiten und war mit einem geschickten Schwung auf dem Pferd. Der Junge übergab ihr die Zügel, gleich darauf hab sie dem Fuchs die Sporen. Lucias wäre beinahe gleich vom Pferd gefallen.
Sie ritt wie besessen. Oder als hätte sie Angst haben müssen verfolgt zu werden. Das Pferd preschte durch dein Vorgarten des Schlosses, durch den offenen Torbogen. Die Soldaten, die dort ohne Pause Wache hielten, standen auch jetzt noch an ihren Posten. Während träger Staub hinter den Hufen aufwirbelte und ihnen ins Gesicht wehte.
In der Stadt war viel Betrieb. Die Leute liefen durcheinander um schnell in ihre Häuser zu kommen, bevor die Wolken richtig aufbrachen. Die Verkäufer hatten bis zum letzten Moment gewartet, jetzt bauten sie ihre Stände ab.
Vor lauter Hektik fiel einem Verkäufer eine Tomate aus dem Korb, die auf dem Boden landete wo der Nächstbeste darauf trat.
Dem rennenden Pferd, das zwischen ihnen dahinpreschte, wichen sie aus, doch mehr Beachtung schenkten sie ihm nicht.
Sie stürmten aus der Stadt, über die gewaltige Zugbrücke, in die hyrulianische Steppe hinein. Kaum hatten sie Hyrule verlassen, da brach die Wolkendecke. Es begann zu regnen und zu stürmen. Es war so dunkel wie in der Nacht. Und es war eiskalt.



Kapitel 8

Lucias war so glücklich, als er eingekuschelt in seinem Bett lag. Nicht einmal das Pfeifen des eiskalten Wüstenwindes störte ihn heute.
Es war mitten in der Nacht und eigentlich war er auch todmüde, doch er konnte trotzdem nicht schlafen.
Weil er immer und immer wieder daran denken musste wie toll es gewesen war mit Link in den Trainingshöhlen. Wie sie eine Prüfung nach der anderen gemeistert hatten und wie er Link immer und immer wieder mit seinen klugen Ideen und seiner magischen Kraft hatte beeindrucken können.
Und als sie dann die Höhlen verlassen und wieder auf den Vorplatz der Gerudofestung geschritten waren – er war aus lauter Erschöpfung bei der letzten Prüfung zusammengebrochen und Link hatte ihn sogleich Huckepack genommen – da waren ihnen Naboru, Dana und Rajah, mit ordentlicher Frisur, entgegen gekommen. Als Naboru gefragt hatte wie er sich so schlug, da hatte Link doch tatsächlich gesagt, dass er unheimlich stolz auf ihn war.
„Ich bin unheimlich stolz auf Lucias.“, wiederholte Lucias leise Links Worte. Er flüsterte es immer und immer wieder und hatte dabei Links Stimme im Kopf. Wie glücklich war er gewesen solche Worte aus Links Mund zu hören. Solche Worte wie von Vater zu Sohn! So etwas hatte Link noch nicht einmal jemals zu Davin gesagt. Jedenfalls hatte Lucias es noch nie gehört.


Unwillkürlich fasste sich Lucias an den Kopf. Wo noch immer die grüne Mütze saß. Link hatte sie ihm geschenkt. Nicht seinem eigenen Sohn sondern ihm! Das hieß doch, dass Link in ihm so etwas wie einen Sohn sah!
Nie wieder würde er sie absetzen, das schwor er sich. Auch wenn sie einmal zu klein für seinen Kopf werden sollte. Lieber hatte er ein Leben lang Kopfschmerzen!
Er walzte sich auf seiner Matte herum. Er konnte einfach nicht einschlafen, nicht jetzt! Dafür war er einfach zu aufgeregt!
Ich könnte noch einmal zum Abort, überlegte er. Das war ein guter Grund um sich die Beine zu vertreten.
Augenblicklich sprang er aus dem Bett. Vielleicht tat ihm ein kleiner Spaziergang ganz gut. Auf leisen und nackten Sohlen trippelte er aus seinem Zimmer in den Flur. Die Gänge waren menschenleer. Seit Link den Tyrannen besiegt und damit das Land wieder vereint hatte, wurde im Gerudotal nicht mehr patrouilliert. Weder in den Gängen noch vor der Festung. Es gab einfach keinen Grund mehr dazu.
Der nächstgelegene Abort führte in den untersten Stock und sein Zimmer lag ganz oben. Er musste also die ganzen Treppen nach unten steigen und vom Speisesaal aus ins unterste Geschoss.
Es war sehr spät und er selbst war eigentlich todmüde. Er hatte sich heute so angestrengt, in den Trainingshöhlen. Nicht einmal mehr einen kleinen Funken Magie brachte er auf. Er brauchte eigentlich ganz gewaltig tiefen und erholsamen Schlaf.
Darum wollte er nach dem Abort auch strickt wieder ins Bett und sich zum Schlafen zwingen. Aber dann war dieses Vorhaben mit einem Male verworfen.
Denn aus dem Speisesaal drang schwaches Licht.
Verwundert rieb Lucias sich den Schlaf aus den Augen. Wer war denn zu so später Stunde noch wach?
Wie jedes Kind seines Alters besaß auch er eine mehr oder weniger gesunde Neugierde. Deshalb gähnte er herzhaft und kam von seinem eigentlichen Weg ab, er schritt dem Licht entgegen.
Es dauerte nicht lange und das Geräusch eifrig miteinander flüsternder Stimmen drang an sein Ohr. Verwundert blieb er stehen. Er erkannte die Weisen. Und da war auch Links Stimme. Was hatten sie denn jetzt, um diese Nachtzeit, Dringliches zu bereden?
Verschmitzt grinste er. Lucias wusste, dass es nicht die feine Art war zu Lauschen, aber er konnte der Versuchung nicht widerstehen.
Deshalb schlich er so leise, dass er nicht zu hören war, den Gang entlang. Es war nicht schwer sich zu verstecken und unbemerkt zu lauschen. Denn der Gang mündete auf der linken Seite des Speisesaales und der große Tisch, an dem die Anwesenden redeten, war auf der rechten Seite. Wenn er sich also gegen die rechte Korridorseite drückte konnte er lauschen ohne, dass ihn irgendjemand sehen konnte.
„…müssen wir diese unterdrücken!“, hörte er den Goronen Darunia sagen.
„Und wie soll das gehen, du Schlaumeier?“, gackerte Ruto. „Du hast doch gesehen was Davin zugestoßen ist, einfach nur durch einen Funken.“
„Link, du hast doch die Macht seiner Magie gespürt.“, meldete sich Salia zu Wort.
Verwundert spitze Lucias nur noch mehr die Ohren. Es ging um ihn.
„Sie war gewaltig.“, stimmte Link zu. „Sie ist zu gefährlich! Nicht auszudenken was er damit alles anrichten könnte!“
„Aber was sollen wir tun?“, fragte Rauru mit beunruhigter Stimme. „Was sollen wir gegen ihn unternehmen?“
„Ich werde nicht zulassen, dass Lucias etwas tut, was er später bereuen wird. Wir müssen ihn einsperren – ein für alle male! Er darf niemals mehr einen Weg aus seinem Gefängnis finden!“
Lucias schlug sich seine Hand auf den Mund. Um nicht vor plötzlichem Schmerz aufzuweinen. Einsperren? Ihn?
„Das stellst du dir so leicht vor? Wie sollen wir denn an ihn herankommen? Er ist schließlich nicht mehr wie wir!“, warf Impa ein.
„Wir müssen aber!

