Die Geschichte vom Beginn

Autor: Shiek-kun


Leise erfüllten das Knistern des Kaminfeuers, das Klacken der Stricknadeln und das Knarren des Schaukelstuhles, in dem die alte Frau saß, den kleinen Raum. Vom Fenster her, dessen Gardinen im Abendwind wehten, tönte Kinderlachen und versonnen lächelte die Frau. Gleich würde die ganze Schar sich wieder in ihr kleines Zimmer drängen und sich von ihr etwas vorlesen lassen.
Die Erwachsenen mochten sie nicht. Sie hatte etwas Geheimnisvolles an sich, sprach mit kaum jemandem und einige gingen soweit, sie als Hexe zu betiteln. Aber die Kinder liebten sie – und sie liebte die Kinder und war immer glücklich, wenn die Kleinen sie besuchten.
Sie legte die Nadeln beiseite und griff nach ihrem Gehstock. Leicht vornübergebeugt humpelte sie auf die Tür zu. Ihre Beine waren auch nicht mehr das, was sie einmal waren; stellte sie halb belustigt, halb traurig fest. Langsam zog sie die hölzerne Tür auf, die ihr jedes Mal mehr Schwierigkeiten bereitete. Das Haus war alt, und das Holz hatte sich über die Jahre hinweg immer mehr verzogen. Sie sah nach draußen, blickte den Kindern entgegen und lächelte. Sie alle waren hier, um sich von ihr Geschichten von Helden, Prinzessinnen und bösen Mächten erzählen zu lassen.
Aber diesmal würde es keine Geschichte sein, die schon in dem Buch stand. Nein, jetzt endlich würde sie den Kreis schließen, die Geschichte vom Beginn erzählen und dann...
"Oma, Oma! Erzählst du uns wieder eine Geschichte?", drängte ein Junge, vielleicht acht Sommer alt – er war immer der Erste.
Sie fuhr ihm durch die kurz geschnittenen Haare. "Aber natürlich. Kommt herein, ich habe euch Kekse gemacht."
Während die Kinder ins Haus stürmten, ging die Alte langsam zum Bücherregal und griff nach dem Geschichtenbuch. Sie schlug es auf und blätterte zum Ende. Die letzten leeren Seiten...
"Oma, welche Geschichte erzählst du uns diesmal?"
"Die Geschichte vom Beginn werde ich euch erzählen", erwiderte sie, und ließ dabei den Blick nicht vom Buch. Während sie den Titel sprach, formten sich verschnörkelte Buchstaben aus violetter Tinte auf der leeren Seite. Einen Moment wartete sie, dann schlug sie das Buch wieder zu, klemmte es sich unter den Arm und setzte sich wieder in ihren Schaukelstuhl.
Sie wartete, bis sich die Kinder in einem Halbkreis vor sie auf den Boden gesetzt hatten und mit Vergnügen an den Keksen knabberten, dann fing sie an zu erzählen...

Diesmal erzähle ich euch keine Geschichte von epischen Schlachten des Lichts gegen die Finsternis, diesmal werde ich euch die Geschichte vom Anfang... von Hyrules Anfang erzählen.
Vor vielen vielen Jahren, als die Zeit selbst noch jung war, stiegen drei Göttinnen in die Welt, die Chaos war, herab. Ihre Namen waren Din, Nayru und Farore.
"Dieser Ort ist gut!", rief Din die Blutrote aus. Ihre beiden Schwestern stimmten ihr zu, und alsdann machten sie sich an die Arbeit.
Mit ihrer ungeheuren Kraft schuf Din das Land. Mit ihrem feurigen Odem formte sie es, sie schuf tiefe Täler und hohe Berge, weite Ebenen und kleine Hügel.
Begeistert lobte Nayru ihre ältere Schwester und mit ihrer unendlichen Weisheit bestimmte sie die Gesetze, nach denen die Welt sich richten sollte. Sie ließ das Wasser bergab fließen, und die Sonne des Tags, den Mond des Nachts ihr Licht auf die schöne Welt strahlen. Die sanfte Gewalt des Wassers, das Nayru die Azurblaue aus einer großen Quelle sprudeln ließ, riss tiefe Furchen ins Land, um sich dann in einem Tal zu sammeln und verdunstete dort, um vom Himmel zu fallen. Nayru nannte all das Fluss, See und Regen, und sie war stolz auf ihr Werk.
Die drei Göttinnen besahen sich die Welt... und waren traurig, denn etwas fehlte. Es gab nichts, das auf dieser schönen Welt lebte. Doch da meldete sich Farore die Blattgrüne zu Wort. "Lasst mich nur machen", sagte sie zu ihren Schwestern und grinste dabei.
Die jüngste der drei Göttinnen ließ das Leben in die Welt, die ganze Flora und Fauna, die Hyrule bevölkerte. Und dann schufen die drei Göttinnen gemeinsam noch ein Wesen, das über alles andere herrschen sollte. Das gesegnete Volk, die Hylianer.
Erst dann kehrten sie zurück gen Eden, doch sie beschlossen, den Hylianern ein Geschenk zu hinterlassen.
Die reine Essenz aus Dins Kraft, Nayrus Weisheit und Farores Mut – das Triforce.
Der Ort, an dem sie es verbargen, nannten sie das Heilige Reich und sie versteckten Hinweise im Land, wie man an diesen Ort gelangte. Das Triforce war unbeschreibliche Macht und so hofften sie, dass es nur in würdige Hände geraten würde.