“ Das war Naborus Stimme. „Er ist ein Monster und er wird nicht eher ruhen…“
Lucias hatte genüg gehört! Sich die Ohren zuhaltend rannte er davon. Er konnte nicht mehr! Das war er also für sie – ein Monster!
Er rannte die Gänge entlang, seinem ursprünglichen Weg entlang. Doch er bog nicht zum Abort ab, er verließ die Festung am Westausgang.
Die Nacht war klar und kalt. Der Wind hatte sich gelegt, doch es war so kalt, dass er auch jetzt schon in seiner dünnen Nachtkleidung fror. Aber es war ihm egal, ihm war alles egal.
Lucias weinte.
Sie hatten ihn alle betrogen. Belogen und betrogen.
Die Aufnahme in die Burg, die gemeinsamen Essen, der Unterricht, die Trainingshöhlen. Das war alles nur gewesen, damit sie sehen konnten wie stark er war? Wie gefährlich?
War er ein Monster? Warum? Weil er magische Kräfte hatte? Hätte er ohne sie als normaler kleiner Junge aufwachsen können?
Monster hatte Naboru gesagt. Und Link man müsse ihn für immer einsperren.
Wollten sie es gleich bei Sonnenaufgang tun? Vielleicht wollten sie ihn ja in die Trainingshöhlen stecken, in die einsamen Höhlen wie ein Tier. Vielleicht war er deshalb dorthin beordert worden. Um zu sehen wie gut er sich zurechtfand, wie tief sie ihn hineinstecken mussten, damit er aus ihnen nicht mehr herausfand.
„Er ist ein Monster…“, klang es immer wieder in seinen Ohren. „…ein Monster…“
Lucias riss sich die Mütze vom Kopf. Wollte sie zerreisen, auf sie drauf treten, auf sie spucken. Dafür, dass er nur belogen worden war. Dafür, dass ihre Akzeptanz und ihre Fürsorge nur geheuchelt war.
Doch er schaffte es nicht.
Seine Finger hielten den grünen Stoff umklammert. Eine Böe kam auf und ließ ihn aufwehen. Die Tränen fielen darauf.
„Sie hassen mich…“, flüsterte Lucias.
Er wollte nicht mehr. Er wollte nicht mehr hier bleiben und so weiter machen. Er wollte ganz weit weg sein. An einem Ort wo man ihn nicht kannte. Wo er normal sein konnte. Wo ihn niemand mochte dafür aber auch niemand hasste, weil niemand ihn hassen konnte, weil er ein Fremder war.
Mit seinen Fingern strich er über den dünnen Stoff und erinnerte sich daran wie glücklich er noch heute gewesen war. Und wie weh es tat zu merken, dass man nicht geliebt wurde.
Dann öffnete er die Hand. Die Mütze wurde sofort vom Wind erfasst und stieg in die Höhe. Seine Augen folgten der Mütze, wie sie durch die Luft wirbelte wie ein Blatt, wie sie höher stieg und herabsank und wie sie davongetragen wurde.
Bis sie hängen blieb.
Sie hatte sich am Holzgitter verhackt, hinter dem direkt die Wüste begann.
Lucias Innerstes gefror.
Die Wüste.
Dort war er alleine. Von niemandem umgeben, der ihn hassen konnte.
Er zögerte, denn er hatte Angst vor der Einsamkeit. Aber schließlich war Einsamkeit der einzige Weg um dem Hass zu entkommen.
Darum schritt er schweren Herzens zu dem Holztor. Die Mütze wehte an einem Spliter, an dem sie sich gehaftet hatte.
Er legte die Hand auf das Holz. Es zerbarst als wäre es nichts, als wäre es Glas. Lucias war innerlich taub. Nichts erfüllte sein Herz mehr. Nur noch Magie.
Er schritt hindurch.
Seine nackten Füße berührten den Sand.

Ganz leise stellte Naboru die Öllampe auf dem Tisch ab.
Bis gerade eben war sie durch die Gänge geschlichen und hatte kontrolliert ob auch wirklich niemand mehr wach war.
Die anderen Weisen und der König von Hyrule hatten sich bereits zu dem geheimen Treffen eingefunden. Sie war die Letzte.
„Sie schlafen alle.“, versicherte sie ihnen.
Die Weisen schwiegen, doch jedem einzelnen merkte man seine Unruhe und seine Besorgnis an. Niemand wollte mit dem Sprechen beginnen.
Darum tat sie es schließlich. Denn ihre Neuigkeit war dringend.
„Wir haben es geschafft.“, sprach sie. „Wir haben die Kammer mit den verbotenen Schriften gefunden.“
Die Weisen hoben erstaunt den Kopf. Ganz besonders Link.
„Warum sagst du uns das erst jetzt?“


„Ich wollte warten bis wir wirklich allein sind. Niemand darf schließlich von den Schriften erfahren. Ganz besonders Lucias nicht. Waren das nicht deine Worte?“
Die Weisen nickten und murmelten noch beunruhigter.
„Und wie sieht das weitere Vorgehen aus?“, wollte Salia wissen. Sie wirkte wie ein Kind unter den anderen Weisen, doch sie war eine der ältesten.
„Sie sind in einer alten Sprache geschrieben, die nicht ganz unserer entspricht.“, fuhr Naboru fort. „Aber wir haben auch einige Schriften mit Übersetzungshilfen gefunden. Fünf meiner engsten Freunde haben bereits mit den Übersetzungsarbeiten begonnen, es wird aber noch Tage dauern. Ich vermute diese Sprache ist die Sprache, die Lucias nachts immer vor sich hin flüstert.“
Wieder murmelten die Weisen leise für sich.
„Gut.“, sagte Link und kratzte sich müde an der Wange. Vom Training war er sehr erschöpft und musste sich zwingen konzentriert zu bleiben.
Nun ergriff Ruto das Wort. Sie wirkte etwas blass und mager, das heiße und trockene Klima hier bekam ihr nicht gut. „Dann lasst uns auch erst in ein paar Tagen wieder reden, wenn wir mehr wissen über…“
„Nein!“, warf Rauru mit einem bestimmten Ton ein, der jedes Widerwort ihrerseits nicht zuließ. „Wir dürfen nicht tatenlos abwarten. Sonst könnte es zu spät sein.“
„Das stimmt.“, stimmte Impa zu. „Link, du warst doch genau deshalb mit Lucias in den Trainingshöhlen. Um zu sehen wie fortgeschritten seine Kräfte sind. Hast du uns nicht beschrieben wie gewaltig sie sind?“
„Das ist wahr, sie sind es.“, stimmte Link zu und rieb sich die Hände. Ihm war etwas kalt. Die Nächte im Gerudotal waren grässlich, wie hatte er das vergessen? „Sie sind mächtiger als wir gedacht haben. Sie sind schon jetzt so mächtig wie die von Ganondorf bevor er das Fragment der Kraft besaß. Aber im Gegensatz zu ihm ist Lucias noch ein Kind.“
Die Weisen schüttelten fassungslos den Kopf. Link hatte ihnen erzählt was Lucias alles geleistet hatte, allein durch seine Magie. Zu allererst von dem gewaltigen Schild, der den Echsenkrieger mit einem Schlag in den Tod geschickt hatte.
„Ich will mir gar nicht ausmalen was passiert, wenn er unser Feind wird.“
Link nickte. „Eben genau deshalb!“, stieß er hervor. „Dass Lucias Ganondorf in die Hände fällt, das darf nicht geschehen. Ob magische Kräfte, ob gleiches Aussehen, ob Albträume und mysteriöses Flüstern. Wir dürfen das nicht zulassen!“
Darunia legte die Hände auf den Tisch. Er hatte es möglichst sanft tun wollen. Doch bei seiner Feinmotorik klang dieses sanfte Auflegen lauter als beabsichtigt. „Da stimme ich Link zu. Wenn Ganondorf irgendwie durch Magie mit Lucias Verbindung aufnimmt, dann müssen wir diese unterdrücken!“
„Und wie soll das gehen, du Schlaumeier?“, gackerte Ruto und musterte ihn, als rede er davon den Himmel grün anzumalen. „Du hast doch gesehen was Davin zugestoßen ist, einfach nur durch einen Funken.“
„Link, du hast doch die Macht seiner Magie gespürt.“, meldete sich Salia zu Wort. Ihre Beine zitterten unentwegt. Auch sie war das Klima nicht gewöhnt. Doch ihr machten eher die Tage zu schaffen.
„Sie war gewaltig.“, antwortete Link. „Sie ist zu gefährlich! Nicht auszudenken was er damit alles anrichten könnte!“
„Aber was sollen wir tun?“, fragte Rauru mit beunruhigter Stimme. „Was sollen wir gegen ihn unternehmen?“
„Ich werde nicht zulassen, dass Lucias etwas tut, was er später bereuen wird. Wir müssen ihn einsperren – ein für alle male! Er darf niemals mehr einen Weg aus seinem Gefängnis finden!“
Impa lehnte sich zurück. Sie wirkte als wäre sie völlig unbeteiligt, doch ihr Geist war scharf. „Das stellst du dir so leicht vor? Wie sollen wir denn an ihn herankommen? Er ist schließlich nicht mehr wie wir!“
„Wir müssen aber!“, rief Naborus ein. „Er ist ein Monster und er wird nicht eher ruhen bis er Lucias bekommt. Ich kenne ihn, er gibt nicht auf und er wird es schaffen sogar vom Jenseits an ihn heranzukommen. Hat er das nicht schon durch die Träume bewiesen?“
„Wir…wir sind uns aber nicht ganz sicher ob es wirklich er ist, der…“
„Nein, Link! Schluss mit den Lügen und den Heimlichtuereien!“, unterbrach sie den Helden der Zeit. „Du weißt, dass der erste Schritt ist Lucias aufzuklären. Du kannst ihn nicht wie einen normalen Jungen behandeln, weil er einfach kein normaler Junge ist! Ganondorf wird immer in seinem Schatten lauern und wir müssen ihn dafür endlich sensibilisieren. Sonst wird Davins Unfall schon bald kein Einzelvorfall sein. Verstehst du endlich? Oder willst du, dass dein Sohn bald noch eine Narbe auf die zweite Schläfe bekommt? Oder vielleicht sogar stirbt!“
Link schluckte schwer. Diese Worte hatten gesessen.
Und nicht nur bei ihm, sondern auch bei den Weisen. Ja, sogar bei ihr selbst. Denn so klar hatte sie ihre Gedanken, ihre Gefühle und Ängste noch nie ausgedrückt.
Es herrschte langes Schweigen. In dem die Weisen ihren Helden anblickten, ihn musterten und auf eine Antwort von ihm warteten. Obwohl sie alle schon längst die Antwort kannten.
Und es war Zeit, dass auch Link sich zur Antwort bekannte. Das wusste Link.
Und dennoch zögerte er.


Deshalb legte Naboru ihm ermutigend die Hand auf den Arm. „Er ist ein kluger Junge, er wird das verstehen.“
Link sah sie an. Und schließlich war er bereit dazu. Er spürte, dass er nicht mehr länger warten konnte.
Er erhob sich. „Du hast Recht. Lucias ist ein kluger Junge.“ Er blickte in die Runde der Weisen. „Wenn ihr mich dann entschuldigt, ich werde das sofort tun.“
Ruto sah ihn schräg an. „Willst du nicht lieber bis morgen warten?“
Link schüttelte den Kopf. „Nein, ich mache es gleich. Bevor mich der Mut verlässt.“
Auch Naboru erhob sich. „Ich komme mit dir. Ich werde vor der Tür warten.“
Entschlossen nickten sie sich zu. Niemanden anderen als Naboru hätte er jetzt an seiner Seite gewollt. Denn sie war die Klügste von ihnen allen gewesen. Weder hatte sie wie die anderen Weisen stets nur den Abkömmling Ganondorfs in Lucias gesehen, noch hatte sie ihre Zuneigung zu Lucias blind gemacht.
Als sie die Gänge entlang schritten, da ging ihm genau das durch den Kopf.
Deshalb berührte er ihren Arm. Verwundert wandte sie ihren Blick zu ihm. Die Öllampe in ihrer Hand schwankte leicht. „Was ist?“
„Naboru, du bis Lucias immer nur mit Liebe begegnet, aber nie hast du aus lauter Liebe den Verstand verloren. Wahrlich bist du eine Mutter, die beste, die Lucias haben kann.“
Naboru lachte leise. „Ich tue nur das, was ich Lucias schulde. Unsere Schwäche war sein Verhängnis.“
Sie schritten den Gang entlang. „Nein“, entgegnete Link. „Unsere Schwäche war der Grund seiner Geburt. Und deshalb bin ich froh, dass wir so schwach sind.“
Sie lachten.
Sie mussten die grob gehauene Treppe bis ganz hinauf. Denn Lucias Zimmer lag im obersten Stock. Der einzige Stock, in dem sich ein Wohnzimmer gefunden hatte, in dem sich noch keine Frau einquartiert hatte.
Während des Aufstieges bereitete sich Link in Gedanken vor. Er überlegte was er sagen sollte, wie er überhaupt anfangen sollte. Und versuchte sich auszumalen wie Lucias darauf reagierte. Zu erfahren warum er keinen Bauchnabel hatte.
Er konnte es nicht. Er konnte sich nicht einmal ausmalen wie er reagierte. Nicht einmal, wie ihm die verfluchten Worte über die Lippen kamen.
Naboru war es, die ihre Hand auf die Klinge der Tür legte. „Bist du bereit?“
Die kleine Flamme in der Öllampe flackerte und warf einen langen Schatten auf die Tür. Seinen Schatten.
Er nickte.
Die Tür glitt einen Spalt auf. Sie knarrte, denn die Scharniere waren alt.
Er klopfte Naboru auf die Schulter und zwängte sich durch den Spalt. Ein schwacher Streifen Licht fiel ins Zimmer. Auf die untere Bettkante.
Link seufzte. Es war soweit. Und dieses Mal wirklich, ohne Ausrede und vor allem ohne Lügen!
„Lucias!“, flüsterte er sachte. „Lucias, wach auf. Ich muss mit dir reden.“
Von einem Kind seines Alters hatte er als Antwort ein müdes Murren, ein Quengeln über die nächtliche Ruhestörung erwartet. Das Beginnen von Weinen oder zumindest ein leiser Protest. Doch er erhielt eine völlig andere Antwort. Nämlich keine.
Natürlich, Worte halfen nicht. Lucias hatte sich am Tage so verausgabt. Noch dazu war er ein Kind. Sein Schlaf musste so tief sein wie der Brunnen am hyrulianischen Marktplatz.
Link musste ihn wachrütteln.
Deshalb ging Link zum Bett hinüber. Um Lucias sachte über den Kopf zu streicheln und ihm zu flüstern: „Lucias, lass uns reden. Ich bin jetzt bereit dir die Wahrheit zu sagen. Ich muss es tun, verzeih mir. Ich muss dir sagen, dass du mit Ganondorf näher verwandt bist, als du geglaubt hast…“
Doch er konnte es Lucias nicht zuflüstern. Denn Lucias war nicht da!
Sofort warf Link die Decke zurück. Nichts. Nur ein Kissen.
Sofort sah er sich in dem kleinen provisorischen Zimmer um. Nichts.
Er rannte zur Tür. Und erschreckte Naboru so heftig, dass sie Öl verschüttete. Sie sprang zurück, denn das Öl war heiß.
„Link! Sag mal was…“
„Lucias! Er ist nicht in seinem Zimmer!“
Für einen Moment war Naboru perplex. „Was…?“
„Geh sofort zu den Weisen und sucht ihn. Ich fange schon einmal ohne euch an.“
Naboru hatte ihn eigentlich beruhigen wollen. Lucias wäre sicher nur beim Abort.
Doch sie konnte nicht.
Denn sie hatte ein eben so furchtbares Gefühl wie er. Instinktiv spürten sie, dass etwas nicht stimmte.
Sie reichte ihm die Öllampe und rannte ins Dunkel des Ganges.