"Aber irgendwann geriet es in die Hände des bösen Ganons, nicht wahr?", unterbrach ein Mädchen die alte Frau.
"Ja, das stimmt, meine Kleine. Aber warte doch, das alles geschah sehr viel später. Die Geschichte ist noch nicht vorbei." Sie lächelte.

Lange Zeit lebten die Hylianer in Frieden. Die Königsfamilie und sieben weise Männer lenkten die Geschicke des hylianischen Volkes. Von der Macht des Triforce wusste man nichts. Zumindest nicht, bis irgendwann eine alte Schriftrolle gefunden wurde... der erste Hinweis.
Schnell verbreitete sich die Kunde von einem allmächtigen Artefakt durchs ganze Land und viele viele Hylianer versuchten das Triforce zu finden.
Sie wurden hasserfüllt und neidisch aufeinander und fingen an, einander zu töten... jeder wollte der einzige sein, der es bis zum Triforce schaffte und viele Männer ließen ihr Leben.
Angesichts der Lage wandte sich der König des Landes an die Sieben Weisen. Er bat sie, das Heilige Reich aufzuspüren und es mit ihrer Macht zu versiegeln, so dass das Triforce vor dem Zugriff der Menschen geschützt sei.
Die Sieben Weisen taten ihr Bestes. Als sie den Zugang zum Heiligen Reich endlich fanden, ließen sie einen Tempel bauen, in dem sie das Triforce versteckten, und schufen zudem die Halle der Weisen.
In Hyrule selbst erbauten sie die Zitadelle der Zeit. Drei Edelsteine, eine magische Flöte und eine geheimnisvolle Melodie und ein mächtiges Schwert allein sollten in der Lage sein, den Zugang zum Triforce zu öffnen und zu schließen. Die Sieben Weisen zogen sich in die Halle der Weisen zurück, um dort über den Tempel des Lichts zu wachen.
Der König schloss den Zugang. Er ließ das Master-Schwert im Zeitstein zurück, schloss mit der Macht der Hymne der Zeit, auf der Okarina der Zeit gespielt das Zeitportal und nahm die drei Heiligen Steine.
Er schenkte sie den Herrschern der drei übrigen Völker, den Smaragd dem Deku-Baum, Schutzheiliger der Kokiri-Wälder; den Opal dem Oberhaupt der Goronen und den Saphir dem König der Zora.
Er beschwor sie, über diese Steine zu wachen, denn sie seien gottgegebene Insignien für ihre Herrschaft und sie versprachen, sie niemals aus den Händen zu geben.
So fand die Jagd nach dem Triforce ein jähes Ende.
Über die Jahre ward all das vergessen. Niemand wusste mehr, wozu die Steine dienten, und die Okarina der Zeit war nichts weiter als ein Erbstück der Königsfamilie.
Doch die Aufzeichnungen blieben erhalten – und die Göttinnen hielten aufmerksam Wacht über Hyrule, denn sie liebten ihr Werk und versprachen sich, es niemals wieder in den Fängen der Dunkelheit versinken zu lassen.
Doch sollte sich jemals wieder die Finsternis über das Land breiten, so sollte das Licht eines Helden erstrahlen, um Hyrule zurück ins Licht zu führen.


Ein wenig unzufriedenes Murmeln machte sich breit. "Das ist alles? Fand ich diesmal aber langweilig", meckerte ein Junge.
Die Alte lächelte. "Das stimmt vielleicht, aber auch diese Geschichten müssen erzählt werden." Sie schlug das Buch auf und nickte zufrieden. Ihre Aufgabe war erfüllt. Alle Geschichten waren erzählt worden und ins Buch zurückgekehrt. Die meisten der Kinder gingen jetzt, nur ein Mädchen blieb zurück. Sie sah die Alte an, aber sagte nichts.
Die Erzählerin sah aufs Buch. Sie musste es nur noch weitergeben. Dann bemerkte sie das Mädchen.
"Kleines, worauf wartest du?"
"Ich... ich weiß es nicht. War das die letzte Geschichte?"
Einen Moment lang schwieg die Alte. Sie sah noch einmal aufs Buch, dann wieder das Mädchen an. "Ja. Das war leider die letzte Geschichte, die ich zu erzählen habe. Mehr stehen nicht im Buch. Aber... ich schenke es dir." Sie lächelte. "Darin stehen alle Geschichten, die ich euch erzählt habe. Und vielleicht wirst du dann irgendwann auch Kindern diese Geschichten erzählen, wenn du so alt bist wie ich. Oder sogar neue Geschichten hinzufügen."
Das Mädchen strahlte. Glücklich nahm sie das Buch entgegen und rannte dann ihren Freunden und Freundinnen hinterher.
Die Alte blieb in ihrem Stuhl sitzen. Leise weinte sie. Das Buch war zugleich Segen und Fluch. Irgendwann würde die Kleine alle Geschichten aus dem Buch erzählen. So wie sie es getan hatte. Sie war müde. Sie hatte sehr lange gebraucht, um sie alle zu erzählen. Irgendwann hatte sie aufgehört, die Jahre zu zählen.
Hyrule war ein magisches Land, und so war auch dieses Buch voller seltsamer Magie. Für die Kinder war Hyrule ein Land der Hoffnungen und Träume, ein Land der Fantasie.
Leise summte die Alte ein Lied. Ein Lied, das in der Königsfamilie von Hyrule von Mutter an Tochter weitergegeben wird. Ein altes Wiegenlied.
Als der letzte Ton ihre Kehle verließ, nahm er ihr Leben mit.

Als man die Alte am Tag darauf fand, lag auf ihren Lippen ein glückliches Lächeln. Als sei ihr im Tod noch ein Lebenstraum erfüllt worden.