Es war eiskalt.
Die Luft war eiskalt. Der Wind war eiskalt. Der Sand war eiskalt.
Aber so sehr spürte er die Kälte gar nicht. Weil da eine andere Kälte war, die noch kälter und noch schmerzhafter war. Die Kälte in seinem Herzen.
„Warum?“, flüsterte Lucias. Sein Wort wurde sofort vom Wind verschluckt.
Warum war er ein Monster? Was hatte er getan? Was hatte er an sich?
Er war so tief in die Wüste gelaufen, längst hatte er die Orientierung verloren.
Natürlich wäre ihm das nicht passiert, wenn er es nicht gewollt hätte. Der Himmel war klar und er verstand sich darin die Sternenbilder zu lesen. Er wusste genau wo Norden war. Denn er kannte den Polarstern.
Aber er hatte nicht darauf geachtet. Er hatte bewusst nicht verfolgt wohin er ging. Er wusste, dass er aus der ungefähren Richtung des Osten kam, doch er wusste nicht mehr genau woher und gerade nach Westen war er auch nicht gelaufen. Selbst wenn er wieder genau nach Osten lief, vor dem Tor landete er dann nicht mehr.
Er war verlassen und allein. So hatten sie es doch gewollt.
Eingesperrt in der Wüste.
Nie wieder! Nie wieder ging er zurück!
Die Wüste war sein Grab.
Und wenn schon! Er hatte sowieso niemanden, der ihn vermissen würde. Sie waren doch sowieso alle froh ihn los zu sein! Dann mussten sie ihn nämlich nicht einsperren.
Heiße Tränen liefen an seinen Wangen hinab. Wieder einmal. Dabei wollte er nicht weinen!
Aber er musste einfach! Weil er nicht glauben konnte, dass sein Leben nur eine Illusion war. Dass seine Freunde nur Lügner waren. Dass jeder, der ihm etwas bedeutet hatte, ein falsches Spiel mit ihm gespielt hatte.
Warum? Warum nur?
Seine Füße taten ihm weh. Sie waren taub und eingefroren. Doch Schmerzen spürte er bei jedem Schritt. Und unglaublich müde war er.
Er konnte nicht mehr! In dieser Kälte einzuschlafen war tödlich. Aber was blieb ihm anderes übrig? In diesem Nirgendwo war nun einmal nichts.
Und hatte er sein Schicksal nicht selbst bestimmt? Lieber in Freiheit sterben als eingesperrt leben.
Er brach zusammen. Seine Füße wollten nicht mehr.
Er versuchte den Saum seines Nachtgewandes um seine eisigen Füße zu wickeln. Auch seine Hände waren eiskalt. Er blies hinein.
Wenigstens war es endlich windstill.
Er schloss die Augen und dachte noch einmal an die Zeit zurück. An den vorherigen Tag mit Link in den Höhlen. Und an Rajah, mit ihren neuen kurzen Haaren. Sie würde er vermissen.
Und vielleicht vermisste sie ihn auch. Ein bisschen wenigstens. Er wünschte es sich so sehr!
„Hihihihi!“


Jäh war da dieses Lachen am Himmel und Lucias erschrak sich. Über ihm erschien eine gleißend blaue Lichtkugel. Wie gebannt folgte er dem Licht. Sie war der Ursprung dieses eklig schrillen Gelächters.
„Du behältst Recht, Koume, meine liebe Schwester. Er ist gekommen um sein Schicksal anzutreten.“
„Hihihihi!“, erklang nun eine zweite Stimme und plötzlich erstrahlte auch ein rotes Licht. Wie zwei riesige Sterne, so viel näher als die anderen.
„Armer kleiner Junge.“
Das rote Licht war das erste, aus der eine Gestalt erschien. Eine hässliche Gestalt.
Eine krüppelige alte Hexe auf einem schwebenden Besen. Die Haut schimmerte fällig grün und war alt und faltig. Ihre Nase war für ihr kümmerliches Gesicht riesig groß und ihre Fingernägel gelb.
Ihr Haar bestand nicht aus Haar sondern aus Feuer.
„Hat geglaubt er hat Freunde. Hat geglaubt er hat Familie. Hat geglaubt er könnte so sein wie die hyrulianischen Würmer!“ Sie lachte.
Aus dem blauen Licht erschien eine weitere Gestalt. Eine Hexe, die der ersten glich, nur das Haar, es war aus Eis.
„Dabei ist er doch zu etwas Höherem bestimmt – ja gar zu der höchsten aller Ehren. Dazu hat ihn unser Herr auserwählt.“
Lucias erhob sich. „Wer seid ihr?“
Die beiden Hexen verdeckten ihren Mund mit dem Stoff eines Ärmels. Dabei taten sie es völlig synchron.
Mit der anderen Hand fassten sie einander fest und wirbelten dreimal umeinander. Als führten sie für ihn einen Tanz auf.
„Wir sind die Hexen Gothama. Die mächtigen Hexen der Wüste, die Weisen der Finsternis.“
„Gothama…“, wiederholte Lucias. Er konnte seinen Blick nicht von ihnen wenden. Er war fasziniert von ihrer magischen Aura. Und doch spürte er tiefe Furcht. Er spürte, dass von ihnen Gefahr ausging.
Denn er hatte über sie gelesen. Die Hexen Gothama, die im Wüstentempel auf den Helden der Zeit gelauert hatten. Und die die Weise der Geister entführt und manipuliert hatten. So hatte Naboru sieben Jahre dem Tyrannen, dem Großmeister des Bösen, gedient ohne es zu wollen.
Ihnen konnte er nicht trauen, sie waren böse.
„Was wollt ihr von mir?“, rief er zu ihnen herauf.
Die Hexen lachten. Ihre Stimmen waren so schrill und schneidend, dass ihm die Ohren davon wehtaten.
„Wir wollen dich abholen, mein kleiner Junge.“, lachte Koume. „Du wirst bereits erwartet.“
„Komm schön brav mit uns, dann wird es dir an nichts fehlen.“, fuhr Kotake fort. Und wieder lachten sie.
Lucias trat einige Schritte nach hinten. „Nein! Ich will nicht! Lasst mich allein!“
Die Hexen lachten erneut.
„Mir scheint, meine liebe Schwester“, sagte Kotake. „als hätte der kleine Junge nicht ganz verstanden. Es war keine Bitte, es war ein Befehl. Der Befehl unseres Herrn selbst!“
Er wich noch einen Schritt zurück.
„Lasst…lasst mich in Ruhe! Ich will nicht mit euch gehen!“, schrie er.
Die Hexen lachten.
Die Rote war die erste, die eine rote Kugel in ihrer Hand formte. Eine magische Kugel.
„Du hast keine Wahl, kleiner Junge!“
Die Blaue tat es ihr nach. Nur war ihre blau. „Du hast zu gehorchen!“
Gleichzeitig schrieen sie „Hier!“ und schleuderten ihre Kugeln direkt auf ihn.
Die Kräfte der Hexen war gewaltig. Dagegen war alles, was er in den Trainingshöhlen erlebt hatte nichts! Doch er wehrte sich mit genau dem, womit er sich gegen den Echsenkrieger verteidigt hatte. Er bildete einen silbrigen Schild um sich.
Die Magie der Hexen berührten noch nicht einmal die Oberfläche, da erlosch sie schon. Die Hexen erschraken.
„Er ist stärker als wir dachten.“, flüsterte Koume ihrer Schwester zu. „Was tun wir jetzt?“
„Wenn er zu stark für uns ist, dann müssen wir ihn eben schwächer machen, Koume!“, antwortete ihr die Schwester. „Wir machen ihn müde!“
Die rote Hexe grinste verschmitzt. „Was für eine hervorragende Idee, meine liebe Schwester.“
In ihren Händen bildeten sich nun gleißend weiße Kugeln.
Lucias nutzte seine Chance. Blitzschnell löste sich der Schild auf und er rannte davon. In Richtung Osten. Es war lächerlich aber er hoffte trotzdem das Tor zum Gerudotal erschien im nächsten Moment am Horizont. Damit er sich retten konnte. Und damit er Link in die Arme fallen konnte um ihn anzuflehen ihn nicht einzusperren, egal was für ein Monster er war. Er hatte solche Angst.
Die Hexen waren in seinem Rücken und lachten ihm hinterher.
„Sinnlos!“, schrillten sie gleichzeitig und warfen ihre Magie. Sofort sprossen aus dem kalten Sand unzählige Skelettkrieger. Solche, gegen die er und Link gekämpft hatten.


Nur waren es fünfzehn an der Zahl, die ihn umringt hatten. Er drehte sich im Kreis, aber es gab keine Lücke zum Entkommen. Die leuchtenden Augen sahen ihn an. Er saß in der Klemme.
Sofort begannen ihn die Hexen wieder zu umkreisen.
„Gib auf, kleiner Junge.“, sprach Kotake. „Du kannst nicht entkommen. Sei ein braver Junge und komm freiwillig mit uns mit!“
Lucias sah sich panisch um. Die Stalfose kamen näher und näher. Die Schilde fest im Griff, die Schwerter gezückt. Er konnte nicht entkommen!
„Sei nicht dumm, kleiner Junge!“, entgegnete auch Koume. „Wir wollen dir nicht wehtun. Dein Körper muss frisch und unversehrt bleiben.“
In seiner Hand formte Lucias eine kleine Lichtkugel. Eilig und ungeschickt, deshalb war sie nicht ganz rund und als er sie schleuderte traf er nicht den Stalfos, den er angezielt hatte, sondern den rechts neben ihn. Doch Wirkung zeigte es trotzdem.
Der Stalfos zerbarst in alle seine einzelnen Knochen.
Erleichtert atmete Lucias auf. So konnte er sie besiegen. Es war hart, denn er hatte nicht mehr viel Kraft, aber er konnte sie besiegen.
Die Hexen schüttelten nur belustigt den Kopf. „Zweglos!“
Mit einem Wink aus Kotakes Hand schwebten die Knochen auf und setzten sich wieder zusammen. Der Stalfos trat weiterhin näher als wäre nichts gewesen.
Verzweifelt starrte Lucias zu den beiden Hexen auf, die in der Luft schwebten.
„Schnappt ihn euch!“, befahl Koume. „Aber passt auf, dass ihr ihm nicht den geringsten Kratzer zufügt!“
Die Stalfose beschleunigten ihren Schritt. Die Schwerter ließen sie zu Boden fallen, doch sie wichen nicht von ihrem Vorhaben.
„Nein!“, schrie Lucias. „Geht weg! Ich will nicht!“
Die Hexen lachten schrill.
„Kleiner Junge! Du weißt wohl noch immer nicht wem du gehörst!“, lachte Kotake.
Lucias sah sich um. Von allen Seiten kamen die Stalfose auf ihn zu. Er konnte nicht entkommen. Er konnte nicht!
„Neiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin!“
Aus seinem ganzen Körper quoll seine Magie hervor. Gleißende Magie, so gleißend, dass sie die Nacht erhellte. Das Licht blendete die beiden Hexen.
„Was ist das, Koume?“, schrie die blaue Hexe.
„Diese Magie! Sie ist so stark!“

Die ganze Festung war durchsucht worden. Alle Kriegerinnen waren aufgeweckt worden. Denn Lucias war nirgends zu finden.
Getrampel in den Gängen, Schreie und Rufe aus den Zimmern. Die ganze Festung war in Aufruhr.
Die Mädchen waren unruhig. Viele von ihnen waren aufgewacht und auf den Gang getreten um dieser Hektik auf den Grund zu gehen. Man hatte sie mit knappen Bemerkungen und Befehlen sofort wieder ins Bett zu gehen abgespeist.
Während Link noch immer wie ein gehetztes Tier in der Festung herumirrte.
Sogar im Verließ hatten sie nachgesehen. Und auf den Dächern. Und auf den Trainingsplatz und in den Trainingshöhlen wurde gesucht.
Und es wurden sogar Truppen aufgestellt um im Gerudotal zu suchen.
Währenddessen hatte Naboru die Spuren, die sie gesucht hatten, längst gefunden. Doch die Boten, die sie nach Link geschickt hatte, fanden ihn erst spät.
Natürlich stürmte er, als er die Nachricht erhalten hatte, sofort aus der Festung, über den Hof, dorthin, wo das hölzerne Gitter das Tal von der Wüste trennte.
Dort hatte sich ein Menschenhaufen gebildet, der sich dicht an das Gitter drängte. Es war fast unmöglich da hindurch zu kommen. Er zwängte sich durch die Frauenleiber.
„Macht mir Platz! Ich bin der König! Lasst mich durch, verdammt!“ Einige machten ihm tatsächlich Platz, doch die meisten hörten ihn gar nicht.
Darum schien es ihm wie eine Ewigkeit, bis er sich endlich zu Naboru, Ruto und Darunia durchgedrängt hatte.
Er wollte fragen, doch dann blieben ihm die Worte im Halse stecken.
Er erblickte die zerborsteten Balken.
Naboru wandte sich zu ihm um. In ihren Händen hielt sie eine kleine grüne Mütze.
„Er ist in die Wüste gelaufen.“ Ihre Stimme klang so verzweifelt. Wie die Stimme einer Mutter.
„Dann müssen wir…“
„He! Nein! Lasst mich durch! Weg da!“, kreischte eine Stimme. „Nein!“
Eine kleine Gestalt zwängte sich zu ihnen. Eine kleine Gestalt, die ebenfalls nicht hierher zu gehören schien. Denn sie hatte schwarzes statt rotes Haar.
Rajah.
„Was ist mit Lucias?“, kreischte sie sie an. „Was ist mit ihm? Sagt es mir!“
Verwundert darüber sie hier zu sehen statt in ihrem Bett blickte Link sie nur an. Ohne ihr zu antworten.
Zwei Gerudofrauen traten ebenfalls zu ihnen. „Rajah!“, rief die eine tadelnd.
„Verzeiht, König. Sie hat uns gehört als wir nachfragten ob es schon eine Spur von Lucias gibt. Da ist sie davongelaufen.“, erklärte die Zweite.
Doch das kleine Mädchen ließ sich nicht beruhigen. Trotzig wehrte sie die Gerudo ab, die sie packen und mit sich in die Festung ziehen wollte. „Ich will sofort wissen was mit Lucias ist! Sonst gehe ich hier nicht weg!“
Link legte ihr die Hand auf die Schulter. „Beruhig dich, Rajah.“
Doch sie schlug seinen Arm weg. „Wo ist Lucias!“ Sie hatte Tränen in den Augen. Und ihre Stimme zitterte vor Angst.
Link konnte es ihr nicht verschweigen. „Er ist weggelaufen, Rajah.“
Jäh leuchtete ein Fleck am Horizont hinter der Wüste auf. Ein gleißender Fleck in der Dunkelheit.
„Was ist das?“, unterbrach Darunia alle Gespräche, alles Geflüster, alles Gemurmel.
Wie gebannt blickten alle Augen auf die Erscheinung.
„Ich brauche sofort ein Pferd!“

Das Licht erlosch nicht sofort. Nur allmählich.
Und die Wellen der Magie klangen noch nach.
Lucias stürzte in den Sand. Er war schwach und müde.
Die Hexen lösten ihr rotes und blaues Schutzschild. Um sich vor der Magie zu retten hatten sie mit ihren Besen rasch an Höhe gewonnen und augenblicklich einen starken Schild erbaut. Die Magie war gefährlich nahe an sie herangekommen, viel länger hätten die Schilde ihr nicht standhalten können.
Von den Stalfosen fehlte jede Spur. Die Magie hatte sie einfach aufgelöst. Und der Sand war so heiß geworden, dass er um Lucias herum glänzte wie Kristall. Die Stelle beschrieb einen exakten Kreis.
„Was für eine gewaltige Kraft!“, stieß Koume zwischen den Zähnen hervor.
„Ja, Koume.“, stimmte Kotake ihr zu. „Was für ein Meisterwerk ist unserem mächtigen Herrn gelungen!“
Lucias spürte wie ihm die Sinne schwanden. Aber er wollte jetzt nicht bewusstlos werden. Ihm war übel. Speiübel! So viel Magie hatte er noch nie freigesetzt. Kaum noch konnte er sich bewegen, er hatte sich bis ans Ende verausgabt.
Und trotzdem hatte es nichts gebracht.
Er zwang sich auf alle Viere. Schweiß tropfte ihm von den Schläfen. Sein ganzer Körper war von kaltem Schweiß bedeckt.
„Nun ist es aber genug gespielt.“, kicherte Kotake. „Jetzt sei ein braver Junge und wehr dich nicht mehr!“
Beide hoben ihre Hand und schleuderten ihre Kugeln aus Magie vor Lucias auf den Boden. Die Kugeln gingen in den Boden über und färbten den Sand lila.
Lucias versuchte von dem lilanen Sand wegzukommen, doch er breitete sich so rasch um ihn aus, so schnell konnte er einfach nicht mehr davonkriechen.
Der lila Sand umgab ihn und wurde schließlich zu Treibsand. Er spürte wie er darin versank. Mit letzter Anstrengung versuchte er seine eingesunkenen Füße daraus zu befreien und seine Magie gegen den Sand einzusetzen. Doch es war keine mehr da. Er war am Ende seiner Kräfte. Mit seinen Händen versuchte er nach etwas zu greifen, nach irgendetwas an dem er sich festhalten konnte, aber da war nichts außer Sand.
Seine Beine waren bereits eingesunken. Er resignierte und ließ es zu.
„So ist es brav!“, lobte Koume. „Endlich bist du vernünftig geworden.“
Tränen flossen ihm wieder über die Wangen, während der Sand ihm die Brust hinauf stieg.
„Link…“, sagte er. „Hilfe…“ Der Sand stieg seinen Hals hinauf, erreichte sein Gesicht. „Hilfe Link!“
Dann verschlang ihn der Sand.

Durch Link fuhr ein Zucken, als hätte ihm jemand ein Schwert in den Leib gerammt.
„Was ist, Link?“, brüllte Naboru zu ihm hinüber. Sie musste, denn sie ritten schnell und der Gegenwind war scharf.
Doch er antwortete ihr nicht, er trieb sein Pferd nur noch mehr an.
Link wusste, dass Lucias etwas Schlimmes zugestoßen war. Er wusste es und er spürte es.
„Lucias“, flüsterte er für sich. „Halt durch, ich komme!“
Sie ritten so schnell, er, Naboru und Impa, dass die zehn Gerudokriegerinnen, die als Verstärkung mit ihnen kamen, kaum hinterher kamen. Doch Link war es egal. Er wollte nur Lucias finden.
Das Licht war erloschen, darum konnten sie nur hoffen, dass sie auf dem richtigen Weg waren. „Da!“, rief Impa plötzlich. „Da vorn!“
Direkt vor ihnen kamen ihnen zwei Schatten entgegen. Es waren ebenfalls Reiter, genauso schnell.
In der Mitte trafen sie sich. Naboru erkannte sie sofort.
Die eine Reiterin war ihre beste Freundin und engste Vertraute, Ashanti. Sie hatte Naboru mit der Aufgabe betraut die Suche nach der Kammer mit den geheimen Schriften zu leiten und nun die Übersetzungsarbeiten zu beaufsichtigen. Wenn sie ihnen entgegenkam, dann bedeutete es nichts Gutes.
„Ashanti!“, schrie sie. „Ashanti!“
„Naboru!“
Die Reiter hielten ihre Pferde. Es war dunkel und trotzdem konnte Naboru sehen, dass Ashanti verletzt war. Eine tiefe Fleischwunde blutete ihren rechten Unterarm aus.
Die Freundin taumelte ihr entgegen.
„Oh Gott! Ashanti!“ Sofort wickelte Naboru ihrer Freundin den Arm ab. Es war so ein furchtbarer Anblick.
Ashanti konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und sackte zu Boden.
„Was ist passiert, Ashanti? Erzähl mir was geschehen ist!“, drängte die Weise der Geister.
„Monster…“, keuchte Ashanti. „Monster!“
„Monster was? Ashanti! Du musst es mir sagen!“
Die verletzte Gerudo war schwach. Zu schwach zum Reden.
Deshalb übernahm es die junge Frau, die mit ihr geritten war.
„Monster haben uns angegriffen!“, stotterte diese.
„Monster?“, stieß Link fassungslos hervor. „Aber…wie kann das sein? Nach Ganondorfs Verbannung sind nie wieder welche gesichtet worden!“
„Ich schwöre es ist wahr!“, weinte die junge Gerudo. „Sie haben uns angegriffen. Sie haben die Schriften in Brand gesteckt! Der ganze Tempel brennt!“ Dann brach auch sie zusammen. „Sie haben so viele von uns getötet! Nur wenige sind entkommen!“ Sie legte sich die Hände auf die Augen, die Bilder waren noch so frisch. „Es war so schrecklich!“
Impa schritt zu ihr und nahm sie in den Arm. Sofort klammerte sich die Gerudo an sie.
Naboru und Link sahen sich an.
Die Schriften waren vernichtet. Damit gab es keine Möglichkeit der Informationen mehr.
„Wir müssen Lucias finden!“, sprach er und blickte zum Horizont. „Wir müssen ihn unbedingt finden!“



Kapitel 9

Er wusste, dass er nur träumte.
Es war ja klar, schließlich hatte er das Bewusstsein verloren.
Und schließlich war er hier und hier war nur ein Traum.
Denn er stand im weißen Nichts.
Es war wieder gleißendweiß um ihn herum, überall. Und es war warm und vollkommen still. Auf diesen Traum fiel er nicht mehr herein!
Auch nicht, obwohl vor ihm gleich die schwarze Wand stand!
In jedem seiner Albträume war sie von Anfang an noch nicht da gewesen, war immer erst nach einer Weile erschienen und das nur allmählich.
Jetzt stand er genau davor.
Eine Wand aus Schwärze.
Lucias trat zurück. Auf die schwarze Wand würde er nicht noch einmal hereinfallen. Ganz sicher nicht!
Er musste möglichst weit weg vom Schwarzen bleiben. Und nur noch warten bis er aufwachte. Wo würde das wohl sein?
Denn er war von seinem Traum dieses Mal nicht so gepackt, als dass er vergessen hätte wie er bewusstlos geworden war und was vor seiner Bewusstlosigkeit geschehen war.
Vielleicht wollte er ja gar nicht wieder aufwachen.
Er wandte der schwarzen Wand den Rücken zu. Um ihr zu zeigen wie wenig er von ihr hielt. Und dass er keine Angst vor ihr hatte. Er dachte schließlich auch er stehe weit genug von ihr weg um in Sicherheit zu sein.
Er sah sich um. Natürlich sah er immer noch nichts außer weißem Licht. Seine Füße bohrte er in den weißen Sand, er war so herrlich warm für seine geschundenen Füße, die hier gar nicht mehr so geschunden aussahen.
Eventuell ließ es sich hier ganz gut leben? Für immer bewusstlos sein? Wer wusste schon was die beiden Hexen mit ihm vorhatten. Vielleicht töteten sie ihn, vielleicht war er auch schon tot und dies war das Jenseits. Seine Träume hatten ihm die nahe Zukunft gezeigt.
Allerdings konnte er sich dann die schwarze Wand nicht erklären…
In diesem Augenblick seiner vielen Gedanken hörte er ein Lachen. Ein dunkles, kaltes und grausames Lachen. Erschrocken blickte er über sich weil er im ersten Moment dachte die beiden Hexen würden gleich erscheinen.
Doch dann erkannte er, dass dies nicht sein konnte. Denn das Lachen war das eines Mannes und es kam aus dem Schwarz. In dem Moment, in dem er sich zur schwarzen Wand umwandte bewegte sich die Oberfläche.
Da war sie wieder. Die Hand, die ihn am Hals packte, ohne dass er es verhindern konnte und die ihn festhielt, ohne dass er sich wehren konnte. Trotzdem versuchte er es.


Er wollte schreien, aber die Hand hielt ihn so fest umklammert, dass er keine Ton herausbrachte. Er versuchte die Finger zu lösen, er kratzte den Arm und wand sich. Aber keinen Augenblick wurde der Griff schwächer.
Dann kam er dem Schwarzen immer näher. Aber es war nicht wie in seinem Traum. Nicht er wurde von der Hand ins Schwarze gezogen, die schwarze Wand schwoll an, breitete sich in seine Richtung aus. Die Hand hielt ihn vom Davonlaufen ab.
Er konnte nichts dagegen machen.
Nur mit Angst in den Augen zusehen wie sie immer und immer näher kam.
Wach auf, schrie es in seinem Kopf. Wach auf! Wach auf! WACH AUF! BITTE!
Aber er wachte nicht auf. Auch nicht als ihn das Schwarz berührte. Als es über ihn hinwegfegte wie ein Sandsturm.
Als er darin eintauchte war es als spränge er in kaltes Wasser. Das Flüstern kam von allen Seiten als der schwarze Sog ihn erfasste und als er seine Augen schloss, weil er sich kaum halten konnte.
Und dann war es vorbei. Auf einmal.
Und als er seine Augen wieder öffnete.
Die schwarze Hand um seinen Hals war weg und er war wieder alleine wie zuvor.
Doch war es anders.
Denn nun war er im Schwarzen. Es war genau wie mit dem Licht. Das Licht hatte ihn nicht geblendet, das Schwarze nahm ihm nicht die Sicht. Obwohl alles völlig dunkel war konnte er sehen.
Er selbst aber war nicht schwarz geworden. Er leuchtete weiß. Seine Haut, seine Haare, sein ganzer Körper war weiß geblieben. Rein und unbefleckt.
Es war eiskalt und er fror. Es war noch kälter als in der Wüste, nur war dies eine völlig andere Kälte.
Sich die Oberarme reibend sah er sich um. Es war ein schwarzes Nichts. Und er hatte schon Angst gehabt! Als hätte ein Monster hinter der schwarzen Wand gelauert.
Aber wem hatte die schwarze Hand dann gehört?
Er sah zum Boden herab. Er war spiegelglatt und kalt. Nicht weich und warm wie der weiße Sand. Es war hier so hässlich und kalt.
„Wo bin ich?“
Weil er noch immer dachte es wäre trotz allem nur einer dieser Träume hatte er auch keine Antwort erwartet. Schließlich hätte das bedeutet alleine zu sein. Deshalb erschrak er sich maßlos als er eine Antwort erhielt.
„Du bist im Inneren meiner Seele.“
Mit einem Ruck drehte er sich um.
Da leuchteten zu anfangs nur zwei Augen. Von der gleichen Farbe wie die seinen.
Lucias wusste nicht was hier geschah, darum trat er langsam zurück. Er wusste nicht wer der Fremde war, der gesprochen hatte.
Ein eiskalter Wind kam auf und riss ihn fast von den Füßen. Der Wind kam von allen Seiten und wirbelte pechschwarzen Rauch auf. Sein Mittelpunkt waren die leuchtenden Augen.
Er formte sich zu einer Gestalt. Gab den Augen einen Körper.
Und als der Wind erlosch war die Gestalt vollendet.
Es war ein Mann. Ein Mann, den Lucias schon einmal gesehen hatte. Auf einer Zeichnung.
Nur war dieser um Jahre jünger.
„Wer bist du?“, fragte Lucias. Obwohl er die Antwort bereits kannte.
Der Mann blieb regungslos. Starrte ihn nur an.
Da sprach Lucias das erste Mal seinen Verdacht aus. Die Worte kamen ihm nur stotternd über die Lippen. „B…bist du mein…mein Vater?“
Jetzt regte sich der Mann. Er lächelte.
Aber es war kein freundliches Lächeln. Sondern das Lächeln auf der Zeichnung.
Er streckte die Hand aus und in ihrer Innenfläche bildete sich ein schwarzer Wirbel. Lilafarbene Funken sprühten darin. Bis sich eine Kugel geformt hatte, eine dunkle Kugel, die doch so voller Magie war, dass gleißende Blitze daraus hervorzüngelten.
Die Kugel aus Magie traf Lucias an der Brust. Eigentlich ganz sanft, sie tat ihm nicht weh, sie schlug ihn nicht und sie verbrannte ihn nicht.
Was wehtat war die Wucht. Die Wucht, mit der er von den Füßen gerissen und nach hinten geschleudert wurde. Vierzig, fünfzig Fuß weit. Ehe er auf den Boden knallte und selbst dann noch hatte er eine solche Geschwindigkeit, dass er wie ein Ball wieder in die Höhe und wieder auf den harten Boden geschleudert wurde. Um nach weiteren zehn Schritten endlich zum Erliegen zu kommen.
Er hatte Schmerzen, an seinem ganzen Körper.
Schwerfällig setzte er sich auf und weinte dabei. Weil er solche Qualen noch nie gespürt hatte. Er hatte nicht gewusst wie schrecklich Magie sein konnte.
Während er sich aufmühte und seine Tränen den Blick verklärten wuchsen winzige schwarze Ranken aus dem Boden. Wie kleine Schlangen, die sich um ihn winden wollten um ihn ganz langsam einzuhüllen. Um ihn zu beißen und bis in sein Innerstes, sein Herz, zu schleichen.
Aber es gelang ihnen nicht. Sie konnten den Jungen noch nicht einmal berühren. Sie lösten sich auf, als wäre er so heiß, dass sie einfach dahinschmolzen. Das sah der Mann.


Der Einzige, der davon nichts mitbekam war Lucias. Er war immer noch zu sehr mit den Schmerzen beschäftigt.
Die Ranken verschwanden wieder im Boden und der Mann setzte sich in Bewegung. Er kam direkt auf Lucias zu.
Dass war so unübersehbar, dass Lucias davon aufwachte.
„Nein!“, schrie er und schleifte sich rücklings von dem Mann weg. „Nein, bitte! Tu mir nicht mehr weh! Bitte!“
Der Mann hatte ihn schnell erreicht und packte ihn. Lucias versuchte sich zu wehren, zu treten, zu schlagen und schrie. Aber der Mann packte ihn am Hals und hob ihn hoch. So hoch, dass er den Boden unter den Füßen verlor.
Lucias versuchte die Finger um seinen Hals zu lösen, diese echten Finger, viel echter als die schwarze Hand. Aber er schaffte es nicht. Er war panisch, er schrie, er weinte.
Der Mann lachte. „Haben sie dich betrogen, Lucias?“
Mit einem Schlag war Lucias ruhig. Er schrie nicht mehr, er weinte nicht mehr, er bewegte sich nicht mehr.
Der Mann ließ ihn wieder zu Boden und löste seine Hand.
Sein Blick war gläsern.
„Armer Lucias, du hast sie so geliebt und sie haben dich fallen lassen.“, sprach der Mann und legte ihm seine dunkle Hand auf die Schulter.
Aber Lucias schlug sie weg. „Was weißt du schon!“
Der Körper des Mannes löste sich wieder in Rauch auf.
„Mehr als du denkst, Lucias.“, flüsterte es.
Der Rauch umgab ihn, bildete einen Kreis um ihn und zog seine Bahnen. Streifte ihn am Arm, streifte ihn am Bein, streifte ihn am Kopf. Er versuchte ihn davon abzuhalten, aber der Rauch war immer schneller.
„Du weißt wer ich bin.“, sagte der Mann neben seinem rechten Ohr. Das Gesicht hatte sich aus dem Rauch geformt. Lucias schlug danach und es wurde wieder zu Rauch.


„Du bist Ganondorf, der Großmeister des Bösen!“, antwortete Lucias.
„Ja, der bin ich.“, hörte er die Stimme. „Und ich bin hier um dir zu helfen. Ich bin auf deiner Seite…“
„Nein!“, schrie Lucias. „Ich weiß genau was du für ein schlechter Mensch bist! Ich weiß bescheid über dich!“
Der Rauch lachte. Eine Hand legte sich auf seinen Kopf, sofort sprang er zur Seite.
„Du meinst du hast über mich gelesen? Und sie haben dir von mir erzählt? All die Lügen!“ Lauter wurde das Lachen. Und kälter. So kalt, dass es Lucias einen Schauder über den Rücken jagte. „Ja, sie sind geschickt darin. Die Wahrheit so zu verdrehen, dass sie als die Guten dastehen.“
„Hör auf!“, schrie Lucias in das Lachen hinein und drückte sich die Hände auf die Ohren, als könne er nichts mehr hören. „Link würde mich nie belügen!“
Doch das Lachen verstummte nicht. „So? Der Held der Zeit belügt dich nicht? Und wie war das mit deiner Mutter? Die angebliche Zofe, die aus dem Fenster des königlichen Schlafgemachs gefallen ist? Oder doch vom Balkon? Oder vom Dach?“ Lucias erstarrte wie zu Stein. „Oder was ist mit dem Zeichen auf deiner Hand. Das angebliche Muttermal, von dem du doch selber weißt, dass es in Wahrheit das Fragment der Kraft ist. Wie glaubst du ist es in deinen Besitz gekommen? Weil wir beide entfernte Verwandte sind?“
Lucias ließ die Hände sinken. Er wollte es abstreiten, aber er konnte es nicht.
Link hatte ihn belogen. Sie alle hatten ihn belogen.
„Aber…aber sie sind…meine…“
Aus überall her ertönte eine Stimme. Links Stimme.
„Wir müssen ihn einsperren – ein für alle male! Er darf niemals mehr einen Weg aus seinem Gefängnis finden!“
„Glaubst du sie sind deine Freunde?“, fragte Ganondorf.
Und dann hörte er Naboru sprechen.
„Er ist ein Monster…“
„Glaubst du sie sind deine Familie?“
Wieder legte sich Lucias die Hände auf die Ohren. „Aufhören!“ Die Tränen liefen ihm die Wangen hinab. „Bitte! Ich will nichts mehr hören!“
Zwei schwere Hände legten sich auf seine Schultern. Ganondorf stand in seinem Rücken. „Genauso haben sie mich auch behandelt. Als sie sahen wie mächtig ich war haben sie mich verbannt. In die ewige Einsamkeit. Während sie sich vergnügten, lachten und Familie hatten saß ich hier. Ich hatte niemanden. Und das nur, weil sie Angst vor jemanden haben, der stärker ist als sie. Und bei dir ist es genauso. Du bist ihnen nur so lange etwas wert wie sie dich benutzen können. Dann werden sie dich ebenso einsperren wie mich! Willst du wirklich zu ihnen zurück?“
Ganondorf beugte sich zu ihm hinunter. Dicht an sein Ohr. „Du brauchst sie nicht. Und du brauchst keine Mutter. Du brauchst nur mich!“
Lucias liefen erneut Tränen die Wangen hinunter.
Doch diese Tränen waren nicht mehr weiß und leuchtend. Sie waren pechschwarz. Und kalt.
„Was ist dieses Gefühl?“, fragte er. „Diese Kälte in mir.“
„Das sind dein Zorn und dein Hass. Sie werden dich stark machen.“
„Stark wofür?“
Ganondorf verzog sein Gesicht zu einem Grinsen. „Für Rache.“
„Rache?“, wiederholte Lucias.
„Für all die Demütigungen und die Abneigung und die Einsamkeit, die du ertragen musstest ohne daran Schuld zu haben! Dafür, dass sie sich ein schönes Leben machen während du ins Nichts verbannt bis!“
Durch Lucias fuhren Bilder. Bilder der Stadtbewohner, die ihn immer ignoriert hatten. Die Erwachsenen, die ihre Kinder aus seiner Nähe gezehrt hatten. Die Verkäufer, die ihm nichts verkaufen und die Vergnügungsbudenbesitzer, die ihn nicht hereinlassen wollten.
Und Zelda, wie sie ihn immer abgewiesen hatte. Wie sie ihren Sohn vor seinen Augen gelobt und liebkost hatte ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Und Rauru, der ihn wie ein dummes Kind behandelt hatte.
Und Link, wie er ihn belogen hatte wo es nur ging. Mit seiner Geheimnistuerei.
Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
„Lass uns Rache nehmen, Lucias.“, flüsterte Ganondorf ihm ins Ohr. „Für jeden Augenblick, in dem wir einsam waren. Lass uns ihnen das antun was sie uns angetan haben.“
Lucias nickte.


Ganondorf legte seine rechte Hand direkt auf Lucias Herz. „Aber vorher müssen wir unsere Kräfte vereinen um uns zu befreien. Nur gemeinsam können wir Rache nehmen.“
Wieder hörte Lucias das Flüstern in sein Ohr. Das Flüstern in einer anderen Sprache. Dieses Mal jedoch verstand er die Worte. „Vertrau mir, Lucias.“, flüsterte Ganondorf. „Und lass mich in dein Herz!“
Die Hand lag erwartungsvoll auf der Brust. Und doch ganz ruhig.
„Ja.“, sprach Lucias und das Wort war in dieser fremden Sprache.
Und dann öffnete sich der Schutz um Lucias Seele. Aus Ganondorfs Hand floss purer schwarzer Hass. Ein schwarzer Fleck blieb auf der Brust zurück, dort wo das Herz lag. Verunreinigte das reine Weiß von Lucias Körper.
Sofort fuhren Lucias Hände an die Brust. „Es ist…so kalt!“, keuchte er. Es tat so weh. Er fiel auf die Knie.
„Wehr dich nicht dagegen, Lucias, lass es zu. Du wirst dich schon bald daran gewöhnt haben.“
Lucias brach entgültig zusammen und blieb auf dem kalten Boden liegen. Ihm war so kalt, dass er vom Schmerz schnell atmete.
Wieder wuchsen die schwarzen Ranken aus dem Boden. Doch dieses Mal lösten sie sich nicht auf, als sie den weißen Körper berühren wollten. Dieses Mal konnten sie sich ungestört um ihn schlingen.
Da spürte Lucias zum ersten Mal schreckliche Angst. Eine Angst, wie er sie noch nie gespürt hatte. Die Angst machte ihn benommen. Die Kälte machte ihn benommen.
Er fühlte gar nichts mehr. Nur, wie er müde wurde. So müde, dass er die Augen nicht mehr offen halten konnte.
Ganondorf verschränkte die Arme vor der Brust. „Hab keine Angst, Lucias. Schlaf nur.“ Die Ranken wandten sich um den strahlenden Leib und ließen nichts mehr von ihm übrig, sie deckten ihn für den Schlaf zu, mit einer Decke aus schwarzer Seele.
„Du wirst jetzt sehr lange schlafen, Lucias.“, sagte der Großmeister des Bösen, der schon spürte, wie er neue Kraft gewann. „Und je mehr du schläfst, desto mehr erlange ich Kontrolle über dich!“
Und dann lachte er.



Epilog

Rajah saß auf einem Felsen auf dem großen Platz.
Immer wieder wanderte ihr Blick hinüber zu der kleinen Gruppe, die am angeschlagenen Tor zur Wüste standen. Es war noch nicht repariert worden.
Die Weisen und Link waren dabei. Sie unterhielten sich mit einer Gruppe weißgekleideter Gerudofrauen, die jeweils ein Pferd an den Zügeln hielten.
Es war eine der vielen Gruppen, die in die Wüste entsandt worden waren Lucias zu suchen und mit leeren Händen zurückkehrten.
Rajah seufzte. Jetzt lagen aller Hoffnungen nur noch auf zwei Gruppen. Aber wie sollten sie Lucias schon finden. Wenn er irgendwo unter der Hitze oder der Kälte zusammenbrach oder in einen Sandsturm geriet, wer sollte ihn schon finden? Der Sand bedeckte alles.
Hatte alles bedeckt.
Lucias war schon seit fünfundzwanzig Tagen verschwunden. Und am vierten Tag seines Fehlens hatte es einen furchtbaren Sandsturm gegeben, der mehrere Stunden angehalten hatte. War er tatsächlich in der Wüste so konnte er nicht überlebt haben. Das hatte sie die Mädchen flüstern hören.
Wieder weinte sie.
Sie hasste Lucias, weil er weggelaufen war ohne sie mitzunehmen.
„Rajah.“ Naboru war neben sie getreten. „Hör auf zu weinen, Rajah. Das wird Lucias nicht wieder zurückbringen.“
„Aber diese Suchtrupps, ja?“, fauchte sie die Weise der Geister an.
„Rajah! Beruhige dich!“, zischte Naboru zurück.
Sofort schluckte Rajah und senkte die Stimme. „Es tut mir leid. Es ist nur, weil…“ Sie sah auf ihre nackten Füße herab, die so unruhig waren. „…weil ich mir so schreckliche Sorgen mache! Was ist, wenn ihm etwas zugestoßen ist?“
Naboru nahm sie in den Arm und ließ sie an ihrer Brust ausweinen. Rajah zitterte am ganzen Körper. Von allen musste sie am meisten unter seinem Verlust leiden.
„Ich will, dass er zurückkommt. Naboru!“, weinte Rajah. „Ich will, dass er sagt er hat sich nur versteckt, weil er uns einen Schrecken einjagen wollte!“
Naboru seufzte. Es war alles so schrecklich schief gelaufen. Die ganze schöne Zukunft, die sie sich für Lucias ausgemalt hatte. Und für Rajah. Und für alle.
Die würde es nun nie geben.
Denn die Schrecken vor zehn Jahren waren wieder da. Die Monster und Bestien, die vor zehn Jahren ganz Hyrule tyrannisiert hatten waren wieder an die Oberfläche zurückgekehrt. Naboru ahnte nichts Gutes.
Darum riss sie Rajah von sich los und hob ihr Gesicht mit beiden Händen an. Rajah blickte sie aus großen, verweinten Augen an.
„Hör mir zu, Rajah.“, sprach die Weise der Geister. „Ab heute bist du meine Schülerin. Ich werde dich alles lehren was ich kann, damit du eine mächtige Kriegerin der Gerudos wirst und damit du Hyrule in schlimmen Zeiten dienen kannst.“
Ein Blitz jagte aus dem wolkenbehangenen Himmel heraus und das Donnern hallte an den Steinmauern wieder. Es regnete in der Wüste.


Ende